Clemens Bahring trank weiter Wein, worüber Sara sich nur freuen konnte. Ihr Damenpaar vorhin hatte ihr leider nur die Blinds eingebracht, niemand war mitgegangen. Doch sie freute sich über jeden Gegner, der ihr keine Sorgen bereitete. Sobald jemand angetrunken war, spielte er schlechter. Sara hatte es selbst getestet – sie fühlte sich lockerer, draufgängerischer, siegessicherer. Und verlor.
Bahring hatte schon mehrmals Blätter kommentiert, während er nicht mitspielte und laut geflucht, weil er angeblich irgendein kleines Paar getroffen hätte.
Die anderen Spieler sahen ihn mittlerweile schräg an. Im Blick von Ted Ashen meinte Sara Mitleid zu erkennen. Allein Kurt Hofmann ignorierte Bahrings Bemerkungen komplett, der konzentrierte sich voll aufs Spiel. Zwischendurch hatte Hofmann an seinen Fingern gezogen und die Gelenke knacken lassen, bis Tanja Korhonen ihm gesagt hatte, er solle gefälligst aufhören und wie die anderen mit Chips herumhantieren. Danach hatte der Schweizer die Ellbogen in die weiche, mit Leder bezogene Tischkante gedrückt. Sein Gesicht, dessen obere Hälfte ohnehin von Kapuze und Sonnenbrille verdeckt war, vergrub er zum größten Teil in seinen Händen. Wenn ihr nicht andere am Tisch viel verdächtiger erschienen, hätte sie sich schon längst mit dem Mann beschäftigt.
Liam Newton klackerte besonders schnell mit drei Chips, die er durch seine Hände gleiten ließ. Sara beherrschte diese Tricks bis heute nicht. Ihre Hände waren zu klein, hatte sie einmal einem Mitspieler bei einem kleinen Turnier im Casino erzählt. In Wirklichkeit wollte sie ihre Zeit nicht damit verschwenden, etwas derart Unnützes einzuüben.
Mads Richardsen, der junge Däne, schwieg. Sein Gesicht schimmerte fahl, so als würde er gerade krank werden, aber es konnte auch an der Beleuchtung liegen, dachte Sara.
Bahring foldete die nächste Hand.
»Velasquez hätte mir seine Chips überlassen sollen«, sagte er jetzt, laut genug, damit es jeder am Tisch hören konnte. Niemand reagierte.
»Will sonst jemand seinen Stack verkaufen?«, fragte er jetzt, noch lauter.
Ted Ashen schnalzte mit der Zunge. »Machen Sie sich nicht lächerlich.«
Sara blickt zum Dealer. »Ist das erlaubt?«, fragte sie.
Der Mann mit dem teigigen Gesicht sah ihr nur ganz kurz in die Augen und dann wieder auf die Karten in seiner Hand. »Ja, wenn alle am Tisch mit dem Deal einverstanden sind.« Er schluckte auffällig, als wäre ihm das Sprechen schwer gefallen. Seltsamer Vogel, dachte Sara.
Als sie sich umblickte, sah sie überall Kopfschütteln. Sara hatte schon davon gehört, dass Spieler Stacks ihrer Gegner aufkauften, um ihre Chancen zu verbessern. Aber zu diesem Zeitpunkt, an dem alle bereits in den Gewinnrängen waren und von Platzierung zu Platzierung das Preisgeld stieg, gab es überhaupt keinen Anreiz, auf solch ein Angebot einzugehen. Der Mann musste verzweifelt sein. Oder spielsüchtig. Oder beides. Aber jetzt wusste Sara, was Bahring mit Velasquez besprochen hatte, bevor die Partie wieder aufgenommen worden war. Sie hatten sich also nicht über Dixon unterhalten. Gut, so musste sie sich um ein Detail weniger Gedanken machen.
Bahring verschränkte die Arme und schmollte.
»All-In«, sagte er beim nächsten Blatt, ohne sich seine Karten überhaupt anzusehen. Bahring saß direkt hinter dem Big Blind, es hatten also alle die Chance, ihn zu callen. Eine irrsinnige Aktion. Sara hatte 10-8 auf der Hand. Sie hatte zwar mit dem Damen-Paar einen ordentlichen Pot gewonnen und lag wieder im Mittelfeld. Aber bei Bahrings All-In mitzugehen, war ihr trotzdem zu riskant.
Ted Ashen bezahlte, sonst keiner. Beide deckten ihre Karten auf.
Ashen hatte Ass-Zehn in Herz. Bahring Pik-Sieben und Karo-Vier. Eines der schlechtesten Handblätter überhaupt. »Shit, shit, shit«, rief er, während er sich die Sonnenbrille aus dem Gesicht riss und auf den Tisch feuerte. Ashen lächelte nur.
Da waren es nur noch acht, dachte sich Sara. Bei den Karten musste Bahring ausscheiden. Nein, korrigierte sie sich selbst, sie wären dann noch neun. Dixons Stack war noch nicht aufgebraucht, obwohl der Dealer bei jedem Blatt dessen Einsätze platzierte.
Jetzt legte er beide Blätter in die Tischmitte, ehe er den Flop aufdeckte. Herz-Sechs, Pik-Ass, Kreuz-Drei.
Ashen grinste, Bahring wendete sich vom Tisch ab und stürzte ein halbes Glas Wein auf einmal hinunter.
Auf dem Tisch folgten Karo-König – und die Kreuz-Fünf.
Jetzt johlte Bahring. Seine Straße schlug Ashens Ass-Paar. Der Amerikaner schüttelte stumm den Kopf. Sara konnte mit ihm mitfühlen, solch einen Bad Beat musste man erst einmal verkraften.
Bahring setzte seine Sonnenbrille wieder auf. »Ich bin gut«, sagte er laut. »Ich hatte das im Gefühl.«
»Ach, deswegen haben Sie gerade so geflucht«, antwortete Sara, woraufhin sie Ted Ashen kurz lächeln sah.