Dienstag, 8. Januar
Am Schwarzen Brett neben dem Fahrstuhl hing ein Schreiben:
Im Aquarium im dritten Stock wurden große Mengen Kuchen gefunden. Die Fische im Aquarium sind daran gestorben. Jeder, der sachdienliche Hinweise zu diesem Vorfall geben kann, wird gebeten, sich umgehend bei Abteilungsleiterin Frau De Roos zu melden. Auf Wunsch wird Anonymität garantiert.
Um 11 Uhr bin ich zu Frau De Roos gegangen. Was für eine seltsame Fügung des Schicksals, dass diese Frau so einen Namen trägt. Im Grunde wäre Frau Brennnessel noch zu viel der Ehre für diese Frau.
Wenn so richtig hässliche Menschen zum Ausgleich wenigstens besonders nett wären – aber hier ist das Gegenteil der Fall: Sie ist eine fest gemauerte Wand aus Verdrossenheit.
Aber gut, Frau De Roos, so heißt sie nun mal.
Ich erzählte ihr, dass ich den Kuchenvorfall vielleicht aufklären könnte. Sofort war sie ganz Ohr. Ich sagte, dass ich den selbst gebackenen Kuchen von Frau Visser nicht hatte ablehnen wollen, deswegen hätte ich in der Kaffeeküche im dritten Stock die Stücke auf einen Teller auf dem Tisch gelegt und darauf vertraut, dass die Bewohner dieses anonyme Geschenk annehmen würden. Zu meinem Bedauern musste ich hören, dass der Kuchen irgendwie ins Aquarium geraten war, und mein blauer Teller war auch verschwunden.
De Roos hörte sich die Geschichte mit unverhohlenem Misstrauen an. Warum ich den Kuchen nicht selbst aufgegessen hätte? Warum ausgerechnet im dritten Stock? Ob jemand meine Geschichte bestätigen könne?
Ich bat sie, dass die Sache unter uns bleibt. Sie meinte, sie würde sehen, was sie für mich tun könne.
Unmittelbar darauf begann sie, Nachforschungen anzustellen, wie Frau Visser selbst einen Kuchen hatte backen können. Kochen und Backen ist in den Zimmern verboten. Ich fügte noch rasch hinzu, dass ich nicht sicher wüsste, ob er selbst gebacken war, aber es war schon zu spät: Der Kuchenvorfall war jetzt an der Öffentlichkeit. Ich würde die Sympathie von Frau Visser verlieren – das war an sich noch kein Unglück. Aber das Misstrauen der Abteilungsleiterin, das ohnehin schon ziemlich groß war, würde sich jetzt wochenlang weiter zuspitzen, und obendrein würde die Gerüchteküche heiß laufen.
Dann bin ich noch beim Arzt gewesen. Der war aber krank. Wenn es ihm am Montag noch nicht besser geht, kommt ein Vertreter. Für Notfälle könnten wir zum Arzt eines Konkurrenz-Altenheims gehen. Manche würden lieber sterben, als ihr runzliges altes Gerippe dem »Quacksalber von Haus Abenddämmerung« zu zeigen. Andere lassen am liebsten für jeden Furz den Unfallhubschrauber kommen. Mir ist es im Grunde ziemlich egal, welcher Arzt mir sagt, dass nicht mehr viel zu machen ist.