Esteban
Er blinzelte angesichts des Blitzlichtgewitters, das auf ihn einprasselte. Aber mit Oliver an seiner Seite, der ihn einen Arm um die Taille gelegt hatte und mit ihm um die Wette strahlte, erschien es ihm weniger beängstigend als bei früheren Gelegenheiten. Sie waren nicht allein, Paula und Olivers Patchwork-Familie hatten sich ebenfalls für diesen Abend in Schale geworfen. Stephen lächelte und sah immer wieder stolz zu seinem leiblichen Vater.
Esteban war ein wenig schwindlig, als er über den roten Teppich ging, Seite an Seite mit seinem Freund. Mittlerweile waren sie über zwei Jahre zusammen; heute Abend war die Premiere ihres zweiten gemeinsamen Films. Mit diesem war für seinen Freund ein Traum in Erfüllung gegangen: es war ein Indiefilm mit einer schwulen Liebesgeschichte und einem Happy End. Und mehr noch, sie beide hatten darin das Liebespaar verkörpert. „Das ist die Rolle meines Lebens”, so hatte Oliver es vor kurzem in einem Interview ausgedrückt. Und Esteban ging es ganz ähnlich. Da der Film sich an ein breites Publikum wenden wollte, war er trotz einiger Liebesszenen jugendfrei, so dass auch Olivers Sohn ihn sich ansehen konnte.
Die Rom-Com, in der er mit Oliver und Sally die Hauptrollen gespielt hatten, war zwar kein riesiger Erfolg geworden, doch sie hatte gute Kritiken erhalten und ihm den Weg für weitere Rollen abseits des Fernsehens geebnet.
Die Reporter scharrten sich um sie beide, immer wieder wurde Olivers und manchmal auch sein Name gerufen.
„Werden Sie noch öfter gemeinsam in Filmen zu sehen sein?”, wollte eine Journalistin wissen.
„Wer weiß?”, erwiderte Oliver lachend. „Ich hätte jedenfalls nichts dagegen. Wie ist es mit dir?”
Esteban lächelte. „Wie könnte ich dazu nein sagen?”
Hinter der Barriere warteten mehrere Fans. Fast wie damals, als er noch bei der Seifenoper gewesen war. Aber das war lange her. Und das hier waren andere Fans. Ein junger Mann von etwa Mitte Zwanzig, hielt ihm eine Autogrammkarte hin, die schon mit einem Autogramm bedruckt war. Das rührte ihn.
„Soll ich es für dich signieren?”
„Ja, bitte.”
„Wie heißt du?”
„Richard. Aber alle nennen mich Ricky.”
Esteban schrieb mit schwungvollen Buchstaben „Alles Liebe, Ricky.”
Ricky strahlte ihn an. „Danke!”
„Ich hab zu danken. Was wäre ich ohne Leute wie dich?”
„Alles Gute für dich”, sagte Ricky.
„Danke, dir auch.”
Er war noch eine ganze Weile mit den Fans beschäftigt. Manche wollten Selfies mit ihm haben, andere ließen sich Shirts signieren, eine Frau hatte eine DVD der Rom-Com mitgebracht und wieder andere baten um ein gemeinsames Bild mit Oliver und ihm. Zwischen allem sah er immer wieder seinen Freund lachen und scherzen.
Und er selbst zeigte sich den Fans und der Presse so wie er war, auch wenn es ungewohnt war ohne das künstliche Lächeln, das ihn bisher bei solchen Gelegenheiten begleitet und beschützt hatte. Ohne es fühlte er sich verwundbarer. Aber auch echter.
Die Depressionen würden immer ein Teil von ihm sein. In den letzten Monaten war nicht alles eitel Sonnenschein gewesen, er hatte wieder schwere Phasen erlebt, in denen er scheinbar grundlos niedergeschlagen war. Aber Oliver hatte zu ihm gehalten. Mit ihm an seiner Seite fiel es Esteban leichter, mit der Erkrankung umzugehen. In der Selbsthilfegruppe für queere Menschen mit Depressionen fand er ebenfalls einen Rückhalt, den er nicht mehr missen wollte. Und sein Engagement für die Organisation Sane war nicht nur ein PR-Gag gewesen; er setzte sich dort weiter ein, so weit wie es seine Zeit erlaubte.
Esteban schaute sich um, über die Menge der versammelten Menschen hinweg und blinzelte ein weiteres Mal angesichts der Blitzlichter. Oliver sah zu ihm herüber. So viel Liebe lag in seinem Blick, er strahlte ihn an, und das Leuchten in seinem Gesicht kam nicht allein von den hellen Lichtern um sie herum. Für Esteban war es, als ob er endlich zu Hause angekommen sei.