Kapitel 27
Als wir Eves Wohnung betraten, herrschte immer noch eine angespannte Atmosphäre. In der letzten halben Stunde hatten sich meine Gedanken darum gedreht, diese Sache mit ihr zu beenden. Weil es einfacher wäre. Nicht weil es sich richtig anfühlte.
Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich gegen die Logik und für Gefühle entschieden, von denen ich nicht geahnt hatte, dass ich sie besaß. Ich wusste noch nicht, ob das vielleicht ein Fehler war.
Eve zog ihre Schuhe aus, warf sie in eine Ecke neben der Eingangstür und verschwand in ihrem Wohnzimmer. »Kommst du?«, rief sie.
Mein Körper löste sich aus seiner Starre, und ich folgte ihr. Sie stand vor einem Regal, in dem Weinflaschen lagen, und versuchte, eine davon zu öffnen. Ich nahm sie ihr aus den zittrigen Fingern. »Setz dich, ich mache das. Wo hast du Gläser?«
»In der Kommode.« Sie zeigte darauf, und ich nickte. Als sie sich auf ihrer Couch niederließ, entwich ihr ein lautes Seufzen. Sie winkelte die Beine an und starrte ins Leere, während ich nur ihr ein Glas Wein einschenkte. Ich hatte keine Lust zu trinken.
»Danke«, sagte sie, als ich es ihr hinhielt, und kippte es in einem Zug hinunter.
»Besser?«, fragte ich, nahm neben ihr Platz und stellte ihr Glas auf dem Couchtisch vor uns ab. Sie schüttelte den Kopf auf meine Frage und sah immer noch total verstört aus. Fuck, wenn ich herausfand, dass Dale ihr ein Haar gekrümmt hatte, wäre er morgen nicht mehr unter den Lebenden. Ich würde sowieso in die Hölle kommen, wieso nicht so einen Typen mitnehmen?
Erwartungsvoll lagen ihre blauen Augen nun auf meinem Gesicht. Sie wollte Antworten. Die ich ihr immer noch nicht geben konnte.
»Ich lasse nicht zu, dass Dale dir zu nahe kommt, okay?«
Sie lachte bitter auf. »Ich habe dir viele Dinge geglaubt, doch das glaube ich dir nicht.«
Sie wusste nicht, wer ich war und welche Möglichkeiten ich besaß, aber woher auch? Trotzdem war unser Vertrauen noch nicht so weit aufgebaut, dass ich sie einweihen konnte. Mal davon abgesehen, dass ich sie damit in Dinge reinziehen würde, die sie ihr Leben kosten konnten.
»In welcher Beziehung steht ihr zueinander?«, fragte sie, und ich bemerkte den panischen Ausdruck in ihren Augen.
»Dale ist ein früherer Geschäftspartner meines Vaters gewesen. Wir haben uns auf dieser Veranstaltung unerwartet getroffen, und er wollte alte Geschäfte wieder aufleben lassen«, sagte ich und dachte an das Gespräch, das ich eben noch mit ihm geführt hatte. Dale hatte mir Dinge von meinem Vater erzählt, die ihm niemand glauben würde, der ihn wirklich kannte. Mein Vater sei ein guter Mann gewesen, geschäftlich wie auf persönlicher Ebene. So ein Bullshit. Mein Vater war ein Mann, der, ohne zu zögern, seine Frau und sein Kind verkauft hätte, brächte es ihm einen Nutzen. Ein Mann, der nichts von Worten hielt, sondern nur von Taten. Vorzugsweise solchen, die er mit seinen Fäusten regeln konnte. Egal, ob diese im Gesicht seiner Feinde oder seines Sohnes landeten. Hauptsache, er bekam damit das, was er wollte. »Gut« war ein Attribut, das in Verbindung mit meinem Vater noch schlechter passte als »gnädig«, »liebevoll« oder »fürsorglich«.
»Und du hast dich darauf eingelassen?«
»Ich habe ihm die Hand geschüttelt, weil ich auf dieser Veranstaltung nichts provozieren wollte, nicht weil ich mit ihm Geschäfte machen möchte.«
»Und dein Vater ist deiner Meinung?«
Ich schluckte und wandte kurz den Blick ab. Schwäche war etwas, das ich seit meinem zwölften Lebensjahr nicht mehr gezeigt hatte. Auch wenn ich insgeheim wusste, dass Eve mir diese Schwäche nicht zum Verhängnis werden ließe. »Mein Vater ist tot. Er ist überhaupt keiner Meinung mehr, und wenn ich beschließe, dass Dale kein geeigneter Geschäftspartner ist, entscheide ich das selbst.«
Eve nickte, als hätte ich sie ein Stück weit überzeugt.
»Ich weiß, wie Dale tickt, Eve, wir kennen uns schon seit vielen Jahren, und ich muss ehrlich zugeben, dass mir normalerweise so etwas im Geschäft egal ist.«
Wieder schluckte sie und leckte sich über die Lippen. Sie hatte keine Ahnung, wer vor ihr saß. Ich hatte ihr nicht mal ansatzweise mein wahres Gesicht gezeigt, und wahrscheinlich war das auch besser so.
»Aber Dale hat dir etwas angetan, und ich habe dir versprochen, mich um dich innerhalb unserer Vereinbarung zu kümmern.«
»Natürlich … die Vereinbarung …«, sagte sie, als wäre das etwas Schlechtes. Das Gespräch verlagerte sich in eine Richtung, die mir noch unangenehmer war, als über das Geschäft zu sprechen.
Ich rutschte ein Stück zu ihr. Sie roch nach ihrem Parfüm, blumig mit einem Hauch ihres ganz eigenen Dufts. »Ich hatte angenommen, alles zwischen uns wäre geklärt. Wir hatten abgemacht, was für eine Art Beziehung das werden wird. Mehr kann ich dir nicht bieten. Ich weiß nicht, wie man Gespräche über Gefühle führt, und möchte keine Erwartungen in dir wecken, die ich nicht erfüllen kann. Aber ich kann auf dich aufpassen. Eve …« Ich zögerte. »Ich weiß nicht mal, was Gefühle außerhalb von Lust, Verlangen und Begehren sind. Ich weiß nur, dass ich all das in fast schon ungesundem Maße für dich empfinde.« Wow. Damit hatte ich mehr gesagt, als ich in meinem ganzen Leben einem anderen Menschen je mitgeteilt hatte.
Etwas veränderte sich an Eves Gesichtsausdruck. Nicht nur ich trug eine Maske, sie hatte ebenfalls eine, und die hatte sie perfektioniert. Denn auf einmal sah ich nicht mehr das hilflose, ängstliche Mädchen in ihr, sondern die Frau, die mich mit ihrer Leidenschaft und ihrem Sex-Appeal umhaute.
Sie stand auf und streifte die dünnen Träger ihres Kleides von den Schultern. Der Satinstoff umspielte ihre Brüste, ihre Hüften und ihre Füße, als er an ihren Kurven nach unten glitt. Sie war nackt. Sie trug kein bisschen Stoff mehr an ihrem anbetungswürdigen Körper. Mein Schwanz stellte sich auf, aber mein Kopf arbeitete dagegen an.
Falsch. Wieso meldete sich auf einmal ein Gewissen, von dem ich gedacht hätte, dass ich es nicht besaß? Jetzt! In dieser Situation! Die schönste Frau, die ich je berührt hatte, stand nackt vor mir, und ich dachte nicht daran, sie zu ficken?
Ich wusste, an vielen Stellen in meinem Leben war etwas falsch gelaufen, aber nun war ich total übergeschnappt.
Eve setzte sich rittlings auf meinen Schoß. Ihre Mitte drückte gegen meinen Schritt, und als sie die Arme um meinen Nacken legte und mir einen Kuss auf die Lippen hauchte, zögerte ich immer noch.
Sex war das Einzige, was uns verband. Weil es richtig war, sich gut anfühlte und nichts mehr auf der Welt ehrlicher war als reines Verlangen. Wieso wollte ich das ändern? Doch meine Gedanken kreisten immer nur um das eine. »Was hat Dale dir angetan?«
In Eves Körper fuhr erneut die Anspannung. »Ich möchte jetzt garantiert nicht von ihm reden.«
Wieder senkte sie ihre Lippen auf meine. Ich ballte die Hände zu Fäusten, wollte sie berühren, ihre Haare packen und ihren Mund verschlingen, sie auf alle erdenklichen Weisen in ihrem Appartement vögeln. Aber zuerst musste ich wissen, wie gebrochen Eve tatsächlich war.
Ich war aufgewühlt. Wütend. Durcheinander. Dieses Ding mit dem Gewissen war schon eine verzwickte Sache. Nun hielt es mich sogar von dem besten Sex meines Lebens ab.
Eves Hände fuhren nach unten. Sie hob ihren Körper ein Stück an und öffnete den Knopf und den Reißverschluss meiner Hose. Als sich ihre schlanken Finger fest um meinen Schwanz legten, stöhnte ich auf.
»Eve«, flehte ich als letzten Versuch, das Richtige zu tun. Doch als ihr Griff fester und ihre Bewegungen eindringlicher wurden, schaltete sich mein Kopf mit einem Klicken ab. Die Triebe und mein Verlangen übernahmen die Führung, und endlich fühlte ich mich wieder wie ich selbst.
»Ich will nicht reden«, wisperte sie und fuhr immer wieder auf und ab. Auf und ab. Sie verstärkte den Druck, pumpte schneller in ihre Hand. Wie sie auf mir saß, ihren Körper auf mir rekelte und mich mit lustverhangenem Blick ansah, wurde mir bewusst, dass ich es gar nicht konnte. Ich konnte diese Sache zwischen uns nicht beenden. Noch niemals in meinem Leben hatte ich mich so gefühlt, und es war … gut.
Ich war noch schlechter als angenommen, weil ich sie in meine Verdorbenheit mit hineinzog, aber es ging nicht anders. Ich wollte sie auf meiner Seite, damit ich das hier haben konnte, wann ich wollte. Ständig. Immer.
»Auf die Knie«, sagte ich rau und war mir bewusst, dass sie das unterdrückte Knurren in meiner Stimme vernommen hatte. Ohne zu zögern, ließ sie mich los und sah zu mir auf, als sie zwischen meinen Beinen kniete. Gott, dieser Anblick, dieser verführerische Mund. Scheiß auf alles, was wir zuvor gesprochen hatten. Scheiß auf Dale, mein Gewissen oder Geheimnisse. Ich hob die Hand und strich mit dem Daumen über ihre Lippen. Sie öffnete sie ein Stück weit, und als ihre Zunge über meine Fingerspitze glitt, entfuhr mir ein Stöhnen.
»Wusstest du, dass ich dich damals auf der Party in dem Moment gesehen habe, als du mit deiner Freundin hereingekommen bist? Als Erstes sind mir deine Lippen aufgefallen. Diese sündigen, roten Lippen.«
Sie saugte meinen Finger ein, und ich schob ihn ein Stückchen nach.
»Was wollte ich mit diesem Mund alles anstellen.«
Ruckartig entzog ich ihr meinen Daumen und nahm meinen Schwanz in die Hand. Ich fuhr ein paar Mal auf und ab, um dem Druck entgegenzuwirken, der sich gerade in mir aufbaute. Aber es nützte nichts.
Ohne dass ich darum bitten musste, senkte Eve den Kopf und umkreiste mit der Zunge meine Eichel. Meine Oberschenkel spannten sich an, als sie meinen Schwanz der Länge nach in ihren göttlichen Mund schob und zu mir aufsah. Dieser Blick brachte mich um. Das Gefühl, sie zu haben, über sie und ihren Körper verfügen zu können, wie es mir beliebte. Dass sie mich genauso sehr wollte wie ich sie … vielleicht sogar brauchte! All das wuchs zu einem gigantischen Knoten in meinem Inneren heran, der unaufhaltsam platzen würde.
Meine Finger glitten in ihre Haare, begleiteten den Rhythmus, den sie fand, um meine Lust zu befriedigen. Ich dachte an ihre Haut, die nach meiner letzten Behandlung rot gefärbt gewesen war, und mein Schwanz schwoll noch ein Stück in ihrem Mund an.
Kurz bevor ich kam, umfasste ich allerdings ihr Gesicht und zog sie zu mir hoch. »Setz dich auf mich«, befahl ich leise, und während sie über mir verharrte, zog ich ein Kondom aus meiner Tasche und schob es über meine Länge.
Langsam senkte sie sich auf mir ab und schloss die Augen. Sie war so eng, so heiß, so perfekt. Genussvoll legte sie den Kopf in den Nacken und fühlte unsere Verbindung genauso wie ich. Sie war unglaublich schön in diesem Moment. Gefangen in ihrer Lust, während wir uns vereinigten, als wäre es das Einzige, was wir zum Leben brauchten. Dringend. Brennend. Unaufschiebbar wollte ich ihren Geist, ihre Seele und ihren Körper besitzen. Noch niemals zuvor war dieser Drang so groß gewesen. Ich kam ihren Bewegungen mit langsamen, tiefen Stößen entgegen. Ließ mir Zeit, sie zu fühlen, zu schmecken, zu genießen. Unser schneller Atem wechselte zu einem Keuchen, als unsere Körper unkontrollierter aufeinander reagierten. Dass ich angezogen war, sie nackt, erregte mich unglaublich. Sie stützte sich auf meinen Schultern ab und das Kreisen ihres Beckens wurde eindringlicher, als bewegte sie sich unaufhaltsam direkt auf diesen einen Abgrund zu, in den auch ich stürzen wollte. Mit ihr. Ich spürte das Kribbeln in meinem Körper, packte ihre Haare und drückte sie immer stärker auf mich herab. Sie stöhnte lauter, krallte sich tiefer in mein Hemd, während ich sie unbarmherzig meinen Stößen entgegenpresste und sie mit einem Aufschrei kam. So schön war sie in diesem kurzen Moment völliger Nacktheit, und das nicht nur körperlich. Ich folgte ihr, ergoss mich in ihrer Enge und pumpte noch einige Male tief in sie, bis unsere Körper vor Erschöpfung erschlafften.
Das war nicht geplant gewesen, aber dafür unfassbar befriedigend in jeder Hinsicht.
Ihr schweißnasses Gesicht lag an meiner Halsbeuge, und ich spürte ihren schnellen Atem, weil sie ihre Brust fest gegen meine gedrückt hatte. Sanft strich ich durch ihre dicken Haarsträhnen und versuchte, mit ihr zusammen zurückzukommen. An einen Ort, weit weg von unserer lustvollen Welt, die alles andere als einfach oder gut war. Am liebsten hätte ich mich mit ihr sofort wieder zurück geflüchtet. Doch irgendwann holte einen die Realität ein. Immer. Und genau in diesem Moment passierte es.
Sie drehte den Kopf und küsste meine Handfläche. Bei meiner Bewegung war der Ärmel meines Hemdes ein Stück zurückgerutscht, und ihr Blick verharrte reglos auf den dünnen, blassen Linien an meinen Handgelenken.
Ich schluckte, senkte die Arme und schob Eve von mir herunter. Als ich aufstand, das Kondom entsorgte und meine Hose schloss, war es vorbei. Dieser Moment kurzer Innigkeit, den ich so dringend brauchte, aber nicht verdiente.
»Was ist das?«, fragte sie leise und deutete auf meine Arme.
»Nichts.«
Ich nahm mein Jackett, das auf der Rückenlehne ihrer Couch gelegen hatte, und zog es mir über.
»Das sieht nicht aus wie nichts.«
»Es war lange Zeit auch etwas, bis ich beschlossen habe, das zu ändern.« Ich senkte mich zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Mach dir keine Sorgen wegen Dale. Ich kümmere mich darum.«
Mit diesen Worten verließ ich ihre Wohnung, und je weiter ich mich von ihr entfernte, umso mehr hörte mein schwarzes Herz wieder auf zu schlagen. Endlich.
Welcher dunkle Ritter mochte in Wirklichkeit gerettet und in eine Welt geschubst werden, in die er nicht hineingehörte? Genau. Keiner.