KAPITEL DREISSIG

KAPITEL DREISSIG

Matt hatte die Suche nach Hinweisen aufgegeben. Soweit er erkennen konnte, hatte irgendetwas Elena dazu gebracht, am Haus und der Scheune der Dunstans vorbeizugehen und immer weiter zu humpeln, bis sie in einem zertrampelten und zerfetzten Bett dünner Schlingpflanzen gelandet war. Jetzt hingen die Pflanzen schlaff von Matts Fingern, aber sie erinnerten ihn beunruhigend an das Gefühl der Tentakel des Insekts um seinen Hals.

Und von da an gab es keine Spuren menschlicher Bewegungen mehr. Es war, als hätte ein Ufo Elena weggebeamt.

Nachdem er Streifzüge in alle Richtungen unternommen und die Stelle mit den Schlingpflanzen längst aus den Augen verloren hatte, hatte er sich nun tief im Wald verirrt. Wenn er wollte, konnte er fantasieren, dass überall um ihn herum alle möglichen Geräusche waren. Wenn er wollte, konnte er sich vorstellen, dass das Licht der Taschenlampe nicht mehr so hell war wie zuvor, dass es einen kränklichen, gelblichen Ton angenommen hatte ...

Bei seiner Suche hatte er sich die ganze Zeit so leise wie möglich bewegt, in dem Bewusstsein, dass es da vielleicht etwas gab, das nicht wollte, dass man sich ihm näherte. Aber jetzt stieg irgendwo in ihm etwas auf, und seine Fähigkeit, es aufzuhalten, wurde von Sekunde zu Sekunde schwächer.

Als es aus ihm herausbrach, erschreckte es ihn ebenso sehr, wie es mögliche Zuhörer erschreckt hätte.

»Ellleeeeeeeeeeeeeeeenaaa!«

Als Kind hatte man ihn eine Zeit lang dazu angehalten, seine Abendgebete zu sprechen. Er wusste sonst nicht viel über die Kirche, aber er hatte das tiefe und aufrichtige Gefühl, dass da draußen irgendjemand oder irgendetwas ist, der oder das sich um die Menschen kümmerte. Dass das alles irgendwo und irgendwie einen Sinn ergab und dass es für alles Gründe gab.

Dieser Glaube war während des vergangenen Jahres auf eine harte Probe gestellt worden.

Aber Elenas Rückkehr von den Toten hatte all seine Zweifel weggefegt. Sie schien alles bewiesen zu haben, woran er jemals hatte glauben wollen.

Du würdest sie uns doch nicht nur für ein paar Tage zurückgeben, um sie uns dann wieder wegzunehmen, überlegte er, und die Überlegung war in Wirklichkeit eine Form des Betens. Das würdest du nicht tun - oder?

Denn der Gedanke an eine Welt ohne Elena, ohne ihr Funkeln, ihren starken Willen, ihre Neigung, sich in verrückte Abenteuer zu stürzen - und sich dann auf noch verrücktere Weise aus ihnen zu befreien ... Nun, es war einfach zu viel, um es zu verlieren. Ohne sie würde die Welt wieder in trostlosen Grautönen und düsteren Brauntönen erscheinen. Es würde kein Feuerwehrrot mehr geben, kein Aufblitzen von Wellensittichgrün, kein Himmelblau, kein Narzissengelb, kein Quecksilber und kein Gold. Keine goldenen Sprenkel in großen endlos blauen, lapislazulifarbenen Augen.

»Elllleeeeeenaaaa! Verdammt, antworte mir! Ich bin es, Matt, Elena!

Elleeeeee...«

Er brach ganz plötzlich ab und lauschte. Einen Moment lang hüpfte sein Herz und sein ganzer Körper zuckte zusammen. Aber dann machte er die Worte aus, die er hören konnte.

»Elena? Matt? Wo seid ihr?«

»Bonnie? Bonnie! Ich bin hier!« Er richtete seine Taschenlampe gerade nach oben und drehte sie langsam im Kreis. »Kannst du mich sehen?«

»Kannst du uns sehen?«

Matt drehte sich langsam. Und - ja - da waren die Strahlen von einer Taschenlampe, zwei Taschenlampen, drei!

Sein Herz tat einen Satz, als er drei Strahlen sah. »Ich komme auf euch zu«, rief er und ließ den Worten Taten folgen. Alle Versuche, sich möglichst geräuschlos zu bewegen, hatte er vor langer Zeit aufgegeben. Er rannte auf die Dinge zu, zerrte an Ranken, die seine Knöchel zu packen versuchten, und die ganze Zeit über brüllte er: »Bleibt, wo ihr seid! Ich komme zu euch!«

Und dann waren die Taschenlampenstrahlen direkt vor ihm, blendeten ihn, und irgendwie hatte er plötzlich Bonnie im Arm, und Bonnie weinte. Das zumindest verlieh der Situation ein wenig Normalität. Bonnie weinte an seiner Brust und er sah Meredith an, die ängstlich lächelte, und ... Mrs Flowers? Sie musste es sein; sie trug diesen Gartenhut mit den künstlichen Blumen darauf und dazu etwas, das aussah wie sieben oder acht Wollpullover übereinander.

»Mrs Flowers?«, fragte er, als sein Mund sein Gehirn endlich einholte. »Aber -

wo ist Elena?«

Die drei Menschen vor ihm sackten plötzlich ein wenig in sich zusammen, als hätten sie zuvor auf Zehenspitzen gestanden und sich jetzt vor Enttäuschung kleiner gemacht.

»Wir haben sie nicht gesehen«, antwortete Meredith leise. »Du warst mit ihr zusammen.«

»Ich war mit ihr zusammen, ja. Aber dann ist Damon gekommen. Er hat ihr wehgetan, Meredith.« Matt spürte, dass Bonnie ihn fester packte. »Er hat sie in Krämpfen über den Boden rollen lassen. Ich denke, er wird sie töten. Und - er hat auch mich verletzt. Ich schätze, ich bin ohnmächtig geworden. Als ich wieder zu mir kam, war sie fort.«

»Er hat sie weggebracht?«, fragte Bonnie düster.

»Ja, aber ... was als Nächstes geschehen ist, verstehe ich nicht.« Unter Qualen berichtete er, dass Elena aus dem Wagen gesprungen sein musste und dass die Spuren nirgendwohin führten.

Bonnie schauderte in seinen Armen.

»Und dann sind noch andere unheimliche Dinge passiert«, fuhr Matt fort.

Langsam und manchmal stockend tat er sein Bestes, von Kristin zu erzählen und von den Übereinstimmungen mit Tamis Fall.

»Das ist... schlicht und einfach unheimlich«, sagte Bonnie. »Ich dachte, ich hätte eine Antwort gefunden, aber wenn Kristin keinen Kontakt zu irgendeinem der anderen Mädchen hatte ...«

»Du hast wahrscheinlich an die Salemhexen gedacht, Liebes«, meldete Mrs Flowers sich zu Wort. Matt konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, dass Mrs Flowers mit ihnen redete. Sie fuhr fort: »Aber du weißt nicht sicher, mit wem Kristin in den letzten Tagen zusammen war. Oder mit wem Jim zusammen war, was das betrifft. Kinder haben heutzutage eine Menge Freiheiten, und er könnte ein

- wie nennt man das noch gleich? - ein Träger sein.«

»Außerdem, selbst wenn dies wirklich Besessenheit ist, könnte es sich um eine ganz andere Art von Besessenheit handeln«, meinte Meredith. »Kristin lebt draußen im Alten Wald. Der Alte Wald ist voll von diesen Insekten - diesen Malach. Wer weiß, ob es passiert ist, als sie einfach zur Tür hinaustrat? Wer weiß, was auf sie gewartet hat?«

Jetzt zitterte Bonnie in Matts Armen. Sie hatten alle Taschenlampen bis auf eine ausgeknipst, um Energie zu sparen, aber dadurch wirkte ihre Umgebung jetzt noch beängstigender als zuvor.

»Aber was ist mit der Telepathie?«, fragte Matt Mrs Flowers. »Ich meine, ich glaube nicht eine Minute, dass echte Hexen diese Salemmädchen angegriffen haben. Ich denke vielmehr, es waren gehemmte Mädchen, die einer Massen-hysterie erlagen, als sie alle zusammenkamen, und irgendwie ist das Ganze außer Kontrolle geraten. Aber wie ist es möglich, dass Kristin mich - dass sie mich -

beim selben Namen nannte wie Tamra?«

»Vielleicht haben wir alle das Ganze total falsch verstanden«, sagte Bonnie, deren Stimme irgendwo in Matts Solarplexus begraben lag. »Vielleicht ist es gar nicht wie in Salem, wo die - die Hysterie sich horizontal verbreitete, wenn ihr versteht, was ich meine. Vielleicht verbreitet es irgendjemand von ganz oben, wo immer er will.«

Es folgte ein kurzes Schweigen, dann murmelte Mrs Flowers: »›Kindermund tut Wahrheit kund.‹«

»Sie meinen, das sei richtig? Aber wer ist das dann ganz oben? Wer tut das alles?«, wollte Meredith wissen. »Es kann nicht Damon sein, denn Damon hat Bonnie zweimal gerettet - und mich einmal.« Bevor irgendjemand die Worte fand, um das zu hinterfragen, sprach sie bereits weiter. »Elena war ziemlich sicher, dass irgendetwas von Damon Besitz ergriffen hatte. Also, wer ist da sonst noch?«

»Jemand, dem wir noch nicht begegnet sind«, murmelte Bonnie Unheil verkündend. »Jemand, den wir nicht mögen werden.«

Mit perfektem Timing knackte hinter ihnen ein Zweig. Wie eine einzige Person, wie ein einziger Körper drehten sich alle um.

»Was ich wirklich will«, sagte Damon zu Elena, »ist, dass du warm wirst. Und das bedeutet, dass ich dir entweder etwas kochen werde, das dich von innen wärmt, oder ich muss dich in die Badewanne setzen, damit du von außen warm werden kannst. Aber wenn man bedenkt, was beim letzten Mal passiert ist...«

»Mir ... ist nicht danach zumute, irgendetwas zu essen ...«

»Komm schon, es ist eine amerikanische Tradition. Apfelsuppe? Moms selbst gemachte Hühnerpastete?«

Ohne es zu wollen, kicherte sie, dann zuckte sie zusammen. »Es heißt Apfelpastete und Moms selbst gemachte Hühnersuppe. Aber für den Anfang hast du deine Sache nicht schlecht gemacht.«

»Und? Ich verspreche dir, die Apfel und das Huhn nicht zu vermischen.«

»Ich könnte es mit ein wenig Suppe versuchen«, antwortete Elena langsam.

»Und, o Damon, ich habe solchen Durst nach einfachem Wasser. Bitte.«

»Ich weiß, aber du wirst zu viel trinken und Krämpfe bekommen. Ich werde dir eine Suppe machen.«

»Es gibt sie in kleinen Büchsen mit roten Etiketten darauf. Du ziehst die Lasche oben auf, um die Suppe aus der Dose zu schütten ...« Elena brach ab, als er sich der Tür zuwandte.

Damon wusste, dass sie das ganze Projekt mit ernsthaften Zweifeln erfüllte, aber er wusste auch, dass sie trinken würde, sobald er ihr etwas halbwegs Trinkbares brachte. Das passierte nun mal, wenn man Durst hatte.

Er war der untote Beweis dafür.

Als er durch die Tür trat, erklang plötzlich ein furchtbares Geräusch, als würden Hackmesser gegeneinandergeschlagen. Es zerriss ihn förmlich.

»Damon!« Ein schwaches Weinen drang durch die Tür. »Damon, ist alles in Ordnung mit dir? Damon! Antworte mir!«

Stattdessen drehte er sich um, betrachtete die Tür, die vollkommen normal aussah, und öffnete sie. Jeder, der ihn dabei beobachtet hätte, wäre verwirrt gewesen, weil er einen Schlüssel in die unversperrte Tür steckte, »Elenas Zimmer«

sagte und die Tür dann aufsperrte und öffnete.

Als er im Raum war, rannte er los.

Elena lag in einem hoffnungslosen Gewirr von Laken und Decken auf dem Boden. Sie versuchte aufzustehen, aber ihr Gesicht war blauweiß vor Schmerz.

»Was hat dich aus dem Bett gestoßen?«, fragte er. Er würde Shinichi töten.

Langsam.

»Nichts. Ich habe ein schreckliches Geräusch gehört, gerade als du die Tür geschlossen hattest. Ich habe versucht, zu dir zu kommen, aber ...«

Damon starrte sie an. Ich habe versucht, zu dir zu kommen, aber... Dieses gebrochene, gequälte, erschöpfte Wesen hatte versucht, ihn zu retten? Hatte es so sehr versucht, dass sie aus dem Bett gefallen war?

»Tut mir leid«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Ich habe mich noch nicht ganz an die Schwerkraft gewöhnt. Bist du verletzt?«

»Nicht annähernd so schlimm wie du«, erwiderte er, wobei er seine Stimme bewusst rau klingen ließ und den Blick abwandte. »Ich habe etwas Dummes getan, als ich den Raum verließ, und das Haus ... hat mich daran erinnert.«

»Wovon redest du?«, fragte Elena bekümmert, die nur mit Laken bekleidet war.

»Dieser Schlüssel.« Damon hielt ihn hoch, damit sie ihn sehen konnte. Er war golden und konnte als Ring getragen werden, aber zwei Flügel standen davon ab und ergaben einen wunderschönen Schlüssel.

»Was stimmt nicht damit?«

»Die Art, wie ich ihn benutzt habe. Diesem Schlüssel wohnt die Macht des Kitsune inne, und er schließt alles auf und bringt dich überallhin, aber er funktioniert nur auf folgende Weise: Man steckt ihn in ein Schloss, sagt, wohin man gehen will, und dreht den Schlüssel dann darin um. Ich habe vergessen, das zu tun, als ich dein Zimmer verließ.«

Elena wirkte verwirrt. »Aber was ist, wenn eine Tür kein Schloss hat? Die meisten Schlafzimmertüren haben keine Schlösser.«

»Diesen Schlüssel kann man in jede Tür stecken. Man könnte sagen, er schafft sich sein eigenes Schloss. Er ist ein Kitsune-Schatz - den ich aus Shinichi herausgeschüttelt habe, als ich so wütend darüber war, dass du verletzt worden bist. Er wird ihn bald zurückhaben wollen.« Damon kniff die Augen zusammen und lächelte schwach. »Ich frage mich, wer von uns ihn am Ende behalten wird.

Ich habe in der Küche einen weiteren bemerkt - einen Ersatzschlüssel natürlich.«

»Damon, all dieses Gerede über magische Schlüssel ist zwar interessant, aber wenn du mir helfen könntest, vom Boden aufzustehen ...«

Er war sofort zerknirscht. Dann kam die Frage, ob er sie aufs Bett legen sollte oder nicht.

»Ich werde das Bad nehmen«, sagte Elena mit leiser Stimme. Sie öffnete den Bund ihrer Jeans und versuchte, sie abzustreifen.

»Einen Moment! Du könntest ohnmächtig werden und ertrinken. Leg dich hin und ich verspreche dir, dass du auch sauber werden wirst, wenn du nur bereit bist, zu essen.« Er hatte jetzt neue Vorbehalte bezüglich des Hauses.

»Zieh dich auf dem Bett aus und deck dich zu. Ich bin ein erstklassiger Masseur«, fügte er hinzu und wandte sich ab.

»Hör mal, du brauchst nicht wegzusehen. Es ist etwas, das ich nicht verstehe, seit ich ... wieder da bin«, entgegnete Elena. »Keuschheitstabus. Ich begreife nicht, warum irgendjemand sich seines Körpers schämen sollte.« Bei den letzten Worten klang Elenas Stimme ziemlich gedämpft. »Ich meine, warum sollte jemand, der sagt, Gott habe uns erschaffen - Gott habe uns ohne Kleider erschaffen -, selbst nach Adam und Eva, diese Tabus so wichtig nehmen? Wenn es so wichtig ist, warum hat er uns dann nicht mit Windeln erschaffen?«

»Ja, tatsächlich erinnern mich deine Worte an etwas, das ich einmal zur Königinwitwe von Frankreich gesagt habe«, bemerkte Damon, fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass sie sich weiter entkleidete, während er einen Riss in einem der Holzpaneele an der Wand betrachtete. »Ich habe gesagt, wenn Gott sowohl allmächtig als auch allwissend sei, dann habe er unser Schicksal bestimmt schon im Vorhinein gekannt - aber warum seien die Gerechten dann dazu verdammt worden, in derselben sündhaften Nacktheit geboren zu werden wie die Verdammten?«

»Und was hat sie darauf gesagt?«

»Kein einziges Wort. Aber sie hat gekichert und mir mit ihrem Fächer dreimal auf den Handrücken geklopft, was, wie man mir später erzählte, eine Einladung zu einem heimlichen Stelldichein war. Leider hatte ich andere Verpflichtungen. -

Liegst du noch auf dem Bett?«

»Ja, und ich bin zugedeckt«, sagte Elena erschöpft. »Wenn sie Königin witwe war, nehme ich an, dass du froh darüber warst«, fügte sie mit leicht verwirrter Stimme hinzu.

»Nein, Anne von Österreich, Königin von Frankreich, hatte sich ihre bemerkenswerte Schönheit bis zum Ende bewahrt. Sie war die einzige Rothaarige, die ...«

Damon brach ab und suchte wie wild nach Worten, während er sich dem Bett zuwandte. Elena hatte getan, worum er sie gebeten hatte. Ihm war nur nicht klar gewesen, welch große Ähnlichkeit sie mit Aphrodite haben würde, die sich aus dem Ozean erhob. Das zerknitterte Weiß des Lakens reichte bis zu dem wärmeren Milchweiß ihrer Haut. Sie musste gesäubert werden, sicherlich, aber allein das Wissen, dass sie unter diesem dünnen Laken herrlich nackt war, raubte ihm den Atem.

Sie hatte ihre Kleider zu einem Ball zusammengerollt und in die entfernteste Ecke des Raums geworfen. Er machte ihr keinen Vorwurf.

Er dachte nicht nach, gab sich nicht die Zeit dazu. Er streckte lediglich die Hände aus und sagte: »Hühnerconsommé mit Zitrone und Thymian, heiß, in einer großen Tasse - und Pflaumenblütenöl, sehr warm, in einer Phiole.«

Sobald Elena die Brühe pflichtschuldig verzehrt hatte und wieder auf dem Rücken lag, begann er, sie sanft mit dem Öl zu massieren. Pflaumenblüten bildeten immer den perfekten Einstieg. Das Öl machte Haut und Sinne taub gegen Schmerzen und es bildete die Grundlage für die anderen, exotischeren Öle, die er bei ihr zu verwenden beabsichtigte.

In gewisser Weise war das viel besser, als sie in eine moderne Badewanne oder einen Whirlpool zu setzen. Er wusste, wo ihre Verletzungen waren; er konnte die Öle für jede einzelne dieser Verletzungen auf die richtige Temperatur erwärmen.

Und statt mit einem kaum beweglichen Duschkopf Wasser auf eine Prellung zu spritzen, konnte er alle Bereiche ihres Körpers meiden, die empfindlich waren.

Er begann mit ihrem Haar und gab eine hauchdünne Schicht Öl darauf, sodass die schlimmsten Knoten leicht auszubürsten sein würden. Nach der Behandlung mit dem Öl glänzte ihr Haar vor dem Hintergrund ihrer Haut wie Gold - wie Honig auf Sahne. Dann bearbeitete er die Muskeln in ihrem Gesicht: Winzige Bewegungen mit dem Daumen glätteten und lockerten ihre Stirn und zwangen Elena, sich ebenfalls zu entspannen. In langsamen, kreisförmigen Bewegungen übte er sachten Druck auf ihre Schläfen aus. Er konnte die dünnen, blauen Adern dort sehen und er wusste, dass zu starker Druck dazu führen würde, dass sie einschlief.

Dann kümmerte er sich um Ober- und Unterarme, um ihre Hände, behandelte sie mit uralten Massagetechniken und den dazugehörigen Essenzen, bis sie nichts weiter war, als ein lockeres, knochenloses Etwas unter dem Laken: glatt und weich und nachgiebig. Einen Moment lang ließ er sein strahlendes Lächeln aufblitzen, während er an einer ihrer Zehen zog, bis die Knochen knackten - und dann wurde das Lächeln ironisch. Jetzt hätte er von ihr haben können, was immer er wollte. Ja, sie war nicht in der Stimmung, irgendetwas zu verweigern. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass das verdammte Laken etwas mit ihm machen würde. Dabei wusste jeder, dass eine noch so dürftige, noch so schlichte Bedeckung mehr Aufmerksamkeit auf die Tabuzonen lenkte, als reine Nacktheit dies je vermochte.

Und indem er Elenas Körper Zentimeter um Zentimeter massierte, konzentrierte er sich umso mehr auf das, was unter dem schneeweißen Stoff war.

Nach einer Weile fragte Elena schläfrig: »Willst du mir das Ende der Geschichte nicht erzählen? Über Anne von Österreich, die die einzige Rothaarige war, die ...«

»... die, ah, bis zum Ende ihres Lebens naturrot blieb«, murmelte Damon. »Ja. Es heißt, Kardinal Richelieu sei ihr Liebhaber gewesen.«

»Ist das nicht dieser böse Kardinal aus den Drei Musketieren?«

»Ja, aber er war vielleicht gar nicht so böse, wie er in dem Roman dargestellt wird, und gewiss war er ein fähiger Politiker. Und manche Leute sagen, der wahre Vater von Louis ... Jetzt dreh dich um.«

»Das ist ein seltsamer Name für einen König.«

»Hm?«

»Louis Jetzt Dreh Dich Um«, sagte Elena, dann drehte sie sich um und ließ kurz einen cremefarbenen Oberschenkel sehen, während Damon versuchte, verschiedene andere Teile des Raumes zu betrachten.

»Das kommt auf die Namensgebungstradition des Geburtslandes der jeweiligen Person an«, erwiderte Damon wild. Alles, was er sehen konnte, waren Abbilder dieses flüchtigen Blicks auf ihren Oberschenkel.

»Was?«

»Was?«

»Ich habe dich gefragt...«

»Bist du jetzt warm? Ich bin fertig«, sagte Damon und klopfte unklugerweise auf die höchste Wölbung unter dem Laken.

»He!« Elena fuhr hoch, und Damon - konfrontiert mit der Pracht ihres blassen rosengoldenen Körpers und ihrer parfümierten, glatten, seidigen Haut mit Muskeln wie Stahl darunter - ergriff überstürzt die Flucht.

Nach einer geziemenden Zeitspanne kehrte er mit einer beruhigenden Opfergabe in Form einer weiteren Suppe zurück. Elena, höchst würdevoll unter ihrem Laken, das sie sich wie eine Toga um den Leib geschlungen hatte, nahm die Suppe an. Sie versuchte nicht einmal, ihm einen Klaps auf den Hintern zu geben, als er ihr den Rücken zudrehte.

»Wo sind wir hier?«, wollte sie stattdessen wissen. »Wir können nicht bei den Dunstans sein - sie sind eine altansässige Familie mit einem sehr alten Haus. Sie waren früher Bauern.«

»Oh, nennen wir es einfach meine kleine Zweitwohnung im Wald.«

»Ha«, sagte Elena. »Ich wusste, dass du nicht in den Bäumen geschlafen hast.«

Damon versuchte, nicht zu lächeln. Er war noch nie in einer Situation mit Elena zusammen gewesen, in der es nicht um Leben oder Tod gegangen war. Wenn er jetzt behauptete, er habe festgestellt, dass er ihren Geist liebte, nachdem er sie gerade nackt unter einem Laken massiert hatte - nein ... niemand würde ihm das jemals glauben.

»Fühlst du dich besser?«, fragte er.

»So warm wie Hühnchen-Apfel-Suppe.«

»Das werde ich wohl bis an mein Lebensende zu hören bekommen, wie?«

Er brachte sie dazu, im Bett zu bleiben, während er Nachthemden in allen Größen und Farben und auch Bademäntel und Pantoffeln in dem Augenblick herbeirief, in dem er den Raum betrat, der zuvor ein Badezimmer gewesen war. Zu seiner Freude stellte er fest, dass derselbe Raum jetzt ein begehbarer Kleiderschrank war, der alles an Nachtgewändern enthielt, was man sich nur wünschen konnte. Angefangen von Seidendessous bis hin zu guten, altmodischen Nachthemden und Nachtmützen - in diesem Schrank fand sich einfach alles.

Damon tauchte mit zwei Armladungen voller Wäsche wieder auf und ließ Elena aussuchen.

Sie entschied sich für ein hochgeschlossenes, weißes Nachthemd aus einem züchtigen Stoff. Damon ertappte sich dabei, wie er über ein königliches, himmelblaues Gewand strich, das mit etwas besetzt war, das wie echte Valenci-ennesspitze aussah.

»Nicht mein Stil«, sagte Elena, während sie das Kleidungsstück hastig unter einige andere Dinge schob.

Nicht dein Stil in meiner Nähe, dachte Damon belustigt. Was für ein kluges kleines Mädchen du bist. Du willst mich nicht in Versuchung führen, irgendetwas zu tun, das du morgen bedauern könntest.

»Also schön - und dann kannst du dich ordentlich ausschlafen ...« Er brach ab, denn sie sah ihn plötzlich voller Erstaunen und Bekümmerung an.

»Matt! Damon, wir haben nach Matt gesucht! Es ist mir gerade wieder eingefallen. Wir haben nach ihm gesucht, und ich - ich weiß nicht. Ich habe mich verletzt. Ich erinnere mich daran, gefallen zu sein, und dann war ich hier.«

Weil ich dich hierher getragen habe, dachte Damon. Weil dieses Haus nur ein Gedanke in Shinichis Geist ist. Weil das einzig Dauerhafte darin wir beide sind.

Damon holte tief Luft.