Kapitel 6

Drei Frauen auf einer besonderen Mission

»Das bringt doch nichts!«, sagte Anna und nahm aus ihrem Thermobecher einen Schluck Kaffee, den sie extra von zu Hause für uns alle mitgebracht hatte. »Mir reicht es langsam. Und mir ist kalt!«

»Dabei hab ich doch extra gesagt, ihr sollt euch richtig warm anziehen«, erinnerte Ilona von der Rückbank, wo sie mit ihrer dick gefütterten weißen Daunenjacke saß und aussah wie das Michelin-Männchen. Oder wie die weibliche Form des Michelin-Männchens.

Wie ein Michelin-Weibchen?

Ich musste ein Kichern unterdrücken.

»Ich dachte, du meintest das metaphorisch, weil das doch ziemlich verrückt ist.«

»Aber in diesem Zusammenhang macht das doch gar keinen Sinn«, warf Ilona ein. »Sich warm anziehen würde metaphorisch gesehen doch bedeuten, dass …«

»Schon gut!«, unterbrach Anna sie. »Ich hab’s verstanden.«

»Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir das wirklich tun«, murmelte ich und trommelte mit meinen in Handschuhen steckenden Fingern nervös gegen das Lenkrad. »Das ist doch komplett bescheuert!«

Es war tatsächlich bescheuert. Ilona hatte uns mit ihren Bedenken so lange verrückt gemacht, bis wir es schließlich alle drei für eine gute Idee hielten, einen Eindruck davon zu gewinnen, welche Männer überhaupt als Spender eine Kinderwunschklinik aufsuchten.

Somit saßen wir an unserem freien Praxisnachmittag eine Woche später in meinem Wagen auf dem Parkplatz, um unauffällig die Männer zu beobachten, welche die Klinik betraten. Im Radio lief leise Musik.

Ausgerechnet heute war natürlich einer der kältesten Tage bisher in diesem Winter, und ein eisiger Wind wirbelte immer wieder frisch gefallenen Schnee über uns hinweg.

»Kannst du vielleicht die Heizung anmachen?«, bat Anna mich.

»Wir können hier jetzt nicht die ganze Zeit den Motor laufen lassen«, meinte Ilona. »Das fällt doch total auf.«

»Aber die Sitzheizung kann ich eine Weile anmachen.«

Ich drehte den Zündschlüssel halb um, ohne den Motor zu starten, und drückte die Knöpfe für die Sitzheizung.

»Danke!«

»Was seid ihr zwei aber auch für kälteempfindliche Frostbeulen«, stichelte Ilona.

»Wir sind eben nicht so gut gepolstert wie du«, schoss ich zurück und handelte mir prompt von Anna einen Klaps auf den Oberschenkel ein.

Sie mochte es gar nicht, wenn Ilona und ich uns auf diese Weise gegenseitig aufzogen. Ganz die Mama zweier Töchter hatte sie stets das Gefühl, auch bei uns beiden die Schlichterin spielen zu müssen, ehe das Geplänkel ausartete. Dabei hatten wir ziemlichen Spaß am gegenseitigen Schlagabtausch und würden ihn sicherlich auch noch weiter ausreizen, wenn Anna uns nicht immer ausbremsen würde.

»Jetzt wäre mir ausnahmsweise mal eine kleine Hitzewelle recht«, murmelte Anna. »Aber auf die ist auch kein Verlass, die kommen immer nur dann, wenn man sie gerade nicht brauchen kann.«

Ich musste lachen.

»Hey, da kommt wieder einer!«, rief Ilona jetzt. Sie wischte ein Stück der beschlagenen Scheibe frei und deutete auf einen Mann, der mit eiligen Schritten auf den Eingang der Privatklinik zuging.

»Ja toll! Der ist so eingepackt mit Mütze und dickem Schal, dass ich bis auf die Nasenspitze überhaupt nichts erkennen kann«, sagte ich.

»Aber er hat eine gute Haltung, und die Größe würde passen«, bemerkte Ilona optimistisch.

»Und sein Modegeschmack scheint einigermaßen in Ordnung zu sein«, fand Anna.

»Find ich auch«, stimmte Ilona ihr zu. »Der Kurzmantel macht was her!«

Ich drehte mich zu ihr um.

»Und wie bitte soll mich das weiterbringen? Du bist es doch, die mir eingetrichtert hat, dass Äußerlichkeiten nicht über einen mangelnden Charakter hinwegtäuschen können. Umso weniger verstehe ich, warum ich mich überhaupt drauf eingelassen habe, meinen freien Nachmittag bei diesen eisigen Temperaturen hier auf dem Parkplatz zu verbringen und mir den Hintern abzufrieren!«

»Sorry, für das Wetter kann ich nichts«, maulte Ilona.

Doch ich ging gar nicht auf ihren Einwand ein.

»Überhaupt«, fuhr ich fort. »Woher wollen wir denn bitte wissen, warum beispielsweise dieser Mann hier ist? Vielleicht arbeitet er ja in der Klinik, und seine Schicht beginnt gleich? Oder er ist ein Computerspezialist, der sich um ein IT -Problem kümmert? Es ist eine absolute Schnapsidee gewesen, sich die Männer anschauen zu wollen.«

»Da kommt noch einer!«, rief Anna dazwischen, und ihre Stimme klang etwas aufgeregt.

Ich folgte ihrem Blick. Der junge Mann, der soeben aus seinem Wagen gestiegen war, ließ sich offenbar nicht von der Kälte abschrecken. Über der dunklen Jeans trug er nur einen grünen Anorak und weder Mütze noch Schal.

»Nicht übel, der Junge!«, sagte Ilona anerkennend, und ich musste ihr insgeheim recht geben.

»Er sieht aus, als hätte er südeuropäische oder südamerikanische Wurzeln, oder?«, spekulierte Anna, da war der Mann auch schon durch die Eingangstür verschwunden.

»Das ist ja alles schön und gut. Aber auch hier wissen wir nicht, ob er …«, begann ich, da riss Ilona die Autotür auf.

»Was machst du denn?«, rief ich.

»Ich geh jetzt da rein, um herauszufinden, ob er tatsächlich ein Spender ist.«

»Ilona! Das kannst du doch nicht machen!«, rief Anna.

»Wieso denn nicht? Ich kann mich doch an der Anmeldung erkundigen, wie das ist mit einer künstlichen Befruchtung, und um Infomaterial bitten. Weiß ja keiner, dass ich es nicht ernst meine. Und vielleicht krieg ich dabei ja mit, weswegen der Hübsche hier ist.«

»Du möchtest vorgeben, dass du dich über eine mögliche Schwangerschaft erkundigst?«, fragte Anna verdutzt.

Inzwischen war Ilona ausgestiegen.

»Wieso nicht?«

»Ilona, du bist einundfünfzig!«, erinnerte ich sie.

»Na und? Es gab schon ältere Frauen als mich, die so einen Schritt gewagt haben! Ich habe sogar mal was von einer über Sechzigjährigen gehört, die schwanger wurde.«

»Tu das bitte nicht!«, bat ich sie.

Doch sie zuckte nur mit den Schultern, schlug die Wagentür zu und stapfte durch den Schnee in die Klinik.

Ich wischte mit dem Ärmel das beschlagene Fenster frei und schaute ihr nervös hinterher.

»Das ist gar nicht gut, was wir da machen!«, sagte ich. »Gar nicht gut. Wir sind schlimmer als Teenager, die irgendwelche Jungs stalken! Außerdem will ich doch eigentlich gar nicht wissen, wer der Vater sein könnte. Eben darum geht es doch bei der anonymen Spende. Sonst hätte ich mich ja tatsächlich von irgendeinem One-Night-Stand schwängern lassen können. Oder etwa nicht? Anna! Sag doch was!«

Anna legte ihre Hand auf meinen Arm.

»Na ja, Zoe. So einfach ist das auch wieder nicht, mit irgendeinem Typen ins Bett zu hüpfen, von dem du überhaupt nichts weißt. Und auch gesundheitlich gesehen nicht unbedenklich.«

Ich seufzte.

»Ich weiß. Deswegen habe ich mich ja auch für die anonyme Samenspende in der Klinik entschieden.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet dieser Kandidat eben dein Spender wird. Überleg doch mal, wie viele Frauen sich ein Kind wünschen, die hier Patientinnen sind, und wie viele Männer dafür ihren Samen zur Verfügung stellen. Außerdem hast du doch so ziemlich alle Kategorien als Möglichkeit angekreuzt. Da wäre das jetzt schon ein riesiger Zufall.«

Ich atmete einmal tief durch.

»Stimmt. Aber sobald Ilona zurück ist, fahren wir nach Hause. Das hier ist echt total albern.«

»Da gebe ich dir allerdings recht!«

Anna und ich erschraken heftig, als in diesem Moment jemand an das Seitenfenster der Fahrertür klopfte. Ich ließ das Fenster herunter und blickte in das markante Gesicht von Dr. Adya Jai! Meine behandelnde Ärztin!

»Frau Petrides! Also hab ich mich nicht getäuscht. Was machen Sie denn hier?«, fragte sie verwundert. »Unser nächster Termin ist doch erst in zwei Wochen, wenn ich mich nicht irre.«

»Frau Jai, hallo«, sagte ich und versuchte, so locker wie möglich zu klingen.

»Sie sind doch nicht etwa hier, um die Behandlung abzusagen?«, fragte sie.

»Äh nein … Auf keinen Fall!«, beteuerte ich.

Sie warf nun einen Blick zu Anna.

»Hallo.«

»Das ist Anna Graf, meine Freundin«, erklärte ich.

Ich versuchte fieberhaft, eine plausible Erklärung zu finden, warum ich hier auf dem Parkplatz vor der Klinik in meinem Wagen saß.

»Zoe wollte mir die Klinik zeigen, in der das kleine große Wunder bald stattfinden wird«, sprang Anna ein.

»Ja genau«, bestätigte ich.

»Wie schön. Und wir tun hier natürlich alles, damit dieses kleine große Wunder auch tatsächlich stattfinden wird.«

Dr. Jai lächelte plötzlich. »Sie sind also die Freundin – ich verstehe.«

Sie sah mich an.

»Bringen Sie Frau Graf doch beim nächsten Mal mit. Und keine Sorge, wir legen hier natürlich sehr großen Wert auf absolute Diskretion.«

Diskretion? Ahnt sie etwa, dass wir die möglichen Spender unter die Lupe nehmen wollen?

Oder? Moment! Vielleicht dachte sie ja, Anna wäre meine Lebenspartnerin, die ich verheimlichen wollte? Das wäre auf jeden Fall eine bessere Erklärung als die peinliche Wahrheit, dass wir hier waren, um zu spionieren.

»Ich komme sehr gerne mit«, sagte Anna, die offenbar schneller als ich begriffen hatte, welchen falschen Rückschluss die Ärztin gezogen hatte, sie jedoch nicht korrigierte. Im Gegenteil. Sie lehnte den Kopf an meine Schulter und lächelte ebenfalls.

»Schön, ich freue mich! Jetzt muss ich aber rein, bevor ich hier festfriere«, sagte Dr. Jai.

»Ja, Anna und ich müssen dann auch gleich weiter«, erklärte ich schnell.

»Wiedersehen.« Anna nickte ihr vom Beifahrersitz zu.

Wir hatten nicht bemerkt, dass Ilona inzwischen aus der Klinik gekommen war und plötzlich neben dem Wagen stand.

»Hallo!«, grüßte sie, während sie die hintere Wagentür öffnete.

»Guten Tag«, sagte Dr. Jai mit interessiertem Blick, und ich fühlte mich bemüßigt, rasch eine Erklärung abzugeben.

»Das ist meine behandelnde Ärztin, Dr. Jai«, sagte ich zu Ilona, damit sie bloß keinen verräterischen Kommentar über unsere Aktion hier abgeben konnte.

»Freut mich. Ich bin Ilona, Zoes Freundin.«

Sie stieg in den Wagen ein.

»Wie schön«, bemerkte Dr. Jai leicht verdattert. »Auch Sie können natürlich gerne mitkommen, wenn es so weit ist.«

Dr. Jai wirkte etwas irritiert. Und ich wollte mir gar nicht ausmalen, was jetzt in ihrem Kopf vorging.

»Super gerne!«, sagte Ilona.

Ich beschloss, jetzt besser nichts mehr zu sagen.

Die Ärztin wandte sich wieder an mich. »Wir sehen uns, bis bald!«

»Bis bald!«, rief ich ihr hinterher und schloss das Fenster, während sie in Richtung Haupteingang verschwand.

Für ein paar Sekunden herrschte Stille im Wagen, dann fingen Anna und ich an, vor Erleichterung zu lachen. Als wir uns wieder beruhigt hatten, fragte Ilona:

»Was hab ich versäumt?«

»Nur, dass die Ärztin jetzt vermutlich denkt, ich hätte eine Ménage-à-trois in der lesbischen Kombination«, erklärte ich, und nun kicherte auch Ilona.

»Und? Hast du in der Klinik was rausgefunden?«, fragte Anna.

»Dieser Hübsche vorhin war der Ehemann einer Patientin, die drinnen schon auf ihn gewartet hat.«

»Also kein Samenspender«, resümierte ich.

»Wenn, dann nur für seine Frau … Und ich gebe es ganz offen zu: Es war eine der dümmsten Ideen überhaupt, euch zu überreden, gemeinsam hierherzukommen.«

»Halleluja!«, kommentiert ich ihre Selbsterkenntnis. »Es geschehen noch Zeichen und Wunder!«

»Ich meine das wirklich ernst«, beteuerte sie. »Falls alles klappt, dann wirst du ein ganz zauberhaftes Baby bekommen, egal wer der Vater ist, Zoe. Aber wie immer die Sache hier auch ausgehen wird, wir werden dich auf jede Weise unterstützen und für dich da sein, völlig egal, ob mit oder ohne Kind!«

Typisch Ilona, für die Möglichkeit, dass mein Vorhaben vielleicht nicht klappen könnte, stellte sie schon einmal klar, dass ich auf sie zählen konnte. Sie legte die Hand auf meine Schulter.

»Natürlich werden wir das!«, beteuerte Anna, und ich musste schlucken, als sie ihre Hand auf die von Ilona legte.

»Das will ich aber mal hoffen«, sagte ich flapsig, weil ich keine rührselige Stimmung aufkommen lassen wollte. »Und jetzt fahren wir sofort nach Hause, bevor ich mir hier noch die letzten funktionierenden Eier abfriere!«

Doch als ich den Motor anlassen wollte, machte der Wagen ein Geräusch wie eine im Sterben liegende Robbe. Ich versuchte es noch mal mit dem gleichen Ergebnis.

»Nein!«, stöhnte Anna.

»Himmel noch mal, das kann doch jetzt nicht wahr sein!«, schimpfte ich.

»Ich glaub’s ja nicht!« Anna seufzte.

»Das kommt davon, weil die ganze Zeit das Radio und die Sitzheizung liefen«, kommentierte Ilona mit vorwurfsvollem Unterton.

»So lange war das jetzt auch wieder nicht!«, brummte ich genervt.

»Versuch es noch mal!«, forderte Anna mich auf. »Mein Wagen ist kürzlich auch erst nach einigen Versuchen angesprungen.«

Doch es half nichts.

»Und jetzt?«, fragte Ilona.

»Jetzt müssen wir es mit Anschieben versuchen!«, schlug ich vor.

Anna und Ilona schienen nicht wirklich begeistert zu sein, doch beide stiegen aus dem Wagen. Immerhin hatte der schneidende Wind sich inzwischen gelegt, und hinter den Wolken schaute sogar ab und zu die Sonne hervor.

Als Erstes mussten wir das Auto mit gelöster Handbremse und ohne einen Gang einzulegen, rückwärts aus der Parklücke rollen.

Anna und Ilona standen links und rechts am Heck bereit. Ich öffnete die Fahrertür und sah nach hinten.

»Und wie genau mache ich das jetzt?«, fragte ich die beiden.

»Du musst die Kupplung durchtreten, dann die Zündung anmachen und in den zweiten Gang schalten!«, rief Anna, die sich mit Autos auskannte und sogar ihre Reifen selbst wechselte, was mich schwer beeindruckte.

»Ist die Batterie schwach?«, fragte plötzlich eine angenehme Stimme.

Ein Mann stand vor dem Wagen und sah mich mit einem charmanten Lächeln aus dunkelblauen Augen an. Es war der Mann mit dem Kurzmantel, dem wir vorhin zugesehen hatten, wie er in der Klinik verschwunden war. Auch wenn sein Haar immer noch von der Mütze verdeckt war und sein Schal bis zum Kinn reichte, so war doch zu erkennen, dass er auf eine sympathische unaufdringliche Art attraktiv war.

»Vermutlich«, antwortete ich.

»Ich helfe gerne beim Anschieben.«

»Das … das ist aber nett von Ihnen«, sagte ich erfreut.

»Kein Ding … Sobald Sie die Handbremse gelöst haben, geben Sie das Kommando, dann schieben wir an.«

»Mache ich.«

»Wenn er gut rollt, dann versuchen Sie, die Kupplung ganz langsam kommen zu lassen. Okay?«

»Okay!«

Ich sah im Rückspiegel, wie er nach hinten ging und Anna und Ilona zunickte.

»Toll, dass Sie uns helfen!«, hörte ich Anna sagen.

»Das ist doch selbstverständlich.«

»Kann ich?«, rief ich aus dem Fenster.

»Wir sind so weit!«

Ich löste die Handbremse und befolgte die Anweisungen.

»Na dann los!«, rief ich, und die drei schoben an.

Langsam setzte der Wagen sich in Bewegung und wurde schneller.

»Jetzt loslassen!«, rief ich und ließ die Kupplung langsam kommen.

Doch irgendwie hatte ich den richtigen Dreh nicht raus. Der Wagen schien zu stottern, sprang jedoch nicht an. Ich bremste.

»Tut mir leid«, rief ich aus dem Fenster. »Ich glaube, ich hab was falsch gemacht.«

Anna und der junge Mann kamen zu mir nach vorne.

»Du musst das mit mehr Gefühl machen«, erklärte Anna.

Der Mann nickte zustimmend.

»Und ganz weich kommen lassen«, riet er mir.

Ganz weich kommen lassen – ich konnte mir gerade noch ein Grinsen verkneifen.

»Okay … ich versuche es noch mal.«

Sie gingen wieder nach hinten.

»Und los!«, rief ich.

Tatsächlich sprang der Wagen beim zweiten Versuch an. Ich fuhr eine Runde auf dem Parkplatz und kam dann wieder bei meinen Freundinnen und dem hilfsbereiten jungen Mann an. Sicherheitshalber ließ ich den Motor weiterlaufen.

»Vielen Dank«, sagte ich durch das offene Fenster. Und auch Ilona und Anna bedankten sich bei ihm und stiegen dann in den Wagen.

»Gerne!«, sagte er, und ich entdeckte ein Grübchen, als er lächelte.

»Kann ich mich vielleicht irgendwie erkenntlich zeigen?«, fragte ich.

»Ach, das war doch gar nichts. Das bisschen Anschieben«, winkte er ab.

»Wie heißen Sie denn?«, fragte Ilona ganz direkt.

»Sebastian!«, antwortete er, woraufhin auch wir uns kurz vorstellten.

»Arbeiten Sie hier in der Klinik, Sebastian?«, erkundigte Anna sich neugierig.

»Nein … Ich hab nur … ich hab hier etwas Wichtiges abgegeben«, sagte er und wirkte auf mich ein klein wenig verlegen.

»Sollen wir Sie vielleicht ein Stück mitnehmen?«, bot ich an, doch er schüttelte den Kopf.

»Danke, aber mein Wagen steht gleich da vorne.«

»Okay … dann nochmals vielen Dank, Sebastian!«, sagte ich und schloss das Fenster.

»Gute Fahrt!«

»Tschüss!«, rief Ilona.

Wir winkten ihm noch zu, bevor wir langsam aus dem Parkplatz auf die Hauptstraße abbogen. Anna bibberte vor Kälte, und auch mir war total kalt. Ich drehte die Heizung voll auf.

»Wisst ihr was? Ich bin mir sicher, das Wichtige, das dieser Sebastian abgeben musste, befindet sich jetzt in einem Becherchen in einem Kühlschrank der Klinik!«, sagte Ilona süffisant.

»Das denke ich allerdings auch«, stimmte ich ihr mit einem Grinsen zu. »Vielleicht hat er es da ja auch ganz weich kommen lassen «, zitierte ich ihn, und wir prusteten los. Was waren wir heute wieder mal albern!

»Die Frau, die den als Spender kriegt, kann sich glücklich schätzen. Der war wirklich nett und sah richtig gut aus«, schwärmte Anna.

»Oh ja!«

Ilona nickte.

»Wie alt der wohl sein wird?«, rätselte Anna.

»Ich würde mal Ende zwanzig bis höchstens Anfang dreißig sagen«, schätzte ich.

»Könnte hingehen.«

»Habt ihr überhaupt gesehen, was der für tolle blaue Augen hatte?«, fragte Ilona mit hörbarer Begeisterung in der Stimme.

»Natürlich, Anna und ich sind schließlich nicht blind, oder?«, antwortete ich.

»Schade, dass man seine Haarfarbe nicht erkennen konnte«, meinte Anna.

»Seine Augenbrauen und Wimpern waren ziemlich dunkel, also gehe ich schwer davon aus, dass er auch dunkle Haare hat«, sagte ich.

»Falls er überhaupt welche hat«, konnte Ilona es sich nicht verkneifen.

»Das wäre mir echt egal«, sagte ich und überlegte plötzlich, den Fragebogen noch mal neu auszufüllen und die Merkmale für meinen Wunschkandidaten vielleicht doch etwas präziser zu beschreiben. Bis zu meinem nächsten Termin hatte ich ja noch zwei Wochen Zeit, um das zu entscheiden.

»Ganz abgesehen von seinem netten Äußeren war dieser junge Mann wirklich sehr angenehm«, meinte Anna.

Ich nickte.

»Ilona?« Ich suchte im Rückspiegel ihren Blick.

»Ja?«

»Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, heute hierherzukommen.«

»Ach ja?«

»Auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, aber schon die Möglichkeit, dass ein sympathischer Mann wie dieser Sebastian vielleicht Vater meines Kindes sein könnte, lässt mich mit einem Mal wieder optimistisch sein, und ich fühle mich darin bestärkt, dass meine Entscheidung richtig ist. Danke!«

»Bitte. Gern geschehen!«, sagte Ilona mit einem selbstzufriedenen Lächeln.

»Habt ihr Lust, noch mit zu mir zu kommen? Ich bitte meine Mutter, schon mal den Kachelofen anzuheizen und heißen Eierpunsch vorzubereiten, damit wir uns so richtig aufwärmen können!«, schlug Anna vor.

»Du gewinnst den Preis für den besten Vorschlag des Tages!«, sagte Ilona.

»Gerne, Anna. Aber eigentlich wollte ich in der nächsten Zeit keinen Alkohol mehr trinken. Na ja – vielleicht ein ganz kleines Glas?«

»Ich denke, das ist zu verantworten«, zerstreute Anna meine Bedenken.

»Wir könnten unterwegs noch irgendwo Kuchen besorgen«, schlug Ilona vor.

»Müssen wir nicht. Ich habe in weiser Voraussicht gestern Abend noch Käsekuchen gebacken.«

»Und das sagst du uns erst jetzt?«, rief Ilona. Sie liebte Annas Käsekuchen.

Und auch ich würde mir heute ein Stück gönnen. Ein wenig Stärkung konnte sicher nicht schaden. Vor mir lag immerhin das vermutlich spannendste und längste Abenteuer meines Lebens.