Katharina stand über eine Schüssel gebeugt, wusch die Seife aus ihrem Haar und spülte mit klarem Wasser nach. Dann rubbelte sie ihre Haare mit einem Handtuch trocken, kämmte Strähne für Strähne durch und setzte einen Kaffee auf. Zwischendurch sah sie nervös auf die Uhr, wie schon den ganzen Vormittag über. Sie konnte es kaum erwarten, endlich zum Klinikum aufzubrechen.
Während der Kaffee mit einem plätschernden Geräusch in die Kanne rann, zog sich Katharina an. Das hellgelbe Sommerkleid passte zu ihrer Stimmung und dem Sonnenschein draußen, die noch leicht feuchten Haare fasste sie zu einem Knoten zusammen.
Der erste Schluck Kaffee tat gut. Mit dem Becher in der Hand setzte sie sich an den Tisch und schlug wahllos eines ihrer Medizinbücher auf. Noch während sie sich ziellos durch die Seiten blätterte, hörte sie die Tür gehen. »Lola?«
Mit lautem Rumpeln stellte die Freundin ihr Gepäck ab, kam wortlos zu Katharina und nahm sie fest in den Arm. »Ich habe gehört, was passiert ist«, sagte sie. »Und ich weiß auch, dass er unwahrscheinliches Glück gehabt hat. Was ich nicht weiß, ist, warum er an diesem Abend ohne dich einen Ausflug machen wollte.«
»Wir hatten uns gestritten.«
»Aha. Ich kann mir denken, worüber.« Lola ließ sie los. »Und ich werde mit Hedda und Selma noch ein Hühnchen rupfen. Sie haben sich viel zu sehr in deine Angelegenheiten eingemischt.«
»Das mag sein«, antwortete Katharina. »Dennoch war ich es selbst, die sich bei unserem … Disput nicht zurückhalten konnte.«
»Wie geht es jetzt weiter?«
»Ich besuche ihn heute Nachmittag.«
»Ich meinte, wie es mit euch weitergeht?« Lola begann, ihre Tasche auszupacken.
Katharina legte den Kopf schief. »Ich werde mutig sein.«
»Und ihn heiraten?«
»Ja.«
»Ich denke, dass du damit keinen Fehler machst«, erwiderte Lola grinsend.
Trotz der Sorge, die noch auf ihr lastete, musste Katharina lachen. »Deine Zuversicht ist beruhigend.« Noch immer schmunzelnd sah sie zu, wie Lola ein Kleidungsstück nach dem anderen in den Schrank räumte. »Wie war denn euer Wochenende?«
»Wir haben viel gemalt«, antwortete Lola. »Wer hätte gedacht, dass Evas Eltern am Ende doch noch so etwas wie Begeisterung für die Kunst ihrer Tochter aufbringen würden.«
»Sie können sich ihrem Erfolg nicht verschließen.«
»Wenn man bedenkt, wie viele Steine sie ihr in den Weg gelegt haben, ist dieser Stolz meiner Meinung nach etwas oberflächlich. Aber Eva freut sich darüber. Und nur das zählt.«
»Werden sie sich die Ausstellung ansehen?«
»Ja, heute. Sie haben uns hergebracht, so mussten wir nicht den Zug nehmen. Im Augenblick sind sie bei Frau Gruber und essen dort zu Mittag.« Lola schüttelte eine grün und gelb gestreifte Bluse aus und griff nach einem Kleiderbügel. »Ich mag Seide, aber sie knittert immer so schnell. Ich hänge dieses gute Stück über Nacht ans Fenster. Wenn ich Glück habe, ist sie morgen wieder schön glatt.«
»Wann geht ihr zum Glaspalast?«, fragte Katharina.
»Sie holen mich nach dem Essen ab.« Lola hielt inne. »Und du? Gehst du zu Tom?«
Katharina nickte und sah auf ihre Armbanduhr. »Ich muss los.«
Als Katharina wenige Minuten vor ein Uhr Toms Krankenzimmer betrat, traf sie auf dieselbe Schwester wie am Vortag. Kaum hatte diese Katharina bemerkt, rückte sie ihren Stuhl zurück. »Kann ich Sie beide allein lassen? Ich habe noch nicht zu Mittag gegessen.«
»Selbstverständlich!« Tom hob zustimmend die Hand. »Lassen Sie es sich schmecken, Schwester.« Er zwinkerte Katharina zu.
Die Frau stand auf. »Der Professor kommt gleich«, versicherte sie und verließ den Raum.
Tom drehte den Kopf zu Katharina hin. Auf seinen Lippen lag ein feines Grinsen.
»Du bist aufgewacht«, flüsterte Katharina glücklich.
»Sie haben endlich diese Mittel abgesetzt. Die ganze Zeit wusste ich nicht, ob ich wache oder träume.« Er tippte mit der flachen Hand auf seine Matratze. »Komm her zu mir. Bitte.«
Katharina setzte sich an die Bettkante und legte vorsichtig eine Hand auf seinen Arm.
»Warst du schon einmal hier?«, wollte er wissen.
Sie nickte. »Gestern.«
»Dann habe ich es nicht geträumt.« Er wirkte zufrieden. »Gott sei Dank.«
»Ich habe solche Angst ausgestanden. Und mir solche Vorwürfe gemacht!« Katharina sah in seine warmen Augen.
»Nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Niemand kann etwas dafür.«
»Ich hatte dich verletzt.«
»Trotzdem hatte ich nicht vor, meinem Leben ein Ende zu setzen.«
»Du wärst nicht gefahren, wenn ich nicht so vieles infrage gestellt hätte.«
»Ich wäre vielleicht nicht allein gefahren«, stellte Tom richtig. »Das Reh hätte trotzdem dort gestanden.«
Trotz ihres Schuldbewusstseins musste sie lächeln. »Es hat mir jedenfalls die Augen geöffnet, Tom.«
»Ja?« Ein Leuchten zog über sein Gesicht. »Dann haben all die Beulen einen Sinn?«
»Tom …« Katharina rieb sich die Schläfe.
»Ich meine, du gehst nicht weg von mir?«
»Wie könnte ich.« Sie schüttelte unglücklich den Kopf. »Ich war so verbohrt.«
»Nein«, widersprach er, »du warst so ehrlich.«
»Dennoch habe ich dir unrecht getan, Tom. Wenn du diesen Unfall nicht überlebt hättest, ich wüsste nicht …«
»Du wärst deinen Weg weitergegangen. Du bist stark, Katharina.« Er bewegte sich und verzog schmerzvoll das Gesicht.
»Ich werde mich um deine Verletzungen kümmern«, versicherte Katharina. »Und mir Mühe geben, dir keine weiteren mehr zuzufügen.« Sie nahm seine Hand.
»Wenn zwei unabhängige Menschen zusammenkommen, wird die ein oder andere Schramme nicht zu vermeiden sein.« Er umschloss ihre Finger. »Ich möchte nicht, dass du dich verbiegst, Katharina. Eine Beziehung muss unterschiedliche Meinungen aushalten.«
»Dann bestehe ich jetzt schon auf eines.« Katharina legte vorsichtig die Hand an seine geschundene Wange.
Er drehte den Kopf und küsste ihre Handfläche. »Und das wäre?«
»Dass wir niemals mehr im Streit auseinandergehen.«