Kapitel 20
»So weit alles klar, oder? Dieser Deal ist so verdammt wichtig für uns!« Mein Partner Aidan wirkte nervös. Vielleicht, weil sein Vater immer noch ein Auge auf die Kanzlei warf und Aidan ihm beweisen wollte, dass er alles unter Kontrolle hatte. Ich wandte mich von der Aussicht aus dem Limousinenfenster ab und richtete meine Aufmerksamkeit zurück auf ihn. Zumindest so weit ich mich heute Abend konzentrieren konnte. Denn ich dachte an Cole und wie er vor zwei Tagen in seinem Appartement zu mir gewesen war und vor allem warum.
Sollte es so nun immer sein? Ich wollte die pure Lust, die er mir angeboten hatte. Die Aussicht auf die Erfüllung meiner Fantasien. Aber ich zweifelte, denn auf das Gefühl, nach dem Sex ein störender Klotz am Bein zu sein, war ich nicht unbedingt scharf. Drei Monate abgemacht oder nicht. Ich hatte lange genug in meinem Leben gespürt, was es hieß, unerwünscht zu sein, und machte so etwas niemals wieder mit.
»Du bist alle Unterlagen durchgegangen, oder?«, fragte Aidan. Mein Partner war nur zwei Jahre älter als ich, und ich wusste, dass er in unserem Job knallhart sein konnte. Auch wenn er mit seinen blonden Haaren und den braunen Augen mit diesem speziellen vertrauensvollen Blick harmloser wirkte. Zumindest brachte dieser ihm einen Vorteil vor Gericht und bei seinen zahlreichen Eroberungen. Sein Vater, dessen Platz in der Kanzlei ich eingenommen hatte, wünschte sich für ihn eine anständige Frau und Kinder. Aber Aidan war noch lange nicht bereit für so einen Schwachsinn, wie er es nannte. Auch das verband uns, denn wir teilten die gleichen Ansichten, was Beziehungen betraf.
Abgesehen davon arbeitete ich gerne mit ihm zusammen. Anders als viele andere Anwälte war er einer der ehrlichen Vertreter, und ich vertraute ihm nach all den Jahren, in denen wir uns kannten.
Wir befanden uns auf dem Weg zu einem Geschäftstermin, der beim Abendessen in einem Restaurant stattfand. Ich unterstützte Aidan hin und wieder, genauso wie er es bei mir tat. Er arbeitete nicht wie ich im Bereich des Scheidungsrechts, sondern hatte sich auf Wirtschaftsrecht spezialisiert. Bei so einem wichtigen Termin und wenn es um verdammt viel Geld und die Zukunft der Kanzlei ging, fühlten wir uns besser, wenn wir zu zweit auftraten.
»Selbstverständlich. Ich bin voll im Thema, Bianca hat mir alle Unterlagen gegeben.«
»Gott.« Aidan fuhr sich mit den Händen durch das Haar und lehnte sich zurück in den Ledersitz. Auf seinem Schoß und über die Rücksitzbank hatte er massenhaft Unterlagen verteilt. Sein Fahrer brachte uns glücklicherweise an unser Ziel, damit wir uns in Ruhe auf diesen Termin vorbereiten konnten. »So nervös war ich schon lange nicht mehr.«
»Brauchst du nicht«, beruhigte ich ihn und tätschelte seine Schulter. Wir kannten uns seit unserem Studium und waren gute Freunde geworden. Außer einem Kuss auf einer Collegeparty, der unter Alkoholeinfluss passiert war, war nie mehr zwischen uns gelaufen. Und würde es auch garantiert nicht. »Du hast dich wochenlang auf diesen Termin vorbereitet. Die CEOs der Lighthouse Health wissen, wie gut du in deinem Job bist. Sie wären bescheuert, wenn sie dich nicht für den Fall gegen die Johnsons Brothers engagieren.«
Aidans Fahrer Luis stoppte den Wagen, und ich spähte hinaus. Wir standen genau vor dem Eingang des Restaurants Fujiwara. Ein schwarzer Teppich führte ins Innere, und unter dem dunklen Vordach waren goldgelbe Lichterketten angebracht, die eine einladende Atmosphäre verbreiteten. Den Laden gab es seit über einem Jahr, und Aidan und mich verschlug es oft auch außerhalb unserer Termine hierher. Ich mochte die gehobene japanische Küche, die sie hier anboten, und den Flair, den die Einrichtung versprühte. Wie aus einer anderen Welt und ziemlich gut zum Abschalten. Nur heute würde mir das sehr wahrscheinlich nicht wirklich gelingen.
Luis öffnete meine Tür und half mir hinaus. Eiskalter Wind wehte mir ins Gesicht, und ich zog den Kragen meines Mantels höher. Wenn es Richtung Februar ging, hatte ich das Gefühl, der Winter wollte noch mal zeigen, was er alles draufhatte. Ich war eher ein Sommerkind. Hitze machte mir nichts aus, Kälte war nicht gerade mein Ding.
Aidan stieg hinter mir aus und legte seine Hand auf meinen unteren Rücken. »Danke«, flüsterte er mir zu und lehnte sich ein Stück zu mir. Aidan war nie anzüglich oder zweideutig in meine Richtung gewesen, schon gar nicht, seitdem wir zusammenarbeiteten und er mich damals eingestellt hatte. Also war mir diese Vertrautheit zwischen uns nicht unangenehm, sondern im Gegenteil, sie machte unsere Zusammenarbeit um einiges einfacher. Deswegen wehrte ich mich auch nicht, hakte mich bei Aidan unter und ließ mir von ihm drinnen aus dem Mantel helfen.
Das Restaurant war gerappelt voll. Ganz traditionell saß man hier auf Kissen auf dem mit dunkelbraunen Bambusmatten belegten Boden und aß mit Stäbchen von fein verzierten Porzellantellern, die auf einem kniehohen Holztisch lagen. Die Wände waren goldfarben gestrichen, und Lampen hinter viereckigen Vertäfelungen spendeten indirektes, gemütliches Licht in dem quadratischen Raum. In der Mitte standen die Köche, die live das Essen über offenem Feuer zubereiteten. Als wir an ihnen vorbeiliefen, bewunderte ich fasziniert, wie einer von ihnen in Lichtgeschwindigkeit einen Fisch in kleine, gleichmäßige Teile schnitt. Ich würde mir dabei garantiert den Finger abhacken.
Der Kellner führte uns an einen Tisch in der Ecke, an dem bereits vier Menschen saßen. Es war unkonventionell, ein Geschäftsessen auf dem Boden abzuhalten, aber genau das machte unsere Kanzlei aus. Außerdem waren die Speisen hier fantastisch, und das sahen auch die meisten unserer Klienten so.
»Guten Abend, Mrs Smith, guten Abend, Mr Spark«, begrüßte uns der CEO Mr Jenkins. Er trug einen gut sitzenden dunklen Anzug, hatte seine braunen Haare mit Gel zu einem Seitenscheitel gekämmt, wirkte aber überhaupt nicht schmierig. Im Gegenteil. Auch wenn er sicherlich zehn Jahre älter war als ich, war er äußerst attraktiv. Er lächelte charmant, als er mir fest die Hand schüttelte. Anders als sein Partner Mr Gamble, der zwar einen ebenso souveränen Eindruck machte, mich aber abcheckte, als würde ich nicht einen knöchellangen, apricotfarbenen Plisseerock und eine helle Seidenbluse tragen, sondern überhaupt nichts. Sein feuchter Händedruck war mir deutlich unangenehmer und nur halb so kräftig wie der seines Kollegen. Man merkte schnell an dieser einen Geste, wenn ein Mann eine Frau ernst nahm. Entweder er sah sie wie ihre männlichen Kollegen und schüttelte dementsprechend fest die Hand oder es war eher ein Streicheln. Nichts fand ich herablassender als einen laschen Handschlag.
Ich ignorierte diesen Umstand, und Mr Jenkins stellte uns einen weiteren jüngeren Mann als seinen Assistenten vor, der neben ihm stand.
Ich trug gerne Röcke, weil ich mich zum einen gut angezogen fühlte und sie mich zum anderen gerade beim Essen nicht einengten. Welche Frau kannte dieses Problem mit engen Hosen nicht? Aufgrund unserer Sitzpositionen hatte ich mich extra für eine lange Variante entschieden, die kaum etwas von meinen Beinen freigab. Trotzdem spürte ich Gambles Blicke auf mir während des gesamten Gesprächs, das sich die ersten dreißig Minuten nur um die zukünftige Betreuung durch unsere Kanzlei drehte.
»Mrs Smith, Sie können gerne Ihren Lebensgefährten zu unserem alljährlichen Frühlingsfest einladen«, sagte Mr Jenkins freundlich, und sein Partner beäugte mich neugierig.
Ich lächelte und ließ mir nichts anmerken. »Ich bin derzeit alleinstehend«, antwortete ich, denn das, was Cole und ich hatten, trug ganz bestimmt keine passende Bezeichnung, die ich hier am Tisch preisgeben konnte.
»Ach tatsächlich?«, fragte Mr Gamble, und Aidan bedeckte sofort meine Hand, die auf dem Tisch lag, mit seiner. Er war feinfühlig und hatte bemerkt, wie unwohl ich mich bei Mr Gambles schmierigen Blicken fühlte.
»Ms Smith muss wohl mit mir vorliebnehmen, denn wir begleiten uns mit Freude gegenseitig zu solchen Events. Eve und ich kennen uns seit unserer Collegezeit.«
»Erzählen Sie mehr, das klingt spannend.« Dieser Typ ging mir gehörig auf den Nerv. Das hier war ein Geschäftstermin, kein lustiges Beisammensein, bei dem man peinliche Geschichten von früher erzählte.
»Da gibt es eigentlich nicht wirklich viel«, gestand ich, um dem Thema ausweichen und wieder zurück zum Geschäft wechseln zu können.
»Nein? Ich kann mir vorstellen, Sie waren eine wilde Studentin.« Würg.
»Rich, ich denke, Ms Smith hat ein Recht, ihr Privatleben für sich zu behalten«, mahnte Jenkins, und man hörte definitiv heraus, wie unangenehm ihm das Benehmen seines Partners war. Wollten wir wirklich für so eine Firma arbeiten? Wenn ich Gamble öfter sehen müsste, würde ich mich jedes Mal davor krankmelden und eine richtig fiese Magen-Darm-Grippe vortäuschen. Vielleicht verging ihm dann die Lust.
»Selbstverständlich«, sagte Gamble, aber ich spürte immer noch seine Blicke auf mir. Während die Männer nun auf ein anderes Thema zu sprechen kamen, seufzte ich leise erleichtert auf und schaute weiter in den Raum. Und da sah ich ihn. Er saß nur vier Tische entfernt. Cole.
Zur Abwechslung trug er ein weißes Hemd, kein Jackett, dafür eine schwarze Weste, die seine muskulösen Oberarme betonte. Sein Gesicht wirkte regungslos, genau wie seine Miene, aber sein Blick wanderte zu Aidan neben mir und seiner Hand, die immer noch auf meiner lag.
Würde er mir deswegen eine Szene machen? Was sollte ich tun, ihn herausfordern oder zu ihm gehen und ihn ansprechen?
Ich zog meine Hand unter Aidans hervor und wusste, er hatte sich mit dieser Berührung nichts gedacht, sondern wollte mich nur vor Gamble schützen. Aidan warf mir in der Unterhaltung ein warmes Lächeln zu und wandte sich dann wieder an seine Gesprächspartner, als wäre nichts gewesen. In meiner Tasche, die neben mir auf dem Boden lag, vibrierte es, und als ich Cole ansah, legte er gerade sein Handy zurück auf die Tischplatte und zog eine Augenbraue nach oben.
Unauffällig sah ich auf mein Display. Die Unterhaltung am Tisch drehte sich um Baseball, sowieso ein Thema, in dem ich mich nicht auskannte. Sollten die Männer nur fachsimpeln.
Cole:
Wer ist er?
Sollte ich lachen oder weinen auf diese Frage?
Eve:
Mein Geschäftspartner. Ich habe ein Geschäftsessen und keine Zeit für Spielchen!
Mehr schrieb ich nicht, denn mehr Information hatte er auch nicht verdient. Er schmiss mich förmlich aus seinem Appartement, ließ Tage nichts von sich hören und saß dann auf einmal hier am Tisch, um mich zu beschatten? Ernsthaft? Meine Unsicherheit wuchs an und wechselte zu Wut.
Cole:
Ob du Zeit hast oder nicht, bestimme immer noch ich! Wieso berührt er dich?
Meinte er das verdammt noch mal ernst? Wenn er mich kontrollierte, wenn wir allein waren, okay, aber in dieser Situation war das völlig unangebracht!
»Eve, finden Sie auch, dass die New York Yankees in dieser Saison besser vorbereitet sind?«, wollte mich Jenkins in das Gespräch miteinbeziehen.
Ich lächelte freundlich und sah von meinem Handy auf. »Es tut mir leid, Baseball ist nicht gerade mein Metier.«
»Und uns tut es leid, wenn wir Sie gelangweilt haben sollten«, sagte er und fuhr sich beschämt über das Kinn. Wenn die Firma nur ihm gehören würde, hätte ich keinerlei Bedenken, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
»Haben Sie garantiert nicht, keine Sorge.«
Wieder vibrierte mein Telefon. Ich sah hinüber, und Coles Miene wurde noch düsterer. Wenn das überhaupt möglich war. Er tötete alle Männer am Tisch mit seinen Blicken, und sein Kiefer verhärtete sich nun deutlich sichtbar. Ich wollte ihn nicht verärgern, wirklich nicht, aber wenn er sich durch den Umstand eines geschäftlichen Essens so anstellte, dann würde unsere Vereinbarung nicht funktionieren.
Aidan begann ein Thema, das nur an mir vorbeilief, stattdessen spähte ich erneut auf mein Telefon. Ich kam mir dabei selbst schlecht vor, denn das war bei einem derartigen Termin mehr als unhöflich. Doch bevor ich Coles Nachricht öffnen konnte, schob sich Gamble zu mir rüber. Sein Atem roch nach dem Sake.
»Na, doch einen eifersüchtigen Freund zu Hause?«, fragte er leise, und ich lehnte mich ein Stück zurück, um ihm zu entkommen. Unauffällig spähte ich an ihm vorbei und sah, wie Cole uns starr fixierte. Vielleicht stellte er sich gerade vor, wie es wäre, Gamble umzulegen. Diesmal hatte ich nichts dagegen.
Gamble direkt zu sagen, dass es ihn einen Scheiß anging, wer mir schrieb, konnte ich nicht, wenn ich Aidan diesen Deal nicht versauen wollte. Also blieb mir nur, gekünstelt zu lachen und den Kopf zu schütteln. »Nein, nein, nur ein anderes kleines, lösbares Problem.«
»Dann bin ich ja froh. Wie wäre es eigentlich, wenn wir nach diesem Essen noch irgendwohin gehen, wo es … gemütlicher ist?«
Vielleicht spielte ich die Magen-Darm-Grippe doch vor? Ich könnte erzählen, dass mir vom Essen übel war …
»Das hört sich nicht schlecht an, aber Aidan und ich müssen später noch etwas vorbereiten.«
»Um diese Uhrzeit?«
»Der frühe Vogel und so«, sagte ich und lachte erneut falsch. »Aber ich fühle mich sehr von Ihrem Angebot geschmeichelt.« Ganz bestimmt nicht. »Jetzt muss ich mich allerdings für einen kleinen Moment entschuldigen.«
Ich steckte mein Handy zurück in die Tasche und nahm sie mit, während ich aufstand. Aidan war sofort zur Stelle und half mir hoch, indem er meinen Arm ergriff. »Bin gleich wieder da, sieh zu, dass du Gamble beschäftigst«, zischte ich ihm zu, und er verkniff sich ein Lachen.
»Geht klar.«
Als ich zu den Toilettenräumen lief, hoffte ich, dass Cole mir folgte. Damit ich ihm sagen konnte, dass solch ein Auftritt nicht funktionierte! Er hatte selbst die Regel aufgestellt, dass Privates oder Geschäftliches nichts mit unserem Arrangement gemeinsam hatte! Also wieso mischte er sich nun so in mein Leben ein?
Als ich an ihm vorbeilief, schwang ich beim Gehen betont meine Hüften und warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu, als wäre er mir egal.
Ich sah im Augenwinkel, wie er meinen Bewegungen mit harter Miene nur mit seinem Blick folgte. Vielleicht würde er mir nun endlich zeigen, wie dunkel die Schwärze in seinem Inneren war …
Doch auch zehn Minuten später, die ich im Flur auf ihn wartete, war nichts von ihm zu sehen. Ich war enttäuscht, als ich wieder hinauslief und seinen Platz leer vorfand. Einzig seine letzte Nachricht blieb mir.
Cole:
Spiele niemals ein Spiel, von dem du die Regeln nicht beherrschst.
Hatte ich es mir nun durch meine Aktion komplett mit ihm verscherzt?
Man sollte schließlich niemals mit einem hungrigen Wolf spielen, wenn man lebend aus der Sache herauskommen wollte.