32  DAS HAUS GOTTES

Als ich am nächsten Morgen aufwache, liege ich in einem seltsamen Bett unter vornehmem Bettzeug und starre hoch in den Baldachin über mir. Vom Fenster her höre ich die Kirchenglocken läuten. Wieder eine Beerdigung? Nein, denn gleich darauf fängt aus einer andern Richtung eine zweite Glocke an, anscheinend schlagen sie die Stunde.

Bald sind wir alle tot, denke ich. Bestimmt dauert es nicht mehr lange. Wie viele Leute können noch übrig sein in der Welt? Bald wird Gott vom Himmel steigen, die Toten werden auferstehen, und all das hier wird vorbei sein.

Ich kletterte aus dem Bett und öffne die Läden. Unter mir macht ein Krämer sein Geschäft auf. Ein Fuhrmann rattert mit voll beladenem Wagen vorbei. Ich höre, wie sich Wasser auf die Straße ergießt, als jemand einen Nachttopf aus dem offenen Fenster in die Gosse leert, und rieche die Gosse. Die ganze Stadt stinkt nach Unrat und Tod.

Im Bett rührt sich Magsy.

»Alice …«, sagt sie schläfrig.

»Alice ist nicht da«, sage ich. »Komm und guck dir unsre neuen Kleider an.«

Lucie und Edith hatten viele Kleider. Ich schaue sie durch. Eines der Mädchen war ein bisschen größer als ich, die andere lag im Alter wohl zwischen mir und Maggie – Ned würden ihre Sachen passen, für Mags sind sie viel zu groß. Aber sie sind schön. All diese Kleider sind schön. Es gibt ein weiches grünes Gewand, auf dessen Kragen mit gelber Seide Blumen und Vögel gestickt sind. Ich ziehe es mir über den Kopf, doch es ist niemand da, der es mir zuschnürt, also muss ich am Ende doch meine alten Sachen aus Ingleforn anziehen. Schuhe gibt es keine – vielleicht sind die Mädchen darin beerdigt worden? –, also lasse ich meine eigenen an. Mag wirkt verloren in den Kleidern des jüngeren Mädchens, aber das ist nicht mein Problem. Wenn Thomas will, dass sie lächerlich aussieht, soll es so sein. Mag ist sowieso ganz verrückt nach den Kleidern. Sie will unbedingt alles anprobieren, dann erst entscheidet sie sich für ein dunkelrotes Gewand. Sie ist jetzt viel lebhafter als gestern – taucht einen Finger in das Tintenfass und verschmiert sich die Kleider, krabbelt unters Bett, um zu sehen, ob dort nicht irgendwas versteckt ist, nimmt einen Federkiel vom Pult, fuchtelt damit herum und tut, als würde sie schreiben.

»He«, sage ich. »Lass das, Maggie. Komm, wir gehen die Jungs suchen.«

Robin und Ned sind schon aufgestanden und angezogen. In der Schreibstube sind noch mehr Leute – der Diener von Thomas, der Ralph heißt, und ein anderer Hausangestellter mit einem dicken schwarzen Bart. An der Wand stehen noch mehr Betten, aber die sind leer. Ich frage mich, ob die, denen diese Betten gehören, wohl tot sind.

Robin sitzt auf seinem Bett und klärt Ralph über uns auf.

»Wir sind niemand Besonderes«, sagt er. »Wir haben Thomas zufällig getroffen, und er hat uns geholfen, Walt und Alice zu begraben, und –« Er unterbricht sich, als er uns hereinkommen sieht.

»Isabel, schau!«

Auch Robin trägt neue Kleider – eine dunkelgrüne Hose und einen braunen Kittel mit einem weichen Ledergürtel, dazu Lederschuhe, die an den Zehen ein wenig nach oben gebogen sind. Der Sohn von Thomas muss im gleichen Alter wie Robin gewesen sein, denn ihm passen die neuen Sachen viel besser als Maggie. Er sieht gut aus – fast schön, nur irgendwie ungewohnt. Ned trägt noch seine alten Hosen und den alten Kittel, genau wie ich. Anscheinend hat es keinen Sohn im passenden Alter gegeben, den Ned ersetzen könnte.

»Schaut euch Mag an!«, ruft Robin. »Du siehst aus wie eine Prinzessin!« Mag ist auf einmal wieder schüchtern geworden und blickt ihn unsicher an.

»Gibt es denn für dich keine Kleider?«, fragt mich Robin.

»Die sind alle zum Zuschnüren«, sage ich. Wie ein Paket. Aber das denke ich nur, ich sage es nicht laut. »Außerdem würde ich idiotisch aussehen in diesen Sachen.«

»Würdest du nicht«, sagt Robin und nimmt meine Hand. »Komm und schau dir an, was Thomas hat!« Und er führt mich zu einem Spiegel, der in die Wand eingelassen ist.

Mürrisch blicke ich hinein. Ein blasses Mädchen mit eckigem Gesicht guckt finster zurück. Die Haare um ihre Ohren haben einen undefinierbaren Farbton, irgendwo zwischen Neds leuchtendem Rot und Maggies Weizenblond. Sie sind seit Tagen nicht mehr gekämmt worden. Robin wirkt wie ein Kaufmannssohn, und Maggie sieht süß aus, aber dieses Mädchen ist wie eine Holzpuppe. Ein ganzes Schiff voller Seide aus China könnte sie nicht zu einer jungen Dame machen.

»Scheußlich sehe ich aus«, sage ich.

»Wohl kaum.« Ich zucke zusammen. Thomas steht in der Türöffnung, mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen. Seltsam und etwas traurig. Ich frage mich, welche Tochter ich sein soll – Lucie oder Edith.

»Ich kann diese Kleider alleine nicht anziehen«, sage ich, als müsste ich mich verteidigen. Als wäre ich erwischt worden, wie ich etwas verkehrt gemacht habe. Und vielleicht habe ich das ja auch. Indem ich Isabel bin, statt so zu tun, als wäre ich Lucie oder Edith. Ich frage mich, was Thomas tun wird. Bis jetzt habe ich nirgends ein Anzeichen dafür entdeckt, dass es hier andere Frauen gibt, obwohl irgendjemand diesen Männern die Kleider waschen muss und Lucie und Edith mit Sicherheit ein Dienstmädchen hatten, das ihnen die Kleider zugeschnürt hat. Vielleicht ist sie auch gestorben.

»Ich lasse mir etwas einfallen«, sagt Thomas, aber sein Blick ist schon zu Robin weitergewandert. »Ich muss heute Morgen einiges erledigen«, sagt er.

»Soll ich mitkommen?«, fragt Robin, und mir schießt das Blut ins Gesicht. Thomas darf Robin nicht haben. Robin gehört zu uns. Aber Thomas schüttelt den Kopf.

»Geht und schaut euch die Stadt an«, antwortet er. »Was wir hier alles tun, zeige ich euch morgen.«

 

Das Haus von Thomas ist groß. Es gibt drei oder vier Schlafgemächer und Kammern im oberen Stock, unten eine große Küche, wo der bärtige Mann – er heißt Watt – zusammen mit seinem Sohn Stephen Essen für Thomas kocht, dann das Kontor mit dem Lager, durch das wir gestern gekommen sind, und eine große Halle mit drei langen Tischen und einer quadratischen Herdstelle in der Mitte. Sogar eine eigene Stube für die Familie gibt es in diesem Haus, die mit Wandteppichen geschmückt ist und in der Holzstühle mit hohen Lehnen stehen. Und ein Webstuhl, der sicher der Frau von Thomas gehört hat. Ich kann nur hoffen, dass auch die Stickereien, die hier liegen, von der Frau und nicht den Töchtern stammen, denn ich würde nie im Leben etwas auch nur annähernd so Kunstvolles zustande bringen. Es gibt auch einen Abtritt, der seitlich ans Haus gebaut ist, sodass Thomas nicht weit zu gehen hat, wenn er muss. Der Abtritt stinkt.

»Wie eklig«, sagt Ned und zieht eine Grimasse.

»Das ist sehr klug!«, erklärt Robin. »Und wenn wir hier wohnen, wirst du dich dran gewöhnen müssen, außer du willst ins Bett pinkeln.«

Igitt.

Der Garten hinter dem Haus ist ein langer schmaler Streifen mit einem Zaun auf beiden Seiten, damit die Tiere der Nachbarn nicht alles niedertrampeln. Hier gibt es Hühner, einen Schweinekoben mit zwei schwarzen Ebern und einen Stall für die Pferde von Thomas und seinem Diener. Ralph hat einen stämmigen grauen Zelter, in dessen Futtertrog mehr Kräuter sind, als wir zu Hause haben, darunter ein paar, die ich gar nicht kenne. Aber die Mohrrüben sind nicht ausgedünnt und brauchen dringend Wasser. Ich wüsste gern, wer sich um den Garten kümmert und ob ich wohl dabei helfen darf, wo ich doch jetzt die Tochter eines reichen Mannes bin.

Alles fühlt sich so unwirklich an. Vater und Alice, Edward, Thomas. Wie ein Spiel, das wir spielen, oder ein böser Streich, mit dem uns irgendwelche Teufel an der Nase herumführen. Ich rechne die ganze Zeit damit, aufzuwachen und zu merken, dass alles nur ein Traum gewesen ist.

Das Pferd von Thomas ist heute Morgen genauso wunderschön, wie es gestern war. Ich streichle seine Nase.

»Du bist der Einzige hier, den ich mag«, sage ich ihm.

»Magst du Thomas denn nicht?«, fragt Robin.

»Nein«, erkläre ich. »Was soll das, uns hierher zu verfrachten? Warum hat er uns nicht da gelassen, wo wir waren?«

»Das war ein Angebot!«, meint Robin. »Und wir haben Ja gesagt.«

»Tja«, sage ich. »Hätten wir das bloß nicht gemacht. Was für ein Mensch sammelt denn Kinder von andern Leuten ein und nimmt sie mit zu sich nach Hause?«

»Ich glaube …«, sagt Robin, »ich glaube, er ist einfach … einfach nur geritten, weißt du? Er war traurig. Und dann … er wollte uns helfen. Warum denn nicht?«

»Vielleicht ist er verrückt«, sage ich. »Oder gefährlich! Hast du daran schon mal gedacht?«

Aber das glaube ich selbst nicht. Auch wenn ich Thomas nicht leiden kann, ich vertraue ihm, so seltsam das ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er uns wehtun würde.

 

Keiner scheint zu erwarten, dass wir Hausarbeit übernehmen. Nachdem wir uns überall im Haus umgesehen haben, sind wir frei, nach draußen zu gehen und uns York anzuschauen. Wir müssen nicht mal etwas besorgen, kein Wasser holen und kein Brot kaufen! Vielleicht ist es dumm, in der Stadt herumzulaufen. Und noch viel dümmer war es, überhaupt hierherzukommen. Wenn irgendwo der Pesthauch herrscht, dann hier, innerhalb der Stadtmauern. Ganz York stinkt bestialisch. Maggie schmiegt sich an mich und umklammert meine Hand.

»Wo gehen wir hin?«

»Nirgends«, sage ich so geduldig, wie ich kann. »Wir laufen bloß rum. Schau dir die Häuser an, Mag. Das hier zum Beispiel – würdest du da gerne drin wohnen?«

Die Häuser kümmern Maggie nicht.

»Warum liegt der Mann da?«

Der Mann ist an einer Hauswand zusammengesunken, sein Körper ist aufgedunsen und stinkt nach Tod. Zwei wilde Schweine mit blutverschmierten Rüsseln schnüffeln an der Leiche. Ich muss mich beinahe übergeben.

»Der schläft, Maggie, schau ihn nicht an.«

Ich ziehe sie auf die andere Straßenseite. Ned betrachtet den Mann mit fachmännischem Blick.

»Der ist schon tagelang tot, denk ich mal. Guckt euch an, wie dick sein Bauch ist!«

»Lass das, Ned.«

Ich höre selbst, wie schrill meine Stimme wirkt. Ich klinge wie Agnes mit der Hasenscharte. Sogar Maggies Berührung auf meiner Haut ist mir unangenehm. Ich ziehe meine Hand weg. Sie heult auf, doch ich stapfe von ihr weg die Straße runter.

Was ist mit mir los? Wo ist die andere Isabel hin, die lustige Isabel, die den Gesang der Spielleute mag und gerne Brot mit Wabenhonig isst, Isabel, der Robin Kusshände zugeworfen hat und die er für das schlauste Mädchen im Dorf hält? Werde ich ab jetzt mein Leben lang jedes Mal losheulen, wenn jemand nett zu mir ist oder meine kleine Schwester mit piepsiger Stimme spricht?

Auf einmal habe ich Verständnis für Agnes, die immer über alles herumzetert und sich ärgert. Vielleicht ist sie früher ein munteres kleines Mädchen gewesen. Vielleicht verwirrt es sie auch, dass sie so eine böse alte Frau geworden ist.

Nein! Ich werde nicht wie Agnes! Nicht mal dann, wenn die Pest Robin umbringt und alle, die ich liebe.

Robin ist dicht neben mir.

»He«, sagt er. »He, Isabel.«

Blindlings vergrabe ich mein Gesicht in seinem neuen Kittel, und er nimmt mich in den Arm.

»Tut mir leid«, sage ich in den grauen Wollstoff. »Tut mir leid.«

»Ist schon in Ordnung. He, ist doch gut.«

»Was ist mit Isabel?«, fragt Maggie. Sie ist vorsichtshalber ein Stück weit weg stehen geblieben. Anscheinend hat sie Angst, dass ich gleich einen Wutanfall kriege.

»Sie ist bloß traurig«, sagt Robin. Er tritt einen Schritt zurück und mustert mich. Sein Bauernjungengesicht unter dem dunklen, dichten Haarschopf ist mir auf einmal wieder ganz vertraut. »Was willst du machen?«

Ich drücke mir die Daumenballen in die Augen und reibe wie wild. Ich habe nie zu den Mädchen gehört, die dauernd grundlos weinen. Aber seit Edwards Tod tue ich kaum noch was anderes.

»Wir gehen zum Münster«, erkläre ich stattdessen.

 

Das Münster überragt die Stadt. Es ist riesig groß und wirkt robust und stabil. Es gibt nur ein Bauwerk, das sich mit ihm messen kann, und zwar die Burg mit ihren vier Türmen und den massiven Steinwänden, die etwas abseits der Stadt liegt. Dort ist das Gefängnis, das hat mir Vater erzählt, und eine Münzstätte, in der das Geld für König Edward geprägt wird. Ned will zur Burg und sich dort umschauen, aber ich sage ihm, er soll ruhig sein. Ich möchte zum Münster.

Der Münsterturm ragt so hoch auf, dass wir den Weg leicht finden, obwohl wir durch lauter dunkle, schmale, gewundene Gässchen müssen. Hier riecht es besonders schlimm, nach Kot und Blut und Tod und Tieren. Überall sind Tiere – herrenlose Hühner picken im Dreck, es wimmelt vor Fliegen und Ratten, sogar ein totes Pferd liegt da. Anscheinend gibt es in York mehr Tiere als Menschen, denn die Stadt ist schaurig still. Ab und zu entdecke ich den Schatten eines Gesichts, der hinter einem Fenster vorbeihuscht, und auf einem Platz begegnen wir einem vor sich hin brabbelnden Bettler, aber sonst ist niemand da.

»Sind denn alle tot?«, wispert Maggie.

»Nein«, sagt Robin. »Die sind weggegangen. Weißt du nicht mehr? Sie sind doch alle durch Ingleforn gezogen.« Ich denke an die Armen, an die Dienstboten und Bettler und Krämer, die nirgends hinkönnen. Und auch an die Reichen, die feststellen mussten, dass kein Dorf sie aufnimmt. Vielleicht wurden sie unterwegs von der Pest erwischt, und man hat sie zum Sterben auf offener Straße zurückgelassen.

Ich will alles in York abscheulich finden, aber beim Münster ist das unmöglich. Keiner könnte das Münster abscheulich finden. So viele Handwerker müssen ein Leben lang gearbeitet haben, bis es fertig war, und sicher haben sich noch die Ur-Ur-Enkel der ersten Erbauer lange nach dem Tod ihrer Väter damit abgemüht.

Seitlich vom Eingang steht ein Gerüst aus Holz, aber nirgends sind Arbeiter zu sehen. Die gewaltigen Holztüren sind nicht schwer zu öffnen, also schlüpfen wir hinein. Vor ein paar Monaten hätte ich noch geglaubt, dass uns hier drinnen nie ein Leid geschehen könnte, aber jetzt bin ich da nicht mehr sicher. Ich beginne mich zu fragen, wie mächtig Gott wirklich ist. Es sei denn, Er selbst hätte uns die Krankheit geschickt, weil er uns leiden lassen will. Und falls das so ist, falls er will, dass wir sterben, können uns auch die wuchtigen Wände dieser Kirche nicht schützen.

Die Größe des Münsters kann man erst erfassen, wenn man drin ist. Von außen kommt es einem vor wie eine Anhöhe oder ein kleiner Berg, aber innen ist es größer als jedes Bauwerk, das ich jemals gesehen habe. Sir Edmunds Herrenhaus würde vier- oder fünfmal hier reinpassen und hätte immer noch genug Platz, um sich zu drehen und zu winden. Nie im Leben habe ich etwas so Wunderbares gesehen.

Die Wände und die Decke sind aus hellem Stein gebaut, gewaltige Säulen ragen hoch bis zum Dach. Die Fenster sind aus buntem Glas, genau wie in der Kirche bei uns daheim, aber viel größer und prächtiger. Hier ist es wie im Palast eines König oder dem Zuhause von Engeln. Als wäre man in Gottes Innerem.

Das Münster ist prächtiger als die Bergrücken zu Hause, prächtiger als das Herrenhaus, größer als eine Hochzeit oder ein Sonnenuntergang oder ein Neugeborenes. Sonnenuntergänge und Bergrücken sind dazu da, prächtig zu sein; sie erinnern an Gottes Macht. Das hier ist etwas anderes. Denn das Münster ist nicht von Gott erschaffen worden, sondern von uns Menschen. Von Männern und Frauen, die an Gott und an ihre Kinder und Kindeskinder glauben und darauf vertrauen, dass der Wille Gottes auch nach ihrer Zeit noch gelten wird.

Wie haben sie das bloß geschafft? Wie sind sie überhaupt auf die Idee gekommen, dass so etwas möglich sein könnte?

Der Innenraum des Münsters ist so groß, dass wir die Köpfe in den Nacken legen müssen, um die Decke zu sehen, so groß, dass die Wände über uns immer weiter und weiter gehen. Wieder bin ich den Tränen nah. Das ist wie ein Berg von unten. Das ist wie im Himmel.

»Haben Menschen das gemacht?«, fragt Maggie.

»Menschen wie du, Mag«, antwortet Robin.

Menschen wie wir. Jetzt verstehe ich, was die Leute meinen, wenn sie sagen, dass Kirchen eine Zuflucht sind. Ich will nie mehr hier weg. Ich löse mich von den andern und laufe in der Mitte des Kirchenschiffs entlang, immer den Kopf im Nacken, um nach oben schauen zu können. Hinter mir betrachten Mag und Ned die Fenster und versuchen herauszufinden, welche Geschichte da erzählt wird. Robin sucht das Grab des heiligen William, aber ich interessiere mich nicht für tote Heilige. Ich gehe mit gesenktem Kopf zum Altar. Ich möchte diesen Moment in meiner Erinnerung bewahren – das Gefühl, dass meine Seele wächst, dass sie sich in mir ausdehnt, bis sie beinahe zu groß ist, als dass mein Körper sie noch fassen könnte.

Gott, bete ich still in meinem Innern. Vielleicht willst du wirklich die ganze Welt zugrunde gehen lassen. Vielleicht ist das das Ende von allem. Aber ich bitte dich, Gott, wenn es nicht so ist, dann lass mich überleben. Lass auch Robin und Ned und Margaret überleben. Denn wenn Menschen einen Ort wie diesen bauen können, allein durch ihren Glauben und ihre bloßen Hände, dann kann ich alles schaffen. Ich kann mein Land zurückbekommen. Ich kann es mit Robin zusammen bebauen, er als freier Mann, ich als freie Frau. Ich kann in dieser seltsamen Stadt leben, in den Kleidern eines toten Mädchens. Ich kann aus der alten Welt eine neue erschaffen.

Im Vergleich zu diesem großen Münster sind das alles Kleinigkeiten.

Im Vergleich zu diesem großen Münster ist das ganz leicht.