Falscher Eierlikör
Nach zwei Stunden Fahrt in Richtung Süden hielt ich an einer Raststelle, um eine Sprachnachricht für Hendrik aufzunehmen. Offenbar schlief er noch, und es war ihm noch nicht aufgefallen, dass ich weg war, sonst hätte ich vermutlich schon von ihm gehört. Oder er dachte, ich wäre in der Nacht zurück in mein Hotelzimmer gegangen, und wollte mich nicht wecken.
Meine ersten beiden Versuche waren etwas hilflos formulierte Erklärungen, aus denen er sich womöglich keinen Reim machen könnte, also löschte ich sie wieder.
Ich musste klar sein und gleichzeitig versuchen, ihn nicht unnötig zu verletzen. Und ich hielt es auch für das Beste, die Schwangerschaft nicht zu erwähnen.
»Hallo Hendrik. Inzwischen ist dir wohl aufgefallen, dass ich nicht mehr da bin«, versuchte ich es so locker wie möglich. »Es tut mir leid, dass ich dich nicht geweckt habe, um mich zu verabschieden, aber das hätte es uns beiden vermutlich nur sehr schwer gemacht. Und das wollte ich nicht, denn die beiden Tage mit dir waren unglaublich. Und so behalten wir sie am besten auch in Erinnerung. Es war so schön, dich wieder zu sehen. Allerdings frage ich mich, ob wir nicht alles ein wenig überstürzt haben. Du bist noch nicht sehr lange von deiner letzten Freundin getrennt, die dich sehr verletzt hat. Das habe ich gespürt, als du mir in der Nacht erzählt hast, was zwischen euch vorgefallen war. Dann auch noch der Tod deines Vaters. Das ist ziemlich viel zu verarbeiten. Ich glaube, es wäre gut, wenn du die Zeit in Uganda – falls du dich dafür entscheidest – dafür nutzen würdest, von allem ein wenig Abstand zu nehmen. Du hast gestern mal angedeutet, du seist ein wenig hin- und hergerissen, ob du nach Gulu gehen sollst, weil das bedeutet, dass wir uns für längere Zeit nicht sehen könnten, jetzt, wo wir uns gerade wieder gefunden haben. Auch ich hätte gerne noch mehr Zeit mit dir verbracht, aber ich finde es wichtig, dass du das Vorhaben durchziehst, ohne dich von unserer Begegnung in deiner Entscheidung beeinflussen zu lassen. Für die Menschen dort, die deine Hilfe brauchen, aber auch für dich selbst. Und es ist auch wichtig für mich. Denn unsere Begegnung hat mich echt ziemlich durcheinandergebracht. Ein halbes Jahr vergeht schnell, und durch den Abstand haben wir beide die Gelegenheit, in Ruhe darüber nachzudenken, was diese gemeinsame und sehr intensive Zeit in Heiligenhafen für uns bedeutet. Ob sie überhaupt etwas bedeutet. Vielleicht war es ja einfach nur ein Strohfeuer, entzündet durch sentimentale Erinnerungen … Bitte gib uns beiden den Raum und die Zeit, das alles jetzt mal sacken zu lassen … Und pass auf dich auf, Hendrik!«
»Wieso hast du ihm nicht einfach die Wahrheit gesagt?«, fragte Anna kopfschüttelnd, als ich ihr und Ilona am Abend meine Nachricht vorspielte.
Anna war sprachlos gewesen, als ich vor einer Stunde, fix und fertig von der langen Fahrt, an ihrer Haustür geklingelt hatte. Rasch hatte sie Ilona angerufen, die kurz darauf kam und jetzt mit uns am Tisch saß.
»Ich habe da ja so eine Ahnung, warum Zoe das nicht gemacht hat«, kam Ilona mir überraschenderweise zu Hilfe.
»Ach ja? Welche denn?«, wollte Anna wissen.
»Vielleicht möchte sie sich und diesem Hendrik einfach ein wenig Zeit geben …«
»Aber das ist doch Unsinn«, unterbrach Anna sie. »Was soll denn ein halbes Jahr Zeit zum Überlegen bringen? Wenn er keine Kinder möchte, dann könnte eine Beziehung mit Zoe sowieso nicht funktionieren«, warf Anna ein und fächelte sich mit einer Gratiszeitung Luft zu.
»Stimmt«, sagte ich. »Aber ich war wohl ein wenig überfordert mit der Situation. Die Schwangerschaft, unsere Begegnung, die Gefühle, die völlig überraschend immer noch da waren. Es hat sich fast angefühlt wie früher, als wären wir gar nicht getrennt gewesen. Aber das war nur Wunschdenken. Wir haben uns beide verändert!«
Ilona legte einen Arm um mich und drückte mich an ihren ausladenden Busen, der etwas sehr Tröstliches hatte.
»Hey … Ich versteh dich total, Zoe«, sagte sie mitfühlend und streichelte durch mein Haar. »Du musst jetzt auch wirklich überhaupt nichts übereilen.«
»Zoe! Ich dachte, du bist noch an der Ostsee!«
Annas Mutter Mina war ins Wohnzimmer gekommen.
»Hallo Mina«, grüßte ich sie.
»Du liebe Güte, Zoe. Du schaust ja schrecklich aus. Ist was passiert … mit deinem Kind?«, fragte sie vorsichtig.
»Nein, das ist nur ein Fall von heftigem Liebeskummer«, erklärte Ilona auf ihre trockene Art.
»Ist es nicht!«, protestierte ich rasch.
»Liebeskummer? Hast du gerade Liebeskummer gesagt?«, fragte Mina nach, die offenbar gedacht hatte, nicht richtig gehört zu haben.
»Ja, es geht um Liebeskummer«, bestätigte Ilona zur Sicherheit ein wenig lauter.
»Ich wusste gar nicht, dass es da einen Mann gibt, der dir Kummer machen könnte«, sagte Mina zu mir.
»Es ist ja auch kein richtiger Liebeskummer. Es ist nur … alles ein wenig kompliziert. Und leider kann ich das diesmal nicht mit deinem Eierlikör wegtrinken«, sagte ich mit einem schrägen Lächeln.
Doch bei diesen Worten leuchteten Minas Augen plötzlich auf, und sie lächelte verschmitzt.
»Du bist sicher noch ein Weilchen da, oder?«, fragte sie schnell.
»Ganz bestimmt«, sagte Ilona.
Und ich nickte.
»Na gut. Dann bis gleich«, sagte Mina und verschwand eilig in ihre Einliegerwohnung nebenan.
»Was hat sie denn vor?«, fragte Ilona.
»Keine Ahnung«, sagte Anna. »Aber wir werden es sicher gleich erfahren.«
Die kurze Unterbrechung hatte die Stimmung ein klein wenig gelockert. Trotzdem war ich nach wie vor bedrückt.
»Hat er dich schon zurückgerufen?«, fragte Ilona.
»Er hat es versucht, aber während der Fahrt wollte ich nicht ans Handy gehen. Dann hat er eine Sprachnachricht geschickt.«
»Und?«
»Ich weiß es nicht«, murmelte ich.
»Du hast sie noch nicht abgehört?«, hakte sie ungläubig nach.
»Nein. Und du müsstest selbst am besten wissen, dass das nicht so einfach ist. Ich erinnere dich nur daran, wie viele Nachrichten Chris dir nach eurem Streit geschickt hat, die du teilweise sogar gelöscht hast, ohne sie zu lesen oder abzuhören.«
Ilona seufzte.
»Du hast ja recht. Aber gerade weil ich es selbst erlebt habe, weiß ich, dass ich mir viel Kummer erspart hätte, wenn wir gleich alles geklärt hätten.«
»Genau das habe ich doch vorhin gesagt!«, erinnerte Anna.
»Bei euch ging es nur um ein Missverständnis, Ilona. Aber in diesem Fall geht es darum, dass er völlig andere Vorstellungen hat als ich, was das Thema Kinder betrifft.«
»Das hat er so deutlich gesagt?« Ilona sah mich fragend an.
Ich lachte kurz auf.
»Glaub mir, es war deutlich genug!«, beteuerte ich in Gedanken an die Geschichte über seine schwangere Exfreundin. »Und da ich mit dreiundvierzig Jahren noch kinderlos bin, geht er sicher davon aus, dass ich seine Vorstellungen teile.«
»Blöd aber auch …!«, murmelte Ilona.
»Soll ich seine Nachricht zuerst für dich anhören?«, bot Anna an.
»Danke nein, das muss ich schon selber machen.«
Ich griff wieder nach dem Handy.
»Möchtest du lieber, dass Ilona und ich inzwischen rausgehen?«
»Quatsch!«, winkte Ilona ab. »Zoe lässt es uns doch sowieso hören. Dann können wir gleich dabeibleiben und sie moralisch unterstützen. Schließlich ist sie auch noch frisch schwanger!«
»Sollen wir also bleiben?«, fragte Anna sicherheitshalber.
»Ja. Das wäre mir lieber!«
»Und jetzt mach«, forderte Ilona mich auf.
Ich nickte. Dann atmete ich einmal tief ein und aus. Mein Herz schlug wieder schneller.
»Na gut … Also dann …«
Ich rief seine Nachricht auf und drückte auf Play .
»Hallo Zoe, du verrücktes Huhn. Das war ja eine Überraschung heute Morgen, als ich aufgewacht bin und du schon weg warst. Und dann habe ich deine Nachricht abgehört. Ehrlich gesagt musste ich eine Weile überlegen, was und wie ich darauf antworten soll. Nach dieser unglaublichen Nacht und den beiden gemeinsamen Tagen war ich erst einmal ziemlich vor den Kopf gestoßen und schon auch enttäuscht, dass du dich einfach so davongemacht hast. Und es wäre mir natürlich lieber gewesen, wir hätten über alles persönlich gesprochen. Aber ich kann dich auch ein wenig verstehen und nachvollziehen, warum du so plötzlich verschwunden bist. Selbst wenn es mir schwerfällt, muss ich dir zustimmen, dass unser Aufeinandertreffen auch mich ziemlich überrumpelt hat. Doch da war von der ersten Sekunde an wieder diese unglaubliche Magie, nicht nur körperlich, sondern vor allem emotional. Es hat so gut getan, dich zu sehen. Und irgendwie hätte man das wohl gar nicht aufhalten können. Zumindest empfinde ich es so.«
Ich drückte auf Stopp und versuchte, die aufsteigenden Tränen wegzublinzeln, was mir nicht gelang. Ich fragte mich plötzlich, ob ich mir mit diesem Mann eine Zukunft vorstellen könnte, wenn ich nicht schwanger wäre. Die Antwort war überraschend klar. Ich wäre sicherlich nicht vorzeitig aus Heiligenhafen abgereist und hätte den Versuch gewagt, es herauszufinden. Doch die Umstände ließen das nicht zu.
»Verdammt!«, murmelte ich.
Ilona und Anna sahen mich mitfühlend an.
»Dieser Hendrik hat eine echt tolle Stimme«, sagte Ilona und reichte mir ein Papiertaschentuch.
»Ja, hat er«, sagte ich leise und musste trotz der Tränen lächeln. Ich putzte meine Nase.
Ilona streichelte wieder meinen Rücken.
»Scheiß Hormone!«, murmelte ich.
»Gut, dass du das als Ausrede hast!«, feixte Ilona in dem Versuch, mich aufzumuntern.
»Lass dir ruhig Zeit, wenn du möchtest«, sagte Anna.
»Ich will es lieber jetzt gleich hinter mich bringen«, erklärte ich jedoch entschlossen und drückte erneut auf Play .
»Die Intensität der Gefühle, die wir erlebt haben, kann ein wenig beängstigend sein. Vor allem, weil es tatsächlich so schnell ging. Und ich respektiere natürlich deine Bitte, erst noch einmal einen Schritt zurückzutreten, um alles sacken zu lassen. Schade, dass wir jetzt nicht reden können, aber ich verstehe auch, dass du während der langen Autofahrt so ein Gespräch nicht führen möchtest. Deswegen jetzt auch meine Sprachnachricht, was normalerweise nicht so mein Fall ist.«
Für ein paar Sekunden herrschte Stille, dann sprach er weiter.
»Heute Vormittag haben mich die Kollegen angerufen und auf eine rasche Entscheidung bezüglich Uganda gedrängt. Ich habe zugesagt. Das Bauchgefühl hat diesmal klar Ja gesagt.«
Er lachte leise, aber es hörte sich eher ein wenig traurig an.
»Der Flug geht schon übernächste Woche … Tja, also werde ich eine Weile lang weg sein. Aber das halbe Jahr wird schnell vergehen, und wir beide haben währenddessen genügend Zeit, um herauszufinden, ob es tatsächlich nur ein Strohfeuer war oder ob wir uns wiedersehen wollen. Doch egal, zu welchem Schluss wir am Ende kommen werden, ich weiß schon jetzt, dass du mir echt viel bedeutest, Zoe. Das hast du immer schon getan. Vor vielen Jahren haben wir uns getrennt, weil wir es für die vernünftigste Entscheidung hielten. Außerdem waren wir noch ziemlich jung. Aber wir sollten den Fehler von damals nicht wiederholen. Nach unserer überraschenden Begegnung haben wir jetzt die Chance, uns noch einmal neu kennenzulernen. Und der Anfang war doch schon mal super, oder? Jedenfalls würde es mir sehr viel bedeuten, wenn wir während meiner Zeit in Uganda weiter Kontakt halten. Mit einem Abstand von etwa 5.000 Kilometern sind wir weit genug voneinander entfernt, um den nötigen Raum zu haben und nachzudenken, aber gleichzeitig ermöglicht uns das Internet, uns auszutauschen. Nun ja, falls es mit dem Internet dort so einfach klappt. Aber ich werde sicher eine Möglichkeit finden. Ich freue mich, wenn du dich bald meldest. Mach’s gut und pass bitte auf dich auf. Ciao Zoe!«
Damit endete die Nachricht. Keine von uns sagte etwas.
»Was ist das denn für ein berührendes Liebesdrama?«
Wir drehten uns zur Tür. Ben und Emma standen dort und sahen uns fragend an.
Wir hatten sie gar nicht kommen hören. Aber so war es eben in diesem Haus. Irgendjemand aus der großen Patchworkfamilie kam immer vorbei und schnappte etwas auf, was eigentlich gar nicht für ihn bestimmt war.
»Ach, es ist schwierig«, sagte ich und winkte ab. Doch ich wusste, dass sie sich damit nicht abspeisen lassen würden.
Emma und Ben umarmten mich zunächst, wünschten mir nachträglich noch mal alles Gute zum Geburtstag und beglückwünschten mich zur Schwangerschaft.
»Wir wollten gerade Kaiserschmarrn und Erdbeereis machen«, sagte Emma.
»Dann macht bitte mal eine besonders große Portion«, schlug Ilona vor. »Das können wir jetzt alle gut gebrauchen.«
»Aber klar doch!«, sagte Ben. »Hexlein und ich werden euch was zaubern. Aber dann wollen wir wissen, was es mit dieser Nachricht auf sich hat.«
Ich versprach, ihnen alles zu erzählen.
In diesem Moment kam Mina zurück. Mit einer Flasche selbst gemachtem Eierlikör, die sie mit frischen Blümchen aus dem Garten verziert hatte. Lächelnd steuerte sie auf mich zu.
»Für dich zum Geburtstag, liebe Zoe«, sagte sie, und mir war plötzlich etwas bang zumute.
War sie inzwischen doch so vergesslich geworden, dass sie in der kurzen Zeit nicht mehr wusste, dass ich keinen Alkohol trinken durfte? Auch die anderen sahen sie ein wenig ratlos an.
»Jetzt schaut doch nicht so bedröppelt!«, rief Mina und schüttelte den Kopf. »Das ist Eierlikör ohne Alkohol, was denkt ihr denn?«
»Ohne Alkohol?«, fragte Ilona verdutzt.
»Eigentlich wollte ich für dich zum Geburtstag den echten Eierlikör machen. Doch gestern früh haben wir ja erfahren, dass du schwanger bist. Dann hab ich im Internet gesucht und einige Rezepte ohne Alkohol gefunden. Als hätte ich es geahnt, dass du früher kommst, habe ich heute Nachmittag ein wenig herumexperimentiert, und das kam dabei heraus.« Sie drückte mir die Flasche in die Hand. »Natürlich ist das Eigelb bei der Zubereitung im Wasserbad genügend erhitzt. Du kannst den Likör also bedenkenlos trinken!«
»Ach Mina, du bist super!«, sagte ich und umarmte Annas Mutter ganz fest.
»Vielleicht tröstet er dich ja ein wenig über deinen Liebeskummer hinweg, Geburtstagskind«, sagte Mina mitfühlend.
»Es ist kein Liebeskummer. Und außerdem ist mein Geburtstag schon wieder vorbei«, erinnerte ich sie.
»Aber gestern konnte ich dir ja nicht persönlich gratulieren. Also bist du für mich heute einfach trotzdem noch ein Geburtstagskind. Und dass du Kummer hast, das kann ich sogar ohne Brille sehen.«
»Dann lasst uns doch das Getränk gleich mal testen!«, schlug Ben vor und holte bereits Gläser aus der Vitrine.
»Da bin ich ja jetzt mal gespannt, was du fabriziert hast, Omi«, sagte Emma, die allein oder zusammen mit Ben auch gern neue Rezepte ausprobierte, die wir dann ab und zu verkosten durften.
»Prost! Auf dich Zoe und auf deine Schwangerschaft!«, sagte Anna, und wir stießen an.
»Na ja … man kann ihn schon trinken«, sagte Ilona mit verhaltener Begeisterung, nachdem wir probiert hatten, »aber ich genehmige mir lieber doch das Original.«
»Ich auch«, sagten Mina und Anna gleichzeitig, und wir lachten.
Ich jedoch war überrascht vom Geschmack und der Konsistenz. Das kam wirklich nah an das Original heran.
»Also, ich finde ihn echt lecker, Mina! Vielen Dank.«
Eierlikör war eben eine Art Seelentröster für mich, und es war gut zu wissen, dass es dabei gar nicht auf den Alkoholgehalt ankam.
»Den hast du echt gut hingekriegt. Er hat einen ganz feinen Geschmack. Eigelb, Sahne, Vanille und ein wenig Rumaroma schmecke ich raus? Und weiße Schokolade, oder? … Wie genau hast du den falschen Likör denn gemacht?«, fragte Ben neugierig.
»Das, lieber Ben, bleibt für immer mein Geheimnis«, erklärte sie schmunzelnd und leckte mit dem Finger den Rest aus dem Glas.
»Ach komm, Mina. Mir kannst du es doch sagen«, drängte Ben mit einem entwaffnenden Lächeln, das vermutlich einen russischen Spion dazu gebracht hätte, sein Land zu verraten.
Doch Mina zuckte nur bedauernd mit den Schultern.
»Kann ich leider wirklich nicht, Ben. Ich habe nämlich einfach nur experimentiert und mir keine Mengen aufgeschrieben. Keine Ahnung, ob ich den selbst jemals wieder so hinkriege, wie diesen hier«, sagte sie mit Blick auf die angefangene Flasche, und wir lachten.
»Na, dann genießen wir doch besser den Rest!«, sagte ich und schenkte mir noch mal ein Glas ein.
Während Ben und Emma in der Küche das Dessert zauberten und Mina draußen Katze Conny suchte, die mal wieder unterwegs war, saßen Anna, Zoe und ich am Tisch. Ich erzählte ihnen nun ganz ausführlich, wie die letzten Tage an der Ostsee verlaufen waren.
»Mensch, das ist echt total romantisch«, sagte Ilona und seufzte.
»Eher tragisch«, korrigierte Anna, und irgendwie hatten sie beide recht.
Auch als später noch Annas Mann Paul dazukam und wir alle gemeinsam Kaiserschmarrn mit Erdbeereis und Eierlikör – wahlweise mit oder ohne Alkohol – verputzten, blieb mein Schlamassel das Thema.
»Was für ein mieses Timing«, bemerkte Ilona und schob sich einen großen Löffel voll in den Mund.
»Sag mal, Zoe, was hättest du denn gemacht, wenn du diesen Hendrik wiedergetroffen hättest, bevor du deinen Termin in der Kinderwunschklinik gehabt hättest?«, fragte Emma neugierig.
Eine sehr gute Frage!
»Diese Frage habe ich mir auch schon gestellt, aber ich habe – ehrlich gesagt – keine Ahnung«, murmelte ich. »Ich weiß, dass ich überglücklich bin, schwanger zu sein, und dass ich dieses Kind unbedingt haben möchte. Trotzdem hätte ich vermutlich anders über meinen Plan nachgedacht«, gab ich zu.
»Jedenfalls hättest du dein Vorhaben vorher mit ihm besprechen können«, sagte Paul.
»Wobei es trotzdem darauf hinausgelaufen wäre, dass er kein Kind möchte«, erklärte ich. »Sicher wäre ich dann in einen großen Konflikt geraten.«
»Dann ist es genau richtig, so wie es geschehen ist«, fand Mina.
»Hmmm … Vermutlich.« Ich nickte.
»Hey, immerhin hattest du noch einmal richtig guten Sex, bevor du als alleinerziehende arbeitende Mutter ohnehin erst einmal keine Zeit mehr für solche Abenteuer haben wirst!«, rief Ilona mit einem frechen Zwinkern.
»Finde ich auch«, stimmte Mina ihr zu. »Wenn das Baby schon nicht mit einem dazugehörigen ordentlichen Orgasmus entstanden ist …«
»Mama!«, rief Anna.
»Oma!«, rief Emma gleichzeitig.
»Was denn? Ist doch wahr!«
»Mina und Ilona haben völlig recht!«, sagte Ben. »Den Spaß hat Zoe sich echt verdient.«
»Danke!«, sagte ich und nahm noch mal einen großen Schluck vom falschen Eierlikör. »Aber was mache ich denn jetzt mit Hendrik?«
»Lass ihn doch erst mal nach Uganda fliegen«, schlug Paul vor, der die ganze Geschichte inzwischen natürlich auch in groben Zügen kannte.
»Find ich auch«, stimmte Ben ihm zu. »Glaub mir, der hat dort so viel um die Ohren und vermutlich nicht oft die Gelegenheit, sich zu melden. Womöglich wird er nicht mal die Zeit haben, oft an dich zu denken.«
»Und was ist dann?«, fragte Anna. »Ich finde ja nach wie vor, dass du ihm einfach gleich die ganze Wahrheit sagen solltest.«
»Damit der arme Kerl womöglich total unglücklich nach Uganda verschwindet?«, warf Ilona ein.
»Irgendwann muss er es doch erfahren.«
»Leute. Wir drehen uns die ganze Zeit im Kreis!«, warf Emma ein.
Ich nickte.
»Hendrik soll jetzt erst mal in Uganda ankommen und sich dort einleben. Und wenn ich merke, dass es bei ihm gut läuft und wir ein wenig Abstand hatten, dann sag ich es ihm«, versprach ich und merkte, wie sich mein Magen plötzlich zusammenzog.
»Guter Plan!«, stimmte Ben zu.
»Finde ich auch.« Paul nickte.
»Oder … es gäbe da noch eine andere Möglichkeit«, meinte Mina plötzlich mit einem verschmitzten Lächeln.
»Und woran denkst du denn da, Mama?«, fragte Anna interessiert.
»Nun ja … Zoe ist so frisch schwanger, dass das Kind ja fast von diesem Hendrik hätte sein können … Muss er denn überhaupt wissen, dass das Baby durch eine Samenspende entstanden ist!«
»Mama! Oma! Mina!«, riefen wir alle gleichzeitig.
»Das würde ich niemals tun!«, erklärte ich dann sofort vehement.
»Also wirklich, Mina! Das kannst du doch nicht vorschlagen«, Paul schüttelte den Kopf.
»Du würdest ihm echt ein Kind von einem anderen unterschieben?«, fragte Ilona, die eher amüsiert, als empört schien.
»Was heißt denn hier das Kind von einem anderen unterschieben? Von welchem anderen Mann denn? Überlegt doch mal! Kein Mensch von uns weiß doch, wer der Vater ist«, gab Mina zu bedenken.
»Aber das tut man einfach nicht, Oma! Das ist ganz schlimmer Betrug!« Emma schien fassungslos über den Vorschlag ihrer Großmutter.
»Ich meine es doch nur gut!«, verteidigte sich Mina.
»Gut meinen ist nicht immer gleichzeitig auch richtig! Außerdem ändert es doch überhaupt nichts an der Tatsache, dass dieser Hendrik gar kein Kind haben möchte. Auch kein eigenes!«, sagte Anna.
Mina zuckte nur die Schultern.
»Wer weiß, ob er nicht plötzlich völlig anders darüber denken würde, wenn das Kindchen da ist? Menschen können ihre Ansichten ändern.«
»Aber nicht Hendrik!«, beteuerte ich, während die Übelkeit in meinem Magen immer stärker wurde. »Auch wenn er sich vermutlich verpflichtet fühlen würde, Verantwortung zu übernehmen. Aber damit würde ich ihn ja indirekt zu etwas zwingen, was er niemals wollte.«
»Noch dazu mit einem Kind, das gar nicht sein eigenes ist«, erinnerte Ben.
Ich griff nach einem Glas Wasser und nahm einen großen Schluck.
»Zoe? Ist alles okay? Du bist ja schneeweiß im Gesicht!«, sagte Mina besorgt.
Mir war inzwischen kotzübel.
»Du bist echt total blass. Das kommt sicher von zu viel falschem Eierlikör!«, vermutete Ilona.
Ich schlug die Hand vor den Mund.
»Oder von zu viel Kaiserschmarrn mit Erdbeereis«, meinte Mina.
Ich stand auf und eilte ins Bad.
»Quatsch. Das liegt an der Schwangerschaft«, hörte ich Anna noch sagen, bevor die Tür ins Schloss fiel.
Und dann kotzte ich mir die Seele aus dem Leib.