Die Indizien sprachen klar gegen ihn. Ein Flugticket nach Südamerika – nur Hinflug, keine Retour für den Dienstagmorgen sah schon etwas verdächtig aus, doch es blieb nicht der einzige Hinweis.
Lars Janssen selbst hatte sich durch ein Paar Latexhandschuhe, die er unter den weißen Stoffhandschuhen trug, vor dem Gift geschützt. Als die Polizei ihn durchsuchte, fanden sie die winzigen mit Gift gefüllten Kanülen, die in diesem Paar weißer Stoffhandschuhe steckten. Ebenso entdeckten sie feinste Tröpfchen davon auf den letzten Handkarten, die er Sara zugeschoben hatte.
Als Sara davon erfuhr, steckte sie in der Klemme. Sollte sie Linus erzählen, dass er ihr Leben gerettet hatte? Das würde er ihr von jetzt an jedes Mal aufs Butterbrot schmieren, wenn sie sich sahen. Linus Lebensretter. Sie beschloss jedoch, dass es das wert war und sie ihm tatsächlich etwas schuldete.
Mads Richardsen stimmte am nächsten Tag dem Deal zu, den Gewinner nicht mehr auszuspielen, sondern das Preisgeld für den ersten und zweiten Platz zwischen ihnen aufzuteilen. Johann Konrad hatte diese Lösung vorgeschlagen. Sara war dankbar, sie hatte das dumpfe Gefühl, dass sie einige Tage brauchte, um ihren Kopf wieder freizubekommen und das Heads-Up gegen Richardsen verloren hätte.
Es dauerte mehrere Tage, bis Lars Janssen beschloss, auszusagen So kam ans Licht, was mit Jennifer Rolfes passiert war. In der Nacht des Pokerturniers hatte ihr Verlobter sie, so gut er das während seiner Arbeit konnte, beobachtet, und selbstverständlich hatte er bemerkt, dass sie und Joel Dixon flirteten. Als Lars Janssen Jenna später stellte, sagte sie ihm, sie würde ihn verlassen. Er bat seine Verlobte um ein letztes Gespräch, bei sich zu Hause, das sei sie ihm schuldig. Jenna lehnte ab und ließ noch am selben Abend die Schlösser zu ihrer Wohnung austauschen. Das stellte Lars Janssen am Tag darauf fest, als er vor ihrer Tür stand und sein Schlüssel nicht mehr passte.
Einige Tage verstrichen, in denen er hoffte, sie umzustimmen, gleichzeitig aber damit kämpfte, dass er ihr eigentlich nicht verzeihen konnte. Er stellte ihr nach. Jenna drohte damit, ihn als Stalker anzuzeigen. Sie sagte, sie würde wohl nach Amerika auswandern. Auf jeden Fall würde sie ihren Job kündigen.
›Bevor du gehst, sprich wenigstens noch einmal mit mir‹, hatte Janssen gesagt. Er sprach auf Jennas Anrufbeantworter, schrieb ihr Mails, SMS, schickte ihr Blumen.
Schließlich willigte sie in ein Treffen ein. ›Damit du Ruhe gibst und es endlich begreifst‹, soll sie gesagt haben. Als Jenna dann so vor ihm stand, ganz abweisend und kühl und ihm wieder und wieder sagte, dass sie nicht mehr wolle, sei die Sicherung durchgebrannt.
Lars Janssen beteuerte, dass er sie zwar habe schlagen, aber nicht erschlagen wollen. Es sei ein Unfall gewesen. Trotzdem hatte er sich nicht gestellt, sondern ihre Leiche im Wald verscharrt. Er verriet der Polizei, wo sich ihr Grab befand.
Von ihrem E-Mail-Account aus, das Passwort hatte er herausgefunden, schrieb er eine Mail an ihre Eltern, mit denen sie ohnehin kaum Kontakt pflegte, dass sie länger verreisen würde und daher weder telefonisch noch sonst irgendwie erreichbar sei. Den Text schickte Janssen, leicht abgeändert, an ihre Freundinnen. Eine rief bei später bei ihm an und fragte, ob er mehr wisse. Janssen sagte ihr, er sei genauso überrascht. Per Post kündigte er ihre Stelle im Hotel. Das alles hatte ausgereicht, damit niemand Verdacht schöpfte und Jenna als vermisst meldete.
»Nur ich habe sie wirklich vermisst. Jeden Tag, jede Stunde, jede verdammte Minute«, sagte Lars Janssen aus. Das sollte der Anhänger symbolisieren, den er auf Dixons Zimmer hatte schicken lassen. Dass er Jenna nicht vergessen hatte, dass diese Tat in ihrem Andenken geschehe. Janssen schien tatsächlich Joel Dixon die Schuld an ihrem Tod zu geben.
Als sich Sara und Linus ein paar Tage später auf einen Kaffee trafen, sagte Linus, er würde den Prozess begleiten. »Versteht sich von selbst.« Nur seine Rolle bei den Ermittlungen wollte er in seinen Texten verschweigen.
»Du verfälscht die Geschichte«, neckte ihn Sara.
»Ich halte mich im Hintergrund, wie es sich gehört. Obwohl ich den Fall quasi allein gelöst habe.« Er reckte das Kinn in die Luft, als er das sagte.
»Was? Das meiste habe ich herausgefunden. Und ohne mich hätte es den Fall nie gegeben.«
»Und ohne mich hättest du nie etwas von Jenna gehört und wärest diesem Janssen nie auf die Schliche gekommen. Also habe ich gewonnen.«
Sara schnaubte. »Wir haben einen Mordfall gelöst, zwei Mordfälle sogar. Da geht es nicht ums Gewinnen, Linus.«
Er grinste. »Das sagst du nur, weil du verloren hast. Apropos gewinnen. Hast du eigentlich schon etwas Konkretes mit deinem Preisgeld vor?«
»Ich habe lange überlegt, bis mir etwas Sinnvolles eingefallen ist. Wobei ich gerade anfange, daran zu zweifeln.«
»Wieso? Was ist es denn?«
»Nun, ich dachte, du bekommst die Hälfte.«
Linus sah sie baff an. »Was? Ich? Wieso? Wow.«
»Du hast mir das Leben gerettet. Hättest du nicht verhindert, dass ich die letzten Karten aufnehme – wer weiß, was dann passiert wäre?«
»Es war ein so starkes Gift?«
Sara nickte. »Es hat die Toxikologen ziemlich auf Trab gehalten, es zu identifizieren, habe ich gehört. Am Ende hat Janssen selbst es verraten. Er wollte doch noch Südamerika fliegen, weißt du?«
»Ja.«
»Nun, er war auch vor Kurzem für längere Zeit dort gewesen und hatte es von dort mitgebracht. Einer dieser Stoffe, mit denen man früher Pfeile bestrichen hat. Ich hab gehört, dass es Dixon wahrscheinlich so schnell umgebracht hat, weil er schon Herzprobleme hatte. Vielleicht hätte ich es also überstanden. Aber vielleicht auch nicht.« Sara lächelte Linus an. »Deswegen muss ich wohl davon ausgehen, dass du mir das Leben gerettet hast. Und als Dankeschön bekommst du das halbe Preisgeld.«
»Hmm …«, sagte er, »dein Leben ist dir also nur die Hälfte des Gewinnes wert?«
Sara schlug ihn vor die Brust, sodass es wehtun musste. »Du bist unglaublich. Ich schenke dir ein halbes Vermögen und du legst es gegen mich aus! Willst du etwa den ganzen Gewinn? Sorry, das ist nicht drin.«
Er lächelte. »Nein, ich wollte doch nur hören, wie du dich entschuldigst. Aber das versprochene Essen schuldest du mir trotzdem noch.«
»Klar.« Sie zögerte kurz. »Und läuft was mit der Barfrau?«
Linus schüttelte den Kopf. »Sie heißt Pia, nicht Barfrau. Und das willst du doch gar nicht wissen, oder?«
Saras Herz setzte für einen kurzen Moment aus, als Linus das sagte. Sie überlegte. »Doch, das will ich wissen.«
»Warum?« Linus klang plötzlich sehr ernst.
»Wir wissen, dass es mit uns beiden als Paar nicht hinhaut. Aber wir könnten versuchen, Freunde zu sein.« Sara streckte ihre Hand aus. »Freunde?«, fragte sie.
»Freunde«, sagte er, ignorierte ihre Hand und umarmte sie. Es dauerte einen Moment, bis sie sich losließen.
»Danke, dass du an dem Abend da warst. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.«
»Es war mir eine Ehre«, sagte Linus. »Erzählst du mir jetzt endlich, wie es mit dir und dem hässlichen Engländer vorangeht?«
»Liam? Er ist nicht hässlich!«
Linus lachte. »Ich wusste doch, dass da was läuft.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber du hast es auch nicht geleugnet.«
»Du verdrehst mir die Worte im Mund.«
»Mir kannst du es doch verraten, ich mache mich schon nicht lustig über dich und Narbengesicht.«
»Er hat mir eine wirklich lustige Anekdote erzählt, wie er mit einem aufdringlichen Journalisten umgesprungen ist.«
Er räusperte sich. »Ja, also das …«
Linus stimmte ein, als Sara begann laut zu lachen.
E N D E