Noch ein halber Tag und eine ganze Nacht
Wie wir nach unserem Kuss zurück ins Hotel gekommen waren, war mir im Nachhinein absolut schleierhaft. Inzwischen war es später Nachmittag. Wir lagen nackt, verschwitzt und eng aneinandergekuschelt in seinem Bett. Sanft streichelte ich über seine Brust, berauscht von seinem Duft, seiner Nähe und den Nachwirkungen des Höhepunktes, den wir uns gerade gegenseitig geschenkt hatten. Hendrik küsste zärtlich meine Stirn.
»Wir haben offenbar nichts verlernt«, murmelte er.
Ich lachte leise.
»Absolut nichts! Im Gegenteil!«
Dabei hatte ich doch eigentlich mit Männern abgeschlossen! Hendrik hatte diesen Entschluss jedoch tatsächlich ins Wanken gebracht.
»Wie kann das sein, dass du mir so vertraut bist, Zoe, obwohl wir uns so viele Jahre nicht gesehen haben?«, überlegte er.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns damals ganz ohne Streit getrennt haben«, spekulierte ich.
»Vermutlich. Wobei ich mich danach oft gefragt habe, ob das wirklich eine gute Idee war.«
»Weißt du noch, wie lange wir darüber gesprochen haben und wie vernünftig uns unsere Entscheidung damals vorkam?«, erinnerte ich ihn.
»Mir ging es ziemlich beschissen, nachdem wir uns getrennt hatten, egal wie vernünftig uns das zunächst vorkam«, gab er zu.
Ich hob den Kopf und sah ihn an.
»Aber du hast mir damals doch beteuert, dass es für dich …«, begann ich, aber er schüttelte den Kopf.
»Was hätte ich denn sagen sollen? Tut mir leid, liebe Zoe, aber ich möchte absolut nicht, dass du nach London gehst, weil ich es keine Woche ohne dich aushalte?«
»Vielleicht wäre es ja gut gewesen, wenn du mir das zumindest gesagt hättest, denn …«
»Denn was?«
»Ja was glaubst du denn? Denkst du vielleicht, mir ging es gut? Als ich nach unserer letzten Nacht aufwachte und du nicht mehr da warst, da hast du mir so sehr gefehlt, dass ich kaum noch Luft bekam!«
Er rutschte im Bett hoch.
»Aber du wolltest doch nie …«
Nun unterbrach ich ihn.
»Hätte ich vielleicht sagen sollen, vergiss Hamburg und komm mit nach London, Hendrik, denn mir ist es völlig egal, dass deine Eltern dich jetzt so dringend brauchen?«
Er strich nachdenklich durch sein Haar.
»Und wir dachten damals, wir würden super miteinander kommunizieren!«
»Es fiel uns beiden offenbar viel schwerer, als wir es uns gegenseitig eingestanden haben«, fasste ich zusammen. »Das bedeutet aber nicht, dass wir immer noch ein glückliches Paar wären, wenn wir uns damals nicht getrennt hätten.«
»Da hast du wohl recht«, stimmte er mir zu, dann hellte sich seine Miene auf, und er lächelte. »Aber ich hätte mir einige ziemlich schräge Erlebnisse mit Frauen sparen können.«
»Und ich mit Männern«, sagte ich und musste an das Blind Date mit dem Gurkenmann denken.
»Warum grinst du so?«, wollte er wissen.
Ein paar Minuten später, nachdem ich ihm die Story mit dem Gurkenmann – der dramatischen Wirkung wegen natürlich ein wenig überspitzt – erzählt hatte, die mir und ganz ähnlich auch meiner Freundin Ilona passiert war, lachte er schallend.
»Es gibt echt schräge Leute!«, stimmte er mir zu.
»So wie die Musicaldarstellerin, die dich gefühlt schon nach vier Wochen heiraten wollte?«, fragte ich und merkte selbst, dass ich ein wenig spitz klang. »Zumindest hab ich das damals so gehört.«
»Glaub mir, Iris war harmlos. Da gab es ganz andere Kaliber.«
»Mit so einer Ansage möchte ich jetzt aber echt auch eine Story hören!«, verlangte ich.
»Okay … Kennst du Menschen, die sich irgendwas im Kopf zusammenspinnen? Zum Beispiel, dass der Busfahrer sie aus Verliebtheit immer ganz besonders freundlich grüßt oder die Barista den Schaum am Cappuccino mit mehr Kreativität verziert als bei den anderen, um auf sich aufmerksam zu machen?«
»Ja … das hört man öfter.«
»Bei mir war es die Maklerin, die mir die Praxisräume vermittelt hatte. Sie hat sich damals offenbar eingebildet, dass ich etwas für sie empfinde.«
»Ach … Was hat sie gemacht? Erzähl!«
»Ich hatte mich schon gewundert, weil sie, ein paar Wochen nachdem ich die Praxis eröffnet hatte, um ein Treffen bat. Angeblich ein in ihrer Firma übliches Gespräch über Kundenzufriedenheit. Wir waren essen, und es war ein netter Abend, mehr aber nicht. Für mich jedenfalls. Weil sie wusste, dass ich am Wochenende oft alleine in der Praxis war, um in Ruhe Behandlungspläne auszuarbeiten oder Papierkram zu erledigen, wollte sie das als Gelegenheit nutzen und mich überraschen. Mit einem Schlüssel, den sie sich unerlaubt hatte nachmachen lassen, hat sie sich in die Praxis geschlichen und sich auf einen Behandlungsstuhl drapiert.«
»Drapiert?«
»Ja, drapiert, das muss man wirklich so sagen. Ich war in meinem Büro, als plötzlich aus dem Nichts Musik erklang. Ich wollte schon fast die Polizei benachrichtigen, dann aber kam mir der Gedanke, dass vielleicht jemand ein Handy in der Praxis vergessen hatte und es dessen Klingelton war. Trotzdem war mir nicht wohl dabei, vor allem, weil häufiger in Praxen eingebrochen wird. Ich habe mich mit einer riesigen Dekozahnbürste bewaffnet …« Er deutete mit den Händen gut einen Meter an.
»Echt jetzt?«, fragte ich amüsiert und kicherte. »Mit einer Dekozahnbürste?«
»Sie war aus Holz. Sonst hatte ich ja nichts, um mich im Notfall verteidigen zu können. Jedenfalls ging ich mit der Zahnbürste ins Behandlungszimmer, aus dem die Musik kam, und dort fiel mir echt die Kinnlade runter. Diese Maklerin saß nackt auf dem Behandlungsstuhl und hatte sich mit roten Gerbera geschmückt, als ob sie für ein Fotoshooting posieren würde.«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
»Mein völliger Ernst.«
»Das hört sich eher nach einer heißen Männerfantasie an, findest du nicht?«
Hendrik lachte trocken auf.
»Zu meinen heißen Fantasien zählt so eine Überraschung definitiv nicht, das kann ich dir versichern. Es fühlte sich eher wie sexuelle Belästigung an, und zudem war es Hausfriedensbruch. Ich habe dann auch sofort die Polizei verständigt.«
»Puh, das ist echt heftig.«
»Sie hat versucht, den Polizisten weiszumachen, dass ich auf sie stehen würde und sie mich nur überraschen wollte. Was in ihrer Wahrnehmung womöglich sogar stimmen mochte, mit meiner Realität aber nichts zu tun hatte. Als ich ihr das so ruhig wie möglich klarzumachen versuchte, ist sie total ausgeflippt. Ich habe am Ende zwar von einer Anzeige abgesehen, trotzdem war das Ganze mehr als unangenehm für mich.«
»Meine Güte, da bin ich ja fast froh, dass ich es nur mit dem Gurkenmann und einem Fußfetischisten zu tun hatte«, sagte ich.
»Tja – sowas wie die Maklerin wäre mir erspart geblieben, hätten wir beide uns damals nicht getrennt«, flachste er.
Er zog mich an sich und küsste mich. In diesem Moment klingelte mein Handy. Ich löste mich von Hendrik.
»Moment«, murmelte ich und ging ans Telefon. Es war Ilona, die einfach nur fragen wollte, wie es mir ging und was ich denn so machte an meinem Geburtstag.
»Bei mir ist alles gut, ich hatte bisher einen ziemlich guten Tag. Jetzt hast du mich gerade noch erwischt, bevor ich in die Dusche steige!«, sagte ich.
»Tut mir leid. Dann halte ich dich nicht länger auf. Bis dann, Zoe.«
»Bis dann. Wir telefonieren morgen!«
»Machen wir!«
Ich legte auf.
Hendrik grinste.
»Jetzt hast du aber ganz schön geschummelt«, sagte er.
»Hab ich nicht … Komm!«, forderte ich ihn auf und zog ihn mit ins Badezimmer.
Am Abend hatten wir kurz überlegt, in ein Restaurant zu gehen. Doch es fiel uns schwer, die Finger voneinander zu lassen, und außerdem hatten wir beide keine Lust, womöglich auf Kollegen zu treffen. Also bestellten wir uns das Essen aufs Zimmer.
»Möchtest du Champagner oder vielleicht Rotwein dazu?«, fragte Hendrik.
»Am liebsten nur Mineralwasser«, sagte ich so lapidar wie möglich, ohne weitere Erklärung.
»Ich auch.«
Es war alles so einfach mit ihm! Und ich genoss es.
Während er vor dem Essen rasch einige E-Mails beantwortete, kümmerte ich mich um die Nachrichten und Geburtstagsgrüße, die seit dem Morgen bei mir eingegangen waren, und beantwortete einen Teil davon. Schließlich konnte ich es nicht lassen und schickte das Selfie von Hendrik und mir am Strand in meine Freundinnen-Gruppe mit dem Text: Morgen mehr dazu! Und dazu ein verrückt grinsender Smiley.
Als ob die beiden nur darauf gewartet hätten, kamen innerhalb weniger Sekunden mehrere hochgestreckte Daumen und ebenfalls grinsende Smileys zurück.
Jetzt verstehe ich, warum du vergessen hast, dein Handy einzuschalten. Ich will alles wissen! , schrieb Ilona, und ich tippte ein knappes Klar zurück.
In diesem Moment klopfte der Zimmerservice und brachte das Essen. Wir setzten uns ins Bett und genossen eine große Platte mit verschiedenen Vorspeisen und warmem Fladenbrot dazu. Währenddessen unterhielten wir uns über Gott und die Welt.
Ich fühlte mich wie im Paradies. An Hendriks Brust gelehnt, biss ich in eine pralle Olive, während er zärtlich an meinem Hals knabberte.
Ich schloss die Augen und genoss seine Berührungen. Langsam schob er seine Hand an meinen Bauch. Dorthin, wo ich momentan ein kleines Wesen beherbergte. Ich unterdrückte ein Seufzen. Auch wenn es noch so herrlich war in diesem Paradies mit Hendrik und ich es am liebsten nie wieder verlassen wollte, so war mir klar, dass ich ihm so bald wie möglich von meiner Schwangerschaft erzählen musste.
Morgen! Ich sag es ihm morgen!, nahm ich mir vor.
Heute wollte ich für ihn einfach nur Zoe, die begehrenswerte Frau sein und nicht Zoe, die werdende Mutter.
Nachdem wir das Tablett zur Seite gestellt hatten, kuschelten wir wieder gemütlich mit ineinander verschlungenen Beinen. Wie damals vor über zwanzig Jahren. Ich konnte es selbst kaum glauben, wie sehr sich alles in den letzten beiden Tagen gedreht hatte, seitdem Hendrik so völlig unerwartet wieder in mein Leben getreten war. Nie hätte ich das für möglich gehalten, und doch war ich erneut mit dem Mann im Bett gelandet, der meine erste große Liebe gewesen war. Und es fühlte sich richtig gut an!
»Was war eigentlich der Grund dafür, dass du und deine Freundin euch getrennt habt?«, fragte ich, ohne lange darüber nachzudenken.
Eine Weile lang sagte er gar nichts. Ich rutschte im Bett hoch und sah ihn an. Er setzte sich ebenfalls auf. Sein Blick wirkte nun nachdenklich, fast ernst.
»Entschuldige«, murmelte ich schnell. »Das geht mich nichts an.«
Er bemühte sich um ein Lächeln.
»Aber natürlich darf dich das etwas angehen«, sagte er. »Es ist nur so, dass ich bisher mit niemandem darüber gesprochen habe, wie es genau zur Trennung kam.«
»Du musst es mir ja nicht jetzt erzählen«, sagte ich. »Es gibt sicher noch Tausend andere interessante Dinge von dir, die du berichten kannst und die dir nicht so schwerfallen.«
Ich gab ihm einen Kuss.
Er lächelte.
»Vielleicht ist es aber auch gut, wenn ich es gleich hinter mir habe«, sagte er und nahm einen großen Schluck Wasser.
Plötzlich hatte ich ein seltsames Gefühl in der Magengegend und fragte mich für einen Moment, ob ich es überhaupt hören wollte. Doch da begann er bereits zu erzählen.
»Laura, so heißt meine letzte Partnerin, also Laura und ich waren fast vier Jahre lang zusammen. Sie ist Historikerin und arbeitet am Smithsonian-Institut in Washington. Wir haben uns auf der Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes kennengelernt und sehr schnell gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge waren. Wir haben uns beide sehr in unseren Jobs engagiert und respektierten es, dass die Karriere für den anderen viel bedeutete. Unsere Beziehung funktionierte wie ein gut geöltes Uhrwerk. Es schien alles perfekt zu laufen. Etwa ein halbes Jahr vor unserer Trennung habe ich zwar bemerkt, dass sie noch weniger Zeit zu Hause verbrachte und wir uns oft tagelang kaum zu Gesicht bekamen, aber ich habe es natürlich ihrer Arbeit zugeschrieben. Bis ich schließlich im Badezimmer einen positiven Schwangerschaftstest gefunden habe. Sie hatte ihn absichtlich liegenlassen, damit ich Bescheid wusste.«
Bei dem Wort »Schwangerschaftstest« schrillten alle Alarmglocken.
»Und was war dann?«, fragte ich, weil ich das Gefühl hatte, irgendetwas sagen zu müssen.
»Ich war völlig hin- und hergerissen. Laura hatte von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass sie keine Kinder wollte, weil sie wenig Lust auf den Spagat hatte, ihre Karriere voranzutreiben und gleichzeitig eine gute Mutter zu sein. Für uns war Familienplanung deswegen nie Thema gewesen. Doch offenbar war bei der Verhütung etwas schiefgegangen. Dachte ich zumindest. Als sie an diesem Abend nach Hause kam, habe ich nicht lange um den heißen Brei herumgeredet und sie direkt auf die Schwangerschaft angesprochen. Sie erklärte mir ganz ruhig, dass sie vor ein paar Wochen Sex mit einem anderen Mann gehabt hatte und das Kind nicht von mir sei. Der Vater sei einer ihrer Kollegen im Smithsonian-Institut.«
»Ach du heilige Sch…« Ich schluckte das Wort, das mir auf der Zunge lag, hinunter.
Hendrik nickte.
»Ich war wie vor den Kopf geschlagen und natürlich auch verletzt und wütend, weil sie mich betrogen hatte. Hinzu kam, dass sie bei diesem Ausrutscher ungeschützten Sex hatte, während wir immer so sehr darauf bedacht gewesen waren, eine Schwangerschaft zu vermeiden. Laura hat nichts abgestritten, ihr tat es nur leid, dass sie mich verletzt hatte und dass es so gekommen war. Irgendwie ging ich davon aus, dass sie das Baby nicht behalten wollte und dass sie mir das mitteilen würde. Doch ich hätte mich nicht mehr irren können. Sie hatte längst vor unserem Gespräch beschlossen, das Kind zu bekommen. Natürlich war das gleichzeitig das Ende unserer Beziehung.«
»Das tut mir sehr leid!«, sagte ich leise und spürte, dass ich mich innerlich zurückzog, während er mich fester an seine Brust zog. Ich ahnte plötzlich, dass die wunderbare rosarote Blase, in der ich die letzten Stunden schwebte, gleich platzen würde und ich es nicht aufhalten konnte.
»Nur wenige Tage später erfuhr ich, dass es meinem Vater schlecht ging. Also kümmerte ich mich um eine Vertretung in der Praxis und stellte dort auch einige Sachen von mir unter. Die Wohnung und die Möbel überließ ich Laura. Ich wollte nichts davon haben und einfach nur weg.«
»Das kann ich verstehen!«, murmelte ich.
»Von Deutschland aus habe ich alles geregelt, um die Praxis an einen Kollegen weiterzugeben. Ich war nach Vaters Tod nur noch einmal für ein paar Tage in Washington, um die Verträge für die Praxisübergabe und weitere wichtige Dokumente zu unterschreiben und die restlichen Sachen zu packen, die ich mit nach Hamburg nehmen wollte.«
»Hast du Laura bei deinem letzten Besuch noch mal gesehen?«
»Nein. Und ich hatte auch kein Verlangen danach. Im Krankenhaus, am Bett meines Vaters habe ich viel Zeit gehabt, um intensiv darüber nachzudenken, was mit Laura und mir passiert war. Und auch über die Zeit davor. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, was ich falsch gemacht hatte, wieso alles so schiefgegangen war. Bis ich schließlich erkannte, dass sie weit davon entfernt gewesen war, meine große Liebe zu sein, und umgekehrt war es sicherlich genauso. Unsere Beziehung hatte vor allem deswegen so toll funktioniert, weil für uns beide letztlich die Arbeit an erster Stelle stand und wir unser Leben genau darauf ausgerichtet hatten. Und vielleicht wäre es auch noch eine Weile lang so weitergelaufen, wenn sie bei ihrem Seitensprung nicht schwanger geworden wäre.«
Plötzlich lachte er leise, jedoch ohne Humor.
»Der eine Moment, als ich diesen positiven Schwangerschaftstest fand, stellte mein damaliges Leben komplett auf den Kopf und änderte alles. Irgendwie hat mich diese Trennung in eine Art emotionale Starre fallen lassen. Danke, dass du mich nach Laura gefragt hast, Zoe. Ich hätte nicht gedacht, dass es so guttut, das alles mal laut auszusprechen«, sagte er und gab mir einen Kuss auf die Schläfe.
»Doktor Petrides, die Zahnärztin, der Sie alles anvertrauen können«, witzelte ich in dem Versuch, mir meine Sorgen nicht anmerken zu lassen. Ich wusste nicht, was ich darüber denken sollte.
Er lachte wieder leise. Dann schaute er mich mit seinen unglaublich blauen Augen auf eine Weise an, die mir fast den Atem raubte.
»Weißt du was?«
»Was?«
»Jetzt bin ich ziemlich froh darüber, dass es genau so kam, sonst wären wir beide uns nicht wieder begegnet, Zoe. Es fühlt sich so gut an mit dir, sogar noch besser als damals.«
Genauso ging es mir mit ihm. Wir fühlten uns körperlich zueinander hingezogen wie früher und waren uns auch nach all den Jahren noch erstaunlich vertraut. Vorhin war mir tatsächlich sogar der Gedanke gekommen, dass diese zufällige Begegnung vielleicht sogar zu mehr führen könnte. Doch seine Geschichte hatte mir deutlich klargemacht, dass Kinder nicht in sein Lebensplanung passten. Und damit passte auch ich nicht in sein Leben.
»Bist du müde?«, fragte er, vermutlich weil ich so still war.
»Ein wenig …«, antwortete ich, weil es einfacher war, als zu sagen, was mich tatsächlich beschäftigte.
»Kein Wunder, nach diesem Tag … Komm, lass uns ein wenig schlafen«, schlug er vor.
Er knipste das Nachtlicht aus, und wir kuschelten uns eng aneinander. Ich war froh um die Dunkelheit, denn in meinen Augen brannten nun Tränen.
Ich legte eine Hand vorsichtig auf meinen Bauch. Ich hatte mich für dieses Kind entschieden und würde es wie geplant allein durchziehen. Die Sache mit Hendrik war schön, aber bestimmt nichts von Dauer. Zumindest redete ich mir das ein, denn beim Gedanken daran, dass er bald wieder aus meinem Leben verschwunden sein würde, überkam mich Traurigkeit.
Nach einer Weile hörte ich seinen regelmäßigen Atem. Ich schloss die Augen. Nur diese eine Nacht an seiner Seite wollte ich mir noch schenken.
Irgendwann wachte ich in der Dunkelheit auf, als Hendrik sich umdrehte.
»Alles gut?«, murmelte er im Halbschlaf.
»Ja«, flüsterte ich, und dann küsste ich ihn. Er war sofort hellwach, wie unschwer zu spüren war, und wir schliefen miteinander. Zärtlich, leidenschaftlich und für mich mit der Gewissheit, dass es das letzte Mal war. Erneut ein letztes Mal. Doch im Gegensatz zu unserer Trennung vor vielen Jahren war mir jetzt viel mehr bewusst, was ich verlieren würde.
»Du bist so sexy, Zoe, und es ist so unglaublich schön mit dir«, murmelte er an meinem Hals, und fast hätte ich meine Entscheidung doch noch überdacht. Aber ich durfte mir nichts vormachen. Es würde nicht funktionieren.
»Es ist auch wunderbar mit dir, Hendrik. Danke dir für diese Nacht«, sagte ich so leise, dass ich nicht wusste, ob er es gehört hatte.
Ich küsste ihn ein allerletztes Mal, dann wartete ich, bis er wieder fest eingeschlafen war. Leise stand ich auf und schlüpfte in meine Kleider. Im schwachen Schein des Mondlichtes, das durch das Fenster in den Raum fiel, entdeckte ich den Hühnergott auf dem Tisch. Ich nahm ihn, hauchte einen Kuss darauf und legte ihn auf das leere Kopfkissen. Dann griff ich nach meiner Tasche und den Schuhen und verschwand barfuß aus seinem Zimmer.
Ich nahm eine Dusche, zog mich an und packte meine Sachen. In den frühen Morgenstunden checkte ich aus und machte mich auf den Weg nach Hause.