Eigentlich war es kein Draußen-Tag, sondern ein ausgesprochener Drinnen-Tag. Auf gar keinen Fall war es aber ein Angel-Tag, denn es hatte geregnet. Aus dem durchnässten Boden krochen feuchtkalte Schwaden und windig war es außerdem. Aber Gottlieb Helfrich hatte sich nun einmal vorgenommen zu angeln. Und was sich der alte Helfrich vornahm, führte er auch aus. So einer war er.
Deshalb saß er jetzt in dickem Wollpullover, Pudelmütze und Gummistiefeln mit seiner Angelrute in einem abgewetzten Klappstuhl am Bach. Wie immer angelte er ohne Köder, einmal, weil ihm die Würmer leidtaten, und außerdem, weil er sich aus Bratfisch rein gar nichts machte.
Dennoch hatte er schon die tollsten Sachen aus dem Wasser gezogen. Blechbüchsen. Einen verrosteten Wecker – leider nicht mehr zu retten. Ein Regenschirmskelett. Daraus hatte er eine Wäschespinne gebastelt und die hing jetzt über dem Küchenherd. Schuhe mit und ohne Löcher, Stiefel, Pantoffeln, Sandalen, dummerweise immer nur Einzelgänger. Plastikflaschen in allen Größen. In einige hatte er ein Loch geschnitten und sie als Nistkästen in die Obstbäume gehängt – zum großen Verdruss von Kater Snobby hundertprozentig katzensicher. Seither erfreuten Helfrich zwar Scharen von Zwitscherfreunden, aber von seinen Kirschen bekam er nur noch die Kerne ab. Doch das nahm er in Kauf, man konnte eben nicht alles haben.
Einmal hatte er doch tatsächlich eine alte Schreibmaschine an der Angel! Die hatte noch gar nicht so lange im Wasser gelegen und war kaum verrostet. Mit Geduld und Spucke und etwas Nähmaschinenöl brachte er sie wieder auf Vordermann. Sogar das Glöckchen am Zeilenende. – Bling!
Ja, der Bach gab so einiges her. Gottlieb Helfrich betrachtete die siebenundsiebzigeinhalb Meter Bach, die durch seinen Garten flossen, als Eigentum. Und deshalb nutzte er die Schätze, die er herauszog, ohne schlechtes Gewissen für seine eigenen Zwecke. So zum Beispiel die große Blechdose, in der er jetzt Kekse aufbewahrte.
Mecker-Dose hatten seine Mitbewohner die Büchse getauft. Wasser, Rost und Helfrichs Schleifpapier hatten nämlich nur noch Reste der Aufschrift stehen lassen, und zwar:
Grete Petete, Brumm Gnatzig und Roberto Blech hatten herumgerätselt, was die Aufschrift wohl bedeuten sollte. Grete Petete hatte die hübsche Puppenstirn gekräuselt. »Das könnte vielleicht heißen: Kein Gemecker …« Aber dann kam sie nicht weiter und schwieg lieber, sie sagte ungern etwas Falsches.
»Ei… ein – Meck… Mecker – Toff… Toffel – al… ala«, wiederholte Roberto Blech stockend. Aber dem altmodischen Spielzeugroboter fiel ja auch sonst nie viel ein, vor allem, wenn er wie jetzt wieder aufgezogen werden musste.
Brumm begutachtete die Schrift mit dem neuen blauen Glasauge, weil er damit schärfer sah als mit dem anderen. »Ah ja! Mmm!«, brummte er. »Einwandfrei! Fraglos! Es heißt: Reiner Mecker-Stoffel, tralala.«
Gottlieb Helfrich hatte den Kopf geschüttelt. »Kinder! Es ist zwar nicht wichtig. Aber vermutlich stand da mal: Feinschmecker Kartoffelsalat.«
»Manche Leute wissen eben alles besser«, brummte Brumm Gnatzig.
»Feinschmecker Kartoffelsalat wäre auch möglich«, bemerkte Grete, die Brumms verletzten Blick aufgefangen hatte. »Aber ich persönlich finde, Reiner Mecker-Stoffel, tralala hört sich eine Spur richtiger an. Nur eine Spur …« Sie warf dem alten Helfrich ein entschuldigendes Lächeln zu. »Nicht böse sein, Opa Helfrich!«
Da hatte der alte Helfrich ein wenig in sich hineingeseufzt und die Sache auf sich beruhen lassen. Es war ja wirklich nicht wichtig. Außerdem wollte er kein weiteres Gemecker wegen einer dummen Dose, die seither allerdings Mecker-Dose hieß und, wie schon gesagt, als Keksdose diente.
Manchmal dachte er ergeben, dass seine Schützlinge ganz schön anstrengend waren. Aber ohne sie …? Nein! Er hatte sich in all den Jahren zu sehr an die Spielzeugbande gewöhnt! Nur Kater Snobby hatte noch seine Probleme mit ihnen – aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Wie lange sie nun schon alle zusammenwohnten, hätte der alte Helfrich nicht mehr sagen können. Es war ja auch eine Weile her, dass er seinen kleinen Laden aufgegeben hatte.
hatte auf dem Schild über der Tür gestanden.
Tag für Tag waren kaputte Puppen, zerschlissene Plüschtiere, zerbrochene Hampelmänner, ramponierte Spielzeugautos und Eisenbahnen und was sonst noch alles bei ihm abgegeben worden. Und Tag für Tag hatte er mit Liebe und Geschick zerbrochene Köpfe geklebt, Arme und Beine ersetzt, Felle geflickt und Bälge gestopft, Zahnräder ausgewechselt und Getriebe geölt. Alles konnte er reparieren – fast alles.
Nur selten kam es vor, dass man mit seiner Arbeit nicht zufrieden war. Grete Petete war so ein Fall.
Der hübschen Puppe hatte ein Bein gefehlt. Da sie aber ein veraltetes Modell aus Zelluloid war (was sie gar nicht gerne hört – psst!), konnte die Puppenfabrik kein Ersatzbein in der richtigen Länge mehr liefern. So sah sich der alte Helfrich gezwungen, ihr ein etwas kürzeres zu verpassen. Solange Grete saß, bemerkte man davon nichts. Stellte man sie aber hin, stand sie schief wie ein Matrose auf Landgang. Da das kleine Mädchen, dem Grete Petete gehörte, inzwischen eine neue Puppe hatte, ließ es Grete einfach im Laden zurück. Noch dazu, ohne die Reparatur zu bezahlen.
Brumm Gnatzig hatte ein ähnliches Schicksal erlitten. Sein Besitzer hatte ihm auf brutalste Weise eines der grünen Glasaugen herausgerupft und, als wäre das nicht schlimm genug, ihm auch noch ein Loch in den Wanst geschnitten. Wie explodierte Zuckerwatte quoll die Füllung aus Brumm heraus, als er in die Werkstatt gebracht wurde. Unglücklicherweise waren nur noch blaue Glasaugen vorrätig. Aber der alte Helfrich hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, dem bedauernswerten Brumm auch noch das zweite grüne Auge herauszuoperieren – was zweifelsohne auch für einen Teddybären sehr schmerzhaft ist. Mit aller Vorsicht hatte er also ein blaues in den Plüschkopf gesteckt. Dann hatte er noch ein wenig frische Watte in den Bärenbauch gestopft und einen Flicken daraufgesetzt. Brumm war damit wieder völlig hergestellt. Trotzdem wurde er nie abgeholt, was sich letztlich als Glücksfall für ihn herausstellen sollte. Glück im Unglück, wie man so sagt.
Mit Roberto Blech war das so: Er gehörte zu der Sorte Blechroboter, die schon seit Langem nicht mehr gebaut werden. Ohne Batterien, zum Aufziehen. Ein älterer Herr hatte ihn beim Aufräumen auf dem Speicher gefunden. Nicht mehr funktionstüchtig, aber auch zu schade zum Wegwerfen, landete Roberto schließlich im Laden. Gottlieb Helfrich sollte ihn reparieren.
Das mit dem Reparieren war aber gar nicht so einfach gewesen, denn in Robertos Blechbauch hatte es schrecklich ausgesehen: Zahnräder verbogen, Zacken abgebrochen, Schmutz und Rost überall. Außerdem fehlte der Aufziehschlüssel. Es kostete den guten Helfrich viel Zeit und Geduld, aber schließlich brachte er den Blechmann doch wieder zum Laufen, und zwar mit dem Schlüssel seiner Kuckucksuhr. Doch der alte Mann, der ihn gebracht hatte, kam nicht wieder.
Damit gehörte nun auch Roberto zu den Kandidaten, die Ladenhüter blieben und auf dem Regal mit der Aufschrift FERTIGE REPARATUREN ausharrten, bis Helfrich das Geschäft aus Altersgründen aufgab. Grete, Brumm und Roberto sahen so todtraurig und verlassen aus, dass es dem alten Puppendoktor ins Herz schnitt. Und so nahm er sie zu sich in sein kleines Häuschen.
Warum die übrig gebliebenen Spielsachen plötzlich zum Leben erwachten? Und weshalb sie begannen, Gottlieb Helfrich Opa Helfrich zu nennen? – Zweifelsohne war es ein Zauber, ein ganz besonderer Zauber. Es war der Zauber von Helfrichs großer Liebe, der die Herzen seiner Schützlinge zum Schlagen brachte.