Dienstag, 4. Juni

Wie wird es wohl im ersten anarchistischen Altenheim der Niederlande laufen? In der Pflegeeinrichtung De Hoven bei Groningen haben sie vor zwei Jahren beschlossen, versuchsweise drei Monate lang alle Regeln abzuschaffen. Na ja, alle? So, wie ich die Durchschnittssenioren kenne, würde das auf Mord und Totschlag hinauslaufen. Und jeden Tag Bingo.

Die Direktorin in Onderdendam wollte wissen, ob Mitarbeiter und Bewohner ohne Regeln glücklicher werden. Begleitet werden sollte der Versuch »Pflege ohne Regeln« von Wissenschaftlern der Universität Groningen.

Ich habe im Internet gesucht, konnte aber nichts dazu finden.

Ich musste daran denken, weil bei uns die Regel eingeführt wurde, dass in den Zimmern nur noch Energiesparlampen benutzt werden dürfen. Die Umwelt, nicht wahr?

Ich bin zu Anwalt Victor nach Hause gefahren, um den Antrag auf Einsichtnahme in die Regeln und Vorschriften unseres Heims anzusehen. Es klang alles sehr juristisch, so juristisch, dass ich hinten und vorne nicht schlau daraus wurde. Es sah aber vertrauenerweckend aus. Schade, dass Eefje nicht dabei war, die hat schärfere Augen. Aber es ging ihr nicht so gut.

Obwohl es gerade mal zwei Uhr nachmittags war, bot er mir einen furchtbar teuren Weinbrand in einem riesigen Kognakschwenker an und eine Zigarre, die ich diskret hüstelnd rauchte. Unser Anwalt ist beinahe eine Karikatur des affektierten Honoratioren, eine Rolle, die er mit Verve spielt. Die Grenzen zwischen Theaterspiel und Wirklichkeit verschwimmen, aber in diesem Fall passt beides wunderbar zusammen.