Krank vor Liebe?!

Es geht. »Dann schreibe ich dich mal bis Mittwoch krank. Und wenn das Fieber bis dahin nicht gesunken ist, bleibst du bitte den Rest der Woche im Bett ...«

Badammmm – ausgeknockt! Tja, Pomelo, das war's dann wohl. Max kannst du ab sofort vergessen. Adieu, du Liebe meines Lebens. Adieu, mon amour ... schön, dass ich wenigstens gut in Französisch bin. Diese Sprache gilt nicht umsonst als die der Liebe. In ihr klingt alles schöner, aber auch dramatischer, wenn's darauf ankommt.

Hilft mir aber auch nicht wirklich weiter, jetzt, wo ich nach dem Arztbesuch im Bett liege und tatenlos zusehen muss, wie sich Julia mit Hilfe ihrer künstlichen Fingernägel meinen Max krallt. Und nebenbei auch noch die Umwelt rettet.

Mann, ist das öde hier!

Mom ist im Laden, Papa auf dem Großmarkt, Levin in der Vorschule. Und ich? Ömmle hier herum und suhle mich in Selbstmitleid. Hört mich denn keiner? Ich leide! Ich leide furchtbar!

In diesem Moment klingelt es an der Tür. Sicher wieder so ein verpeilter Postbote, der nicht kapiert, dass er alles im Buchladen abgeben soll. Ich schlurfe in meinem Bademantel zur Tür und sehe als Erstes einen gigantischen Kuchen mit rosa Zuckerguss. Darauf steht in weißer Schrift (Sprühsahne?): Gute Besserung!

Dahinter kommt Hedwig Schnuppe zum Vorschein, die mit einer Hand die Torte, mit der anderen ihren Gehstock balanciert. »Hey, das ist ja lieb von dir«, juble ich und kann es kaum erwarten, mich mit der süßen Masse vollzustopfen. Das ist jetzt genau das Richtige für meine geschundene Seele. Heilt Marzipan gebrochene Herzen? Wenn ja, super, denn der Guss ist aus selbigem. Also her damit!

»Kindchen, ab ins Bett mit dir, ich komme gleich nach!« Und zack ist Oma Schnuppe auch schon ab durch die Mitte.

Einige Minuten später steht sie mit einem Becher heißer Schoki und einem Stück der gigantischen Torte vor mir.

»Setz dich doch«, biete ich an, und Hedwig nimmt schnaufend an meiner Bettkante Platz, während ich mir das Kissen in den Rücken stopfe. Ich sage »Ah« und »Mhm« und schwelge in einem rosaroten Traum aus süßer Creme. Aber auch nach zwei Stücken ist mir immer noch schwer ums Herz. Ich glaube, die Marzipan-Theorie funktioniert nicht. Oder erst nach weiteren fünf Stücken.

»Pomelo, du gefällst mir heute gar nicht«, sagt Hedwig und sieht mich besorgt an. »Hast du Kummer?«

Gleich fange ich wieder an zu heulen.

»Ja, ähem, nein, also ...«

»Also ja. Liebeskummer?«

Huch? Woher weiß Oma Schnuppe das? War sie auch mal verliebt?

»Erzähl doch mal. Wie heißt er, und wo liegt das Problem?«

Ehe ich es mich versehe, purzelt die ganze Sache mit Max und Julia aus mir heraus. Hedwig hört schweigend zu, drückt ab und zu meine Hand oder streicht mir übers Haar. »Wenn ich dich richtig verstehe, bist du enttäuscht, weil du trotz aller Bemühungen immer noch keine Möglichkeit hattest, mit Max allein zu sein.« Ich nicke. »Und du gibst Julia die Schuld daran. Und natürlich deiner Grippe. Hat Max sich denn schon bei dir gemeldet, um sich nach deinem Befinden zu erkundigen?« Mist, warum muss Hedwig sofort den Finger auf meine blutende Wunde legen?

»Nö«, antworte ich knapp. Ich habe mich schon den ganzen gestrigen Abend darüber geärgert, dass Max weder angerufen noch gesimst hat. Er hätte zumindest Bescheid geben können, wie unsere Aktion gelaufen ist. Schließlich war ich die Initiatorin des Ganzen.

»Schätzchen, auch wenn ich es nicht gern sage. Lass die Finger von diesem Knilch. Wenn einer nicht Manns genug ist, sich zu melden, dann ist er deine Tränen auch nicht wert.«

Knilch, Manns genug ... wenn's nicht so traurig wäre, würde ich mich kaputtlachen. Oma Hedwig lebt wirklich noch in einer anderen Zeit.

»Ich war übrigens auch schon mal in einer solchen Situation.« Nun bin ich aber gespannt! »Bevor Werner und ich geheiratet haben, hatte ich auch eine Nebenbuhlerin. Sie hieß Barbara. Und um ein Haar hätte sie es geschafft, meine Hochzeit zu verhindern.«

»Und was hast du mit ihr gemacht? Sie unauffällig verschwinden lassen?«

Hedwig lächelt verschmitzt. »Nein, Mord war noch nie meine Sache. Ich habe einfach ihre Aufmerksamkeit auf ein anderes Objekt gelenkt. Werner war so irritiert von Barbaras plötzlichem Sinneswandel, dass er endlich bemerkte, wie oberflächlich sie im Grunde war. Männer sind zuweilen ein bisschen eitel, und nichts schmerzt sie so, wie verschmäht zu werden!«

Ich denke nach. Man könnte sagen fieberhaft, im wahrsten Sinne des Wortes. Hedwigs Idee ist ja an sich nicht schlecht. Aber wo finde ich auf die Schnelle jemanden, der auf Julia steht und den sie auch mag? Und vor allem: Wie organisiert man so etwas, wenn man wie ich ans Bett gefesselt ist?

»Überlegst du gerade, wen du auf Julia ansetzt?«, fragt Hedwig schmunzelnd. »Kann man so etwas nicht heutzutage über das Internet organisieren?«

Ich lache. Die Vorstellung, im Netz nach einen Ablenk-Lover für Lovely Juliet zu fischen, finde ich todkomisch und bastle im Geiste bereits an einem passenden Text:

Gutaussehende Blondine an Selbstabholer günstig abzugeben. Einzige Bedingung: Es muss schnell gehen. Sehr, sehr schnell ...

Ob ich nicht lieber Yella frage, ob sie mir mal ihren Florian ausleiht? Hm, vermutlich keine wirklich gute Idee. Gibt es nicht irgendeinen Exfreund von Julia, den ich ausgraben und auf sie ansetzen könnte?

Vermutlich ist Hedwigs Idee doch nicht so gut, weil nicht praktikabel. Zumindest nicht für mich.

»Oder du machst Max eifersüchtig. Ist vielleicht ein bisschen einfacher als andersherum!«, schlägt Oma Schnuppe vor und verabschiedet sich dann. Sie ist noch mit einer Freundin verabredet, die auch ein Männer-Problem hat. Offenbar ändert sich das alles nicht, auch wenn man steinalt ist.

Als ich wieder allein bin, scanne ich mein Männliche-Freunde-Register nach einem geeigneten Kandidaten ab. Frustrierendes Ergebnis: null, rien, zero. Der einzige, der mir einfällt, ist Ben, der Freak-Freund von Yellas Florian. Aber den kenne ich kaum.

Vielleicht könnte ich meinen Cousin Alex bitten, sich für die Geschichte herzugeben? Dumm nur, dass er in Wuppertal wohnt und so gut wie nie in Hamburg ist. Das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Okay, merke: Ich muss die Sache irgendwie anders anfangen. Ohne Beteiligung unschuldiger Dritter.

Ob ich ihm einfach sagen soll, dass ich mich bis über beide Ohren in ihn verknallt habe?

Mein Herz rast dermaßen bei dem Gedanken an diese Möglichkeit, dass das Fieberthermometer bestimmt gleich in astronomische Höhen schnellt und ich nie, nie wieder aufstehen darf. Ich versuche, mich zu beruhigen und mir verschiedene Versionen auszumalen, in denen ich Max meine Gefühle gestehe.

Variante eins:

Ort der Handlung: Mein Bett beziehungsweise mein Zimmer. Ich liege blass, krank, aber wunderschön in den Kissen, und mein Anblick rührt sofort jedermanns Herz, es sei denn, er besitzt kein solches. Max sitzt mit sorgenzerfurchter Miene an der Bettkante und legt seine Hand an meine Stirn. Als er spürt, wie heiß sie ist, springt er auf und ruft den Notarzt. Während ich auf einer Trage ins Krankenhaus gebracht werde (brauche für diese Situation definitiv ein neues, heißes Nighty!), weicht er nicht einen Moment von meiner Seite. Auch im Krankenhaus hält er meine Hand, während ich im Fieberwahn seinen Namen murmle. Vorteil an der Sache: Ich habe mich bei 43,5° Körpertemperatur natürlich nicht mehr im Griff. Also ist es auch nicht uncool, wenn ich alle fünf Sekunden Maaaaaaaax seufze.

Variante zwei:

Ort der Handlung: Die Turnhalle. Max springt wie ein junger Rehbock über einen Kastenstapel. Der Sportlehrer erhöht und erhöht, doch kein Hindernis ist Max zu hoch, um zu mir zu kommen. Ich stehe hinter dem Kastenberg, sodass Max mich kaum sehen kann. Kleine Korrektur: Pomelo, das ist Schwachsinn! Max sollte dich schon sehen können! Also gut: Ich stehe schräg dahinter, sodass er mir bei jedem Sprung tief in die Augen schauen kann. Max ist mein Held, er schwebt über dem Ganzen wie eine Feder. Doch er hat die Rechnung ohne Julia, die falsche Schlange gemacht. Die kooperiert nämlich mit dem Lehrer und baut den Stapel nun so hoch, dass Max sich beim Sprung verheddert und direkt in meinen Armen landet. Während ich sachte seinen Kopf streichle, sage ich leise: »Ich dachte schon, du schaffst es nie zu mir, Liebster.« Max' Text: »Für dich ist mir kein Weg zu weit, kein Kastenstapel zu hoch und so weiter und so fort ...« Tja, Julia, Pech gehabt. Dein Plan ging wohl nach hinten los!

Variante drei:

Ort der Handlung: Moms Laden. Max und ich stöbern Seite an Seite in den Büchern, Mom hat uns heiße Schokolade und Trüffel hingestellt und sich dann netterweise vom Acker gemacht. Wir sind allein, plötzlich beginnt es zu regnen, dicke Tropfen platschen auf das Wasser des Kanals. Ich halte gerade einen Band mit Liebesgedichten in den Händen, in dem steht: »Ich trage dein Herz in meinem Herzen ...«, und lese den Satz laut vor, während Max mit dem Rücken zu mir steht und Plaudertasche bestaunt, die gerade den Holzsteg raufkrabbelt. Vermutlich will sie auch heiße Schokolade. Verzückt von meinen Worten (äh, denen des Dichters E. E. Cummings), dreht er sich um und nimmt mich in die Arme. Dann sagt er: »Ich deines auch, meine süße Pomelo«, und ich schwebe im siebten Himmel. Da, wo es nie regnet und die Sonne immer scheint. Hach ...

***

Zu Variante vier komme ich nicht mehr, weil plötzlich Mom vor mir steht. Zeit zum Fiebermessen, willkommen in der schnöden Wirklichkeit!

»Tja, Süße, ich fürchte, ich werde dir jetzt Wadenwickel machen müssen, das sieht alles gar nicht gut aus!«

Wenige Minuten später sind meine Beine eingehüllt in nach Essig müffelnden, feuchten Tüchern, die wiederum in Plastik verpackt sind. Wie unwürdig! Kann ich nicht einfach fiebersenkende Tabletten schlucken wie andere Leute auch?