13. Kapitel

Es wurde ein netter Winterspaziergang daraus, aber neue Erkenntnisse brachte er ihnen keine.

Interessanter war da schon das Gespräch mit Jasmin, die sie abfingen, als sie mit ihrem Jeep auf den Hof gerumpelt kam. Sie sah müde aus und wirkte wie ein kleines Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war. Sie schien unter dem Verschwinden ihres Vaters von den drei Geschwistern am meisten zu leiden.

Trotzdem nickte sie mit einem kleinen Lächeln. »Natürlich können wir reden. Ich brauche nur erst mal einen heißen Tee. Wollen wir in die Küche gehen?«

Von Frau Kunze oder irgendeinem anderen Bewohner des Schlosses war nichts zu sehen. Und so schloss Alex die Küchentür leise, während Kathleen das Teewasser aufsetzte und Jasmin Tassen auf den Tisch stellte.

»Also, was gibt’s Neues?«, fragte sie schließlich, als alle drei mit den Händen ihre warmen Tassen umklammerten und an Haferkeksen von IKEA knabberten.

Sie berichteten von den heutigen Vorkommnissen im Wald und der abwehrenden Reaktion ihres Bruders. Jasmin sah sie nachdenklich an und biss immer wieder Ministückchen von ihrem Keks ab.

»Ich denke, er vermutet den Gleichen dahinter wie ich«, sagte sie und nahm einen großen Schluck aus ihrer Teetasse.

Kathleen schwieg, doch Alex konnte die Spannung nicht aushalten. »Und der wäre?«, fragte er etwas ruppiger als beabsichtigt.

»Derselbe, der vor vier Tagen die Reifen meines Bruders zerstochen hat. Es ist lästig, aber das ist auch ein Grund, warum wir ihn entlassen mussten: Er hat seine negativen Gefühle einfach nicht im Griff.« Wieder nippte sie an ihrem Tee.

»Ein ehemaliger Angestellter also?«, fragte Kathleen jetzt.

»Unser Gärtner. Er ist schon seit einer Ewigkeit bei uns, und ich hätte gewettet, dass er jeden von uns aus dem Feuer retten würde, statt selbst eines zu legen.«

»Wieso wurde er dann entlassen?« Alex schüttelte unwillig den Kopf. Er wurde nicht schlau aus diesen Adeligen.

»Er hat sich verändert. Plötzlich hatte er diese Aggressionen. Man weiß nie, woran man heute bei ihm ist. Wir hatten Angst, dass sich das auf seine Arbeit auswirkt. Bei großen Veranstaltungen müssen ja alle Mitarbeiter als Butler, Servierkräfte und so weiter fungieren. Da kann man sich nicht leisten, jemanden zu haben, der sich nicht vollständig unter Kontrolle hat.«

»Offenbar hat ihn das stärker getroffen, als erwartet. Kann es sein, dass die Kündigung nach der langen Zeit für ihn überraschend kam? Haben Sie die Taten angezeigt?«, fragte Alex.

»Du. Wir sind beim Du, schon vergessen? Nein, natürlich nicht. Diese Loyalität sind wir ihm schuldig, nachdem er so lange in unseren Diensten stand.« Sie nahm einen großen Schluck von dem Tee und griff nach einem weiteren Keks.

»Und wenn er als Nächstes das Schloss abfackelt?«, fragte Kathleen.

»Das wird er nicht. Er will uns nur Denkzettel verpassen. Der Holzstapel war weit weg vom Schloss und somit keine wirkliche Gefahr. Und bei Julius’ Auto hat er alle Reifen zerstochen, sodass er gar nicht erst losfahren konnte. Nein, nein, er will uns nur zeigen, wie sehr ihn unsere Entscheidung verletzt hat. Bald wird es ein Ende haben.«

»Ist das so die adelige Vorgehensweise?«, fragte Alex ein wenig fassungslos.

Jasmin sah in überrascht an. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß in ihrem Gesicht. »Ja, natürlich. Es ist selbstverständlich, dass man sich um seine Angestellten kümmert und sorgt.«

»Und sie entlässt, wenn sie nicht mehr ständig gut gelaunt umherlaufen«, murmelte Alex, doch seine Äußerung wurde von Kathleens Frage übertönt, die offensichtlich mit seinem Unmut gerechnet hatte.

»Eine andere Frage, Jasmin: Hast du Kontakt zu deiner Mutter?«

»Ja, natürlich. Warum?«

»Es kann nicht sein, dass dein Vater zu ihr geflüchtet ist?«

»Geflüchtet? Aber wovor denn? Nein, ich kann dich beruhigen: Das halte ich für ausgeschlossen. Meine Eltern sind nicht gerade friedlich auseinandergegangen, um es mal so zu formulieren. Aber die Familie ist groß, und das Individuum ist klein.« Sie lächelte, doch man konnte ihr ansehen, dass es ihr schwerfiel.

»Okay, alles klar. Wir brauchen dann bitte die Adresse von dem Gärtner, und dann sehen wir uns nachher beim Musikabend«, sagte Kathleen und winkte Alex, ihr zu folgen.

»Ja, klar. Ich suche sie raus und bringe sie euch dann«, erwiderte Jasmin, blieb aber sitzen und starrte in ihre leere Teetasse.

 

Als Alex und Kathleen langsam die Treppe emporstiegen, konnte er nicht mehr an sich halten: »Jetzt haben wir schon zwei Verdächtige: den Gärtner und die Ex. Ich glaub’s ja nicht. Erster richtiger Tag hier, und wir haben mehr als Lukas und Inka in einer ganzen Woche.«

»Nun mal ganz langsam, Großer. Noch haben wir gar nichts.«

In seinem Zimmer warf sich Alex aufs Bett. Er war ein wenig frustriert über Kathleens mangelnde Begeisterung. Außerdem war er müde, und sein Magen knurrte trotz der zwei Haferkekse, aber bis zum Mittagessen war es noch eine gute Stunde. Vielleicht konnte er ein wenig schlafen, doch vorher wollte er noch einmal bei Frau Wolf nachfragen, wie es ihr mittlerweile ging. Doch bei ihrem Krankenhausanschluss nahm niemand ab, und auch bei ihrem Handy sprang nur die Mailbox an. Genervt warf Alex sein Handy auf den Nachttisch, auf dem sich schon andere Dinge häuften. Kathleen würde das kalte Grausen überkommen, wenn sie diese Unordnung hier sehen würde. Er musste ganz einfach verhindern, dass sie in sein Zimmer kam, dann gab es auch weniger Reibungspunkte.

Allerdings musste er zugeben, dass ihm Frau Wolf fehlte. Ihre aufmunternden Worte und ihr immer offenes Ohr nervten ihn zwar ab und an, aber jetzt, wo er sie nicht hatte, vermisste er sie. Na wunderbar, das machte ihm die Entscheidung, sein Leben in Berlin hinter sich zu lassen und zu Susa und dem Baby zu ziehen, auch nicht leichter, dachte er, während ihm die Augen zufielen.

 

Als er wieder aufwachte, dämmerte es bereits. Sein Magen knurrte in wildem Stakkato. Alex warf einen Blick auf seine Armbanduhr, doch es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Er tastete nach der Nachttischlampe, aber er war noch so verschlafen, dass er sich nicht daran erinnern konnte, wo der Schalter war. Irgendetwas fiel vom Nachttisch. Endlich flammte das Licht auf. Alex blinzelte einen Moment, weil seine Augen von der plötzlichen Helligkeit überfordert waren. Dann sah er erneut auf die Uhr. Mist, er hatte das Mittagessen verschlafen, und jetzt war wahrscheinlich auch keine Zeit mehr, vor Beginn des Musikabends einen Happen zu essen. Schlimmer noch: Er musste sich beeilen, um noch rechtzeitig fertig zu werden. Schließlich konnte er ja nicht mit verwuschelten Haaren und so lässig gekleidet dorthin kommen. Immerhin waren sie in einem Schloss, und es handelte sich um eine Veranstaltung ausschließlich für Adelige.

Er hatte einen schlechten Geschmack im Mund. Kein Wunder, schließlich hatte er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Er streckte sich ausgiebig, sprang dann aus dem Bett und eilte ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen. Ob er noch einmal unter die Dusche springen sollte? Aber dafür war nicht mehr genug Zeit. Was trug man eigentlich zu so einem Musikabend? War das genauso feierlich wie das Dinner gestern? Er hätte jetzt gerne Kathleen oder Jasmin gefragt, aber ein hektischer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass das Spektakel in zehn Minuten losgehen würde, und er hatte immer noch den Mund voller Zahnpasta.