Kapitel 11
Der Abend gestern war noch richtig lustig gewesen, auch wenn mich Ians Aussagen in Bezug auf Cole ein wenig rätseln ließen. Aber der Schwindel und die Kopfschmerzen kamen definitiv vom Zimt-Tequila und nicht davon, wie durcheinander meine Gedanken seit Silvester waren.
Es klopfte an der Tür, und ich sah von meinen Unterlagen auf. »Hey, hier ist dein Mittagessen«, sagte Bianca und kam in mein Büro, um mir eine braune Papiertüte auf den Schreibtisch zu stellen.
»Wie geht es dir?«, fragte ich, legte den Stift zur Seite und griff nach dem Essen. Ich hatte heute Morgen nichts runterbekommen und nun einen riesigen Appetit.
»Ein bisschen Kopfschmerzen, aber ich muss schon zugeben, ihr habt wirklich heiße Freunde.«
Ich brummte und öffnete die Plastikschüssel, in der mein Caesar Salad eingepackt war. Bianca war wie Delia und ich ebenfalls single, mit dem Unterschied, dass sie sich die große Liebe wünschte. Delia und ich hatten schon zu viel gesehen, als dass wir noch daran glaubten.
»Freunde ist ein bisschen zu viel gesagt. Konntest du mit Ms Howard sprechen?«, schaltete ich zurück in den geschäftlichen Modus. Ich wollte das Thema um Coles Scheidung so schnell wie möglich abhaken.
»Ja. Sie war ein wenig verstört, dass du den Fall so plötzlich abgeben willst. Sie hat gefragt, ob du ein Problem mit ihrem Ex hast, weil bei der Verhandlung irgendwelche Schwingungen im Raum standen, die sie nicht deuten konnte. Natürlich habe ich alles abgestritten, also denke ich nicht, dass sie damit an Aidan herantritt.«
Wegen meines Geschäftspartners machte ich mir keine Sorgen, denn auch er war nicht gerade dafür bekannt, etwas anbrennen zu lassen. Es ging eher um den Ruf in der Öffentlichkeit, den so ein Gerücht nach sich zog. »Ich spreche gleich nach dem Essen mit ihm«, sagte ich und pikste ein Salatblatt auf.
»Gut, und lass es dir schmecken.« Bianca machte auf ihren hohen Absätzen kehrt und lief aus meinem Büro. Während meine Gedanken schon wieder abschweiften und ich versuchte, nicht ständig über all das nachzudenken. Aber es ging nicht. Immer wieder kehrte ich zu den letzten Tagen zurück und vor allem dem Gefühl, das ich in Coles Gegenwart gehabt hatte. Dieses Dunkle zog mich unwahrscheinlich an. Das war schon immer so gewesen, und bisher hatte ich mir untersagt, diesem Verlangen nachzugeben. Es hatte sich falsch angefühlt, aber diesmal war es anders. Noch niemals zuvor war es greifbarer, wirklicher gewesen als jetzt. Und mittlerweile konnte ich den Drang, dieser Sehnsucht nachzugehen, kaum noch unterdrücken.
Ian hatte gesagt, ich solle mich melden, wenn ich Lust zum Reden hätte. Er hatte gestern Abend eindeutig klargemacht, dass er mich zwar weiterhin attraktiv fand, aber es eher mit einer Freundschaft versuchen wollte. Wieso auch immer. Obwohl mir das gelegen kam. Ian war heiß und ziemlich sexy, keine Frage. Aber es gab eine Ecke in meinem Inneren, die sich schon ewig nach etwas anderem sehnte.
Etwas Dunklem. Etwas, das sich vollständig meiner Kontrolle entzog und das ich trotzdem wollte.
Normalerweise reagierte ich nicht unkontrolliert. Alles, was ich mir erarbeitet hatte, war geplant gewesen. Mein Leben war geordnet, meine Entscheidungen rational. Ich war ein völlig anderer Typ als meine Mutter, die sich immer schon aus dem Bauch heraus für etwas entschied. Ein spontaner Umzug in einen anderen Staat? Kein Problem! Eine neue Einrichtung, obwohl wir bis zum Hals in Schulden steckten? Aber absolut! Die Trennung von meinem Vater, nur um kurz darauf wieder mit ihm zusammenzukommen? Wieso nicht?! Sie hatte ein flatterhaftes Wesen, und meine Eltern waren das schlechteste Paar in der Weltgeschichte der Beziehungen. Zum einen, weil ich mir sicher war, dass Monogamie auf Dauer sowieso nicht funktionierte. Zum anderen, weil meine Mum eben Probleme damit hatte, sich festzulegen, und mein Dad im Gegenzug ein spielsüchtiger Säufer war, der andere Menschen nur manipulierte.
Es hätte ganz bestimmt nicht funktioniert, auch wenn sie nicht sie selbst gewesen wären. Verkorkst, chaotisch und völlig fernab jeder Realität, in der man seine Rechnungen bezahlte oder regelmäßig den gleichen Job antrat.
Deshalb wollte ich die Kontrolle. Ich brauchte sie sogar, denn wenn ich mir eines nicht vorstellen konnte, dann so zu werden wie meine Eltern. Also war vielleicht auch die logische Schlussfolgerung, dass ich meine dunklen Fantasien mit jemand auslebte, bei dem ich wusste, er wollte keine Beziehung. Er wäre dafür sogar überhaupt nicht geschaffen. Ich hätte die emotionale Kontrolle und könnte die meines Körpers gleichzeitig beruhigt abgeben.
Ohne mir weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, nahm ich mein Handy und wählte Ians Nummer. Er musste mir mehr über Cole erzählen können. Meine Gedanken würden nicht eher stillstehen, bis ich noch einige Details wusste, die mir zeigten, ob Cole der Richtige dafür war. Denn auch das machte mich aus. Hartnäckigkeit. Ohne diese Charaktereigenschaft wäre ich nicht die Anwältin geworden, die ich nun war.
Es klingelte einige Male, bis ein Klicken erklang und ich die Luft anhielt.
»Craft.« Das Wort kam eher als ein knurrendes Bellen durch die Leitung, und ich atmete mit einem Mal ein.
»Ähm … hier ist …« Verdammt, hatte ich nicht eben darüber nachgedacht, dass ich eine Frau war, die wusste, was sie wollte, und kein stotterndes, schwaches Mädchen wie früher? »Hier ist Eve.« Stille am anderen Ende. Ich hörte nur an dem Geräusch seines schweren Atems, dass Cole noch dran war. »Ian hat mir diese Nummer gegeben, ich dachte, es wäre seine.«
»Ich kann sie dir geben«, sagte er, und es hörte sich so an, als würde er die Zähne aufeinanderpressen. Wollte er so wenig mit mir sprechen? War mein Vorhaben, mehr über ihn und diese Seite zu erfahren, die mich so anzog, eigentlich zum Scheitern verurteilt?
»Nein, schon gut. Es ist okay, dass es nicht seine, sondern deine Nummer ist.« Es war sogar viel mehr als das. Enger presste ich mein Handy an mein Ohr. Cole sagte immer noch nichts. Er war wirklich kein Mann vieler Worte. Eher der Taten. Die ich überall auf meinem Körper spüren wollte. »Aber wenn du keine Zeit hast, dann verstehe ich das und möchte dich nicht aufhalten. Wir sehen uns … Vielleicht … Oder auch nicht …«, stotterte ich doch wieder.
»Eve«, unterbrach er mich, und allein der raue Klang seiner Stimme und wie er meinen Namen aussprach, ließ Anspannung in meinen Körper fahren. Ich presste die Beine zusammen und versuchte die Erinnerungen an seinen Geschmack auf meiner Zunge niederzuringen.
»Wie geht es dir?«
»Ausgezeichnet. Und dir?«
»Viel zu tun, aber ich kann mich nicht beklagen.«
»Dann will ich dich wirklich nicht aufhalten!«
»Wenn du das tun würdest, würde ich es dir sagen. Ich steh nicht auf Spielchen, Eve.« Wieder mein Name von seinen Lippen. Wieder mein Herz, das fast durch meinen Brustkorb brach. »Außer sie sind zu unser beider Vergnügen«, schob er heiser nach. Wieso sagte er so etwas? Dieser Mann war so undurchsichtig wie Beton.
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Welche zum Beispiel?«, hauchte ich und wunderte mich, dass unser Gespräch innerhalb von so kurzer Zeit auf eine völlig andere Schiene gerutscht war. Aber zu einem hohen Grad war das auch das Einzige, was uns verband. Diese knisternde Anziehung, die zwischen uns herrschte und uns zueinander zog.
Wieder zögerte Cole, und einige Sekunden dachte ich, er wäre überhaupt nicht mehr dran, bis er weitersprach. »Ich hole dich heute Abend um sieben ab.«
»Wie bitte?« Ich schnappte nach Luft. Was war das denn für ein abrupter Themenwechsel? »Wozu?«
»Zum Essen.« Der selbstsichere Klang in seiner Stimme brachte mich kurz aus dem Konzept, und ich wusste nicht, wie ich darauf antworten sollte.
»Ich habe keine Zeit.« Wieso sagte ich so etwas? Ich wollte ihn sehen, aber gleichzeitig hatte ich auch Angst vor einem Treffen. »Außerdem entscheide ich gerne selbst, ob ich mit jemandem essen gehe oder nicht.«
»Du hast schon entschieden, in dem Moment, in dem du dieses Gespräch begonnen hast. Wir sehen uns heute Abend.« Mit diesen Worten legte er auf. Und ich fragte mich einerseits, woher er wusste, wo ich wohnte, und andererseits, wieso ich mich so auf dieses Treffen freute. Obwohl mir klar war, dass ich mit einem glückseligen Lächeln direkt auf etwas zu rannte, das sich meiner Kontrolle völlig entzog. Nicht nur der über meinen Körper.