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Aliza Ehlers steht im Badezimmer ihrer kleinen Wohnung im Wedding. Auf der Waschmaschine neben dem Badezimmer dampft eine Tasse Kaffee. Aliza betrachtet ihr Spiegelbild. Sie hat schlecht geschlafen und miese Laune. Was für ein Debakel gestern bei dem Empfang. Dabei hatte sie endlich eine Chance, den neuen Kollegen zu zeigen, was in ihr steckt. Sie hat den Angestellten des Catering-Unternehmens überrascht, wie er an der Tür des Konferenzraums lauschte, in dem gerade Wischnewski und Weston unter vier Augen sprachen. Ist ihm gefolgt, nur um dann wie eine Polizeischülerin von ihm im Treppenhaus eingesperrt zu werden. Scheiße. Oskar hat es ihr großzügig nachgesehen, nicht ihre Schuld, hat er gesagt. Doch seinem Blick hat sie angesehen, dass er sie nicht für voll nahm. Natürlich hat sie sich vom Chef der Cateringfirma den Namen des Mannes geben lassen. Aber der war gefälscht. Peter Karlsen. Weder im Meldeverzeichnis noch im Vorstrafenregister der Polizei haben sich Einträge gefunden. Trotzdem hatte der Mann ein Sicherheitsclearing, sonst hätte er gar nicht bei der Veranstaltung arbeiten dürfen. Was geht hier vor?
An irgendwen hat sie der Mann erinnert. Er trug einen markanten Schnauzbart, leicht aus der Mode gefallen, war groß gewachsen, schlank, fast schlaksig. Und trotz seiner Größe war er erstaunlich schnell. Zu schnell für Aliza, wie sie noch einmal beschämt feststellt. Sie nimmt ihre Kaffeetasse und verlässt das Badezimmer. Im Wohnzimmer laufen die Lokalnachrichten. Noch keine Spur von den Tätern, die die junge Journalistin in ihrer Wohnung angegriffen haben. Von Koblitz auf der PK. Ernst, kompetent, nein, leider noch keine Spur, aber man gehe von einer Beziehungstat oder Drogenkriminalität aus und habe den Fall jetzt komplett an die Kripo übergeben, nachdem bisher gemeinsam ermittelt worden war. Was ist das für ein Scheiß? Aliza hat noch nicht einmal die Ergebnisse der Spurensicherung, da faselt VK schon von Drogenkriminalität.
Apropos, vielleicht ist ja jetzt schon etwas da von der SpuSi. Eigentlich ist die SNS ja raus aus der Sache, aber es kribbelt Aliza in den Fingern, doch ihr Glück zu versuchen. Wenn wirklich mehr hinter der Sache steckt, wird sie es sich nicht verzeihen, jetzt schon aufgegeben zu haben.
»Smartmind, Spurensicherung anrufen.«
Es klingelt sicher eine halbe Minute, bis sich eine dünne, männliche Stimmung meldet: »Meier?«
Sie schickt einen Blick an die Decke, bedankt sich bei welchem Gott auch immer, der da oben sitzen möge. Glück gehabt. Er arbeitet noch immer dort.
»Oliver Meier?«, fragt sie.
»Ja, wer ist da?«
»Aliza Ehlers … äh, wir kennen uns von früher. Grundausbildung ’32 . Ich hieß damals noch Al-Farsi.« Der kleine, dünne Kriminaltechniker war damals hoffnungslos in sie verknallt gewesen. Nie im Leben hat er sie vergessen.
»Ah … ja! Aliza. Hallo, wie geht es dir?«
Sie kann ihn förmlich erröten hören. »Mir geht’s gut. Toll, dich zu hören. Bin gerade zurück nach Berlin gekommen, war einige Jahre in Hamburg. Ich bin jetzt bei der SNS.«
»SNS, wow. Wie kann ich dir helfen?«
»Hör mal, ihr habt einen Überfall vor ein paar Tagen in Neukölln untersucht. Journalistin, Nachname Kusmin. Wir sind da dran. Habt ihr den Bericht schon fertig?«
»Ja, haben wir. Habe ich auch schon an die Kollegen weitergegeben. Ich dachte, für die SNS sei der Fall schon abgeschlossen?«
Aliza seufzt. »Ja, stimmt schon. Aber … ich muss einen Abschlussbericht schreiben und brauche noch ein paar Details. Du weißt ja, wie es ist.«
Meier lacht auf. »Ja klar. Verstehe ich. Na ja, eigentlich darf ich ja nicht, aber weil du es bist …«
»Danke, Olli. Hast was gut bei mir. Schickst du es mir per Mail?«
»Ja, mache ich.«
»Danke. Wir müssen unbedingt mal einen Kaffee trinken gehen, wenn ich mich ein bisschen wieder eingelebt habe, ja? Also, schick einfach den Bericht und wir hören uns. Tschüss!« Sie legt auf, bevor er auf die Idee kommt, sie auf einen Termin für den gemeinsamen Kaffee festzunageln.
Zwanzig Sekunden später macht ihr Smartmind »Ping« und der Bericht ist in ihrem Posteingang.
»Öffnen«, sagt Aliza und beginnt, den Bericht zu überfliegen. Als Erstes sucht sie
nach dem Smartring, den sie an Kusmins Finger gefunden hat. Sie findet die Stelle schnell. »Inhalte gelöscht«, steht dort lapidar, ergänzt durch eine knappe Erläuterung, dass ein Sicherungsmechanismus des Rings sämtliche Daten gelöscht hat, als die IT-Leute versucht haben, darauf zuzugreifen.
Scheiße!
Aliza liest weiter. Wohnungstür gewaltsam geöffnet, aber professionell. Spuren eines Kampfes. Keine Kleidungsfasern, die nicht auch vom Opfer stammen könnten. Fingerabdrücke von Kusmin und … Paul Kanter!
Der Mann hat eine Polizeiakte wie aus dem Lehrplan jugendlicher Intensivstraftäter: Einbrüche, Raub, Nötigung, Erpressung, Drogenhandel. Seine Fingerabdrücke sind ihm damals Dutzende Male abgenommen worden, daher jetzt der Treffer. Kanter hat gelogen. Der Penner ist doch in der Wohnung gewesen. Das muss natürlich nicht heißen, dass er auch zur Tatzeit dort war, aber es ist genug, um ihn sich noch einmal vorzunehmen.
Sie liest weiter, doch es gibt keine zusätzlichen Informationen, die ihr irgendwie helfen würden. Sie will den Bericht schon schließen, als sie plötzlich denkt, Gespenster zu sehen. Im Anhang findet sie das Foto eines Mannes. Das ist der Mann von gestern, der sie im Treppenhaus eingesperrt hat! Peter Karlsen. Er ist zwar einige Jahre jünger, doch trägt er genau den gleichen merkwürdigen Schnauzbart, den der Mann gestern getragen hat. Sie schaut auf den Namen: Paul Kanter. Einen sehr originellen Tarnnamen hat er sich da gegönnt. Aliza schaut noch einmal genau hin, um wirklich sicher zu sein. Doch, das ist er. Der Schnauzbart gestern muss zur Tarnung angeklebt worden sein. Er hat natürlich nicht ahnen können, dass jemand ein zwanzig Jahre altes Polizeifoto mit ihm vergleichen würde, auf dem er die gleiche absurde Popelbremse trägt. Aliza zieht eine Grimasse. Ist das Zufall? Was macht ein Kioskbetreiber auf einem Empfang des Zukunft e. V.? Braucht er Geld? Oder ist er jetzt auch der Sache auf der Spur, an der die Kusmin dran war?
Gabriel Stevenson verlässt den U-Bahnhof und steht vorm Brandenburger Tor. Wie Tausende Touristen jeden Tag spaziert er hindurch, bewundert dessen frühklassizistische Architektur und genießt den Blick die lange Straße des 17. Juni entlang auf die Siegessäule. Er setzt sich auf eine Parkbank am Rand des Tiergartens und beobachtet die Menschen, die um das Brandenburger Tor herum Fotos machen, auf ihren Smartminds nach der nächsten Sehenswürdigkeit suchen oder sich erfolglos bemühen, einen der Bettler abzuwehren, die um die Touristen herumschwirren wie Motten ums Licht.
Stevenson hört ein Surren und schaut nach oben. Er sieht eine Drohne, etwas größer und massiver als eine Frisbeescheibe, die unbewegt in der Luft steht, fünfzehn Meter über dem Boden. Sie steht dort einige Sekunden, dann fliegt sie davon, die Ebertstraße Richtung Holocaust-Denkmal entlang. Stevenson sieht ihr nach. Sie verschwindet durch eine Klappe in einem vielleicht sieben, acht Meter hohen Turm, der mit seinem neutralen Anthrazit versucht, sich am Straßenrand zu verstecken. Stevenson ist sich sicher, dass sich die meisten Menschen, falls ihnen der Turm überhaupt auffällt, keine Gedanken machen, wozu er dient. Wahrscheinlich wird er für einen Belüftungsschacht des darunter verlaufenden Tiergartentunnels gehalten. In Wahrheit ist er ein Nest der Secu-Drones, Überwachungsdrohnen der Polizei, deren Einführung vor vier Jahren großes Aufsehen erregte. In den Nestern laden sich die Drohnen mit Energie auf und ziehen sich Updates.
Stevenson kann es noch immer kaum fassen, dass er jetzt in Berlin auf einer Parkbank sitzt. Wo er sich vor Jahren geschworen hat, keinen Fuß mehr auf deutschen Boden zu setzen. Vor einigen Wochen hat er in Colombo auf der Terrasse des Shangri-La zu Abend gegessen, als über einen verschlüsselten Kanal die Nachricht von Gabriele von Koblitz kam. Sie müsse ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Wenige Stunden später haben sie sich in einem virtuellen Besprechungsraum getroffen, und sie hat ihm eine haarsträubende Geschichte erzählt. Er habe einen Sohn. Woher sie das wisse und woher er diesen Sohn habe, hat er gefragt. Er erinnere sich sicher an seine Frau, Jeanette Loheit, mit der er als junger Mann in Syrien beim Islamischen Staat gewesen sei?
»Natürlich«, hat er knapp geantwortet. Er hat sich nie besonders für seine Ehefrau interessiert, es war eine Zweckheirat gewesen, um dem IS Nachwuchs zu bescheren, und natürlich war ihre Konstellation auch für die Propaganda nicht schlecht gewesen: ein deutsches Pärchen beim IS. In den Wirren des Rückzugs des IS hatten er und Jeanette sich aus den Augen verloren, und Stevenson hatte auch nicht viel daran gelegen, sie wiederzufinden.
Nun, erklärte ihm Gabriele von Koblitz, diese Frau sei nach Deutschland zurückgekehrt und habe wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Gefängnis gesessen. Sie sei übrigens nicht allein zurückgekommen, sondern mit einem Säugling, geboren im Camp Al Hol
, Jerome Loheit. Stevensons Sohn. Erst in Pflege bei den Großeltern, nach der Entlassung der Mutter wieder bei dieser. Warum sie ihm das erzähle?, hat er gefragt. Weil eben dieser Sohn nun wegen Mordverdachts im Knast säße. Weil sie vermute, dass ihm, Stevenson, das nicht egal sei, auch wenn er gerade den Eindruck zu erwecken versuche. Und weil sie einen Vorschlag habe, wie er seinem Sohn helfen könne.
Natürlich hat er VK gefragt, woher er wissen solle, dass das kein Trick sei und dass es sich wirklich um seinen Sohn handle. Sie waren alte Bekannte, hatten über die Jahrzehnte immer wieder zusammengearbeitet, doch wer weiß, was sie vorhatte, jetzt, da sie Leiterin der SNS war? Einen der meistgesuchten Terroristen der Welt zur Strecke zu bringen, wäre sicher ein guter erster Schritt im neuen Amt.
»Das ist eine berechtigte Frage, auch wenn Ihr Misstrauen mich ein wenig kränkt. Ich kann Ihnen gerne eine DNA-Probe des Mannes zukommen lassen. Dann haben Sie es schwarz auf weiß,« hat VK geantwortet.
»Machen Sie das.«
Die Probe war per Bote gekommen, in sein Postfach in Shanghai, wo es kein großes Problem gewesen war, sie analysieren zu lassen. Und obwohl er es schon vermutet hatte, war er geschockt gewesen, dass er tatsächlich einen Sohn hatte.
Zuerst hat Stevenson sich eingeredet, dass ihm der Balg egal sei. Doch noch während er dies dachte, hat sich ein anderes Gefühl in ihm geregt. Ein unbekanntes, oder besser: lange verschollen geglaubtes Gefühl. Das Gefühl, gebraucht zu werden und zu jemandem zu gehören. Natürlich hat er es schnell wieder verworfen. Hat der SNS-Leiterin gesagt, dass er kein Interesse an weiteren Informationen habe. Doch es hat ihm keine Ruhe gelassen, und so hat er sich ein paar Tage später doch bei ihr gemeldet und gefragt, was ihr vorschwebe und wie er seinem – bei diesem Wort zögerte er – Sohn helfen könne. Von Koblitz hat es ihm erklärt, weshalb er jetzt hier auf dieser Bank sitzt und den Touristen spielt.
Gerade beobachtet er, wie am Rande des Platzes des 18. März, des Vorplatzes des Brandenburger Tors Richtung Westen, Dutzende Arbeiter einige Sattelschlepper entladen. Sie entladen Bühnentechnik; die ersten Vorbereitungen für die große Feier zum Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober. Erst hat sich die regierende Partei, die PAD, alle Mühe gemacht, das Land zu spalten, jetzt will sie am 3. Oktober so pompös wie nie zuvor dessen Einheit beschwören. Stevenson holt sein Smartmind hervor und macht einige Fotos von den Arbeiten. Dann steht er auf und läuft zurück zur S-Bahn-Station.
Kanter sitzt in Picards Wohnung. »Safe House« hat der es genannt. Es ist zwar kein Haus, sondern ein Apartment, aber scheinbar gefällt Picard der konspirative Klang des Wortes.
Der Mann muss Geld wie Heu haben. Das Apartment befindet sich im vierzehnten
Stock eines Wohnturms in einer ruhigen Ecke von Charlottenburg, direkt an der Spree, die Kanter durch die bis zum Boden ragenden Fensterfronten sehen kann. Die Couch, auf der er sitzt, ist weniger eine Couch als eine gigantische Sitzlandschaft, die so weich und bequem ist wie nichts, auf dem Kanter zuvor gesessen hat. Das ganze Apartment ist weitläufig, geschmackvoll eingerichtet und gleichzeitig leblos wie eine Hotelsuite. Hier wohnt niemand, es sei denn, jemand wie Kanter braucht einen Ort, um eine Weile zu verschwinden. Ein Safe House also.
Kanter trinkt einen Kaffee aus dem Schweizer Vollautomaten, der auf der Kochinsel steht, und denkt an die letzten gemeinsamen Stunden mit Olivia vor dem Überfall. Sie waren in seiner Wohnung gewesen. Kanter kann sich noch genau erinnern, wie sie in seinem Bett gelegen hat, den Kopf auf den Arm aufgestützt, und ihn neugierig anschaute. Die Sonne schien von hinten auf ihre vom Schlaf zerzausten Haare.
»Was wolltest du werden, als du klein warst?« Sie schaute ihn mit großen Augen an.
»Äh …« Kanter sah an die Decke. »Keine Ahnung.«
»Ach komm, jedes Kind hat eine Idee, was es mal werden will. Denk nach.«
Er dachte nach. Seine Kindheit war ein Traum gewesen, der im zerstörten Volvo seiner Eltern endete.
»Keine Ahnung, ich weiß es echt nicht. Ich hatte keine so tolle Kindheit.«
»Ich weiß.«
»Warum willst du wissen, was ich als Kind werden wollte? Was spielt das für eine Rolle?«
Sie schaute ihn an. Forschend, als würde sie in seinem Gesicht seine gesamte Lebensgeschichte ablesen wollen. »Weil ich mich frage, wie ein so kluger Mann dazu kommt, einen Kiosk zu betreiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du als Kind gesagt hast: ›Wenn ich mal groß bin, verkaufe ich den Leuten Liquids, Chips und Guthabenkarten und schaue den Rest des Tages in die Luft.‹«
»Was ist falsch daran?«, fragte er bissig. »Die Leute brauchen das. Ich mag den Laden.«
»Nichts ist falsch daran«, sagte sie. »Ich finde nur, in dir steckt mehr.«
»Wieso mehr? Muss ich auch einer von diesen Bürozombies werden, die Hemden tragen und von neun bis fünf ›Ja, Chef‹ sagen?«
»Hemden trägst du auch.«
»Aber ich stecke sie nicht in die Hose.« Er setzte sich auf und nahm ihre Hand. »Außerdem hätten wir uns ohne meinen Laden gar nicht kennengelernt. Stattdessen würdest du jetzt mit dem dicken Mustafa vom Kiosk an der Ecke im Bett liegen.«
»Hör auf!«, hat sie gerufen. »Das Bild werde ich nie wieder los!« Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm. »Aber stimmt«, hat sie schließlich mit einem Grinsen gesagt. »Das wäre wirklich schade gewesen.«
Er hat sie zu sich gezogen und sich nach hinten fallengelassen. Ende der Diskussion.
»Polizist«, hat er später gesagt und die Bialetti zugeschraubt.
»Was?« Olivia hörte auf, Obst zu schneiden, und drehte sich zu ihm.
»Ich wollte Polizist werden, als ich klein war.«
Sie sah ihn überrascht an. »Polizist? Wie kamst du denn auf die Idee?«
»Einmal kam ein Polizist in die Schule und hat uns erklärt, wozu die Polizei da ist, wie wir uns im Straßenverkehr verhalten sollen und so weiter. Und dass es auch in einem freien Land klare Regeln braucht, damit alle sich verstehen, und es seine Aufgabe ist, dass jeder diese Regeln einhält. Das fand ich damals sinnvoll.«
»Wie ein verhinderter Polizist siehst du nicht aus. Was ist passiert?«
»Die Dinge haben sich anders entwickelt.« Er hoffte, dass sie sensibel genug wäre, nicht nachzuhaken.
»Wie anders?«, hakte Olivia nach. »Ich habe das Gefühl, ich muss dir jedes Wort aus der Nase ziehen.«
»Ich rede halt nicht gerne über diese Dinge.«
»Weil du selbst weißt, dass mehr in dir steckt, als hinter einem Ladentresen zu verfaulen«, erwiderte sie ungeduldig.
»Wow, Madame kann Gedanken lesen. Beeindruckend. Außerdem sagt das ja die Richtige. Doktor der Germanistik, und dann bei FAKE Media Teenager und Hausfrauen bespaßen.«
»Weißt du was? Du kannst mich mal.« Sie knallte das Obstmesser hin und rauschte aus der Küche. Nach ein paar Minuten stand sie im Türrahmen, vollständig angezogen. »Paul, ich will wissen, wer du bist. Und ich will, dass du dich damit beschäftigst,
was du mit deinem Leben anstellen willst. Du versteckst dich in deinem Laden, aus welchen mysteriösen Gründen auch immer, lässt dich von deinem alten Clan drangsalieren und hoffst, dass das Leben dich nicht findet. Tja, ich habe dich gefunden. Pech gehabt. Du kannst dich gerne weiter verstecken – ohne mich – oder gucken, ob der Rest deines Lebens noch mehr bereithält.«
Sie begann, ihre Sachen einzusammeln, die im Raum verteilt lagen, und in ihren Rucksack zu stopfen. Dann nahm sie ihre Jacke.
»Ich gehe jetzt nach Hause. Und wenn du bereit bist, mir die ganze Geschichte zu erzählen, sag Bescheid.« Sie sah ihn an, ohne zu lächeln. »Falls das irgendwann der Fall ist.«
Und mit diesen Worten hat sie sich umgedreht, ist den Flur hinuntergelaufen und hat die Wohnungstür zugeknallt.
Kanter sollte sie erst wiedersehen, als sie blutend in ihrem Wohnzimmer lag.
Eine Textnachricht reißt ihn aus seinen Grübeleien.
Jean-Luc Picard schreibt: »Danke für deine Nachricht. Viel ist ja nicht herausgekommen bei dem Empfang. Aber wenigstens wissen wir jetzt, dass Wischnewski und Sunrise miteinander ins Bett steigen.«
»Und, dass sie in irgendeiner Sache uneinig sind«, schreibt Kanter.
»Stimmt.«
»Und was jetzt?«
»Willst du immer noch Olivia besuchen?«
»Ja.«
»Du weißt, dass das keine gute Idee ist, richtig? Du wirst gesucht. Außerdem liegt sie immer noch im Koma.«
»Das ist mir egal. Ich muss sie sehen.«
»Na klar. Sie liegt auf der Intensivstation der Charité, Luisenstraße 65 in Mitte. Sag, dass du ihr Cousin bist.«
»Das könnte doch jeder behaupten.«
»Ja, aber dich habe ich in Olivias Akte als Verwandten eingetragen. Natürlich nicht unter deinem echten Namen. Auf dem Smartmind, das ich dir gegeben habe, ist eine neue gefälschte ID für dich. Versuch, so auszusehen wie der Typ auf dem Foto.«
»Danke«, schreibt Kanter.
»Gerne. Bring Blumen mit.«