Sara hasste es, König-Neun vorzufinden, wenn sie unter ihre Handkarten lugte. Die Kombination war prädestiniert dafür, das zweitbeste Blatt am Tisch zu liefern, sobald der Flop aufgedeckt worden war. Nichts war tödlicher beim Pokern als das zweitbeste Blatt. Es war unheimlich schwer, wenn einen das Gefühl beschlich, man könnte vielleicht doch vorn liegen. Traf man hingegen überhaupt nicht, war es ein leichtes, seine Karten wegzuwerfen.
Trotzdem callte sie mit Karo-König und Pik-Neun, als Korhonen setzte. Sie bekam ihre Chips zurück, dachte Sara. Und sie würde ihr mehr über Dixon erzählen.
Es waren stets die gleichen, exakten Handgriffe, mit denen der Dealer die gemischten Karten nahm, drei davon abtrennte, um sie dann in einer fließenden Bewegung umzudrehen. Sara wusste nicht genau, wie jemand eigentlich Dealer wurde; ein Ausbildungsberuf war es sicher nicht. Die Spieler hatten sie von jeher fasziniert, nicht die Kartengeber. Dennoch vermutete sie, dass hinter der scheinbar mühelosen Eleganz viel Übung steckte.
Herz-Neun, Karo-Ass, Karo-Acht.
Was der Dealer auf den Tisch legte, war einer der Flops, vor denen Sara mit König-Neun grauste. Mittleres Paar mit dem König als Kicker sah vielleicht gut aus. Aber wenn Korhonen ein Ass hatte, waren diese Überlegungen egal. Sie schielte zur Finnin, die vor ihr agieren musste. Die war still, zögerte kurz. Setzte dann, allerdings nicht viel.
»Kennen Sie Jenna?«, fragte sie mit Blick zu Korhonen, ehe die callte. »Sie war mit Dixon befreundet«, ergänzte Sara, in der Hoffnung, Korhonen etwas zu entlocken.
Ihr Gegenüber verzog keine Miene, schüttelte nicht einmal ansatzweise mit dem Kopf. Dann zog sie ihre Mundwinkel leicht nach unten, zu lang, als dass es unbewusst gewesen sein könnte.
»Keine Ahnung. Wer soll das sein?« Sie schwieg kurz. »Wollen Sie spielen oder Small Talk machen?«, sagte Korhonen schließlich, während ihre Augen zu Saras Händen und den dort liegenden Chips wanderten.
Sara entschloss sich zu einem Lächeln. »Call.« Sie glaubte Korhonen nicht. Weder dass sie ein Ass auf der Hand, noch dass sie Jenna nicht gekannt hatte.
Es dauerte einen Moment, ehe der Dealer die nächste Karte umdrehte.
Es war die Karo-Vier.
Korhonen lehnte sich ein Stück zurück. Verdammt, dachte Sara, als die Finnin setzte. Sie hatte zwar mit ihrem Karo-König einen Flush-Draw, ihr fehlte also nur noch ein Karo für einen Flush, aber sie hatte momentan keinen Schimmer, wie sie mehr aus der Frau herausbekommen sollte. Es war ja nicht verboten, am Tisch zu lügen. Im Gegenteil. Es gehörte dazu.
»Sind Sie sicher, dass Ihnen der Name nichts sagt?«, fragte sie Korhonen trotzdem noch einmal. Vielleicht konnte sie ihre Gegnerin aus der Ruhe bringen.
Die Finnin schien kurz zu grübeln, verneinte erneut und sagte, das hätte doch jetzt wirklich nichts mit dem Spiel zu tun.
Sara bezahlte, in der Hoffnung auf eine weitere Karte in Karo. Normalerweise verzichtete sie auf solche Spielzüge. Wer zu sehr auf das Glück hoffte, mit der letzten Karte einen Flush oder eine Straße zu vervollständigen, kam nicht weit beim Pokern. Dafür standen die Chancen zu schlecht. Aber sie wollte sich nicht schon wieder geschlagen geben. Ihr war bewusst, dass das ein schlechter Spielzug war und sie schwor sich, ihn heute nicht zu wiederholen, selbst wenn sie jetzt Glück haben sollte.
Karo-Zehn.
Sara hätte den Dealer küssen können. Da lag es, ihr unschlagbares Blatt, die Nuts.
Korhonen schloss kurz die Augen, setzte dann den gleichen Betrag wie zuvor. Sara raiste, sie hatte bei dieser Hand ja nichts zu verlieren. Nach längerem Zögern bezahlte Korhonen.
Die Finnin musste ihre Karten als Erste zeigen, da sie dichter beim Dealer saß. Als sie Karo-Fünf und Karo-Sechs aufdeckte, freute sich Sara doppelt. Sie hatte nicht nur die Hand gewonnen, sondern auch ein besseres Gefühl für Korhonens Spiel bekommen. Warum Korhonen verschwieg, dass sie Jenna kannte, stellte Sara noch vor ein Rätsel, aber sie würde es der Finnin entlocken.
Doch es war Jarun, der das Gespräch mit Sara wieder aufnahm, als beide bei der nächsten Hand gefoldet hatten.
»Wissen Sie, Joel Dixon hat sicher viel für Poker getan. Früher …« Er setzte eine auffällige Pause, in der er durchatmete.
»Aber?«, fragte Sara, um seinen Nebensatz zu beginnen, der unweigerlich folgen musste.
»Aber er war ein Dinosaurier«, sagte der Russe.
»Wie meinen Sie das?«
»Seine beste Zeit lag weit, weit in der Vergangenheit. Ich habe gehört, dass er Schulden hatte. Man munkelt, er hat sich bei den falschen Leuten Geld geliehen.« Der Russe lehnte sich etwas zu ihr herüber. »Sie wissen schon, was ich meine.«
Das würde Sara gern, es entsprach jedoch nicht der Realität. »Nein, tut mir leid. Aber Sie können mich sicher aufklären.«
Er seufzte. »Leider nicht. Ich dachte, vielleicht wissen Sie selbst mehr als die üblichen Gerüchte. Weil Sie so ein großes Interesse an Joel Dixon haben.«
Wahrscheinlich zwinkerte er ihr zu, dachte Sara, obwohl Jaruns Augen hinter der Sonnenbrille nicht zu sehen waren. Sein Tonfall passte jedenfalls zu der Mimik.
Sara fiel jedoch nicht auf den Trick rein, eine Frage zu beantworten, die gar nicht gestellt worden war. Da konnte Jarun noch so vertraut tun. Sie würde deshalb nicht erklären, warum sie Dixons Tod so beschäftigte. Sie blieb auf ihrer eigenen Gesprächslinie.
»Da irren Sie sich, ich weiß nichts über das, was sie da andeuten«, antwortete sie. »Doch falls Ihnen jemand einfällt, der mehr über diese ominösen Geldverleiher weiß, dann können Sie es mir gern sagen.«
Jarun nuschelte etwas, was eine Zustimmung sein konnte. Oder auch nicht. Die nächsten Handkarten unterbrachen ihr Gespräch.
Sara lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, als würde sie entspannen. Dabei stieg ihr Puls, als sie die zwei Damen sah, die der Dealer ihr zugeteilt hatte.