35. Kapitel

Als Kathleen am Montag früh den Gang zum Büro hinunterging, kam ihr alles ein bisschen weniger trostlos vor als sonst. Der dunkle Gang erschien ihr heller, und die Grünpflanze, deren Blätter traurig hinunterhingen, erschien ihr frischer. Natürlich konnte das daran liegen, dass es gestern so schön gewesen war, endlich wieder einen ganzen Tag entspannt mit Mattis zu verbringen.

Sie hatten ausgeschlafen und waren dann frühstücken gegangen. Danach hatten Sie kurz entschlossen mal wieder den Zoo besucht und sich köstlich über die Affen, die Pandas und das Elefantenjunge amüsiert, das trotz der niedrigen Temperaturen im Schnee herumtollte. Der Vorteil gegenüber einem Besuch im Sommer war, dass nur wenige Besucher unterwegs waren, während man – sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten – vor lauter Menschen kaum vorwärtskam. Ein Langzeitphänomen, seit der kleine Eisbär Knut dem geneigten Berliner Publikum vorgestellt worden war. Inzwischen war er schon eine Weile tot, aber der Besucherstrom blieb unaufhaltsam hoch, als hätte sich herumgesprochen, dass der Berliner Zoo ein wunderschönes Eckchen war.

Abends war Linus noch vorbeigekommen und hatte etwas vom Thailänder mitgebracht, und obwohl Mattis ihn erst sehr kritisch beäugt hatte, machten die beiden später eine Kissenschlacht mit viel Gelächter und Spaß, bevor sie sich gemütlich zu dritt auf die Couch gekuschelt und einen Film angesehen hatten, den Mattis sich hatte aussuchen dürfen.

Kathleen war am nächsten Morgen glücklich aufgewacht und hatte auf der Fahrt ins Büro, nachdem Mattis pünktlich bei der Schule abgeliefert war, als Erstes Linus angerufen. Und jetzt ging sie beschwingten Schrittes den Gang hinunter, und alles war ein bisschen heller als vorher. War das Glück? Sie hatte dieses Gefühl so lange vermisst. Sie würde nachher mit Nora darüber reden. Sie hatten sich vorgestern nur ganz kurz gesehen, bevor Kathleen bereits aufgerüscht für den Ball Mattis bei ihr abgeliefert hatte, wo er den Abend verbracht hatte. Nächstes Wochenende hatte sie endlich auch mal eine Überraschung für Nora, von der die aber noch nichts wusste: Sie hatte ein Hotel gefunden, das erstklassige Kinderbetreuung anbot, während sich die Mamas bei Massagen und Kosmetikbehandlungen entspannen konnten. Nachher wollte sie Nora die Einladung dazu überreichen. Endlich konnte sie ihr auch mal etwas zurückgeben.

Jetzt hatte sie die Bürotür erreicht, die nur angelehnt war und schnupperte verwundert. Sie konnte den Geruch nicht einordnen. Er war warm, würzig und vermittelte Geborgenheit zugleich. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, überlegte einen Moment, ob sie versuchen sollte, durch den schmalen Spalt hineinzulugen, und stieß die Tür dann doch mit einem Schubs auf. Staunend blieb sie stehen und blickte auf das Bild, das sich ihr bot: Die Akten waren beiseite geräumt, Kerzen brannten, und eine Etagere stand neben dampfenden großen Teetassen, die gesäumt waren von einer weiß-blau gemusterten Kanne und einem prosaischen Milchkarton.

Das größte Wunder aber prangte auf der Etagere. Dort lagen kleine Sandwiches, Törtchen, Scones, Muffins, garniert mit Weintrauben, Apfelspalten und halbierten Kiwis. Daneben standen aufgereiht wie die Chorknaben mit zufriedenem Grinsen im Gesicht Alex und Lukas in offenkundiger Eintracht.

Kathleen schloss die Augen und schüttelte den Kopf, um das Trugbild daraus zu vertreiben, denn das hier konnte unmöglich real sein. Doch als sie sie wieder öffnete, sah alles noch genauso aus wie eben.

»Guten Morgen, Kollegin, hattest du einen schönen Sonntag?«, fragte Lukas, während Alex sie weiter anstrahlte, als würde er sich aufs Christkind freuen.

»Was … was ist denn hier los?«, stammelte sie ungläubig und starrte noch immer auf die ungewohnte Pracht.

»Nun, ich dachte, das wäre eine angemessene Möglichkeit, den erfolgreich gelösten Fall und meine frisch erworbenen Backkünste zu feiern«, antwortete Alex.

»Das hast du …? Erzähl doch nicht …«

»Doch, natürlich. Na ja, ich hatte ein bisschen Hilfe von Frau Wolf, aber irgendwie war mir gestern so danach. Schließlich hat Susa jetzt auch ab nächstem Schuljahr eine Stelle in Berlin sicher und …«

Er konnte nicht weitererzählen, denn Kathleen fiel ihm mit Schwung um den Hals. »Du bist so süß, Susa hat wirklich Glück mit dir. Und wir auch, oder Lukas?«

Auffordernd sah sie ihren Kollegen an. Der schien einen Augenblick zu überlegen, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht, und er nickte. »Gut, süß ist jetzt nicht das Wort, das ich gesucht hätte, aber sonst passt das schon. Ach ja: Varenke war vorhin da. Sehr leutselig, sagte, er hätte schon immer gewusst, was er an uns hätte und so weiter. Wir sollen nachher zu ihm kommen.«

»Schon wieder eine Beförderung?«, freute sich Alex. »Daran kann man sich gewöhnen.«

»Schön wär’s. Einen neuen Fall hat er für uns, jetzt wo wir so gut im Team zusammenarbeiten.«

Die drei sahen sich an. Dann brachen sie in Gelächter aus.