Tom breitete beschwichtigend die Arme aus. „Bitte, hört mir zu! Wir haben kein Gold!“ Er musste schreien, um sich über das laute Stimmengewirr Gehör zu verschaffen. Storm wieherte und Silver funkelte die wütenden Dorfbewohner knurrend an. Elenna kniete sich neben ihn auf den Boden und versuchte, ihren Wolf zu beruhigen.
„Mit was wollt ihr handeln, wenn ihr kein Gold habt?“, fragte eine Frau mit streng zurückgebundenem Haar. Ihre Augen wanderten zwischen Tom und dem Wolf hin und her. „Mit Fell vielleicht?“
Elenna keuchte empört auf und drückte Silver eng an sich.
„Wir sind Reisende, keine Händler“, sagte Tom. „Wir wollen –“
„Mach dir keine Mühe, es zu erklären.“ Die Frau funkelte sie böse an. „Wenn ihr kein Gold habt, sind wir nicht interessiert.“
Ein älterer Mann mit tiefen Falten im Gesicht trat vor. „Meine Tochter meint es nicht böse. Ich kann sehen, dass du und deine Freundin fremd in diesem Land seid und dass ihr unsere Gewohnheiten nicht kennt. Wir warten auf die Goldhändler.“ Der Mann sah besorgt zum Horizont. „Jede Woche machen sie Halt bei der Goldmine, kaufen die Goldstücke und bringen sie zum Handeln hierher, bevor sie weiter durch das Königreich reisen.“
Der Mann rieb sich die Schläfe. „Weil wir die ersten Händler auf ihrer Strecke sind, verkaufen sie ihr Gold immer zu einem guten Preis. Schaut euch um. Das Gold ist der einzige Grund, warum unser Dorf trotz der Missernten der letzten Monate überlebt hat.“
Tom blickte sich rasch um. Das Dorf lag inmitten von ausgetrockneten Feldern. Die Erde war so staubig wie Asche. Er runzelte die Stirn und dachte an die Felder in seinem Heimatdorf. Die Bauern hatten das Land zwischen den einzelnen Ernten immer einige Zeit ruhen lassen, damit sich die Erde erholen konnte. Es war klar, dass die Felder hier ausgelaugt waren.
Silver hatte sich beruhigt und Elenna stand auf. „Tom“, murmelte sie, „wir müssen ihnen erzählen, was mit der Mine passiert ist.“
Tom nickte und drehte sich zu dem alten Mann um. „Die Händler werden nicht kommen. Die Mine ist eingestürzt. Es gibt kein Gold mehr.“
„Du siehst nicht wie ein Minenarbeiter aus, also woher weißt du das?“, fragte die Frau mit den zornigen Augen.
Tom schluckte. Schuldgefühle überkamen ihn, aber er brachte es nicht über sich, die Leute anzulügen. „Ich weiß es, weil ich die Mine zerstört habe“, sagte er und erklärte, wie er die Sklaven befreit hatte. „Es tut mir sehr leid, aber ich konnte diese Männer nicht länger als Sklaven arbeiten lassen.“
„Kein Gold mehr?“, sagte ein Mädchen mit brüchiger Stimme. „Das kann nicht sein!“
Um ihn herum schrien die Menschen verzweifelt auf, während sich die Neuigkeit verbreitete.
Der alte Mann sank auf die Knie. Sein Gesicht war eingefallen. Er hob eine Hand voll Staub hoch und hielt sie Elenna und Tom hin. „Sollen wir von jetzt an Staub essen? Ohne das Gold sind wir verloren! Wir werden verhungern!“
„Ihr seid uns das Gold schuldig!“, ertönte ein Ruf aus der Menge. Silver knurrte warnend, als die Dorfbewohner wieder näher kamen.
„Tom, was sollen wir machen?“, fragte Elenna. „Müssen wir uns den Weg freikämpfen?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Tom. „Die Leute sind nicht böse, aber sehr verzweifelt.“ Er wollte noch mehr sagen, doch da bemerkte er einen stämmigen Mann mit einer Augenklappe, der sie beobachtete. Der Mann starrte Tom und Elenna mit seinem blutunterlaufenen Auge an, ohne zu blinzeln. Tom spürte, dass dieser Mann noch gefährlicher war als die wütende Menschenmenge. Schnell griff er nach seinem Schwert, hielt jedoch inne, als er ein Schluchzen hörte. Es war der alte Mann, der nun auf dem Boden lag und weinte.
Tom half ihm auf die Füße. Er hatte den Sklaven aus der Mine helfen wollen, aber er hatte nicht geahnt, dass sein Handeln für andere solch ein Unglück bedeuten würde. Er griff in die Satteltasche und holte ein paar Streifen getrocknetes Fleisch heraus.
Die Tochter des alten Mannes lachte ungläubig. „Was soll das bringen? Wir brauchen etwas, das wir tauschen können, sonst werden alle im Dorf jämmerlich verhungern.“
„Warte, ich habe eine Idee“, sagte Elenna zu Tom. Sie wühlte in ihrem Köcher und zog die Münzen heraus, die sie im Dschungel von Gwildor gefunden hatten. Gemeinsam verteilten sie die Münzen schnell unter den Dorfleuten.
Tom seufzte erleichtert, als die Leute lächelnd nach dem Geld griffen. Er sah Elenna dankbar an. „Gute Idee“, sagte er.
Sie grinste ihn an. „Gern geschehen, schließlich sind wir ein Team, schon vergessen?“
„Nein, das habe ich nicht vergessen.“ Tom stieg wieder in den Sattel. „Lass uns weiterreiten, hier können wir keine Rast machen.“
Elenna stieg hinter ihm auf Storms Rücken.
„Viel Glück!“, rief sie der Menge zu. Der alte Mann prüfte die Echtheit der Goldmünze gerade zwischen den Zähnen, aber er winkte ihnen zum Abschied zu. Seine Augen leuchteten glücklich. Elenna und Tom galoppierten vom Dorfplatz und Silver rannte neben ihnen her.
Als sie wieder auf der Grasebene waren, hielt Tom an und warf einen Blick auf das Amulett. Er prägte sich die Route ein und lenkte seinen Hengst dann auf einen Weg, der sie direkt zum Sumpf führen würde.
Plötzlich hörte er einen Reiter, der sein Pferd anfeuerte. Tom blickte über die Schulter und entdeckte eine Gestalt, die blitzschnell auf sie zugeritten kam. Silver jaulte warnend und legte die Ohren an. Tom brachte Storm zum Stehen und griff hastig nach seinem Schwert, aber der Reiter hatte sie bereits eingeholt. Ohne Vorwarnung packte er Elenna im Nacken und zog sie von Storms Rücken. Der Hengst wieherte erschrocken und preschte nach vorn.
„Nein! Halt!“, rief Tom und zerrte so fest er nur konnte an den Zügeln, aber sein Hengst stürmte einfach weiter.
Er hörte Elennas Schreie und sah, wie sie zu Boden stürzte. Als sie hart auf der Erde landete, erstickte ihr Schrei abrupt. Ihr Körper lag verdreht und bewegungslos da.
War sie etwa tot?