Freitag, 18. Januar
Die Direktion rät dringend davon ab, an den nächsten drei Tagen das Haus zu verlassen. So eine Hüfte sei ganz schnell mal gebrochen. Das bedeutet, dass die Atmosphäre nicht unbedingt besser wird. Nicht, dass die Bewohner sonst ständig draußen wären, aber die meisten gehen schon einmal am Tag zum Einkaufen, zum Briefkasten oder in den Park. Und wenn etwas nicht geht, wird das Bedürfnis, es zu tun, natürlich größer. Die Alten sitzen heute am Fenster und schauen auf den Schnee, der einfach nicht schmelzen will. Und sie beschweren sich über die Gemeinde, die die von Autos befahrenen Straßen räumt, aber auf Gehsteigen und Fahrradwegen den ganzen braunen Matsch liegen lässt. Und da haben sie gar nicht so unrecht.
Das Personal hat den Gehweg vorm Haus geräumt, sodass wir ungehindert vom Eingang zum Bus laufen können. Aber die quälende Unsicherheit, was einen erwartet, wenn man nach der Fahrt wieder aus dem Bus steigt, hält die meisten Bewohner davon ab, die Reise überhaupt anzutreten. Angst ist hier ein viel konsultierter Ratgeber.
Der Sturm um die Fische hat sich ein bisschen gelegt. Man musste nur auf etwas warten, was die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema lenkte. Tja, was den Schnee anbelangt, geht das Gerücht um, dass die Stadtteilverwaltung die Tarife für die Parkplätze erhöhen will. Die alten Leute fürchten, dass sie weniger besucht werden, wenn ihre Kinder einen Euro mehr in den Parkometer werfen müssen. Kinder, die wegen einem lächerlichen Euro noch öfter ausbleiben als ohnehin schon, würde ich gar nicht mehr zu Besuch haben wollen. Als ich das – vorsichtig formuliert – beim Kaffeetrinken vorbrachte, fanden alle, dass ich das nur sagen könne, weil ich keine Kinder habe und außerdem sowieso nie Besuch kriege.
Da steckt freilich ein Körnchen Wahrheit drin. Hinter fast allen Namen auf meinem Geburtstagskalender steht ein Kreuz. Von zwei Menschen ohne Kreuz weiß ich schlichtweg nicht, ob sie noch leben. Und eine weiß nicht mehr, wer ich bin. Bleiben nur noch Evert und Anja. Graeme und Grietje stehen nicht drauf. Keine beeindruckende Liste von Freunden. Entweder man stirbt selbst früh, oder man kämpft sich durch eine lange Reihe von Beerdigungen. Ich habe jetzt noch maximal fünf Beerdigungen, zu denen ich gehen könnte, wenn man die Begräbnisse nicht mitzählt, zu denen man aus reiner Höflichkeit geht.