Griffin Wakefield hatte
auf dem College Rugby gespielt und war immer davon ausgegangen, Schläge gut wegstecken zu können, immerhin hatte er einmal sogar mit gebrochener Nase weitergespielt und ein anderes Mal trotz eines zugeschwollenen Auges das Spiel für seine Mannschaft entschieden, aber er war auch noch nie hinterrücks überwältigt worden. Einen Angriff hatte er immer kommen sehen. Bis jetzt.
Sobald er die Tür zu seinem Wochenendhaus öffnete, stürzte sich jemand mit einem furchterregenden Schrei auf ihn und begann dann, auf ihn einzuprügeln. Diese Schläge waren eher überraschend als schmerzhaft – in etwa so, als würde man als achtjähriger Junge von seiner sechsjährigen Schwester mit deren Puppe verprügelt werden. Dennoch ging Griffin ächzend in die Knie, als er einen Tritt in den Magen abbekam und wenige Sekunden später einen Faustschlag an seinem linken Auge spürte. Tatsächlich war er zu überrascht von diesem Angriff, der förmlich aus dem Nichts gekommen war, als dass er hätte reagieren können. Intuitiv hob er die Hände, um sein Gesicht vor weiteren Schlägen zu schützen, als ihm in die Eier getreten wurde.
Scheiße …
Dieser Tritt war … war schmerzhaft. Und wie!
Er sah förmlich Sterne und kippte zur Seite, bevor er einen
weiteren Tritt abbekam – gegen die Leiste und in unmittelbarer Nähe seiner bereits geschundenen Eier. Stöhnend zog er die Beine an, um sich vor weiteren Attacken zu schützen, während grauenvolle Übelkeit über ihn hereinbrach und sein Schädel dröhnte. Wer auch immer nach ihm getreten hatte, er hatte die Zwillinge
meisterlich getroffen.
„Feuer! Feuer! Feuer!“
Was? Feuer? Er …
Der nächste Tritt traf seinen Oberschenkel, und Griffin zuckte zusammen, weil der Tritt so hart war, dass er vermutlich zeugungsunfähig geworden wäre, wenn er ungefähr zehn Zentimeter höher angesetzt gewesen wäre. Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, während der schmerzhafte Krampf in seinem Sack noch nicht nachgelassen hatte. Griffin krümmte sich auf dem Boden und bekam einen dumpfen Schlag gegen die Schulter ab, bevor er wieder getreten wurde. Erneut gegen die Leiste, wenn auch sehr viel schwächer als zuvor.
Dass sein Angreifer es auf seine Manneskraft abgesehen hatte, war unbestritten.
„Feuer!“
Griffin hob den Kopf, konnte jedoch nur Umrisse erkennen. Von einem Feuer war nichts zu sehen.
„Feuer!“
„Hey, wer zum Teufel … Aua!“ Stöhnend rollte er sich auf den Bauch und bekam einen Tritt gegen die Hüfte ab.
„Feuer“, brüllte der gesichtslose Angreifer ein weiteres Mal mit einer so hellen und heiseren Stimme, dass Griffin befürchten musste, von einer Frau niedergestreckt worden zu sein.
Schnaufend überlegte er eine Sekunde lang, ob er den- oder diejenige tackeln sollte, die ihn mit Tritten und Schlägen traktierte, aber Griffin würde niemals eine Frau angreifen, selbst dann nicht, wenn sie ihn augenscheinlich kastrieren wollte.
„Lady, könnten Sie aufhören …“
„Verschwinden Sie“, brüllte sie ihn an und trat weiterhin ambitioniert in seine Seite hinein. „Feuer!“
Fluchend rutschte er zur Seite und wollte sich – trotz der Tritte – aufrappeln, als er ein bedrohliches Grollen hinter sich wahrnahm.
Verflucht!
Er hatte Max völlig vergessen!
Max, seinen Schäferhund, der neben seinem ausgeprägten Beschützerinstinkt ein kräftiges Gebiss besaß und der offenbar denjenigen angreifen wollte, der gerade ihn angriff. Das konnte nicht gut ausgehen.
Obwohl er weiterhin getreten wurde, befahl er scharf: „Max, aus!“
„Feuer“, schrie die gesichtslose Angreiferin ein weiteres Mal.
Plötzlich ertönte ein schrilles Kläffen, das beinahe Griffins Trommelfell platzen ließ, woraufhin die Frau, die ihm gerade noch einen Tritt gegen den Oberschenkel verpasst hatte, nicht weniger schrill schrie: „Penny!“
Ein ohrenbetäubender Krach bestehend aus dem Kreischen der Frau, dem furchterregenden Knurren seines Hundes und dem viel zu hohen Kläffen ertönte, bevor ein schmerzerfülltes Quietschen zu hören war. O Gott, hoffentlich hatte Max niemanden zu Tode gebissen.
„Penny, Penny! Liebling, Zuckerschnute! Geht es dir gut? Penny?!“
Griffin presste sich die linke Hand gegen seinen schmerzenden Sack und rappelte sich so weit auf, dass er den Lichtschalter gleich neben der Eingangstür erreichen konnte. Es wurde hell, und das, was er zu sehen bekam, verstörte ihn. Um es gelinde auszudrücken.
Gleich vor ihm stand eine Frau, die einen Schuhanzieher wie ein mittelalterliches Schwert in den Händen hielt, einen pink
gepunkteten Pyjama trug, barfuß war und deren Gesicht von einer dunkelgrünen Maske verdeckt war. Ihr dunkles Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre Zehen waren rot lackiert.
Schräg neben ihr stand sein Hund Max – wie erstarrt und leise fiepend, während an seinen Lefzen ein weißes Wollknäuel hing. Und dieses winzige Wollknäuel knurrte bedrohlich und ließ nicht von Max ab, der ängstlich fiepte und … pinkelte.
Griffin traute seinen Augen nicht!
Sein Schäferhundrüde bestand aus ungefähr vierzig Kilo Muskelmasse, war bestens ausgebildet und hätte Karriere als Polizeihund machen können, aber jetzt stand er wie erstarrt mit einer vor Angst eingeklemmten Rute vor ihm und pinkelte, während ein weißes Etwas an seinen Lefzen hing und nicht losließ.
Die Frau – jedenfalls glaubte Griffin, dass es sich um eine Frau und nicht um ein grünes Marsmännchen handelte – sah zwischen ihm und Max hin und her, während sie ihm drohend den Schuhanzieher über den Kopf hielt. „Penny?“ Ihre Stimme bebte. „Penny, Schätzchen – hat der böse große Hund dir etwas getan?“
Das weiße Etwas namens Penny knurrte weiterhin, während der böse große Hund
eingeschüchtert winselte und eine beachtliche Pfütze hinterlassen hatte.
Griffin schnaubte. „Ich glaube, es ist sehr offensichtlich, wer hier wem etwas getan hat.“
„Seien Sie ruhig“, blaffte sie ihn an und schien den Schuhanzieher entschlossen zu umklammern. Hatte sie ihn etwa damit geschlagen? „Ich … ich werde die Polizei rufen, wenn Sie nicht sofort verschwinden!“
„Hier liegt ein Missverständnis vor“, brummte er und behielt den Schuhanzieher im Auge, weil er keine Lust hatte, ein weiteres Mal damit verprügelt zu werden.
Sie schnaubte wie eine Furie und schien ihre Augen zusammenzukneifen – ganz genau konnte Griffin das wegen der entsetzlich hässlichen grünen Maske nicht erkennen. „Das können Sie der Polizei erklären! Die wird schon wissen, was mit einem Einbrecher zu tun ist.“
Wenn seine Eier nicht geschmerzt hätten, dann wäre ihm vermutlich zum Lachen zumute gewesen. „Sie halten mich für einen Einbrecher?“
„Natürlich! Sie schleichen nachts mit einer Taschenlampe um das Haus herum und haben die Tür aufgebrochen, um sich widerrechtlich Einlass zu verschaffen!“
Griffin runzelte die Stirn und hatte keine Ahnung, was hier los war. Er wusste nur, dass er sich in seinem Wochenendhaus befand, von einer Furie angegriffen worden war und dass er den Haustürschlüssel nicht gefunden hatte, der normalerweise an einem Haken hinter dem Brennholzlager hing. Weil er davon ausgegangen war, dass sein Verwalter, der alte Mr. Thompson, vergessen hatte, den Schlüssel wieder an den Haken zu hängen, hatte Griffin die Tür sozusagen mit ein wenig Gewalt geöffnet. Das war an und für sich kein Problem, weil die Haustür nicht sonderlich schwer zu öffnen war. Die Einbruchsrate war in dieser Gegend kaum existent. Aber das alles erklärte noch lange nicht, was diese Frau hier zu suchen hatte.
„Ich bin kein Einbrecher und ich habe mir nicht widerrechtlich Einlass verschafft.“ Griffin rümpfte die Nase. „Und jetzt könnten Sie
mir sagen, was Sie hier zu suchen haben, bevor ich
die Polizei rufe.“
Sie schnappte entsetzt nach Luft und keuchte auf. „Was? Sie
sind der Einbrecher! Ich
rufe die Polizei.“
Er unterließ es, ihr zu sagen, dass es vermutlich schneller gehen würde, einen Cop aus New York herzurufen, als einen hiesigen Polizisten dazu zu bekommen, seinen Hintern mitten in der Nacht in seinen Jeep zu schwingen, um hier nach dem
Rechten zu sehen. Er wollte nämlich keinen weiteren Tritt in seine Weichteile abbekommen.
„Ich bin kein Einbrecher“, stellte er klar. „Das hier ist mein Haus.“
„Unmöglich!“ Ihre blauen Augen wurden kreisrund. „Ich habe das Haus für die nächsten Tage gemietet.“
Griffin schnaubte. „Das kann nicht sein, Lady, schließlich würde ich mich daran erinnern, wenn ich mein Haus jemandem vermietet hätte.“
Spöttisch schnalzte sie mit der Zunge. „Sie wollen der Hausbesitzer sein? Wieso mussten Sie dann die Tür aufbrechen, wenn das hier Ihr Haus sein soll? Haben Sie keinen Schlüssel?“
Griffin verdrehte die Augen und merkte, dass er ungehalten wurde, schließlich war das hier sein Haus, und die Frau, die ihn nicht nur zu Fall gebracht, sondern ihm auch einen empfindlichen Tritt in die Eier gegeben hatte und ihn wie einen Schwerverbrecher behandelte, hatte hier nichts zu suchen. „Der Schlüssel hängt normalerweise draußen beim Holzvorrat. Weil ich ihn nicht finden konnte, musste ich die Tür aufbrechen.“
Er konnte sehen, wie etwas in ihrem Gesicht zuckte und wie sich ihr Mund vor Verwunderung öffnete.
„Oh.“
„Das hier ist mein Haus“, stellte er klar. „Und jetzt würde ich gerne wissen, was Sie hier zu suchen haben.“
„Beweisen Sie es!“
„Bitte?“
„Beweisen Sie, dass es Ihr Haus ist“, forderte sie ihn auf, ohne den Schuhanzieher sinken zu lassen.
Ungehalten verengte Griffin die Augen und setzte seinen eiskalten Blick auf.
Das schien sie nicht zu beeindrucken, da sie lediglich das Kinn nach vorn schob und entschlossen seinen Blick erwiderte.
Gott, die Frau hatte vielleicht Nerven! Normalerweise gab es, wenn man von seiner Ex einmal absah, keine Frau, die sich mit ihm anlegte, sobald er diesen Blick aufsetzte. Er stand schließlich in dem Ruf, ein knallhartes und mitleidloses Arschloch zu sein. Zwar wusste er nicht, wie er zu diesem Ruf gekommen war, aber es war auch nicht so, dass er etwas dagegen hatte, wenn alle Welt ihn für einen skrupellosen Mistkerl hielt. Es machte sein Leben bedeutend einfacher, wenn seine Geschäftspartner und solche, die es werden wollten, von vornherein wussten, dass er nicht mit sich spielen ließ. Und auch Frauen sollten nicht glauben, dass er sich aufs Kreuz legen ließ – erst recht nicht, nachdem er eine kostspielige Scheidung gerade hinter sich brachte, die ihn gelehrt hatte, dass Liebe nur eine Illusion war, während Geld und Besitz durchaus real waren.
Und obwohl er diesen eiskalten Blick aufgesetzt hatte, zuckte die Frau mit dem grauenvollen Pyjama, der in einem Mann jeglichen Sexualtrieb abtötete – von der schrecklichen Gesichtsmaske ganz zu schweigen –, nicht zurück. Sie stand noch immer über ihn gebeugt und hielt den Schuhanzieher drohend über seinen Kopf.
„Wie soll ich Ihnen beweisen, dass es mein Haus ist?“, wollte er erzürnt von ihr wissen und fuhr trocken fort: „Die Besitzurkunde habe ich heute zufälligerweise nicht bei mir.“
Griffin konnte förmlich sehen, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten.
Misstrauisch verlangte sie von ihm zu wissen: „Wie viele Schlafzimmer befinden sich oben?“
„Drei.“ Unnötig, ihr zu sagen, dass zwei der drei Schlafzimmer als Kinderzimmer vorgesehen gewesen waren, bevor sich seine Ex dazu entschlossen hatte, doch kein Baby haben zu wollen. „Und ein Badezimmer mit einer Eckbadewanne und einer Dusche, von der ich an Ihrer Stelle jedoch die Finger lassen würde, weil das Wasser entweder
eiskalt oder brandheiß ist. Außerdem tropft der Wasserhahn im Waschbecken und das Fenster klemmt meistens.“ Weil er gerade in Rage war und einen anstrengenden Tag sowie eine grauenvolle Fahrt hinter sich hatte, fuhr er ächzend fort: „Außerdem knarzen ein paar Dielenbretter im oberen Flur, an der Wand hängen einige Luftaufnahmen von Vermont und aus dem großen Schlafzimmer hat man einen wunderbaren Blick auf den Schuppen, der ein neues Dach vertragen könnte. Falls Ihnen das noch nicht reicht, können Sie auch einen Blick in den Wohnzimmerschrank werfen, in dem ein Schachspiel und einige Bücher liegen müssten – unter anderem Olive, again
von Elizabeth Strout.“ Als sie nichts sagte, nickte er in Richtung Schrank. „Los, sehen Sie nach, wenn Sie mir nicht glauben!“
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, machte sie einige Schritte rückwärts und bewegte sich dann nach rechts, um den Schrank zu öffnen, der dort an der Wand stand und in dem Griffin nicht nur seinen Lieblingsscotch, das Schachspiel sowie ein paar Schallplatten verwahrte, sondern auch seine aktuelle Lektüre. Er war vor knapp zwei Wochen hier gewesen und hatte besagtes Buch in den Schrank gestellt, das gemessen am entsetzten Gesichtsausdruck der Frau noch immer dort stand.
Anscheinend ging ihr gerade ein Licht auf, dass er kein Einbrecher war, sondern dass ihm dieses Haus tatsächlich gehörte. Ihre Mimik war dank der Maske zwar nicht zu erkennen, aber dass sie den Schuhanzieher sinken und die Schultern nach unten fallen ließ, sagte ihm alles, was er wissen musste. Griffin schnaubte und rappelte sich auf.
Gleichzeitig brachte Max’ gequältes Fiepen ihm in Erinnerung, dass sein Hund noch immer in den Fängen des weißen Fellknäuels war, das weiterhin in seinen Lefzen hing. „Könnten Sie Ihrem Hund endlich sagen, dass er loslassen soll?“
Offenbar ging ihr jetzt erst auf, dass ihr winziger Hund noch immer seinen Hund attackierte, da sie entsetzt nach Luft
schnappte und dann geradezu gurrte: „Penny! Aus, aus, Mäuschen! Sei schön artig und ein liebes Mädchen, ja?“
Griffin traute seinen Ohren nicht und ging davon aus, dass sie vermutlich zu der Sorte Frau gehörte, die ihrem Hund abends ein Märchen vorlas und dessen Geburtstag feierte!
Der winzige Schoßhund namens Penny knurrte ein weiteres Mal, zog noch einmal an Max’ Lefzen und ließ diese dann los. Und was tat sein Hund? Der verkroch sich eine Sekunde später mit einem ängstlichen Winseln hinter der Couch, was Griffin – um ehrlich zu sein – ein bisschen peinlich war. Max wog zehnmal so viel wie das weiße Fellknäuel und war ein richtiger
Hund – kein überzüchtetes Schoßhündchen mit albernem Namen, das vermutlich auf die Couch durfte und mit seiner Besitzerin im Bett schlief.
Während er sich langsam aufrappelte und hoffte, dass ihr Tritt keinen langfristigen Schaden verursacht hatte, beschloss er, dass er niemandem erzählen würde, dass eine Frau, die einen ganzen Kopf kleiner war als er und allem Anschein nach ein Fliegengewicht war, ihn überwältigt und mit einem Schuhanzieher verprügelt hatte. Und das in seinem eigenen Haus.
Besagten Schuhanzieher legte sie unschlüssig beiseite und rang anschließend die Hände. Sie nickte ihm zu. „Habe ich Ihnen wehgetan?“
Griffin antwortete nicht, sondern schenkte ihr einen kühlen Blick. Sicherlich würde er nicht mit ihr über den Zustand seiner Kronjuwelen sprechen, auch wenn er sich gerne eine Tüte gefrorener Erbsen gegen den Sack gepresst hätte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ignorierte ihre Frage. Stattdessen wollte er von ihr wissen: „Sie haben mir noch nicht erklärt, was Sie in meinem Haus zu tun haben.“
„Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Ich habe die Blockhütte gemietet.“
„Und ich habe Ihnen gesagt, dass ich mich ganz sicher daran
erinnern würde, wenn ich mein Haus vermietet hätte“, schnarrte er als Antwort.
Stirnrunzelnd musterte sie ihn. „Die Blockhütte wurde als Ferienhaus im Internet vermietet. Dort habe ich die Anzeige gefunden und das Haus für die kommenden fünf Tage gebucht.“
„Unmöglich …“
„Doch“, unterbrach sie ihn heftig. „Ich habe das Geld überwiesen und anschließend eine Wegbeschreibung sowie den Standort des Schlüssels erhalten.“
„Nicht von mir“, stellte er fest.
„Nein“, gab sie zu. „Eine gewisse Charlotte Wakefield hat mir alle Infos zukommen lassen.“
Fluchend versteifte sich Griffin. „Wie bitte?“
Geradezu ahnungslos wiederholte die Frau, die ihm gegenüberstand: „Die Vermieterin heißt Charlotte Wakefield. Ich hatte mit ihr Kontakt und …“
Er hörte nicht mehr, was sie ihm sagte, sondern ballte beide Hände zu Fäusten. Das konnte nicht wahr sein! Vor lauter Wut würde ihm vermutlich in Kürze ein Blutgefäß mitten in seinem Kopf platzen, und Charlotte hätte damit das erreicht, was sie beabsichtigt hatte – ihn in ein frühzeitiges Grab zu bringen.
„Stopp“, unterbrach er den Redefluss der Frau. „Charlotte Wakefield hätte Ihnen niemals das Haus vermieten dürfen.“
Ihr Tonfall klang irritiert. „Wieso nicht?“
Das war ganz einfach zu beantworten. „Weil es ihr nicht gehört. Das hier ist mein Haus und nicht ihres.“
„Ich … ich verstehe nicht.“ Ihr war anzusehen, dass sie regelrecht verwirrt war. „Wieso hat sie es mir dann vermietet, wenn es nicht ihr gehört?“
Gute Frage. „Es ist kompliziert.“
Sie seufzte auf und machte eine schwache Geste mit der Hand. „Vielleicht sollten Sie mit Mrs. Wakefield sprechen und …“
„Das geht nicht“, unterbrach er sie.
„Wieso nicht?“
„Das ist eine lange Geschichte.“
Wieder seufzte sie – dieses Mal ungeduldig, was Griffin ihr unter normalen Umständen nicht hätte verübeln können. „Wer ist diese Charlotte Wakefield überhaupt?“
„Meine Frau“, brachte er geradezu widerwillig hervor.
Wie es aussah, zuckten die Augenbrauen der Frau in die Höhe. „Ihre Frau?“
„Meine baldige Exfrau“, verkündete er unwirsch und fuhr auf ihren nachdenklichen Blick ein bisschen ruppig fort: „Wir leben in Scheidung und sind uns bezüglich einiger Geldwerte noch nicht einig. Unsere Anwälte …“ Griffin stockte, denn er würde einer Wildfremden nicht die Details seiner Scheidung verraten. „Wie dem auch sei – dieses Haus gehört mir. Nicht meiner zukünftigen Exfrau, also hatte sie auch kein Recht, es an Sie zu vermieten. Wenn Sie jetzt so freundlich wären, Ihre Sachen zu packen und …“
„Moment einmal“, protestierte sie entrüstet. „Mich interessieren Ihre Scheidungsvereinbarungen nicht! Ich habe dieses Blockhaus für die kommenden Tage gemietet und Geld dafür bezahlt. Ganz sicher werde ich nicht meine Sachen packen und verschwinden. Das müssen Sie mit Ihrer Frau klären.“
„Zukünftige Exfrau“, korrigierte er sie.
„Auch das interessiert mich nicht. Ich bleibe hier.“
Zur Untermauerung ihrer Aussage stemmte sie die Hände in die Hüften, und auch ihr winziger Schoßhund kläffte.
Griffin runzelte wütend die Stirn. „Sie können nicht hierbleiben. Ich
bleibe hier. Das ist mein Haus.“
Sie hob das Kinn. „Sie meinen, das ist das Haus, das mir Ihre Frau vermietet hat.“
„Zukünftige Exfrau.“ Er knirschte mit den Zähnen. „Dazu hatte sie gar kein Recht.“
„Das müssen Sie mit Ihrer Frau klären. Nicht mit mir. Ich habe das Haus für die kommenden Tage gemietet.“
Sehr deutlich erwiderte er: „Nein, das haben Sie nicht. Das Haus ist nicht zu vermieten.“
„Laut der Anzeige im Internet ist es das“, widersprach sie ihm und klang dabei ein bisschen zu triumphierend, wie er fand. „Ich habe eine Buchungsbestätigung erhalten und Geld dafür gezahlt, um die kommenden fünf Tage hier verbringen zu können. Und das werde ich auch tun. Wenn Sie ein Problem damit haben, müssen Sie sich an Ihre Frau wenden.“ Offensichtlich machte es ihr Spaß, Charlotte weiterhin als seine Frau und nicht als seine zukünftige Exfrau zu bezeichnen.
Griffin knirschte mit den Zähnen.
Am liebsten hätte er seiner Ex den Hals umgedreht oder sie zumindest am Telefon angeschrien. Dass er es nicht tat, lag nicht etwa daran, dass es mitten in der Nacht war, sondern dass sein Scheidungsanwalt vermutlich durchgedreht wäre, wenn er davon erfuhr, dass Griffin zu Charlotte Kontakt aufnahm. Absolute Funkstille war die beste Lösung, wenn man es mit einer Goldgräberin zu tun hatte, die einen bis aufs letzte Hemd ausziehen wollte. Er würde alles verwetten, was er besaß, dass Charlotte ein nächtliches Telefonat, bei dem er sie anschrie, auf Band aufnehmen und dem Richter vorspielen würde, während sie sich selbst als unschuldiges, terrorisiertes Opfer darstellte.
Darauf konnte sie lange warten!
Wahrscheinlich war es ihr Plan gewesen, ihn so wütend zu machen, dass er sie anrief. Für die Blockhütte hatte sie sich nämlich nie interessiert und war während ihrer gesamten Ehe nur zweimal hier gewesen – und jedes Mal hatte sie ihm die Ohren damit vollgejammert, wie einsam, langweilig und öde es doch sei. Das Leben in New York hatte ihr viel mehr gefallen. Sie hatte immer Ausreden gefunden, um nicht mit nach Vermont zu fahren, und Griffin hatte bald bemerkt, dass es
ihm gar nichts ausmachte, schon wieder allein herzukommen. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Ehe bereits im Eimer gewesen. Besonders lange waren sie sowieso nicht verheiratet gewesen. „Hören Sie …“ Er stockte kurz. „Wie heißen Sie überhaupt?“
„Savannah Miller. Und Sie?“
„Griffin Wakefield“, erwiderte er und zwang sich gleichzeitig zu etwas mehr Gelassenheit, um sie nicht völlig zu verprellen. Leider gehörte er nicht zu den Männern, die Frauen mit ihrem Charme mühelos um den Finger wickeln konnten. Dafür war er etwas zu geradeaus. Charlotte hatte ihn einen emotionslosen Krüppel genannt, was seiner Meinung nach nicht zählte, immerhin hatte sie es ihm an den Kopf geworfen, nachdem ihr die Scheidungspapiere übergeben worden waren. „Hören Sie, Savannah. Es tut mir leid, dass Sie zwischen die Fronten geraten sind, aber Sie werden sicherlich einsehen, dass diese Vermietung ein bedauerlicher Irrtum war. Das Geld gebe ich Ihnen natürlich zurück …“
„Das Geld will ich nicht zurückhaben.“
Er runzelte die Stirn. „Natürlich werde ich Ihnen das Geld erstatten. Ich bestehe darauf.“
„Sie haben mich falsch verstanden“, klärte sie ihn betont freundlich auf. „Ich will das Geld nicht zurückhaben, weil ich nicht die Absicht habe, vorzeitig abzureisen.“
„Sie haben schon verstanden, dass es mein Haus ist und dass ich die kommenden Tage hier verbringen werde?“ Entweder war diese Savannah Miller schwer von Begriff oder sie wollte ihn nicht verstehen.
Ziemlich forsch schlug sie ihm vor: „Warum gehen Sie nicht einfach in ein Hotel?“
„Was?“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist doch …“
„Mir ist egal, was Sie machen – ich bleibe hier.“
„Nein, ich
bleibe hier“, widersprach er fest und wurde das Gefühl nicht los, dass sie sich im Kreis drehten. „Das ist doch albern.“
„Da sind wir einer Meinung“, stimmte sie ihm ernst zu, was ihm beinahe ein Lachen abgerungen hätte, weil diese Ernsthaftigkeit nicht zu einer Frau passte, die einen solchen Pyjama trug und sich eine grüne Maske aufs Gesicht geschmiert hatte. Viel eher wirkte sie wie eine Witzfigur. Griffin war jedoch nicht so dumm, ihr das ins Gesicht zu sagen. „Ich könnte Sie für Ihren Aufwand entschädigen“, bot er an.
„Nein, danke“, entgegnete sie zuckersüß.
„Ich bin hergekommen, um in Ruhe zu arbeiten.“
„Und ich bin hergekommen, um in Ruhe Weihnachten zu feiern.“
Bedeutungsvoll zog er seine Augenbrauen in die Höhe. „Allein?“
Augenblicklich schien sich ihr Gesicht zu verschließen. „Das geht Sie nichts an.“ Und bevor er etwas darauf hätte antworten können, schlug sie ihm resolut vor: „Ihnen wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als sich das Haus mit mir zu teilen, wenn Sie sich weigern, wieder zu fahren. In den nächsten fünf Tagen werde ich nämlich nicht verschwinden.“
„Wir können uns ganz unmöglich das Haus teilen“, stellte er fest.
„Es steht Ihnen frei, wieder zu fahren“, verkündete sie und stiefelte barfuß davon, während der Schoßhund namens Penny ihr folgte – nicht ohne die winzige Hundenase zu kräuseln und ihm ein unverhohlenes drohendes Knurren zu schenken.
Griffin blieb allein zurück und fragte sich, was er nun als Erstes tun sollte – Charlotte verfluchen oder Max’ Hinterlassenschaft beseitigen.