»Hey, blinzel nicht so doll, sonst werden die Fotos nichts«, sagt Brigitta Wiesner von der örtlichen Presse. Wenn das mal so einfach wäre. Soll sie doch mal versuchen, ohne Schutz direkt in die Sonne zu schauen. Ich gebe mir Mühe, so zu tun, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt für mich, vor einem Baum zu stehen und zu posen (super Wort, fast so schön wie performen), als gälte es, Heidi Klum eine Eintrittskarte ins Modelbusiness zu entlocken. Aber ich bin hier nicht bei einem Casting, sondern bei der Aktion »Rettet die Bäume am Isebekkanal!«. Und die Juroren heißen in diesem Fall Stadtverwaltung und Bürgermeister und nicht Peyman Amin und Rolf Schneider.
Hinter Brigitta schneiden Max und Levin Grimassen. Können die das bitte mal lassen? Schließlich bin ich eine seriöse Umweltaktivistin, die gleich ein Interview geben wird. Neben Max und Bruderherz steht Lovely Juliet und guckt total genervt.
Vermutlich findet sie es so richtig zum Würgen, dass Levins und meine Kunstwerke die Presse weitaus mehr interessieren als ihr Öko-Outfit (ist dieser Rock-Lappen aus Jute? Und wenn ja, wo hat sie den her?) und die immerwährende Leier über die Isebek-Website und die gesammelten Unterschriften. Am meisten dürfte sie ärgern, dass sie jetzt gezwungen ist, meine Fotos und Levins Bilder ins Netz zu stellen. Außerdem hasst sie mich für die Idee mit den Grablichtern und Levins T-Shirt mit dem Totenkopf drauf, das wir gestern Abend zusammen gemalt haben, das sehe ich ihr an der Spitze ihrer Himmelfahrtsnase an.
Während meines Fotoshootings unterhält Yella sich mit den vorbeilaufenden Passanten, die natürlich wissen wollen, was es mit dem ganzen Zinnober auf sich hat. Jeder, der mag, bekommt von Levin und Max einen Handzettel mit allen wichtigen Infos (auch die Adresse der Website, ich bin ja schließlich nicht kleinlich). Kurzum: Alle geben ihr Bestes und haben Spaß, nur Julia sieht aus, als hätte ihr jemand Brennnesseln ins Dekolleté gestopft.«Coole Aktion, wessen Idee war das denn?«, fragt Ben mich, als Brigitta endlich alle Bilder im Kasten hat. Huch? Wo kommt der denn auf einmal her?
»Meine«, antworte ich wahrheitsgemäß und starre auf seine löcherigen Pulswärmer.
Wieso läuft dieser Typ mir eigentlich ständig über den Weg? Will das Universum mir damit irgendetwas sagen?
»Kompliment, Kompliment, das nenne ich echt mal kreativ! Vor allem die Idee mit den Grablichtern, echt gruftig!«
Selber gruftig, denke ich, während mein Blick an ihm entlangwandert:
Er sieht wirklich ziemlich gothicmäßig aus, hat aber einen guten Körper (soweit man das unter seinem Schlabber-Shirt erkennen kann) und vor allem schon wieder so 'ne total heiße Lederjacke – alles in allem sehr lässig und cool!
»Sag mal, wie heißt du eigentlich? Jetzt haben wir uns schon so oft getroffen, und ich kenne immer noch nicht deinen Namen«, fragt Ben und verzieht keine Miene, als ich Pomelo Trüffel sage. Normalerweise kommen an dieser Stelle immer blöde Sprüche oder zumindest die Frage, ob das mein Ernst ist.
Doch Ben grinst bloß frech, anstatt sich selbst auch vorzustellen. »Na, das nenne ich mal eine exotische Mischung ...«, sagt er und ist dann genauso schnell verschwunden, wie er gekommen ist.
Huch? Habe ich ihn nur geträumt? Doch ein Hund mit buntem Halstuch, der ihm hinterhersprintet, beweist, dass ich nicht phantasiere. Der Hund heißt »Yogi«, so viel weiß ich jetzt immerhin.
»So, Schluss für heute«, ruft Julia und beendet damit unseren Aktionstag.
Das ist auch gut so, denn heute Abend sind Yella und ich zu der Geburtstagsparty von Florian eingeladen. Und bis es so weit ist, muss ich mich noch umziehen, stylen und vor allem Mom breitquatschen, dass ich länger als bis zehn Uhr wegbleiben darf. Und da ist da noch eine andere Sache, die ich unbedingt organisieren muss ...
***
»Um zehn Uhr bist du daheim, keine Widerrede«, sagt Dad und stemmt die Hände in die Hüften.
Müssen Erwachsene immer demonstrieren, dass sie am längeren Hebel sitzen? Das ist echt ätzend!
»Du bist pünktlich, trinkst keinen Alkohol und schminkst dich nicht. Haben wir uns verstanden?«
Mit Punkt zwei des Forderungskatalogs habe ich kein Problem, aber eins und drei bereiten mir echt Kopfzerbrechen. Schließlich ist es nicht nur die Party von Florian, sondern vor allem die Party, auf der auch Max sein wird! Und da will ich verdammt nochmal nicht wie ein Baby wirken, das pünktlich ins Heiabettchen muss, und das auch noch so naturbelassen, wie Gott es schuf. Ich will heute Abend Kusslippen haben und mit den Wimpern klimpern, ist denn das zu viel verlangt?
Es ist!
»Papa hat recht. In deinem Alter musst du dich wirklich noch nicht anmalen, Schätzchen. Du hast doch so schöne Haut.« Muss Mom eigentlich immer derselben Meinung sein wie Dad? Sie schminkt sich doch schließlich auch, wenn sie sich besonders gut fühlen will. Wenn auch mit Naturkosmetik, aber das optische Ergebnis ist dasselbe: rabenschwarze Wimpern und blutrote Lippen. Und genau das will ich auch! Also gut, ich seh schon: Dann muss ich mich wieder in letzter Sekunde auf der Toilette schminken, und zwar auf der Party. Oder ich »male mich an«, ziehe mir eine Strumpfmaske oder eine Einkaufstüte über den Kopf und hoffe, dass meine Oldies nicht misstrauisch werden.
Weil ich keine wertvolle Zeit mit Diskussionen verschwenden will, die eh zu nichts führen, trotte ich hinauf in mein Zimmer. Dort liegen seit gestern Abend drei Outfits, die in Frage kommen, beziehungsweise kamen:
a) Ein knallroter Minirock (Lederimitat) mit einem rotweiß-orangefarbenen Ringelshirt Marke Pippi Langstrumpf. Dazu weiße Turnschuhe.
b) Ausgefranste Jeans-Shorts und ein schwarzes Neckholder-Top mit weißen Sternchen drauf. Dazu ein echt grooviger weißer Gürtel mit einer Monsterschnalle, besetzt mit Strasssteinchen. Dazu schwarze Ballerinas.
c) Ein geblümtes, türkisfarbenes Sommerkleid. Dazu schwarze Ballerinas und eine schwarze Häkelmütze, auch wenn's warm ist.
Ich probiere alle drei Varianten zum x-ten Mal aus und verfalle kurz in Panik: Mist, ich habe nichts anzuziehen! Gestern Abend war das alles noch kein Problem! Aber seit ich vorhin erfahren habe, dass Max auch zu der Party kommt, weil er ja Florian vom Fußballspielen kennt, sieht die Sache ganz anders aus! Ob ich schnell noch ein Shirt zerschneide und bemale? Ich will sexy und verführerisch aussehen (womit c, das Sommerkleid, eigentlich entfällt), und wenn das gelungen ist, Max fragen, warum er seit unserer Knutscherei immer noch so tut, als sei nie was zwischen uns passiert.
Noch eine Stunde, dann muss ich los. Mist, das wird knapp!
Kurz vor acht stiefle ich von dannen. Meine Beine stecken im roten Mini, obenrum trage ich das schwarze Neckholdertop mit den weißen Sternchen. Um meine Haare habe ich mir ein Halstuch mit Piratenmotiven geschlungen, Leihgabe von Levin. Als Gegenleistung muss ich ihm morgen eine Vampir-Kassette kaufen. (Bruderherz gibt wieder den Fürsten der Finsternis, diesmal reloaded.) Weil die weißen Turnschuhe irgendwie spießig aussahen, habe ich sie kurzerhand mit schwarzem Edding bemalt. Peace-Zeichen und eine Cannabis-Pflanze – mehr ist mir auf die Schnelle als Motiv nicht eingefallen.
Mom wird mit Sicherheit einen Anfall kriegen, wenn sie das sieht. Aber sie war zum Glück vorhin so damit beschäftigt, die Einhaltung des Make-up-Verbots zu überprüfen, dass sie nichts gemerkt hat.
Wie schön, dass Florian halbwegs um die Ecke wohnt, nämlich ein Stück die Osterstraße hoch. Wenn ich Glück habe, hat das Eiscafé nebenan noch geöffnet, dann kann ich mich dort schminken.
»Cara bambina, buona sera«, begrüßt Giovanni mich freudestrahlend, als ich um die Ecke biege.
Zum Glück zwingt er mich nicht, ein Eis zu kaufen als Gegenleistung für den Trip auf die Toilette, obwohl ich grundsätzlich nichts gegen eine Kugel einzuwenden hätte. Aber auf der Party gibt es bestimmt was zu essen, also halte ich mich jetzt besser zurück. In Sachen Mascara gebe ich allerdings Stoff, hoffentlich brechen mir die Wimpern nicht ab! Mit Kussmund und geheimnisvoll umwölkten Augen (habe das erste Mal Kajal ausprobiert!) stolziere ich aus der Eisdiele. Stolziere deshalb, weil Giovanni mich »Bellissima« genannt hat. Gut, dass ich ein bisschen Italienisch kann und weiß, dass ich eine Schönheit bin! Ich hoffe nur, dass Max das genauso sieht ...
***
»Happy Birthday, Florian«, gratuliere ich und drücke dem Geburtstagskind mein Geschenk in die Hand. Es ist eine CD, die er sich gewünscht hat. Hinter Florian taucht eine Frau auf, die ihm ziemlich ähnlich sieht, also wird es wohl seine Mom sein. »Ich bin Pomelo«, stelle ich mich vor und schiele an ihr vorbei in der Hoffnung, Max zu entdecken.
Doch an der Stelle, an der ich den Mann meiner Träume erwarte, steht die Frau meiner Albträume: Julia!
»Oh, du auch hier?«, wundere ich mich, lasse sie dann aber links liegen, weil ich Yella suche. Ich muss sofort wissen, was Lovely Juliet hier verloren hat! Spielt sie auch mit Florian Fußball? Wohl kaum ...
»Ach du bist's, ich hätte dich kaum erkannt«, begrüßt Yella mich, ein grasgrünes Getränk in der Hand. »Irgendwas ist ... anders an dir ... du siehst so, so ... erwachsen aus ...«
Cool! Dann ist ja alles so, wie ich es wollte.
»Hi Max«, winke ich, beschwingt durch das Kompliment (Yes! Ich fühle es! Heute ist mein Abend!), als sein süßer Igelkopf im Hintergrund auftaucht. »Na, alles klar?«
Max nickt, wird dann aber sofort von Julia in Beschlag genommen. Klarer Fall von Besitzabsicherung. Doch dummerweise ist die zu doof, um ihre Bewegungen zu kontrollieren, und rempelt beim Versuch, die Schöne des Abends zu geben, Yella an. Die wiederum fällt gegen mich und hat ihrerseits nichts Blöderes zu tun, als mir das grüne Gebräu mitten ins Gesicht zu schütten. Na super!
Während mir etwas widerlich süß duftendes Klebriges das Gesicht hinunter in den Ausschnitt meines Neckholder-Tops läuft, kann ich nur noch eins denken: Ich hasse Melonenbowle ... und ich hasse Julia!