Kapitel 22

Pläne

Als Anna und Ilona am Abend mit vier Pizzen aus dem Dolce Vita vorbeikamen, stellte ich ihnen Hendrik ganz offiziell vor. Inzwischen platzten die beiden förmlich vor Neugierde, wie unser Gespräch gelaufen war, was ihnen unschwer anzusehen war.

»Schön, dass ich euch kennenlerne«, sagte er.

»Ich war auch schon ziemlich neugierig auf dich. Zoe war nämlich deinetwegen ganz schön durch den Wind!«, sagte Ilona fast ein bisschen vorwurfsvoll.

»Das kann man wohl sagen«, bestätigte Anna.

»Tut mir leid. Das war gewiss nicht meine Absicht«, beteuerte Hendrik.

»Aber jetzt wollen wir alles wissen«, verlangte Anna.

»Ihr werdet echt gleich staunen«, warnte ich sie vor. »Es ist ziemlich verrückt alles.«

»Mehr als verrückt!«, sagte Hendrik.

»Tja, dann legt endlich los!«, meinte Ilona.

Während wir aßen, erfuhren sie die ganze Geschichte. Und auch die beiden waren über diese Wendung mehr als überrascht.

»Ich habe Zoe von Anfang an gesagt, dass sie dir von der Schwangerschaft erzählen soll«, sagte Anna. »Euch wäre so viel erspart geblieben.«

»Es kann aber sein, dass die beiden diesen Umweg gebraucht haben«, überlegte Ilona. »Wer weiß das schon?!«

»Hm. Vielleicht hätte ich mich tatsächlich sogar entschieden, nicht nach Uganda zu gehen, wenn Zoe mir damals in Heiligenhafen schon von der Schwangerschaft erzählt hätte.«

»Echt?«, fragte ich erstaunt.

»Na ja … In diesem Fall wäre ich gerne in deiner Nähe gewesen, um herauszufinden, ob und wie sich das mit uns beiden entwickelt, und auch um von Anfang an dabei zu sein. Aber dann hätte ich Tommy niemals kennengelernt.«

»Sag ich doch – die beiden haben das einfach gebraucht«, triumphierte Ilona.

»Du hast ja recht!«, lenkte Anna ein.

»Und jetzt haben Hendrik und ich glücklicherweise alles geklärt!«

Ilona schaute zu ihm.

»Und dir macht das tatsächlich nichts aus, dass der kleine Herr Petrides aus einer Samenspende entstanden ist?«, fragte sie so direkt, wie sie nun mal war.

Hendrik schüttelte den Kopf.

»Im Idealfall wäre ich natürlich gern selbst der Samenspender …«, er setzte das Wort mit den Händen in Anführungszeichen, »… gewesen, aber ich kann ja gut nachvollziehen, wie es dazu kam. Was sollte ich dagegen haben? Außerdem kann ich es jetzt schon kaum erwarten, den kleinen Herrn Petrides kennenzulernen«, gestand er fröhlich.

Die Stimmung am Tisch war herrlich gelöst, und ich war sehr glücklich, dass es nach dem ganzen Durcheinander und den Zweifeln und Ängsten der letzten Wochen endlich Klarheit gab.

»Und ich freue mich auf Tommy«, beteuerte ich und lächelte Hendrik zu.

»Find ich echt super, dass du den kleinen Jungen adoptieren wirst«, sagte Ilona zu ihm.

»Ich auch. Hut ab. Das ist wirklich eine große Verantwortung. Du musst sicher noch mal nach Uganda, oder?«, wollte Anna wissen.

»Ja. Ich bleibe noch drei Tage hier am Chiemsee, dann geht es wieder zum Flughafen. Die gut zwei Wochen, die ich in Deutschland war, werde ich in Gulu noch dranhängen und komme deswegen erst Ende Oktober zurück. Aber diese Zeit brauche ich ohnehin, damit ich alles regeln kann, um Tommy mitzunehmen.«

»Ist das nicht sehr kompliziert?«, wollte Anna wissen.

»Leider ja. Aber Norma war Deutsche und nicht mit Tikun verheiratet. Tommy hat in Gulu keine Verwandten mehr, die ihn nehmen könnten. Das erleichtert einiges. Die Leute von der Hilfsorganisation werden mich bei allem unterstützen, auch mit ihrer Rechtsberatung.«

»Und wo ist der Kleine jetzt?«

»Um Tommy kümmert sich im Moment das ganze Team dort. Er ist ein echter Sonnenschein – wie seine Mutter. Ich muss gestehen, dass ich ihn schon vermisse. Seit ich weiß, dass ich für ihn verantwortlich bin, ist er mir noch mal mehr ans Herz gewachsen.«

»Das kann ich verstehen«, beteuerte Anna.

»Ich hoffe sehr, dass er den Umzug nach Deutschland gut verkraften wird. Es wird natürlich alles eine sehr große Umstellung für ihn werden.«

»Ich denke, dass es jetzt in diesem Alter noch einfacher ist, als es in ein paar Jahren wäre«, sagte ich.

»Ihr werdet mir jetzt aber nicht beibringen, dass ihr von hier wegziehen wollt?«, fragte Anna plötzlich.

»Wir hatten noch gar keine Gelegenheit, darüber zu sprechen«, sagte ich.

»Wage es ja nicht!«, sagte Anna leise.

Ich wusste, mit welchem emotionalen Auf und Ab sie gerade wegen Leos Umzug nach Wien zu kämpfen hatte und dass sie sich nicht vorstellen wollte, auch ich könnte womöglich bald nicht mehr hier sein.

Doch auch ich wollte nicht aus Prien weg. Die kleine Gemeinde am Chiemsee war mir längst eine Heimat geworden. Ich schaute zu Hendrik.

»Ich weiß, dass du ein tolles Angebot aus einer Praxis in Hamburg hattest. Aber ich suche auch schon seit einer Weile nach einem passenden Kollegen, der als zweiter Zahnarzt bei mir einsteigt.«

»Das wäre doch ideal«, rief Ilona sofort.

»Wir sind in der Praxis alle ein echt gutes Team«, erklärte Anna.

»Ich meine das jetzt wirklich ganz im Ernst, Hendrik«, beteuerte ich. »Könnest du dir das vorstellen?«

Hendrik lächelte.

»Mit dem Gedanken könnte ich mich tatsächlich anfreunden. Es ist schön hier in dieser Gegend. Ich glaube, Tommy und ich könnten uns sehr wohlfühlen.«

»Für kleine Kinder ist es hier ideal«, beteuerte Anna. »Es gibt tolle Kindergärten, Schulen und Freizeitangebote.«

Ich nickte plötzlich nachdenklich.

»Die Sache ist nur die, wenn wir tatsächlich zusammenziehen wollen und Jenny im neuen Jahr auch noch kommt, dann wird diese Wohnung hier zu klein für uns alle«, gab ich zu bedenken.

»Jenny?«, fragte Hendrik irritiert.

»Das Mädchen, das ich auf den Kapverden kennengelernt habe. Wenn alles klappt, dann wird sie im Januar für ein Jahr als Au-Pair hierherkommen. Und sie braucht unbedingt ein eigenes Zimmer.«

»Wow – das entwickelt sich langsam zu einem echt großen Ding«, sagte Hendrik und grinste schräg.

Das war wirklich viel auf einmal. Nicht nur für ihn.

Für einen Moment fragte ich mich, ob das nicht alles doch ein wenig zu schnell zu viel werden könnte. Würden Hendrik und ich damit auch noch genügend Raum für unsere erneut erblühende Liebe haben? Oder würde sich alles nur noch um die Kinder drehen? Doch ihn deswegen gehen lassen?

Ganz bestimmt nicht! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

»Ich wüsste da ein Haus für euch, das relativ schnell frei sein kann«, unterbrach Anna meine Gedanken – sie wollte wohl wirklich nicht, dass wir über ein Wegziehen nachdachten. »Es ist zwar nicht riesig, aber es hat ausreichend Zimmer für euch alle und einen hübschen kleinen Garten.«

»Du meinst Pauls Haus, oder?«, fragte Ilona.

»Ja. Er ist nur noch ab und zu dort, wenn er mal wirklich ganz ungestört an seinen Übersetzungen arbeiten möchte. Und manchmal übernachten die Mädchen dort mit Freunden. Aber die meiste Zeit steht es leer, und deswegen möchte mein Mann es vermieten.«

»Das Haus wäre tatsächlich eine Alternative«, sagte ich. »Ganz in der Nähe gibt es einen Spielplatz und einen gemütlichen Biergarten.«

»Und schon hast du mich überredet«, sagte Hendrik schmunzelnd.

»Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch das Haus morgen anschauen«, bot Anna an.

»Gern. Wenn das geht?«, fragte Hendrik.

»Klar.«

»Ich merke schon, ihr habt hier für alles ziemlich fix eine Lösung parat«, meinte Hendrik.

»Ich fürchte, es muss tatsächlich auch schnell gehen«, gab ich zu bedenken. »Wenn wir von Anfang an zusammenziehen wollen, müssten wir das mit einem Umzug bald entscheiden. Das würde es vor allem für Tommy einfacher machen, der dann mit eurer Rückkehr gleich in sein neues Zuhause ziehen könnte und nicht erst noch woanders unterkommt und sich dort eingewöhnt«, sagte ich.

»Das wäre wirklich gut für den Kleinen«, stimmte Hendrik mir zu. »Aber wenn es so schnell gehen soll, dann kann ich leider nicht mithelfen, was deinen Umzug betrifft.«

»Das kriegen wir schon hin. Mach dir da mal keine Sorgen. Wir packen alle mit an«, erklärte Ilona.

»Das Haus kann relativ bald ausgeräumt werden. Allerdings müsste man ein paar kleine Schönheitsreparaturen machen. Und einige Zimmer gehören neu gestrichen«, sagte Anna.

Ich lächelte.

»Ich kenne da jemanden. Herr Rixner wird sich bestimmt über einen neuen Auftrag freuen.«

Da Hendrik nur noch wenige Tage hier sein würde, schmiedeten wir fleißig weiter Pläne, und ich stellte glücklich fest, dass Ilona und Anna echt gut mit ihm klarkamen.

Als ich kurz in die Küche ging, um Getränke zu holen, folgte Anna mir.

»Und, was sagst du?«, fragte ich.

»Wenn man euch beide zusammen sieht, dann hat man das Gefühl, als wärt ihr schon ewig zusammen. Das wirkt sehr harmonisch und vertraut.«

»Wir kennen uns ja auch schon ewig. Auch, wenn wir dazwischen eine lange Auszeit hatten. Aber irgendwie haben wir uns wohl doch nicht zu sehr verändert.«

»Vielleicht hat genau diese Auszeit euch die Liebe gerettet.«

»Vielleicht. Es geht aber trotzdem alles rasend schnell, oder?«, fragte ich sie.

»Das schon, aber ich habe ein richtig gutes Gefühl. Außerdem weiß ich doch selbst am besten aus eigener Erfahrung, wie schnell es manchmal gehen kann.«

»Allerdings.« Ich grinste. »Ist das ansteckend?«

»Kann sein … Aber die Situation ist ja auch nicht einfach, und es bleibt kaum Zeit, um sich lange darüber Gedanken zu machen. Außerdem: Eine Garantie für eine Beziehung gibt es doch ohnehin nicht, ob man sich erst kurz kennt oder schon ewig. Und in eurem Fall ist da ja schon viel von früher da.«

»Das stimmt. Mehr sogar, als ich es mir hätte vorstellen können.«

»Und ich freue mich sehr, dass zwei kleine Jungs ziemlich tolle Eltern bekommen werden.«

»Und eure Lena Charlotte kann sich später mal einen der beiden schnappen.«

Anna lächelte.

»Lassen wir uns überraschen.«

Ich atmete einmal tief ein und aus.

»Mein Leben stellt sich grade ganz schön auf den Kopf!«, sagte ich.

»Allerdings. Wichtig ist, dass du dir sicher bist, das Wagnis einzugehen!«

»Auch wenn ich nicht weiß, woher dieser Mut kommt, aber so wie es aussieht – das bin ich!«

Nachdem Anna und Ilona längst weg waren, lagen Hendrik und ich eng zusammengekuschelt im Bett.

»Danke, Zoe!«, flüsterte er in der Dunkelheit.

»Wofür?«

»Dass du die bist, die du bist.«

»Dabei weiß ich doch selbst manchmal gar nicht, wer genau ich wirklich bin.«

»Für mich bist du jedenfalls der Mensch, mit dem zusammen ich mich am glücklichsten fühle.«

»Ich mich auch mit dir«, sagte ich.

Eine Weile lang schwiegen wir.

»Wir werden das alles schaffen, oder?«, murmelte er plötzlich.

»Na, das will ich doch hoffen! Auch wenn es vermutlich manchmal ein wenig chaotisch werden wird. Aber hey, viele Familien haben zwei und noch mehr Kinder. Die schaffen das ja auch alle.«

Er nickte.

»Außerdem werden Anna und Ilona uns unterstützen, wenn wir sie brauchen.«

»Mit den beiden hast du zwei wirklich besondere Freundinnen.«

»Allerdings. Und da gibt es noch einige andere, die du noch kennenlernen wirst. Wie heißt es doch immer so schön: Ein Kind braucht ein Dorf. Und das werden Tommy und der kleine Herr Petrides hier auf jeden Fall haben.«

»Hast du eigentlich schon einen Namen für das Kind?«, fragte Hendrik.

»Ich möchte ihn nach meinem Vater benennen.«

»Wie schön! Das passt super!«, sagte Hendrik, der meinen Vater kennengelernt hatte, kurz bevor er starb.

»Finde ich auch.«

»Zoe, es tut mir leid, dass ich noch mal für ein paar Wochen wegmuss und du jetzt so viel ohne mich erledigen musst«, sagte er zerknirscht.

»Das muss dir nicht leidtun. Du musst mir nur fest versprechen, gut auf dich aufzupassen und gesund mit dem Jungen zurückzukommen.«

»Versprochen.«

Wir küssten uns. Ich spürte, wie er seine Hand auf meinen Bauch schob.

»Man kann es wirklich kaum fassen, dass da ein kleiner Mensch heranwächst.«

Plötzlich rutschte er nach unten, so dass sein Kopf neben meinem Bauch war.

»Hey Kleiner, ich freue mich schon sehr auf dich!«, sagte er.

»Ich bin mir sicher, dass es ihm genauso geht, auch wenn er es noch nicht weiß.«

Nachdem wir am nächsten Tag das Haus angeschaut hatten, war Hendrik begeistert.

»Ein perfekter Ort für eine Familie.«

»Mir gefällt es auch sehr gut«, sagte ich und überlegte bereits, wer welches Zimmer bekommen sollte.

Wir vereinbarten, dass der Umzug Mitte Oktober stattfinden sollte. Bis Hendrik mit Tommy Ende Oktober kommen würde, sollte alles fertig sein. Das bedeutete für mich noch viel Arbeit und Organisation bis dahin, aber ich fühlte mich ziemlich fit und würde viel Unterstützung bekommen.

»Schön – ich freue mich zu wissen, dass ich mit euch so tolle Mieter bekomme«, sagte Paul. Sein Handy klingelte.

»Entschuldigt, da muss ich kurz rangehen!«

Er verschwand aus dem Zimmer.

»Echt ein netter Typ, Annas Mann.«

»Ist er … Was meinst du, sollen wir uns dieses Zimmer schnappen als unser Schlafzimmer?«

Es hatte einen kleinen Balkon zum Garten.

»Ja … Hier passt ein riesiges Bett rein«, stimmte Hendrik zu und grinste.

»Hendrik?«

»Ja?«

Mein Herz schlug plötzlich schneller. Seit letzter Nacht ging ein Gedanke in meinem Kopf herum.

»Denkst du, die Sache mit Tommys Adoption wäre einfacher, wenn wir beide verheiratet wären?«

So, jetzt hatte ich es ausgesprochen!

»Zoe, ist das jetzt ein indirekter Heiratsantrag?«, fragte er, und seine Augen funkelten vergnügt.

»Du hast mich durchschaut!«, antwortete ich aufgeregt.

»Wenn du mich nur deswegen heiraten möchtest, weil es womöglich die Adoption vereinfachen könnte, dann sage ich nein.«

»Puh, du machst es mir nicht gerade leicht …« Ich holte tief Luft und nahm dann seine Hand. »Also gut … Hendrik Scholler, ich habe mich zweimal total in dich verliebt. Und ich finde, das ist ein ziemlich deutliches Zeichen. Ich wünsche mir, dass wir beide den Rest unseres Lebens zusammen verbringen. Mit unseren Kindern. Und zwar mit offiziellem Segen. Willst du mein Mann werden?«

Mein erster Heiratsantrag.

»Zoe Petrides. Nachdem auch ich mich zweimal in dich verliebt habe, ist das womöglich tatsächlich ein deutliches Zeichen. Ja. Ich möchte dein Mann werden«, machte er es kurz.

»Wehe, du hättest Nein gesagt!«, murmelte ich erleichtert, dann zog er mich an sich, und wir küssten uns.

Als wir uns wieder voneinander lösten, schaute er mich mit einem Blick voller Liebe an.

»Ich freue mich sehr darauf, mit dir verheiratet zu sein, Zoe … Und vielleicht hilft es ja tatsächlich, die Adoption zu erleichtern. Danke!«

»So bin ich eben! Außerdem wärst du ab der Geburt automatisch der rechtliche Vater des kleinen Herrn Petrides, und diese Vorstellung mag ich sehr.«

»Ich auch!«

Ich gab ihm noch mal einen kurzen Kuss, dann holte ich mein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.

»Ilona? Wie schnell kannst du einen kleinen Hochzeitsumtrunk organisieren?«

»Hochzeitsumtrunk?«

Wie gerne hätte ich jetzt ihr Gesicht gesehen!

Es war das Verrückteste, das ich jemals gemacht hatte. Und ich hatte wirklich schon viel Verrücktes in meinem Leben gemacht. Die Bürgermeisterin ermöglichte es uns, noch vor Hendriks Abreise einen Termin für die standesamtliche Trauung zu bekommen. Außerdem wollte sie es sich nicht nehmen lassen, die Zeremonie persönlich durchzuführen. Hendrik ließ sich von einem Kurier die Geburtsurkunde aus Hamburg überbringen. Leider schafften wir es in der kurzen Zeit nicht, alles so zu organisieren, dass seine Mutter zur Hochzeit anreisen konnte. Doch wir hatten eine andere Idee, damit sie dabei sein konnte. Wir würden sie einfach per Video dazuholen.

»Dass bei dir und deinen Freundinnen immer alles so schnell gehen muss?«, sagte Ben, der sich spontan als mein Trauzeuge zur Verfügung gestellt hatte, während Ilona in dieser Funktion Hendrik zur Seite stehen würde.

»Tut mir leid, Ben. Aber so sind wir eben.«

»Er ist übrigens ein cooler Typ«, flüsterte er. »Ihr passt toll zusammen. Und du siehst ganz bezaubernd aus.«

»Danke!«

Da natürlich keine Zeit geblieben war, ein Brautkleid zu besorgen, trug ich heute das helle Kleid, das ich an dem Tag anhatte, als ich mit meinen Freundinnen in die Kinderwunschklinik gefahren war. Sinnbildlich stand dieses Kleid für mich für einen Neuanfang und passte somit vermutlich besser zu diesem Tag, als ein noch so teures Hochzeitskleid es je gekonnt hätte. Mina hatte es für mich noch rasch ein wenig abgeändert, damit es an der Taille nicht zu eng war. Und auch bei der Oberweite musste sie ein wenig nachhelfen.

»Ich hätte ja nie gedacht, dass ich das mal sagen würde«, flüsterte Ilona. »Aber pass bloß auf, dass deine Brüste nicht rausspringen.«

Ich lachte leise.

»Nur kein Neid!«

»Pfff.«

Plötzlich stand Hendrik vor mir.

»Du siehst wunderschön aus, Zoe.«

»Danke! Du auch!«

Er lächelte.

»Bist du so weit?«

»Ja!« In diesem Moment spürte ich einen ordentlichen Tritt. Der kleine Herr Petrides hatte wohl auch nichts dagegen – es konnte losgehen.

Drei Stunden vor seiner erneuten Abreise nach Uganda gaben wir uns im Rathaus das Eheversprechen. Im Kreis weniger Menschen, die nicht nur gute Freunde, sondern für mich Familie waren. Und es sicherlich in Zukunft auch für Hendrik und unsere Kinder sein würden.

Nach einem kleinen Umtrunk mit Häppchen standen Hendrik und ich nun am Bahnhof. Das Wetter hatte am Morgen erheblich abgekühlt, und ein nasskalter Wind pfiff uns am Bahnsteig um die Ohren. Wir warteten darauf, dass der Zug einfuhr.

»Irgendwie gemein, dass du die Hochzeitsreise ohne mich machst«, scherzte ich in dem Versuch, mir nicht anmerken zu lassen, wie schwer es mir fiel, mich gleich von ihm verabschieden zu müssen.

»Tja … wir leben eben in ziemlich modernen Zeiten«, sagte er mit einem übertriebenen Schulterzucken.

»Bei uns läuft wohl generell alles ein wenig anders«, stellte ich fest.

»Allerdings – und ich finde das spannend. Eines weiß ich bestimmt: Mit dir wird das Leben ganz sicher nie langweilig werden.«

»Dito!«

Hendrik nahm mein Gesicht zwischen seine Hände.

»Hab ich dir übrigens schon mal gesagt, dass ich dich liebe, Zoe Petrides-Scholler?«

Wir hatten uns darauf geeinigt, dass ich künftig einen Doppelnamen trug.

»Nicht in der letzten halben Stunde«, antwortete ich.

»Dann hole ich das schleunigst nach«, sagte er und flüsterte mir die drei Worte ins Ohr. Ich bekam eine Gänsehaut.

»Ich liebe dich auch, mein Ehemann«, flüsterte ich.

»Die Hochzeitsnacht holen wir nach!«, versprach er.

»Denkst du, wir kommen mit zwei kleinen Kindern in den nächsten Jahren überhaupt jemals dazu?«, fragte ich, nur halb im Spaß.

Er lachte, dann sah er mich mit einem intensiven Blick an, der mir ein wildes Flattern im Bauch bescherte, mit dem der kleine Herr Petrides diesmal nichts zu tun hatte.

»Ich werde dafür sorgen, dass wir unsere Hochzeitsnacht bekommen werden, Zoe. Deine Freundinnen werden sicherlich als Babysitter einspringen.«

In diesem Moment fuhr langsam der Zug ein. Wir gaben uns einen letzten Kuss zum Abschied. Ganz plötzlich hatte ich ein mulmiges Gefühl. Fast so, als wäre es ein Abschied für immer. Am liebsten hätte ich ihn festgehalten.

»Komm bloß wieder zurück«, forderte ich eindringlich.

»Was denkst du denn? Natürlich komme ich wieder zurück, mein Schatz! Und du passt bitte gut auf dich und den kleinen Herrn Petrides auf! Ich werde versuchen, mich so oft wie möglich bei dir zu melden.«

»Ja! Und mach bitte viele Fotos und Videos dort. Und ganz viele von Tommy, auch mit den Leuten dort. Dann machen wir für ihn ein tolles Album für später. Und einen kleinen Film aus der Zeit, in der er als Baby in Uganda gelebt hat.«

»Das ist eine wunderbare Idee, Zoe. Ich bin mir sicher, du wirst eine super Mama für ihn sein.«

»Ich werde zumindest mein Bestes versuchen«, beteuerte ich. Gestern hatten wir schon einige Videos von mir für Tommy aufgenommen, damit er auf diese Weise schon ein wenig mit mir vertraut wurde.

Noch eine kurze Umarmung. Dann nahm Hendrik seinen Trolley und stieg ein.

»Gute Reise!«

Ich blieb noch stehen, bis er an seinem Platz war. Von dort aus winkte er mir aus dem Fenster zu, so lange, bis der Zug abfuhr. Mir war nach Heulen zumute.

Stell dich nicht so an, Zoe! , schimpfte ich mit mir selbst. Dann fischte ich mein Handy aus der Tasche und schrieb eine Nachricht an Anna und Ilona.

Heute Abend Dolce Vita?

Es dauerte nicht lange, und beide schrieben zurück. Ich lächelte und reservierte telefonisch einen Tisch.