Kapitel 5

Das Leben ist ein Wunschkonzert

Drei Wochen später saß ich mit dem Bohrer in der Hand neben einem panisch dreinblickenden Patienten.

»Bitte Herr Rixner, wenn Sie wieder ohne Schmerzen essen wollen, dann müssen Sie jetzt den Mund öffnen, damit ich Ihnen helfen kann«, sagte ich so ruhig wie möglich.

Der fünfundvierzigjährige Malermeister, der zum ersten Mal als Patient in meiner Praxis war, kniff die Augen und den Mund fest zusammen und schüttelte mit verneinenden Lauten den Kopf.

Anna und ich warfen uns genervte Blicke zu.

Es war schon schwierig genug gewesen, ihn dazu zu bringen, den Mund zu öffnen, um ihm die Spritze zu geben. Doch nachdem die Wirkung eingesetzt hatte, redeten wir schon seit mehr als zwanzig Minuten mit Engelszungen auf den Mann ein, der meinen Zeitplan inzwischen gehörig durcheinandergebracht hatte. Was ich überhaupt nicht mochte. Ich legte Wert darauf, dass meine Patienten keine langen Wartezeiten hatten. Vermutlich deswegen, weil ich es selbst nicht leiden konnte, unnötige Zeit in Wartezimmern zu verplempern. Dafür räumte ich sogar täglich einen ordentlichen Puffer ein, um eventuelle Notfälle wie Herrn Rixner einzuschieben und mir trotzdem genügend Zeit für jeden Patienten nehmen zu können, ohne dass Leute lange warten mussten. Außerdem hatte ich nichts dagegen, wenn es zwischen den Behandlungen mal eine kurze Pause gab, in der ich den Papierkram erledigte oder mit Anna und Oxana am Empfang einen Kaffee trank. An diesem Nachmittag hatte es jedoch schon vor Herrn Rixner zwei Notfallpatienten gegeben, somit war mein Puffer längst ausgereizt. Dabei war es heute besonders wichtig, dass Anna und ich pünktlich aus der Praxis kamen. Wir hatten uns für den Abend bei Ilona verabredet, um alle Neuigkeiten und mein weiteres Vorgehen in Sachen Baby zu besprechen. Und nebenbei würden wir eine Auswahl von neuen Gerichten verkosten, die Ilona und Ben zukünftig in ihr Catering-Angebot aufnehmen wollten. Ein perfekter Abend also, der vor uns lag. Wenn Herr Rixner nur endlich seinen Mund aufmachen würde!

»Herr Rixner. Schauen Sie, die Spritze haben wir Ihnen doch schon verabreicht! Sie werden die Behandlung überhaupt nicht spüren. Versprochen! Und es geht ganz sicher sehr viel schneller, als Sie denken!«, versuchte Anna, ihn einfühlsam zu überzeugen. Mit ihrer ruhigen, mütterlichen Art hatte sie schon viele Patienten dazu gebracht, sich etwas zu entspannen. Doch an Herrn Rixner biss auch sie sich die Zähne aus.

Er machte keine Anstalten, den Mund zu öffnen.

»Ich fürchte, es hat keinen Zweck, Anna«, sagte ich schließlich und stand auf.

Immerhin öffnete er die Augen wieder.

»Wissen Sie was? Am besten besorgen Sie sich in der Apotheke ein richtig gutes Schmerzmittel«, schlug ich freundlich vor. »Denn eines kann ich Ihnen mit Sicherheit versprechen: Die Schmerzen, die Sie schon seit Tagen quälen und Sie hierhergeführt haben, werden ganz bestimmt nicht von selbst vergehen. Alles Gute, Herr Rixner!«

Ich streifte die Handschuhe und den Mundschutz ab und warf sie in den Mülleimer.

»Büüde wartn Schhie!«, rief er mir hinterher, von der Betäubung beim Sprechen beeinträchtigt. Aber ich verließ das Behandlungszimmer. Ich hatte durchaus Verständnis für seine Ängste, aber aus langjähriger Erfahrung ging ich nicht davon aus, dass er sie heute noch überwinden würde. Dafür hatte er sich zu sehr hineingesteigert. Fast wie ein Kind, nur ohne zu heulen, das im schlimmsten Fall um sich schlug oder mich in den Finger biss, wenn es den Mund schließlich doch aufmachte. Wenn ich jetzt zurückging, würde der Zirkus vermutlich nur wieder von vorne losgehen. Das wollte ich ihm und mir ersparen. Außerdem würde die Wirkung der Spritze bald nachlassen.

Er würde nach Hause gehen, sich ein oder zwei Tage lang mit Schmerztabletten über Wasser halten und dann doch wieder auftauchen, weil er es nicht mehr aushielt. Entweder bei mir oder einem Kollegen.

»Bei dem hat es aber lange gedauert«, flüsterte Oxana in ihrem unüberhörbaren russischen Akzent, als ich zu ihr an die Anmeldung trat.

»Dabei haben wir bei ihm außer der Spritze noch gar nichts gemacht«, sagte ich leise.

»Oje … Verstehe. Der kam mir gleich so ängstlich vor.«

»Wir haben echt versucht, unser Bestes zu geben … Nun ja. Machen wir weiter. Wer kommt als Nächstes?«

»Mia Garber. Sie sitzt schon in Behandlungsraum zwei und wartet.«

»Ach, die Musiklehrerin ist heute da«, sagte ich erfreut. »Dann kann ich sie gleich fragen, wann das nächste Konzert stattfindet.« Ich mochte die sympathische junge Lehrerin, die mit ihren Schülern regelmäßig beachtlich gute Konzerte in Prien aufführte, und ließ mir selten eine ihrer Vorstellungen entgehen.

»Ich gehe schon mal auf einen kleinen Plausch zu ihr, bis Anna so weit ist. Und Oxana, wenn Herr Rixner rauskommt, sag ihm bitte, er kann morgen gerne noch mal kommen, wenn er möchte. Ich plane mir dann mehr Zeit für ihn ein.«

»Mache ich.«

Ich war schon auf dem Weg zur nächsten Patientin, da steckte Anna den Kopf aus der Tür.

»Zoe? Herr Rixner wäre dir sehr dankbar, wenn du ihn doch noch heute behandeln würdest. Er ist jetzt so weit«, sagte sie.

»Wirklich?«

»Ganz bestimmt!«

»Na gut.«

Ich warf einen kurzen Blick ins Zimmer zu Frau Garber und bat sie noch um etwas Geduld.

Genau neun Minuten später verließ Herr Rixner die Praxis. Unbehandelt. Und mit hochrotem Kopf. Ich hatte es ja geahnt. Immerhin hatte er sich einen neuen Termin für den nächsten Tag geben lassen. Ich seufzte. Hoffentlich konnte er seine Angst morgen überwinden, sonst würden Anna und ich eine Wiederholung der letzten Stunde erleben.

Als wir am Abend in Ilonas gemütlichem Wohnzimmer saßen, waren jegliche Gedanken an meine Arbeit vergessen.

»Die in Bierteig gebackenen Kartoffel-Gemüsetaler mit einem Klacks Süßer-Senf-Mayo auf einem Salatbettchen waren schon mal richtig lecker!«, sagte Anna zu Ben, als der ein weiteres Tablett mit Testgerichten fürs Catering auf den Tisch stellte.

Ich nickte zustimmend, auch wenn in Fett gebackenes Essen selten auf meinem Speiseplan stand, weil es mir oft etwas schwer im Magen lag. Aber diese Häppchen waren so schmackhaft, da konnte selbst ich nicht widerstehen.

»Danke … die Idee stammt von Ilona. Und das hier sind jetzt ganz leicht angegrillte Minipaprika, gefüllt mit hauchdünn geschnittenem Tafelspitzsalat mit roten Zwiebeln, in einem Schälchen aus geröstetem Brot, mit einem Krönchen aus Meerrettich-Baiser.«

Mir lief das Wasser im Mund zusammen.

»Wow – das sieht ja echt toll aus«, schwärmte ich und schnappte mir gleich eine Portion. Und auch Ilona und Anna griffen zu.

Ben sah uns erwartungsvoll an.

»Wow«, murmelte Anna mit vollem Mund.

»Super! Die nehmen wir auf alle Fälle in unsere Angebotsliste auf!«, sagte Ilona und nickte dazu.

»Und wie schmeckt es dir, Zoe?«, fragte er.

»Gigantisch! Ich glaube, da werde ich eure Hauptabnehmerin!«, beteuerte ich und griff bereits nach einem weiteren Häppchen.

»Danke. Das freut mich!«, sagte er. »Übrigens Zoe, deine neue Kette gefällt mir sehr! Hast du die auf den Kapverden gekauft?«

Ich griff an die Fechtermuschel, die an einem Lederband um meinen Hals hing. Ich hatte selbst in der Praxis ein feines Loch in die Muschel gebohrt, damit ich sie tragen konnte.

»Das war ein Geschenk, das Jenny, ein Mädchen auf Santiago, mir zum Abschied gegeben hat«, sagte ich.

»Etwa die Enkelin dieser Mama Blanca?«, fragte er, da er inzwischen natürlich die Geschichte meines Unfalls kannte und von dem Kürbis wusste, der eine so große Rolle für mein Überleben gespielt hatte.

»Ja.«

»Es war wirklich ein ganz besonderer Nachmittag dort«, schwärmte ich, da fiel mir etwas ein. »Ach, Mensch, ich habe ja das Rezept ganz vergessen.«

»Welches Rezept?«, fragte Ben neugierig.

»Das ist so eine Art Nationalgericht … Cachupa. Ein ziemlich würziger Eintopf … Moment …«

Ich suchte im Handy nach der Anleitung.

»Hier ist es. Das hab ich extra für Emma mitgebracht. Und natürlich auch für dich!«, fügte ich hinzu.

»Super! Schickst du es mir?«, bat Ben.

»Mach ich … Und du gibst das Rezept bitte an Emma weiter. Wo ist sie denn heute überhaupt?«

Annas jüngere Tochter half auch ab und zu in Ilonas Laden aus, und ich war davon ausgegangen, dass sie ebenfalls hier dabei sein würde.

»Sie hat Bandprobe mit Crazyblubb«, sagte Ben. »Die konnte sie nicht ausfallen lassen.«

»Und zwar mal wieder bei uns im Keller!«, fügte Anna mit einem Seufzen hinzu. »Ich bin fast ein wenig froh, nicht daheim zu sein.«

»Ach komm, die spielen doch gut!«, sagte ich.

»Aber erst, wenn sie die Songs richtig eingeübt haben. Ihr habt ja selbst schon mitgekriegt, wie das anfangs oft aus dem Keller schallt«, meinte Anna, und wir nickten verständnisvoll. Gut, dass Mina, die in der Einliegerwohnung des Hauses lebte, schwerhörig war.

»Ich werde das Cachupa mit Emma gemeinsam ausprobieren und euch zum Essen einladen!«, versprach Ben, während er das Rezept überflog, das ich inzwischen an ihn weitergeleitet hatte.

»Hört sich jetzt schon lecker, wenn auch ziemlich rustikal an.«

»Ja, als rustikal kann man es wirklich bezeichnen, aber es schmeckt echt toll … Ach, es hätte euch allen dort sicher auch gefallen. Die Frauen haben sogar ein Tanz-Video für diese Jerusalema-Challenge aufgenommen.«

Wehmütig dachte ich daran, dass ich wegen des Unfalls keine Möglichkeit mehr gehabt hatte, Jenny und Mama Blanca noch einmal zu besuchen und ihnen meine Adresse und Handynummer zu geben.

»Und kann man das Video im Internet sehen?«, fragte Ben neugierig.

»Im Internet?«

»Na ja. Die werden das doch wohl gemacht haben, um das Video auf YouTube hochzuladen!«

»Aber natürlich!«

Am liebsten hätte ich ihn für diese Erkenntnis umarmt. Warum war ich nicht selbst darauf gekommen? Womöglich hatte mich der Unfall doch mehr aus der Bahn geworfen, als ich mir eingestehen wollte. Zudem waren meine Gedanken seit meiner Rückkehr mit ganz anderen Dingen beschäftigt gewesen.

»Such doch mal!«, forderte Anna mich auf, und ich griff sofort wieder nach meinem Handy. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich das Video tatsächlich gefunden und drückte auf Play. Meine Freundinnen und Ben quetschten sich an mich, um auch einen Blick auf das Display zu erhaschen.

Ich war aufgeregt, als ich Mama Blanca und die Frauen sah, die sich zu den ersten Takten der eingängigen Musik lächelnd mitbewegten.

»Das bist ja du!«, rief Ilona plötzlich, und tatsächlich war nun auch ich zu sehen, wie ich mit den Frauen tanzte. Ausgelassen und unbeschwert. Und schließlich kamen auch die Kinder und Jenny auf ihren Krücken dazu. Es wurden immer mehr Menschen, die tanzten. Wir lachten, als ich mit den Kindern auf einem Bein hüpfte und dabei fast das Gleichgewicht verloren hätte. Es hatte sich gelohnt, dass Donny mehrere Aufnahmen gemacht hatte, die hatte er jetzt nämlich zu einer tollen XL -Version zusammengeschnitten. Zum Ende hin waren dazwischen immer wieder einige ganz kurze Szenen zu sehen, wie die Kinder Fußball spielten und wie wir alle gemeinsam beim Essen saßen und uns lachend unterhielten. Dabei hatte ich gar nicht mitbekommen, dass er da noch weiter gefilmt hatte.

Am Ende grinste eines der Kinder breit in die Kamera, und ich war ganz bewegt, als ich an diesen besonderen Tag zurückdachte.

»Ach, wie toll ist das denn!«, rief Ben und drückte mich in einer spontanen Regung fest an sich. Auch Ilona und Anna waren begeistert. Genau wie ich.

Wir sahen uns das Video noch ein weiteres Mal an.

»Das Video hat jetzt schon über 150.000 Aufrufe«, stellte Ben fest. »Das muss ich natürlich gleich auf meinen Social-Media-Seiten teilen.«

»Ich auch!«, sagte Anna, und sogar Ilona wollte das Video an Chris und weitere Bekannte weiterleiten.

Dasselbe hatte ich natürlich auch vor, doch noch wichtiger war für mich, dass es unter dem Video einen Link zu einer Homepage mit Kontaktadresse zu Donny gab. Ich würde ihm gleich morgen eine Nachricht schicken mit der Bitte, meine Adresse und Telefonnummer an Jenny weiterzugeben. Vielleicht hatte sie ja Lust, sich mal bei mir zu melden. Jedenfalls fände ich einen Kontakt zu ihr schön, denn irgendwie beschäftigte mich das Schicksal des Mädchens auf eine besondere Weise.

»Sieh mal an, unsere Zoe ist tatsächlich ein YouTube-Star!«, bemerkte Ilona.

»Genau wie du!«, sagte ich und spielte damit auf ein Video an, das seit dem letzten Spätsommer von ihr durchs Internet geisterte.

»Erinnere mich bloß nicht daran!«, winkte sie ab.

Wir grinsten. Denn natürlich hatten wir alle noch lebhaft das Bild vor Augen, wie Ilona auf dem Video nach einem Schwächeanfall in einem Modeladen hinter einem Sofa lag und der international berühmte Filmkomponist Jo Ranke ihre unrasierten Beine in die Luft hob, um ihren Kreislauf wieder in Schwung zu bringen.

»Glücklicherweise konnte man dein Gesicht auf dem Video nicht erkennen«, sagte Anna mitfühlend.

»Ja, aber das Rätselraten um diese Person am Boden war enorm«, meinte Ben.

»Vielleicht kommt deine Identität ja mal raus, wenn Jo Ranke eine Autobiografie schreibt«, warf ich ein und veränderte meine Stimme, um Ranke zu imitieren: »Die Frau, der ich damals das Leben gerettet habe, war Ilona – die Liebe meines Lebens. Ich nannte sie damals Lona – aber sie hat mich abblitzen lassen.«

Wir kicherten. Doch gleich wurde Ilonas Blick wieder ernst.

»Darauf kann ich gut verzichten. Mir ist die Sache immer noch peinlich!«

»Ach komm. Mich hat hier auch keiner gefragt, ob ich öffentlich zu sehen sein möchte«, sagte ich. Und tatsächlich war mir das damals gar nicht in den Sinn gekommen, dass dieses Video irgendwo hochgeladen werden könnte.

»Na ja. Es ist aber schon ein gewaltiger Unterschied, ob die Leute sich fragen, ob Jo Ranke womöglich einer unbekannten Frau geholfen hat, ein Kind zur Welt zu bringen, oder ob man auf so eine sympathische Art in einem Video mittanzt«, brummte Ilona.

»Stimmt! Aber vielleicht solltest du das alles trotzdem nicht so ernst nehmen«, riet ich ihr und steckte das Handy wieder in die Tasche.

Ilona schenkte unseren Lieblings-Crémant ein, den sie bei ihrem bevorzugten Weinhändler Bernard Beaulieu im Elsass bestellte.

»Auf unsere tanzende Zoe!«, rief Anna, und wir prosteten uns zu.

Schließlich verschwand Ben wieder nach unten in die Gastroküche, die zum Laden gehörte, und machte sich an die Zubereitung der nächsten kulinarischen Kreationen, die wir testen sollten. Und bei uns ging es nun endlich um das Thema, weswegen wir uns eigentlich getroffen hatten.

»Jetzt sag schon, was kam gestern beim Besuch in dieser Fruchtbarkeitsklinik raus?«, wollte Ilona wissen. Und auch Anna, mit der ich während der stressigen Sprechstunde keine Zeit für ein Gespräch gefunden hatte, brannte darauf, endlich etwas zu erfahren.

Praktischerweise war die erst vor zwei Jahren eröffnete Privatklinik ganz in der Nähe von Prien, und ich hatte relativ kurzfristig einen Termin bekommen.

»Raus kam natürlich jetzt noch nicht so viel«, begann ich. »Es war ja nur das erste Gespräch. Eigentlich hatte ich mich ja vorher schon weitgehend schlaugemacht. Aber trotzdem war das Gespräch sehr informativ. Dr. Jai hat mir nicht zuletzt angesichts meines Alters ans Herz gelegt, schon im Vorfeld alle nur möglichen Gesundheitschecks zu machen. Dass ich regelmäßig Sport betreibe, ist natürlich schon mal ein großer Vorteil. So eine Schwangerschaft verlangt ja doch eine gewisse Kondition, umso mehr bei einer Spätgebärenden, wie man Frauen wie mich nennt.«

»Na ja, eine Teenagerschwangerschaft ist das bei dir jetzt tatsächlich nicht mehr«, meinte Ilona.

»Oh wie lustig!«, sagte ich und verdrehte die Augen.

»Wie sieht sie denn deine Chancen?«, wollte Anna wissen.

»Sie kann natürlich nichts versprechen, aber da mein Zyklus immer noch regelmäßig wie ein Uhrwerk ist, stehen die Chancen dafür gar nicht so schlecht. Und um sie weiter zu erhöhen, könnte ich eine Hormonbehandlung machen lassen, aber das möchte ich nicht. Zumindest vorerst nicht.«

»Puh, ich finde das irgendwie sehr mutig von dir, Zoe«, sagte Anna. »So von Anfang an als eine alleinerziehende Mutter zu starten.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Mir bleibt ja nichts anderes übrig, wenn ich ein Kind möchte«, sagte ich.

»Und du hast dir das wirklich gut überlegt?«, hakte sie nach.

»Mehr als nur gut, glaub mir«, beteuerte ich.

»Außerdem hat sie doch uns«, meinte Ilona. »Wir sind jedenfalls immer für dich da. Gemeinsam werden wir dein zukünftiges Kind schon schaukeln.«

Sie sagte es auf ihre flapsige Art, doch auf ihren Rückhalt zählen zu können bedeutete mir sehr viel. Da sie selbst nach einer länger zurückliegenden größeren Operation keine Kinder bekommen konnte, wusste ich, dass das Thema sie immer mit etwas Wehmut erfüllte. Umso mehr versuchte sie, sich das nicht anmerken zu lassen.

»Danke!«, sagte ich. »Aber jetzt muss ich überhaupt erst mal schwanger werden. Dr. Jai wird noch einige Tests machen, damit mein Ei später mit dem Samen des Spenders auch perfekt zusammenpasst und gewisse Probleme schon im Vorfeld ausgeschlossen sind.«

»Verrückt. Du lässt dich also tatsächlich künstlich befruchten«, sagte Anna und schüttelte lächelnd den Kopf.

»Umgangssprachlich sagt man es wohl so, aber eigentlich krieg ich nur den Samen eines geeigneten Spenders.«

»Es heißt Insemination … Ich weiß es ja …«, korrigierte sich Anna selbst.

»Ist doch egal, wie es heißt. Wir wollen ja keine wissenschaftliche Abhandlung darüber schreiben«, meinte Ilona. »Mich würde mehr interessieren, ob du dir eigentlich Fotos der möglichen Kandidaten anschauen darfst?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Bei Dr. Jai gibt es das nicht. Es läuft völlig anonym. Das Kind hat jedoch mit 16 die Möglichkeit, Kontakt zum Vater aufzunehmen.«

Das war mir besonders wichtig. Dass eine Schwangerschaft durch Samenspende für ein Kind natürlich kein ganz perfekter Start ins Leben war, hatten Anna, Ilona und ich schon bei unserem Treffen im Dolce Vita ausgiebig diskutiert. Immerhin fehlte eine komplette Hälfte der Familie. Statt Onkel oder Tanten würde mein Kind meine Freundinnen und deren Familien haben. Ein buntes Patchwork an Menschen, die mir am Herzen lagen und hoffentlich immer für mich da sein würden.

»Also bleibt der Vater für dich anonym?«, fragte Anna.

»Ja. Aber natürlich kann ich gewisse Kriterien angeben, die mir wichtig sind, was bestimmte Merkmale betrifft.«

»Endlich kommen wir zum spannenden Teil! Hast du dir schon überlegt, wie der Vater aussehen soll?«, wollte Ilona neugierig wissen.

»Immerhin kannst du dir aussuchen, was du möchtest!«, sagte Anna.

»Ein richtiges Wunschkonzert!«, rief Ilona.

Doch ich zuckte nur etwas ratlos mit den Schultern.

»Das hört sich so einfach an. Aber irgendwie kann ich mich einfach nicht festlegen. Ihr müsst mir dabei helfen!«, bat ich.

»Ach komm, das kann doch nicht so schwierig sein!«, sagte Anna.

»Doch. Das ist es!«, beteuerte ich.

Ich holte einen Vordruck der Klinik aus meiner Handtasche.

»Natürlich könnte ich jetzt sagen, es ist mir völlig egal, Hauptsache ein gesundes Baby. Aber letztlich ist es dann irgendwie doch nicht ganz egal, wenn man es sich aussuchen kann.«

»Das kann ich verstehen«, meinte Anna und griff nach dem Zettel. »Lass mal sehen, was steht denn da? … Also, Augenfarbe, Haarfarbe, Größe, ethnische Herkunft … Herrje, stimmt, über solche Dinge denkt man gar nicht nach, wenn man einen Partner hat!«

»Egal, wie er am Ende aussieht, pass bloß auf, dass der Spender nicht zu groß ist. Nicht, dass du dann ein Riesenbaby aus dir rausquetschen musst«, mahnte Ilona.

»Guter Einwand.« Anna konnte sich kaum ein Grinsen verkneifen.

»Okay … dann minimal 1,70 bis maximal 1,85«, sagte ich und kreuzte die entsprechenden Kästchen an.

Ich griff nach meinem Glas und nahm einen Schluck.

»Kann man andere Größenangaben auch ankreuzen?«, wollte Ilona wissen.

Ich musste lachen und verschluckte mich fast.

»Du meinst die Nase?«, fragte Anna trocken.

»Unter anderem auch die Nase«, witzelte Ilona.

Jetzt kicherten wir alle drei – als wären wir unreife Teenager.

»Für sowas kann man leider nichts ankreuzen«, erklärte ich, als wir uns wieder beruhigt hatten. »Aber jetzt wird es haarig …«, meinte ich, als ich bei dem Punkt der Haarfarbe war. »Welche Farbe?«

»Völlig egal, Hauptsache, überhaupt Haare, würde ich vorschlagen«, sagte Ilona verschmitzt.

»Nur nicht zu viele am Rücken!«, ergänzte Anna, was zu einem weiteren Heiterkeitsausbruch führte. So spezifisch war der Fragebogen dann aber doch nicht.

»Bildungsstand?«, las ich nun vor.

»Sicher legst du Wert auf den höchsten Bildungsabschluss, oder?«, fragte Anna.

»Nö«, winkte ich jedoch ab. »Dafür habe ich in meinem Leben schon zu viele hochgebildete Knalltüten kennengelernt. Nur weil jemand Analysis spielend beherrscht oder das große Latinum mit Bravour bestanden hat, heißt das ja noch lange nicht, dass er auch ein angenehmer Zeitgenosse ist, der weiß, wie man sich zu benehmen hat.«

»Eben! Hauptsache, er ist schlau genug, dass er den Fragebogen für seine Samenspende lesen und richtig ausfüllen kann!«, sagte Ilona trocken.

»Meine Güte, sind wir boshaft!«, meinte Anna.

Ich nickte, und wieder prusteten wir los.

»Bitte lasst mein zukünftiges Kind nie wissen, wie wir seinen oder ihren Vater ausgesucht haben«, bat ich und hielt mir den Bauch.

Beide versprachen hoch und heilig, dieses Gespräch mit ins Grab zu nehmen.

»Soll ich vielleicht einfach überall alles ankreuzen und mich überraschen lassen?«, überlegte ich schließlich.

»Keine Ahnung, ob das eine gute Idee ist«, sagte Anna. »Aber egal, welchen ethnischen Hintergrund der zukünftige Vater deines Kindes hat und was genau du an körperlichen Eigenschaften ankreuzen wirst, zusammen mit deinen Genen wird es sicher bezaubernd und schlau!«

»Danke!« Ich grinste.

»Was willst du bei Sternzeichen und Hobbys nehmen?«, fragte Anna.

Ich seufzte. Wie sollte ich das denn nur alles entscheiden?

»Ich glaube, die spare ich mir. Genau so wie die Religionsfrage. Das Kind wächst ohnehin mit den Werten auf, die ich ihm in meiner Umgebung vermittle.«

»Finde ich gut«, stimmte Anna mir zu.

»Also, ich würde ja ganz anders an die Sache rangehen«, erklärte Ilona, die uns allen noch mal nachgeschenkt hatte. Da ich seit dem Unfall kaum Alkohol getrunken hatte, war mir das erste Glas schon ein wenig zu Kopf gestiegen. Aber heute war mir das egal.

»Wie denn?«, wollte ich wissen, und auch Anna sah sie fragend an.

»Wenn man schon die Möglichkeit hat, sich was zu wünschen, dann würde ich wirklich in mich gehen und überlegen, wie mein Traummann denn aussehen könnte. Also deiner, ich hab meinen ja schon«, fügte sie grinsend hinzu. »Auch wenn es bei diesem Mann nicht um eine Partnerschaft geht, sondern er nur als Samenspender für dein Kind fungieren soll, sollte er vielleicht doch dem entsprechen, was du sonst auch anziehend findest.«

Anna nickte.

»Da hat Ilona wiederum recht, Zoe. Schließ doch einfach mal die Augen und geh in dich. Wie würdest du dir denn deinen Traummann so vorstellen?«

»Ja mach das mal!«

»Okay.«

Ich schloss die Augen.

»Hm …«, ich versuchte, unvoreingenommen alle Gedanken bezüglich eines Mannes zuzulassen, mit dem ich gerne ein Kind haben wollte. Doch es waren nur Schemen, wie Schatten, die zwischen Bäumen huschten. Ich konnte kein klares Bild erkennen.

Vielleicht träume ich mit meinem Wunsch nach einem Baby ja auch nur einen unmöglichen Traum?, schoss es mir plötzlich in den Kopf. Die ganze Zeit hatte ich mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht, dass ein Mensch aus Fleisch und Blut die Hälfte der DNA meines Kindes stellte. Bislang war alles nur Theorie gewesen. Doch jetzt wurde es tatsächlich langsam ernst. Was, wenn ich mich in etwas verrannte? Wenn überhaupt alles zu spät war? Schließlich bedeutete ein passender Spender nicht, dass ich auch schwanger werden würde. Ich öffnete die Augen.

»Sah er so schlimm aus?«, fragte Ilona, die meine Verunsicherung offenbar bemerkte.

»Nein … Es hat gar nicht funktioniert. Es ist was anderes«, murmelte ich.

»Was denn?«, fragte Anna.

»Eben ist mir klar geworden, dass es wirklich real werden könnte oder dass zumindest der Versuch real wird, wenn auch mit offenem Ausgang – und das macht mir im Moment ein klein wenig Angst«, gestand ich.

»Das kann ich nachvollziehen«, sagte Anna und griff nach meiner Hand.

»Willst du denn jetzt etwa kein Kind mehr?«, fragte Ilona provokant.

»Doch!«, kam es wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund.

»Dann versuch, es locker zu nehmen. Und mach dich jetzt bitte nicht total verrückt wegen der Auswahl eines passenden Spenders. Es geht hier um etwas Wunderbares! Oder nicht?«, fragte Anna.

Ich nickte.

»Na siehst du. Du schließt jetzt wieder die Augen und dann stellst du dir vor, du gehst auf eine Party. Schau dir die Männer an, die dort herumstehen. Und den, der dir spontan am besten gefällt, beschreibst du uns!«

»Gute Idee, Anna!«

»Wenn ihr meint.«

Ich atmete einmal tief ein und aus und nahm noch mal einen großen Schluck Crémant. Dann schloss ich erneut die Augen. Ich versuchte, mir die Party vorzustellen, was mir überraschend schnell gelang. Hier war ich in meinem Element. Ich sah immer mehr Gäste jeden Alters, die ungezwungen plauderten und Getränke in der Hand hielten. Noch waren die Menschen etwas verschwommen, doch nach und nach sah ich sie immer klarer vor mir. Ich schlenderte auf einen Mann zu, der mir besonders ins Auge stach.

Ja, der könnte mir gefallen!

»Und?«, fragten Anna und Ilona gleichzeitig.

Ich hielt die Augen weiterhin geschlossen, um das Bild nicht zu verlieren.

»Also«, begann ich. »Es gibt einen, der mir tatsächlich auffällt. Der Typ ist groß, aber nicht zu groß und hat dunkles volles Haar, modern geschnitten, und einen gepflegten Fünftagebart.«

»Klingt gut, und weiter?«

In Gedanken näherte ich mich ihm.

»Er ist sportlich schlank, aber nicht zu dünn. Eine attraktive Erscheinung … und seine Bewegungen sind irgendwie lässig, aber auch selbstbewusst auf eine anziehende Weise. Wow – er hat strahlend grüne Augen. Und er scheint Humor zu haben, das sieht man an seinen Lachfältchen um die Mundwinkel. Und wenn er mit seinen perfekten Zähnen und schön geschwungenen Lippen lächelt, dann bleibt einem fast die Luft weg.«

Es war unglaublich, wie klar ich diesen Mann nun vor mir sah.

»Kann er auch super kochen und steht eigentlich nur auf Männer?«, hörte ich Ilona fragen.

»Äh, wie bitte?« Irritiert öffnete ich die Augen.

Ben stand neben dem Tisch, ein Tablett mit kleinen Schälchen in der Hand, und sah uns fragend an.

»Deine Beschreibung trifft tatsächlich auf Ben zu!«, sagte Anna amüsiert.

Ich lachte verlegen auf.

»Ähm … aber der Mann in meinen Gedanken war nicht Ben! Überhaupt nicht!«, stellte ich sofort klar. Er hatte völlig anders ausgesehen, auch wenn die einzelnen Merkmale tatsächlich auf Ben zutrafen.

»Darf ich vielleicht auch wissen, worum es gerade geht?«, fragte Ben neugierig und stellte das Tablett ab.

»Zoe will unbedingt ein Baby und sucht einen Samenspender für eine Insemination. Und wir füllen gemeinsam den Fragebogen aus, welchen Typ Mann sie sich als Vater denn so vorstellt«, erklärte Ilona, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Ilona!«, wies Anna sie zurecht.

»Das sollte außer euch beiden eigentlich niemand wissen«, sagte ich.

»Du willst ein Baby?«, fragte Ben perplex.

»Ja«, gab ich zu. »Aber da ich das mit der Beziehung offenbar nicht auf die Reihe kriege, bis mein inneres Mutterland und damit all meine Eierchen vertrocknet sind, bin ich wohl oder übel auf eine Samenspende angewiesen. Damit habe ich auch kein Problem. Heutzutage ist das ja nicht weiter ungewöhnlich«, fügte ich selbstbewusster hinzu, als ich mich gerade fühlte.

»Verstehe«, sagte Ben mit einem verständnisvollen Kopfnicken.

»Hör mal, warum sparst du dir nicht einfach die Sache mit der Klinik, und fragst Ben, ob er sich als Spender zur Verfügung stellt?!«

»Ilona!«, riefen Anna, Ben und ich unisono.

Mein Gesicht wurde innerhalb einer Sekunde glühend heiß.

»Ja was denn? Dann wüsstest du wenigstens, woran du bist. Und stell dir vor, was für ein wunderschönes Baby du mit ihm bekommen könntest. Und über ein paar Ecken wärst du damit sogar noch mit Anna verwandt! Dein Kind und das von Leo wären damit sogar so etwas wie Cousinen, oder?«

»Entschuldige Ben«, sagte ich mit hochrotem Kopf. »Ilona hat wohl schon zu viel Crémant erwischt, wir schenken ihr besser nicht mehr nach.«

Glücklicherweise hatte Ben Humor.

Was natürlich auch eine hervorragende Eigenschaft für einen Vater ist. Dieser Gedanke war unvermittelt aufgeploppt und wollte sich einfach nicht vertreiben lassen.

Bei seinem Anblick könnte man schon ins Grübeln geraten, musste ich mir insgeheim eingestehen.

»Alles gut, Zoe. Aber ich meine, also, wenn dir das wirklich so wichtig ist, könnte man ja vielleicht irgendwie darüber nachdenken und …«, begann er und wirkte ein klein wenig verlegen.

»Halt!« Ich hob die Hand. »Das war einfach nur eine völlige Schnapsidee. Ich kreuze jetzt alle Möglichkeiten auf dem Fragebogen an, und dann sehe ich schon, welchen Match ich von der Klinik bekomme.«

»Bist du dir da sicher?«, hakte Ilona nach.

So einfach wollte sie ihre Idee mit Ben offenbar nicht aufgeben. »Wenn du es dir doch noch …«

»Bin ich«, unterbrach ich sie barsch.

»Okay.«

»Und was hast du uns jetzt Leckeres mitgebracht, Ben?«, lenkte ich vom Thema ab und deutete auf das Tablett.

»Ein veganes Kürbis-Linsen-Kokos-Curry mit Mango und Birne und einem knusprigen Reis-Chip!«, erklärte er und verteilte die Schälchen.

Damit hatten wir das Thema Schwangerschaft vorerst beendet. Stattdessen konzentrierten wir uns auf das Essen, und unser Gespräch kreiste um andere Themen. Die Gerichte waren sehr lecker, aber die Nachspeise setzte dem Ganzen die Krone auf. Ein echter Traum. Selbstgemachtes Kokos-Vanille-Eis mit einem Ananas-Gelee-Kern in einer kleinen knusprigen Waffelschale, einfach zum Dahinschmelzen. Am Ende hatten wir alle das Gefühl, bald zu platzen.

»Weißt du, Zoe. Mir lässt das mit dem passenden Spender irgendwie keine Ruhe«, sagte Ilona nachdenklich, kurz bevor Anna und ich aufbrechen wollten.

Anna seufzte kopfschüttelnd.

»Wenn es noch mal um Ben geht, das steht nicht zur Diskussion«, stellte ich klar.

»Ich möchte mir das auch absolut nicht vorstellen«, betonte Anna.

Ben gehörte zu ihrer Familie und war fast fünfzehn Jahre jünger als ich, und überhaupt – das könnte unvorhersehbare Komplikationen nach sich ziehen. Nie und nimmer würde ich mich darauf einlassen.

»Schon gut. Das hab ich inzwischen verstanden«, beteuerte Ilona.

»Immerhin«, murmelte Anna.

»Aber weißt du, diese Punkte, die du angekreuzt hast, das kann ja alles Mögliche bedeuten. Auch wenn so ein Typ vielleicht deinen Kriterien entspricht und nicht übel ausschaut, was ohnehin immer Geschmacksache ist, kann er ja trotzdem ein Trottel sein.«

»Worauf willst du damit hinaus? Versuchst du jetzt, Zoe auszureden, diesen Schritt zu machen?«, fragte Anna irritiert.

»Nein, aber, hey, es geht doch um ihr zukünftiges Kind. Was, wenn so ein Typ wie der Gurkenmann womöglich einer der Samenspender ist? Der war zwar attraktiv, vor allem aber war er ein totaler Spinner.«

»Wie kommst du denn jetzt auf den?«, fragte Anna kopfschüttelnd.

»Weil es eben leider auch Männer wie ihn gibt!«, erklärte Ilona.

Ich schluckte. Der Gurkenmann , wie wir ihn nannten, war ein Typ, den Ilona und ich beide unabhängig voneinander im letzten Jahr bei einem Blind Date über eine Partnerbörse getroffen hatten. An den hatte ich schon lange nicht mehr gedacht – vermutlich hatte ich diese Begegnung verdrängt. Aus gutem Grund! Als Erkennungszeichen hatte er eine Melone und eine Gurke vorgeschlagen. Und das war noch der harmlose Teil dieses Treffens gewesen. Ich durfte gar nicht mehr an diese peinliche Situation denken. Und Ilona offensichtlich auch nicht.

»Oh Gott, einer wie der Gurkenmann – das wäre ja echt furchtbar!«, sagte ich.

»Total!«

»Jetzt hört aber mal auf ihr beiden und spinnt nicht so herum«, sagte Anna streng. »Das wird ganz bestimmt nicht der Fall sein.«

»Aber es gibt ja auch noch andere Idioten auf dieser Welt«, gab Ilona zu bedenken. »Viel mehr, als wir uns überhaupt vorstellen können.« Sie schaute mich fest an. »Und du erfährst es nicht, Zoe, weil ja alles anonym ist.«

»Du übertreibst jetzt aber echt, Ilona«, entgegnete Anna, die offensichtlich versuchte, wieder ein wenig Normalität in unser absurdes Gespräch zu bekommen. »Außerdem müssen diese Männer ja auch eine Art Persönlichkeitstest über sich ergehen lassen und Gespräche führen.«

»Eben. Die in der Klinik nehmen das schon sehr genau mit den möglichen Spendern. Da kann man nicht einfach mal so vorbeigehen, sich ein Pornoheftchen schnappen, um in Stimmung zu kommen, und dann munter ein Becherchen füllen«, bestätigte ich.

»Trotzdem! Ich an Zoes Stelle würde ja gerne wissen, welche Männer sich da überhaupt freiwillig für Samenspenden zur Verfügung stellen«, sagte Ilona vielsagend.

»Was aber nicht möglich ist, weil es doch anonym ist«, erinnerte Anna sie, als ob sie mit einem kleinen Kind sprechen würde.

»Aber man könnte ja …«, begann Ilona, und ein Grinsen erschien auf ihrem Gesicht.

»Man könnte was?«, fragte ich und sah sie neugierig an.