IM SCHLAFZIMMER MIT seinen gemalten Lauben sieht der verbrannte Patient in große Entfernungen. So wie jener tote Ritter in Ravenna, dessen Marmorleib, fast fließend, zu leben scheint, das Haupt auf dem Steinkissen erhoben hat, damit er über seine Füße hinweg in die Ferne schauen kann. Weiter als bis zum ersehnten Regen von Afrika. Hin zu ihrer aller Leben in Kairo. Ihrem Tun, ihren Tagen.
Hana sitzt an seinem Bett, und sie begleitet ihn während dieser Reisen wie ein Schildknappe.
1930 hatten wir damit angefangen, den größeren Teil des Gilf-Kebir-Plateaus kartographisch zu erfassen, auf der Suche nach der verlorenen Oase, die man Zarzura nannte. Die Stadt der Akazien.
Wir waren Wüsteneuropäer. John Bell hatte das Gilf 1917 ausfindig gemacht. Dann Kemal el Din. Dann Bagnold, der den Weg von Süden ins Sandmeer fand. Madox, Walpole von der Wüstenvermessung, Seine Exzellenz Wasfi Bey, Casparius, der Fotograf, Dr. Kádár, der Geologe, und Bermann. Und das Gilf Kebir – jenes große Plateau, das in der Libyschen Wüste ruht, von der Größe der Schweiz, wie Madox gern sagte – war unser Herz, seine schroffen Steilabbrüche zum Osten und Westen hin, nach Norden allmählich abfallend. Es erhob sich aus der Wüste, sechshundertvierzig Kilometer westlich vom Nil.
Die frühen Ägypter vermuteten kein Wasser westlich der Oasenstädte. Die Welt endete da draußen. Das Innere war ohne Wasser. Aber in der Leere der Wüsten ist man immer von verlorener Geschichte umgeben. Tebu- und Senussi-Stämme waren dort umhergezogen im Besitz von Brunnen, die sie mit großer Heimlichkeit hüteten. Es gab Gerüchte über fruchtbares Land, das im Wüsteninneren versteckt sei. Im dreizehnten Jahrhundert sprachen arabische Schriftsteller von Zarzura. »Die Oase der kleinen Vögel.« »Die Stadt der Akazien.« Im Buch der verborgenen Schätze, dem Kitab Al Durr Makmuz, wird Zarzura als weiße Stadt geschildert, »weiß wie eine Taube«.
Sehen Sie sich eine Karte der Libyschen Wüste an, und Ihnen werden die Namen auffallen. Kemal el Din im Jahre 1925, der, fast allein, die erste moderne Großexpedition ausführte. Bagnold von 1930 bis 1932. Almásy-Madox 1931 bis 1937. Genau nördlich vom Wendekreis des Krebses.
Wir waren eine zusammengewürfelte Nation für uns, die da zwischen den Kriegen kartographierte und forschend nachhakte. Wir versammelten uns in Dachla und Kufra, als wären das Bars oder Cafés. Eine Oasengesellschaft nannte Bagnold das. Wir wußten Bescheid über die persönlichsten Dinge eines jeden, die Fertigkeiten und Schwächen des anderen. Wir verziehen Bagnold wegen der Art und Weise, wie er über Dünen schrieb, so ziemlich alles. »Die Rillen und der geriffelte Sand ähneln der Wölbung eines Hundegaumens.« Das war der echte Bagnold, ein Mann, der seine wißbegierige Hand in einen Hunderachen steckte.
1930. Unsere erste Reise, die südlich von Jaghbub hinein in die Wüste führte, mitten ins Reich der Zwaya- und Majabra-Stämme. Eine siebentägige Reise bis nach El Tadsch. Madox und Bermann, vier weitere. Einige Kamele, ein Pferd und ein Hund. Als wir aufbrachen, erzählte man uns den alten Scherz. »Eine Reise bei einem Sandsturm zu beginnen bedeutet Glück.«
Die erste Nacht kampierten wir zweiunddreißig Kilometer südlich. Am nächsten Morgen wachten wir um fünf auf und krochen aus unseren Zelten. Zu kalt zum Schlafen. Wir traten zu den Lagerfeuern und saßen in ihrem Licht innerhalb der größeren Dunkelheit. Über uns standen die letzten Sterne. Erst in zwei Stunden würde die Sonne aufgehen. Wir ließen Gläser mit heißem Tee herumgehen. Die Kamele wurden gefüttert, halb schlafend kauten sie die Datteln mitsamt den Dattelkernen. Wir frühstückten und tranken dann drei weitere Gläser Tee.
Stunden später gerieten wir in den Sandsturm, der uns aus klarem Morgen heraus anfiel, aus dem Nichts kommend. Die Brise, die erfrischend gewesen war, hatte nach und nach an Stärke zugenommen. Schließlich sahen wir auf den Boden, und die Oberfläche der Wüste war verändert. Geben Sie mir das Notizbuch ... hier. Das ist Hassanein Beys wundervoller Bericht von solchen Stürmen –
»Es ist, als wäre die Oberfläche mit Dampfröhren unterlegt, mit Tausenden von Düsen, durch die winzige Strahlen Dampf hinausgeblasen werden. Der Sand hüpft in kleinen Rucks und Wirbeln. Zentimeter um Zentimeter hebt sich die Unruhe, so wie der Wind an Stärke gewinnt. Es scheint, als höbe sich die ganze Oberfläche der Wüste in Übereinstimmung mit einer unterirdischen, nach oben stoßenden Kraft. Größere Kieselsteine schlagen gegen Schienbein, Knie, Oberschenkel. Die Sandkörnchen klettern am Körper hoch, bis der Sand ins Gesicht schlägt und über den Kopf hinaus geht. Der Himmel hat sich entzogen, alles außer den nächsten Gegenständen entschwindet der Sicht, das Universum füllt sich.«
Wir mußten immer in Bewegung bleiben. Wenn man haltmacht, staut sich der Sand, wie um alles, was stillsteht, und schließt einen ein. Man ist für alle Zeit verloren. Ein Sandsturm kann fünf Stunden dauern. Selbst als wir in späteren Jahren in Lastautos saßen, mußten wir, ohne etwas sehen zu können, immer weiterfahren. Die schlimmsten Schrecken kamen nachts. Einmal, nördlich von Kufra, wurden wir im Dunkeln von einem Sturm angefallen. Drei Uhr in der Frühe. Der Sturmwind fegte die Zelte aus ihren Befestigungen, und mit ihnen wurden wir weggerollt, Sand aufnehmend, wie ein sinkendes Schiff Wasser aufnimmt, nach unten gedrückt, erstickten fast, bis wir von einem Kameltreiber herausgehauen wurden.
Wir reisten in neun Tagen durch drei Stürme. Wir verpaßten kleine Wüstenstädte, wo wir eigentlich noch Proviant hatten auftun wollen. Das Pferd verschwand. Drei der Kamele starben. An den beiden letzten Tagen gab es keine Nahrung, nur Tee. Die letzte Verbindung mit einer anderen Welt war das Klirren der rußigen Teemaschine und des langen Löffels und des Glases, das im Dunkel der Morgen zu uns drang. Nach der dritten Nacht hörten wir zu reden auf. Alles, was zählte, war das Feuer und das bißchen braune Flüssigkeit.
Nur durch Glück stießen wir auf die Wüstenstadt El Tadsch. Ich spazierte durch den Souk, das Gäßchen mit den Uhren, die gerade die Stunde schlugen, in die Straße der Barometer hinein, vorbei an den Buden mit Patronen, Verkaufsständen mit italienischer Tomatensauce und anderen Konserven aus Bengasi, Kattun aus Ägypten, Straußenfedernschmuck, vorbei an ambulanten Zahnärzten, Buchhändlern. Wir waren noch stumm, jeder einzelne von uns verschwand auf eigenen Wegen. Wir nahmen diese neue Welt langsam auf, als wären wir eben dem Ertrinken entkommen. Wir setzten uns auf den Hauptplatz von El Tadsch und aßen Lamm, Reis, badawi-Kuchen, tranken Milch mit geriebenen Mandeln. All das nach dem langem Warten auf die drei zeremoniellen Gläser Tee, gewürzt mit Johanniskraut und Minze.
Irgendwann im Jahre 1931 schloß ich mich einer Beduinenkarawane an, und man sagte mir, es gebe da noch einen anderen von uns. Fenelon-Barnes, wie sich herausstellte. Ich ging zu seinem Zelt. Er war den Tag über unterwegs auf einer kleinen Expedition, katalogisierte versteinerte Bäume. Ich schaute mich etwas um in seinem Zelt, ein Stapel Landkarten, die Fotos seiner Familie, die er immer bei sich hatte, etc. Als ich gerade gehen wollte, bemerkte ich einen Spiegel, hoch oben an der Fellwand angebracht, und wie ich hineinschaute, sah ich das Bett widergespiegelt. Eine kleine Auswölbung darin, vielleicht ein Hund unter der Decke. Ich zog die djellaba weg, und da lag schlafend ein kleines Arabermädchen, festgebunden.
1932 war Bagnold fertig, und Madox und der Rest von uns waren in alle Winde verstreut. Auf der Suche nach dem verlorenen Heer des Kambyses. Auf der Suche nach Zarzura. 1932 und 1933 und 1934. Sahen einander monatelang nicht. Nur die Beduinen und wir, die wir kreuz und quer über die Straße der Vierzig Tage zogen. Es gab Ströme von Wüstenstämmen, die schönsten Geschöpfe, denen ich im Leben begegnet bin. Wir waren Deutsche, Engländer, Ungarn, Afrikaner – allesamt bedeutungslos für sie. Langsam wurden wir nationenlos. Ich fing an, die Nationen zu hassen. Wir sind durch die Nationalstaaten verformt. Madox starb wegen der Nationen.
Die Wüste konnte nicht als Eigentum eingefordert oder als Besitz angesehen werden – es war ein Stück Tuch, von Winden getragen, nie von Steinen niedergehalten, und hatte hundert wechselnde Namen bekommen, lange bevor Canterbury existierte, lange bevor Schlachten und Verträge Europa und den Osten zusammenstoppelten. Die Karawanen der Wüste, jene seltsamen umherziehenden Feste und Kulturen, hinterließen nichts, nicht einmal Glutasche. Wir alle, selbst jene mit europäischem Zuhause und Kindern in der Ferne, wünschten die Hüllen unserer Länder abzustreifen. Es war ein Ort des Glaubens. Wir verschwanden in der Landschaft. Feuer und Sand. Wir verließen die Häfen der Oasen. Die Stellen, wohin das Wasser kam und hinreichte ... Ain, Bir, Wadi, Foggara, Khottara, Shaduf. Ich wollte meinen Namen nicht gegen solch schöne Namen setzen. Tilg den Familiennamen! Tilg die Nationen! Ich lernte dergleichen von der Wüste.
Und doch wollten einige ihren Stempel dort hinterlassen. Auf jenem trockenen Wasserlauf, auf dieser Kieskuppe. Kleine Eitelkeiten in dieser Parzelle Land nordwestlich des Sudan, südlich der Kyrenaika. Fenelon-Barnes wollte, daß die versteinerten Bäume, die er entdeckt hatte, seinen Namen trügen. Er wollte sogar, daß ein Stamm seinen Namen annähme, und verbrachte ein Jahr mit Verhandlungen. Dann stach ihn Bauchan aus, indem er eine bestimmte Art Sanddüne nach sich benennen ließ. Ich aber wollte meinen Namen tilgen und den Ort, von dem ich stammte. Als dann der Krieg ausbrach, nach zehn Jahren Wüste, war es ein leichtes für mich, über die Grenzen zu schlüpfen, niemandem anzugehören, keiner Nation.
1933 oder 1934. Ich habe das Jahr vergessen. Madox, Casparius, Bermann, ich, zwei sudanesische Fahrer und ein Koch. Mittlerweile reisen wir in einem Ford A-Modell mit Kastenaufbau und benutzen zum erstenmal große Ballonreifen, bekannt als Lufträder. Sie fahren besser auf Sand, aber das Risiko ist, ob sie Steinfeldern und zersplittertem Felsgestein standhalten.
Wir verlassen Kharga am 22. März. Bermann und ich haben die Theorie, daß die drei Wadis, über die Wilkinson 1838 geschrieben hat, Zarzura bilden.
Südwestlich vom Gilf Kebir ragen drei isolierte Granitmassive aus der Ebene – Gebel Arkanu, Gebel Uwenat und Gebel Kissu. Sie sind jeweils etwa fünfundzwanzig Kilometer voneinander entfernt. Gutes Wasser in einigen der Schluchten, auch wenn das Brunnenwasser in Gebel Arkanu bitter schmeckt, nicht trinkbar ist, außer im Notfall. Wilkinson behauptete, drei Wadis machten Zarzura aus, aber er hat sie geographisch nie festgelegt, und darum gilt das als Erfindung. Doch schon eine Regenoase in diesen kraterförmigen Hügeln würde das Rätsel lösen, wie Kambyses und sein Heer es wagen konnten, eine solche Wüste zu durchqueren, und wie die Senussi im Ersten Weltkrieg Überfälle ausführen konnten, als die schwarzen, riesenhaften Angreifer durch eine Wüste zogen, die angeblich kein Wasser oder Weideland besitzt. Dies war eine Welt, die seit Jahrhunderten zivilisiert war, von tausend Pfaden und Straßen durchzogen.
Wir finden bei Abu Ballas Krüge in der klassischen griechischen Amphorenform. Herodot erwähnt solche Krüge.
Bermann und ich unterhalten uns mit einem schlangenähnlichen geheimnisvollen Alten in der Festung von El Dschoff – in der Steinhalle, die einst die Bibliothek des großen Scheichs der Senussi war. Ein alter Tebu, Karawanenführer von Beruf, der Arabisch mit Akzent spricht. Später sagt Bermann »wie das Kreischen von Fledermäusen«, ein Herodot-Zitat. Wir unterhalten uns den ganzen Tag mit ihm, die ganze Nacht, und er gibt nichts preis. Das Credo der Senussi, ihr oberster Grundsatz, lautet immer noch, daß die Geheimnisse der Wüste nicht vor Fremden enthüllt werden sollen.
Im Wadi el Melik sehen wir Vögel einer unbekannten Spezies.
Am 5. Mai erklimme ich eine Steinklippe und nähere mich dem Uwenat-Plateau aus einer neuen Richtung. Mit einemmal befinde ich mich in einem breiten Wadi voller Akazien.
Es gab eine Zeit, da Kartographen den Orten, die sie durchreisten, die Namen von Geliebten gaben, eher als den eigenen. Von einer, die er in einer Wüstenkarawane sich hatte waschen sehen, wie sie mit dem einen Arm Musselin vor sich hochhielt. Oder da war die Frau eines alten arabischen Dichters, deren taubenweiße Schultern ihn dazu brachten, eine Oase mit ihrem Namen zu bezeichnen. Der Felleimer schüttet Wasser über sie, sie hüllt sich in das Tuch, und der alte Schreibfuchs wendet sich von ihr ab, um Zarzura zu beschreiben.
So kann ein Mann in der Wüste in einen Namen schlüpfen wie in einen entdeckten Brunnen, und er kann in dessen schattiger Kühle versucht sein, eine solche Umfassung nie mehr zu verlassen. Ich wünschte mir sehnlich, dort zu bleiben, unter diesen Akazien. Ich ging da nicht an einem Ort, wo niemand zuvor gegangen war, sondern an einem Ort, wo es Jahrhunderte hindurch unvermutet und immer nur kurz Bewohner gegeben hatte – im vierzehnten Jahrhundert ein Heer, eine Tebu-Karawane, die Senussi-Angreifer von 1915. Und zwischendurch – war dort nichts. Wenn kein Regen fiel, welkten die Akazien, die Wadis trockneten aus ..., bis auf einmal fünfzig oder hundert Jahre später wieder Wasser auftauchte. Ein sporadisches Erscheinen und Verschwinden, wie Legenden und Gerüchte im Lauf der Geschichte.
In der Wüste wird das am meisten geliebte Wasser, wie der Name einer Geliebten, blau in den Händen getragen und rinnt dann die Kehle hinunter. Man schluckt Abwesenheit. Eine Frau in Kairo wölbt die Länge ihres weißen Körpers vom Bett auf und lehnt sich aus dem Fenster in den heftigen Regen hinaus, damit ihre Nacktheit ihn in Empfang nehmen kann.
Hana beugt sich vor, spürt sein Dahintreiben, beobachtet ihn, sagt aber nichts. Wer ist sie, diese Frau?
Die Enden der Erde sind nie die Punkte auf einer Landkarte, gegen die Siedler andrängen, um ihren Einflußbereich auszudehnen. Auf der einen Seite Diener und Sklaven und die Gezeiten der Macht und die Korrespondenz mit der Geographischen Gesellschaft. Auf der anderen der erste Schritt eines Weißen durch einen großen Fluß, der erste Blick (aus dem Auge eines Weißen) auf ein Gebirge, das es dort schon seit Ewigkeiten gibt.
Wenn wir jung sind, sehen wir nicht in den Spiegel. Erst wenn wir alt sind, besorgt um unseren Namen, unseren Mythos, um das, was unser Leben der Zukunft bedeuten wird. Wir prahlen mit Namen, die wir tragen, mit unseren Ansprüchen, die ersten Augen, das stärkste Heer, der gerissenste Kaufmann gewesen zu sein. Erst als Narziß alt ist, will er ein Götzenbild seiner selbst sehen.
Wir hingegen waren daran interessiert, auf welche Art unser Leben etwas für die Vergangenheit bedeuten könnte. Wir segelten in die Vergangenheit. Wir waren jung. Wir wußten, Macht und Kapital waren nichts Bleibendes. Wir schliefen alle mit Herodot. »Denn jene Städte, die einst groß waren, müssen nun klein geworden sein, und jene, die zu meiner Zeit groß waren, waren klein in der Zeit zuvor ... Menschenglück ist nie von Dauer.«
1936 hatte ein junger Mann namens Geoffrey Clifton in Oxford einen Freund getroffen, der erwähnte, was wir gerade taten. Er nahm Kontakt mit mir auf, heiratete am folgenden Tag und flog zwei Wochen später mit seiner Frau nach Kairo.
Das Paar trat in unsere Welt ein – die von uns vieren, Prinz Kemal el Din, Bell, Almásy und Madox. Der Name, der noch immer unser Reden bestimmte, war Gilf Kebir. Irgendwo im Gilf war Zarzura versteckt, dessen Name sich in arabischen Schriften bis zurück ins dreizehnte Jahrhundert verfolgen läßt. Wenn man so weit in die Zeit reist, braucht man ein Flugzeug, und der junge Clifton war reich, und er konnte fliegen, und er besaß ein Flugzeug.
Clifton traf uns in El Dschoff, nördlich von Uwenat. Er saß in seinem Zweisitzer, und wir gingen vom Basislager zu ihm. Er stand im Cockpit auf und goß sich einen Drink aus der Thermosflasche ein. Seine junge Frau saß neben ihm.
»Ich taufe diese Stätte Bir Messaha Country Club«, verkündete er.
Ich beobachtete die freundliche Unsicherheit, die sich im Gesicht seiner Frau zeigte, ihr löwenhaftes Haar, als sie die Lederkappe abzog.
Es waren junge Leute, die uns wie unsere Kinder vorkamen. Sie kletterten aus dem Flugzeug, und wir schüttelten uns die Hände.
Das war 1936, der Anfang unserer Geschichte ...
Sie sprangen vom Flügel der Moth. Clifton trat auf uns zu, streckte uns die Thermosflasche entgegen, und wir alle tranken schlückchenweise den warmen Alkohol. Er war einer, dem an Zeremonien lag. Er hatte sein Flugzeug Rupert Bear genannt. Ich glaube nicht, daß er die Wüste liebte, aber er hatte eine Neigung für sie, die aus der Ehrfurcht erwuchs vor unserer strengen Ordnung, der er sich fügen wollte – wie ein fröhlicher Erstsemestler, der in einer Bibliothek das Schweigegebot respektiert. Wir hatten nicht erwartet, daß er seine Frau mitbrachte, aber wir reagierten vermutlich doch recht freundlich. Sie stand da, während sich der Sand in ihrer Haarmähne fing.
Was waren wir für dieses junge Paar? Einige von uns hatten Bücher über Dünenformationen geschrieben, das Verschwinden und Wiederauftauchen von Oasen, über verlorene Wüstenkulturen. Wir schienen nur an Dingen interessiert, die man weder kaufen noch verkaufen konnte, ohne irgendwelche Bedeutung für die Außenwelt. Wir sprachen über Breitengrade oder über ein Ereignis, das siebenhundert Jahre zurücklag. Über Theoreme der Erforschung. Daß Abd el Melik Ibrahim el Zwaya, der in der Oase Zurq bei Kufra lebte und Kamele weidete, der erste Mann bei diesen Stämmen war, der das Konzept der Fotografie verstehen konnte.
Für die Cliftons waren es die letzten Tagen ihrer Flitterwochen. Ich ließ sie in der Obhut der anderen und schloß mich einem Mann in Kufra an und verbrachte einige Zeit bei ihm, um Theorien auszuprobieren, die ich vor dem Rest der Expedition geheimgehalten hatte. Drei Nächte später kehrte ich zum Basislager in El Dschoff zurück.
Das Lagerfeuer in der Wüste war zwischen uns. Den Cliftons, Madox, Bell und mir. Wenn jemand sich um wenige Zentimeter zurücklehnte, verschwand er in der Dunkelheit. Katharine Clifton begann etwas aufzusagen, und mein Kopf verließ den Lichtkreis des Lagerfeuers aus dünnen Zweigen.
Ihr Gesicht hatte etwas Klassisches. Ihre Eltern waren berühmt in der Welt der Rechtsgeschichte, wie es schien. Ich bin einer, der sich nichts aus Dichtung machte, bis ich hörte, wie eine Frau uns Verse aufsagte. Und in jener Wüste holte sie die Tage ihrer Studien hinüber in unsere Mitte, um Sterne zu beschreiben – so wie Adam zärtlich eine Frau mit anmutigen Metaphern belehrte.
So scheinen diese also nicht umsonst
In tiefer Nacht, obgleich sie keiner sieht,
Und glaube nicht, wenn keine Menschen wären,
Der Himmel hätte der Beschauer nicht,
Noch Gott des Lobes. Millionen wandeln
Von geistigen Geschöpfen durch die Welt
Unsichtbar, ob wir wachen oder schlafen.
Sie alle schauen seine Werke an
Bei Tag und Nacht mit nimmermüdem Lob.
Wie oft vom echotragenden Gehölz
Und Hügel hörten wir der Mitternacht
Himmlische Stimmen, einzeln oder auch
Im Wechselsang, von ihrem Schöpfer singen! ...
In dieser Nacht verliebte ich mich in eine Stimme. Nur eine Stimme. Ich wollte nichts mehr hören. Ich stand auf und ging weg.
Sie war eine Weide. Wie wäre sie im Winter, in meinem Alter? Ich sehe sie noch immer, für alle Zeit, mit dem Auge Adams. Sie war dieses Bündel linkischer Glieder gewesen, wie es aus dem Flugzeug kletterte, sich in unserer Mitte hinabbeugte, um das Feuer zu schüren, den Ellbogen nach oben gerichtet auf mich, während sie aus einer Feldflasche trank.
Einige Monate später tanzte sie mit mir Walzer, als unsere Gruppe in Kairo ausging. Obwohl sie leicht angetrunken war, drückte ihr Gesicht etwas Unbezähmbares aus. Selbst heute noch glaube ich, daß der Ausdruck, der am meisten von ihr preisgab, der von damals war, als wir beide halb betrunken waren, nicht Liebende.
All die Jahre hindurch habe ich versucht, herauszukriegen, was sie mir mit jenem Blick sagen wollte. Es schien Verachtung zu sein. Mir kam es so vor. Heute glaube ich, sie studierte mich. Sie war ohne Hintergedanken, erstaunt über etwas in meinem Verhalten. Ich benahm mich, wie ich es in Bars eben tue, diesmal allerdings in der falschen Gesellschaft. Ich bin jemand, der die Regeln seines Verhaltens jeweils gesondert hielt. Ich vergaß, daß sie jünger war als ich.
Sie studierte mich tatsächlich. So einfach war das. Und ich wartete auf eine falsche Regung in ihrem statuengleichen Blick, etwas, das sie verriete.
Geben Sie mir eine Landkarte, und ich baue Ihnen eine Stadt auf. Geben Sie mir einen Bleistift, und ich zeichne Ihnen ein Zimmer im Süden von Kairo, mit Schaubildern der Wüste an der Wand. Immer war die Wüste bei uns. Ich konnte aufwachen und meine Augen zu der Karte mit den alten Siedlungen entlang der Mittelmeerküste heben – Gazala, Tobruk, Mersa Matruh –, und südlich davon die handgemalten Wadis, und diese waren umgeben von den Gelbschattierungen, in die wir eindrangen, worin wir uns zu verlieren suchten. »Meine Aufgabe ist es, in aller Kürze die verschiedenen Expeditionen zu beschreiben, die das Gilf Kebir in Angriff nahmen. Dr. Bermann wird uns später zu der Wüste zurückführen, wie sie vor Tausenden von Jahren existierte ...«
So sprach Madox zu den anderen Geographen in Kensington Gore. Aber Ehebruch findet sich nicht in den Protokollen der Geographischen Gesellschaft. Unser Zimmer erscheint nie in den detaillierten Berichten, die jede Kuppe verzeichneten und jedes geschichtliche Ereignis.
In der Straße der importierten Papageien in Kairo wird man von fast deutlich artikulierenden Vögeln drangsaliert. Die Vögel bellen und pfeifen in Reihen, wie ein gefiederter Boulevard. Ich wußte, welcher Stamm welche Seiden- oder Kamelroute entlanggezogen war und sie in zierlichen Palankins durch die Wüste getragen hatte. Vierzig-Tage-Reisen, nachdem die Vögel von Sklaven gefangen oder wie Blumen in äquatorialen Gärten gepflückt worden waren und danach in Bambuskäfige gesteckt wurden, um in den Handelsfluß zu gelangen. Sie kamen einem vor wie Bräute in einem mittelalterlichen Hochzeitszug.
Wir standen mittendrin. Ich zeigte ihr eine Stadt, die für sie neu war.
Ihre Hand berührte mich am Handgelenk.
»Wenn ich Ihnen mein Leben gäbe, würden Sie es fallen lassen. Nicht wahr?«
Ich sagte nichts.