»Mannomannomannomann!«
Yella sitzt in ihrer Hängematte, lässt die Beine baumeln und sieht so ratlos aus, wie ich mich fühle. »Ist das denn jetzt alles beschlossene Sache?«
Ich rühre in meinem Hagebuttentee und streichle Minou, Yellas süße Tigerkatze. Sie schmiegt sich maunzend an mich und guckt mich mit ihren grünen Augen traurig an. Ich gucke traurig zurück.
Geteiltes Leid ist halbes Leid!
»Ich glaube schon. Die beiden haben Sekt getrunken, und das tut man doch wohl nur, wenn man feiert.«
Oder wenn man sich die Kante geben muss, weil man eine echt birnige Entscheidung getroffen hat!
»Und wo wollen sie hinziehen?«
»Mom würde gern an die Alster, irgendwo nach Uhlenhorst oder Winterhude und Papa Richtung Hafen. Er mag das Tuten der Containerschiffe und wäre durch den Tapetenwechsel inspiriert, wie er sagt.«
»Schiffe fördern die Kreativität beim Kochen?«, fragt Yella ungläubig.
»Ich glaube, der wahre Grund ist, dass die beiden sehr viel Geld angeboten bekommen haben, das sie natürlich nicht ablehnen wollen.«
»Und wieso ist euer Grundstück für die Stadt so wichtig?«
»Die planen an diesem Teil des Kanals eine Art Chill-Out-Area, mit Café, Bootsanleger und allem Pipapo. So 'n bisschen wie die Beachclubs am Hafen. Und dafür brauchen sie Platz.«
»Und was wird dann aus dem Bootshaus?«
Der Kloß in meinem Hals wird dicker und dicker.
»Das soll abgerissen werden.«
»Ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
Leider ja.
Mist, gleich fange ich an zu heulen!
Yella rollt sich aus ihrer Matte und setzt sich neben mich auf den Flokatiteppich, mit dessen Fransen Minou gerade hingebungsvoll spielt. Ich wünschte, ich wäre eine Katze.
»Aber was wird dann aus Oma Schnuppe? Aus eurem Kajak? Aus Plaudertasche?«
»Hedwig muss sowieso über kurz oder lang ins Altersheim, das Boot können wir bestimmt mitnehmen, und um Plaudertasche wird sich dann wohl jemand anderer kümmern.« Oder kann man Wasserschildkröten auch umsiedeln? Werde das gleich mal im Netz recherchieren. Stichworte: Umzug und Schildkröten. Bin gespannt, ob die Jungs von Google eine Antwort auf diese Frage haben.
»Und was wird dann aus uns? Du musst doch dann bestimmt auf eine andere Schule?«
Autsch, dieser Gedanke schmerzt am meisten.
»Ich habe Mom schon gesagt, dass ich nur unter der Bedingung zustimme, dass ich auf der Helena-Lingen bleiben kann. Sonst können sie die ganze Sache knicken!«
Yella sieht skeptisch aus. »Wofür brauchen deine Eltern denn die Kohle? Ich dachte immer, bei euch zu Hause ist Geld kein Thema?«
Ist es normalerweise auch nicht. Es sei denn, Levin möchte eine Ritterrüstung (echt, nicht aus dem Spielzeugladen) und ich ein pinkfarbenes Nokia. Oder einen Urlaub auf dem Reiterhof. Dann bekommen Mom und Dad immer so steile Furchen auf der Stirn und tun, als hätten wir ab morgen nichts mehr zu essen. Danach folgt ein Vortrag darüber, dass wir uns gern was wünschen dürfen, aber es sollte im Rahmen bleiben. Wenn unsere Wünsche diesen Rahmen übersteigen, müssen wir es uns selbst dazuverdienen. Was im Alter von sechs Jahren meiner Meinung nach ein Problem darstellt. Obwohl Levin ständig Kinderflohmarkt macht und vor dem Bootshaus alles verkauft, was er nicht mehr braucht oder mag. Am Wochenende zum Beispiel war er wild entschlossen, sich von seinem Umhang, der Plastikspinne und dem Vampirgebiss zu trennen. Wollte aber leider keiner haben.
Was mich betrifft, so habe ich eine Weile im Reformhaus gejobbt. Das war vielleicht krank! Ich war die Hälfte der Zeit damit beschäftigt, abgelaufene Ware umzuetikettieren, damit die Kunden denken, dass sie noch haltbar ist. Als ich gesagt habe, dass ich mich grundsätzlich nicht an kriminellen Aktivitäten beteilige, bin ich im hohen Bogen hinausgeflogen. Mom und Dad waren zwar ganz auf meiner Seite und haben gesagt, dass ich mich richtig verhalten habe. Aber mein Nokia habe ich trotzdem nicht bekommen.
»Vielleicht will Mom endlich mal die Reise nach Südfrankreich machen, von der sie schon so lange träumt. Und Dad wollte, seit ich denken kann, auf die Malediven zum Tauchen.«
Im Vergleich zu den beiden sind mein Bruder und ich echt bescheiden, wie ich finde! »Fakt ist jedenfalls, dass Levin und ich uns bestimmt 'ne Menge einfallen lassen müssen, wenn wir den Umzug verhindern wollen!«
Yella nickt. »Ihr könntet streiken. Hungerstreik, Sitzstreik, da gibt's viele Möglichkeiten. Oder dafür sorgen, dass keiner das Haus haben will.«
»Wie meinst'n das jetzt?«
»Zum Beispiel die Pflanzen auf der Terrasse verkommen lassen, die Auffahrt nicht mehr fegen, die Fenster nicht mehr putzen ... Okay, ich seh schon, ist vielleicht keine so tolle Idee ...«
Richtig erkannt!
Zumal das Haus ja abgerissen und nicht verkauft werden soll. Klarer Logikfehler. Manchmal hat auch Yella ein sehr kurzes Gedächtnis.
Plötzlich wird mir ganz komisch im Bauch.
»Meinst du, die Sache mit den Rosen und Dads Platten am Wagen haben vielleicht was mit dem geplanten Verkauf zu tun?«, frage ich, und meine Gefühle fahren Achterbahn. Habe ich das nicht gerade kürzlich in einem Krimi gesehen?
»Pomelo, du hast eindeutig zu viel Phantasie! Das ist Unsinn! Die Polizei hat doch gesagt, dass das ein Dummer-Jungen-Streich war. Da haben sich ein paar Kids 'nen Spaß draus gemacht, euch zu ärgern. Oder irgendwelche Junkies sind komisch draufgekommen und haben sich auf eurem Gelände ausgetobt.«
Stimmt, bei uns in der Nähe gibt's am Wasser eine stadtbekannte Kiffer-Bank. An sich sind die Typen dort harmlos, schmettern höchstens irgendwelche Opernarien oder lachen sich kaputt, auch wenn es gar nichts zu lachen gibt. Aber vielleicht ist einer von denen ausgetillert? Ich weiß Bescheid, schließlich habe ich vor kurzem Wir Kinder vom Bahnhof Zoo gelesen. Stand in Moms Bücherregal.
»Vielleicht wäre es am besten, deinen Eltern einfach zu sagen, dass du hier bleiben möchtest. Das wäre doch zumindest erwachsen.«
Yella und ihr Erwachsensein! Ich möchte jetzt das Thema wechseln. Und einfach nur meine Ruhe haben.
»Können wir einen Film schauen? Ich werde sonst echt depri!«
In diesem Punkt ist auf meine beste Freundin Verlass. Ihre Filmsammlung kann jeder Videothek echte Konkurrenz machen. Yella möchte später Regisseurin werden. Sie macht ihr Praktikum im nächsten Schuljahr bei einer Filmproduktionsfirma in der Speicherstadt. Cool! Sollte mich endlich selbst auch mal um das Thema kümmern.
Eine Minute später liegen wir platt auf unseren Bäuchen und durchwühlen Yellas DVD -Kollektion. Jeder Cent ihres Taschengelds fließt in diesen »Zukunftsfonds«, wie sie es nennt. Zielstrebig und ehrgeizig, wie sie ist, schafft sie es bestimmt. Vielleicht kann ich dann ja Drehbücher für sie schreiben!