Punkt vier Uhr laufe ich bei Julia ein. Max scheint noch nicht da zu sein, auch gut! »Schön, dass du da bist, komm, ich zeig dir unser Haus«, flötet Lovely Juliet und zieht mich mit sich. Hey, Pfoten weg, ich mag das nicht! Das Haus ist eine alte Jugendstilvilla im Herzen Eppendorfs, oder auch Schnepfendorfs, wie wir Eimsbüttler den Nachbarstadtteil nennen, in dem fast ausschließlich Leute mit richtig viel Kohle wohnen. Die Frauen sehen aus wie geklont. Tragen alle denselben strähnchenblonden Pferdeschwanz, eine monströse Gucci-Brille auf der gepuderten Nase und eine Handtasche, in der man mühelos den Einkauf für einen Fünf-Personen-Haushalt unterbringen könnte. Was die Eppendorferinnen aber nicht müssen, denn dafür hat man ja Personal. Selbiges (eine echt sympathische, rundliche Dame) begrüßt mich freundlich lächelnd und fragt, was ich trinken möchte. Mom ist ja außer Sichtweite, also sage ich beherzt Cola. Julia schenkt mir einen Blick, der so etwas Ähnliches sagen will wie: »Dann kannst du dir doch gleich die Kugel geben!«, aber das ist mir egal. Von dem einen Glas werden meine Darmwände schon nicht aufgefressen.
Während Julia und ich auf der Terrasse (parkähnlicher Garten, teure Teak-Möbel, Teich mit Koi-Karpfen) unsere Getränke zu uns nehmen (ich Cola, Julia kalte, frischgepresste Zitrone), betrachte ich das Outfit meiner Konkurrentin: ausgefranste Jeans-Shorts, Flip-Flops an den Füßen, ein Mikro-Shirt, das nur das Allernotwendigste bedeckt, um den Hals ein Palituch.
Ein Palituch? Was ist denn jetzt kaputt? Fehlt nur noch ein Anti-Atomkraft-Button, den sie sich in ihr blödes Zopfgummi steckt. Aber ich ahne, was das werden soll – eine Attacke auf Max mit der Aussage: Schau, ich bin eine Umweltschützerin, ich trinke selbstgepresste Zitrone, natürlich nur Bio. Ich trage meine alten Jeans auf, weil ich mich dem Konsumterror verweigere, und als Zeichen meiner politischen Gesinnung (natürlich links und grün!) trage ich bei dreiundzwanzig Grad im Schatten ein Baumwolltuch, gewebt von der Hand palästinensischer Frauen.
Na, das kann ja heiter werden. Wäre ich es nicht sowieso schon, würde ich sagen, ich muss mich warm anziehen, wenn ich gegen Julia anstinken will.
»Ah, da bist du ja endlich«, ruft unsere Gastgeberin, als Max den Garten betritt. Das Wort endlich betont sie so ekelhaft lasziv, dass ich nicht übel Lust hätte, sie den Koi-Karpfen zum Fraß vorzuwerfen.
»Mei, schön habt ihr's hier«, sagt Max bewundernd.
Frau Berg bringt Max eine – es raubt mir beinahe den Atem, das zu sehen – eisgekühlte Cola mit einer Scheibe Zitrone. Max und ich haben denselben Geschmack, das ist ein Zeichen!
»Eine Cola, das ist genau das Richtige bei diesen Temperaturen«, schleimt Julia.
Gleich wird mir schlecht.
»Wollen wir dann mal zur Sache kommen«, dränge ich, denn ich will das hier schnellstmöglich hinter mich bringen. Momentan spekuliere ich nämlich darauf, dass Max und ich zusammen nach Hause gehen und ich ihm das Bootshaus zeigen kann.
»Wie wollen wir am besten vorgehen? Erst Unterschriften sammeln, dann die Zeitung informieren oder gleich demonstrieren?«
Julia nestelt an ihrem Tuch, wahrscheinlich erstickt sie gleich vor Hitze. Max' Blick folgt ihrer schmalen Hand, die heute ohne Klunker auskommen muss – Purismus lautet das Motto des Tages.
»Ist die Kufiya echt?«, fragt er, und Julia hüstelt. Mein Gott, die Arme, sie wird sich doch wohl keine fiese Sommergrippe eingehandelt haben? Ich grinse. Julia denkt bestimmt, Kufiya ist so was wie Kefir.
»Ja, ist sie. Mein Vater hat sie von einer Geschäftsreise nach Jerusalem mitgebracht.«
Schluck, da habe ich wohl jemanden unterschätzt.
»Na wie auch immer, wir sind ja nicht wegen irgendwelcher Tücher hier, sondern wegen der Bäume am Kaifu-Ufer. Ich würde vorschlagen, wir stellen uns an einem Sonntagnachmittag, wenn alle Welt spazieren geht, dort auf und bitten um Unterschriften. Die drucken wir dann in unserer Zeitung ab und spielen sie auch dem Hamburger Abendblatt und der Morgenpost zu.«
Max nickt zustimmend, mein Herz pocht, mein Laun-o-Meter steigt rapide an.
»Gute Idee! Ich würde vorschlagen, wir bilden Gruppen und postieren uns an den drei Teilabschnitten des Ufers. Am besten machen wir das immer paarweise, damit uns keiner durch die Lappen geht!«
Paarweise, wie romantisch! Au ja, Max und ich, ein sonniger Nachmittag, ein Eis oder auch zwei ...
»Sonntag passt mir gut, da fahren wir ausnahmsweise mal nicht nach Sylt. Dann nehmen wir beide den Abschnitt Hoheluftchaussee bis Bogenstraße, und du, Pomelo, kannst ja den Teil beim Weidenstieg bewachen, denn da wohnst du doch, oder?«
O nein, wie kann ich das denn jetzt verhindern? Max, tu irgendwas, nun mach schon!
»Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, Julia, aber ich würde gern zusammen mit Pomelo ein Team bilden. Ich habe schon von dem tollen Bootshaus gehört und würde mir das Ganze gern mal anschauen!«
Yes, zusammen mit Pomelo! Punktsieg für mich! Ich schwebe auf rosaroten Wolken, dieser Tag ist mein Freund! Max mag mich!
»Wenn dir das Bootshaus so wichtig ist, kann ich das natürlich verstehen. Dann frage ich eben Sabine, ob sie Lust hat. Und ihr beide kümmert euch um zwei weitere Helfer für den mittleren Abschnitt.«
Jetzt muss die Dienerin als Ersatz für Max herhalten, arme Sabine. Wenn sie wüsste ... Aber mir egal, ich habe alles, was ich wollte. Einen ganzen Nachmittag mit ihm allein. Nachdem Max und ich eine weitere Cola getrunken haben (und Julia guckt, als seien wir vom anderen Stern), verabschiede ich mich. Wenn Max das Bedürfnis hat, mit mir allein zu sein, kann er ja mitkommen.
»Also ich geh dann jetzt mal«, sage ich und werfe Max einen einladenden Blick zu. Lasziv habe ich noch nicht drauf. Muss ich noch vorm Spiegel üben!
»Hey, du kannst jetzt noch nicht weg, wir müssen noch Flyer und das Blatt für die Unterschriften am PC erstellen«, protestiert Max, nicht zu Unrecht.
Stimmt ja, da war doch noch was.
»Wenn Pomelo es so eilig hat, können wir das auch gern zu zweit machen«, säuselt Julia.
»Nein, kommt gar nicht in Frage«, werfe ich mich dazwischen. »Natürlich bleibe ich, bis wir alles fertig gemacht haben. Schließlich muss einer von uns noch mit den Vorlagen zum Copyshop!« So weit kommt es noch, dass ich es zulasse, dass die beiden ihre Köpfe vor dem Bildschirm zusammenstecken.
Eine Minute später stecken wir zu dritt beieinander, eine Zahl, die ich noch nie mochte – bringt erfahrungsgemäß nur Ärger! Max in der Mitte, links und rechts Julia und ich. Ich starre angestrengt auf den Bildschirm, während wir die unterschiedlichen Headlines und das Layout diskutieren.
Plötzlich beginnt Max zu schnuppern. »Irgendwas riecht hier komisch. Riecht ihr das auch?«
Häh, was ist denn auf einmal mit ihm los? Hier geht's um Baummorde und nicht um irgendwelche ... Max schnüffelt, Julia zieht ihr Stupsnäschen kraus, und beide tun so, als seien sie in ihrem früheren Leben Spürhunde gewesen. Ich schließe mich aus Solidarität an. Bis Max' Gesicht sich meiner Halsbeuge nähert. Was ich ja an sich süß finde, aber ...
»Hey, das bist ja du! Was ist das denn für ein seltsames Parfüm? Das trägst du doch sonst nicht ...«
Parfüm? Ich kann mich nicht erinnern, welches aufgetragen zu haben. Außer heute Morgen das von Mom, aber das ist Stunden her! Und dann fällt es mir wieder ein: Es ist dieser ekelhafte Selbstbräuner, an dessen Geruch ich mich im Laufe des Tages gewöhnt habe. Nun schnuffelt auch Julia an mir herum. Gleich hau ich ihr eine runter!
»Igitt, Pomelo, was ist das denn? Hast du etwa einen von diesen billigen Selbstbräunern benutzt?«
Erde, bitte tu dich auf und verschling mich! Sofort! Wie peinlich ist das denn?
Max grinst.
Ich sage gar nichts.
Ich möchte einfach nur im Erdboden versinken ...