Der nächste Morgen war erstaunlich hell für einen Wintertag. Die lange verschollen geglaubte Sonne hüllte die Welt in warmes Licht. Der erste zarte Versuch, in die eiskalte Winterwelt hier zurückzukehren. Die Stimmung der beiden Bald-Adeligen jedoch war durchwachsen. Immerhin redete Kathleen ab und an ein wenig und war nicht mehr so stumm wie gestern noch, aber auch Alex war nicht so ganz im Reinen mit der Situation. Sie saßen zusammen mit Jasmin von Keitenburg in demselben Besprechungsraum wie gestern, paukten Adelsetikette und feilten an ihrer Hintergrundstory.
Ein wenig hatte Alex’ Stimmung aber auch darunter gelitten, dass Lukas ihm heute früh frech entgegengegrinst hatte, als er ankam. Darüber hätte er vielleicht noch hinwegsehen können, aber als dieser Blödmann auch noch irgendwas von »nicht so doof aus der Wäsche gucken, schließlich wird nicht jeder innerhalb von zwei Tagen zum Adeligen, ohne eine von ihnen flachzulegen« sagte, platzte Alex der Kragen. Er hatte ihm an den Kopf geworfen, dass er nicht den Mumm hätte, selbst die Kohlen aus dem Feuer zu holen, sondern dass Kathleen und er jetzt nur diesen Mist an der Backe hätten, weil er und Inka es nicht hinbekommen hätten. Fast wäre ihr Zwist in eine Schlägerei ausgeartet, denn Lukas war aufgesprungen und hatte sich dicht vor ihm aufgebaut, während er ihn anfuhr, er solle doch bitte noch mal wiederholen, was er da eben gesagt hätte. Alex hatte sich ohne Erwiderung umgedreht und war in Richtung Besprechungsraum gestiefelt. Lukas war der Einzige, den er nicht vermissen würde, wenn er sich entschließen sollte, wegen des Babys und Susa wieder zurück nach Heidelberg zu gehen.
Und jetzt saßen sie hier und übten, Kaffeetassen zierlich zu halten und höfliche Konversation zu machen, wobei das Ganze noch ziemlich holperig lief, wenn man bei der Wahrheit bleiben wollte.
»Gute Nachrichten! Das Meiste haben wir hinter uns. Allerdings müssen wir noch ein bisschen an eurer Garderobe arbeiten, denn so nimmt euch keiner die Adeligen ab. Ihr braucht so ein bisschen Casual Chic. Understatement, okay?«, sagte Jasmin jetzt mit zur Seite gelegten Kopf, während sie Alex und Kathleen von oben bis unten musterte und mit klimpernden Armbändern in ihrer Kaffeetasse rührte.
»Nee, nicht wirklich, oder?«, stöhnte Alex, während Kathleen mit rotem Kopf da saß und schwieg.
»Wir gehen shoppen. Euer Boss übernimmt die Kosten, wenn sie im Rahmen bleiben, hat er gesagt. Nur ein paar Sachen, den Rest kann ich euch leihen, wenn ihr wollt. Was allerdings schwierig wird, sind die Siegelringe, aber wir hoffen mal, dass das nicht so auffällt, schließlich seid ihr ja nicht in Deutschland aufgewachsen.«
»Das ist doch Wahnsinn! Niemand wird uns jemals die Adeligen abnehmen«, versuchte Alex es noch einmal, aber Jasmin blieb sicher.
»Vielleicht nicht die ursprünglich deutschen Adeligen, aber die Adeligen aus Südamerika bestimmt. Ihr müsst noch nicht mal richtig Spanisch können. Falls jemanden das Bedürfnis überfällt, mit euch Spanisch zu reden, müsst ihr nur eine Floskel erwidern und dann wieder ins Deutsche wechseln. Schließlich habt ihr euch doch darauf gefreut, endlich mal in Deutschland Deutsch zu sprechen. So schlimm ist das alles nicht. Wenn sie euch erst mal akzeptiert haben, werdet ihr die spannendsten Geheimnisse erfahren. Einige Journalisten würden alles dafür geben, glaubt mir.«
Jetzt schlich sich ein Lächeln auf Kathleens Gesicht. »Alles klar, gehen wir shoppen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so was mal beruflich machen würde.«
Jasmin von Keitenburg grinste, und Alex konnte nicht anders: Auch er lächelte.