Hier hat das provisorische Feldlazarett gestanden. Onoda und seine beiden Kameraden sondieren vorsichtig das Gelände. Der Ort Tilik ist nicht weit, besetzt von den Amerikanern. Nichts mehr verrät, was hier noch vor kurzem war. Onoda entdeckt hoch in einem Baum etwas Surreales, einen Stiefel, der sich mit seinen Schnüren in einem Ast verfangen hat. Es ist ein japanischer Armeestiefel. Aus ihrer Deckung tretend, sehen die Soldaten erst beim Näherkommen etwas, was sie auf der Stelle einfrieren lässt. Sie stehen vor einem Krater. Wasser hat sich an seinem Grund gesammelt. Nichts ist übrig, kein Zelt, keine Leiche, nicht einmal Leichenteile, alles hat sich in Dampf aufgelöst, eine direkte Umwandlung von Materie in Hitze. Die drei Soldaten salutieren stumm.
Onoda weiß, dass sie nur überleben können, wenn sie in offenes Gelände vordringen, um sich zu versorgen. Der Dschungel gibt nichts her. Die Beschaffung von Lebensmitteln macht sie verwundbar. Ihre Vorstöße müssen schnell und genau sein, nach geduldiger Beobachtung der Lage. In der Ebene sind sie für den Feind sichtbar und bloß nachts oder bei sintflutartigem Regen bedingt sicher. Bei Einbruch der Nacht schleichen sich die Soldaten in einen Palmenhain und sind überrascht, als ein kleines Mädchen mit einem jungen Hund in kurzer Entfernung vorübergeht. Sie bemerkt sie nicht, singt. Der Hund bellt in Richtung Onodas, folgt aber dem Mädchen, als es seinen Schritt beschleunigt, weil wieder der Regen einsetzt.
Sie nehmen Kokosnüsse mit, die verstreut am Boden liegen. Die dicke, grüne Umschalung umhüllt sie noch. Nachts in ihrem Versteck versuchen die Soldaten, die Schale zu entfernen. Kozuka probiert es mit seinem Messer, Onoda stochert vergeblich mit seinem Bajonett herum, so etwas kommt auf der Militärakademie nicht im Lehrplan vor. Es ist Shimada, der eine Lösung findet. Er setzt die Kokosnuss mit dem Ende, mit dem sie am Baum festgewachsen war, auf einen flachen Stein und schlägt mit einem großen Stein auf die Spitze der Umhüllung ein. Die gesamte dicke Schale beult sich nach außen. Mit einem Messer lässt sich jetzt ohne Mühe die dicke Schicht von grünen Fibern von der Nuss lösen.
»Ich sehe«, sagt Onoda, »der Junge vom Bauernhof kennt die Lösung des Problems.«
»Nein«, scherzt Shimada, »das war Intelligenz. Auf unserem Hof zu Hause hatten wir keine Kokospalmen.«
Zum ersten Mal ein Moment von Leichtigkeit. Das Gewicht der kommenden Jahrzehnte wird solche Augenblicke völlig auslöschen, so auch diesen. Ein Geräusch. Die Männer erstarren in ihren Bewegungen. Kozuka deutet auf sein Ohr, macht eine leichte Geste mit dem Kopf, da, unterhalb von uns. Behutsam greift Onoda nach seinem Gewehr. Ist es ein Geräusch von einem Menschen, der sich nähert? Nichts regt sich mehr, nur Tropfen von Regenwasser aus den Zweigen.
»Gib mir Feuerschutz«, signalisiert Onoda Kozuka; er bewegt nur seine Lippen, es ist kaum ein Flüstern. Er springt auf, stürmt vorwärts. Ein kurzes Handgemenge in einem Gestrüpp etwas unterhalb des Camps. Ein Aufschrei, eine fremde japanische Stimme.
»Ich bin einer von euch. Ich bin ein Freund, ein Japaner. Wer seid ihr?«
»Und wer sind Sie?«, fährt ihn Onoda an.
»Akatsu. Gefreiter Akatsu. Ich gehörte zur verbliebenen Besatzung des Flugfelds unter Korporal Fujitsu.«
»Warum sind Sie nicht bei Ihrer Truppe?«
»Und wo ist Ihre Waffe?«, will Shimada wissen. »Wir brauchen hier nur Männer, die bewaffnet sind.«
Akatsu entschuldigt sich. »Wir sind so plötzlich abgerückt, dass ich mein Gewehr nicht mitnehmen konnte.«
»Ein Soldat existiert nicht ohne seine Waffe. Sie ist Teil seines Körpers«, weist ihn Onoda zurecht. »Ich habe noch eine Pistole in meinem Rucksack, aber kaum Munition für sie.«
Shimada jedoch ist feindseliger zu dem Neuankömmling. »Warum gehen Sie nicht zurück zu Ihrer Einheit?«
»Meine Einheit ist aufgerieben, der kleine Rest hat die Insel verlassen.« Er nimmt seine Brille ab. »Bei Dunkelheit kann ich nicht sehen, ich bin fast völlig nachtblind.« Er putzt die Gläser mit seinem Halstuch. »Und wenn es regnet, beschlägt meine Brille. Ich bitte, bei Ihnen bleiben zu dürfen.«
»Sie können bis morgen früh bleiben. Wir werden bestimmen, was mit Ihnen geschehen soll«, lässt ihn Onoda knapp wissen.
Während des langen Abends erfahren Onoda und seine beiden Männer die Geschichte Akatsus. Seine Einheit war fast ohne Lebensmittel, und von den wenigen Vorräten verschwand nach und nach nahezu alles. Akatsu war sich sicher, dass einige Männer der Einheit selbst stahlen. Sie versuchten, den Verdacht auf ihn zu lenken, wollten ihn loswerden, weil er mitbekam, was vor sich ging. Zweimal fortgeschickt, kehrte er jedes Mal zu seiner Einheit zurück, weil er alleine nicht überleben konnte. Dann marschierte ein großer Teil seines Trupps unvorsichtig direkt hinein in ein Biwak philippinischer Soldaten, die sofort das Feuer eröffneten. Fünf Mann fielen, einige Mann ergaben sich, der Rest, über vierzig Mann, erreichte noch ein Landungsboot. Er und zwei weitere Mann, die wie er praktisch aus der Truppe ausgeschlossen waren, blieben unversehrt, doch verließen die zwei ihn während der folgenden Nacht. Der Feind versuchte, die Versprengten zur Aufgabe zu bewegen, gab über Lautsprecher in japanischer Sprache einen Ort bekannt, an dem die japanischen Soldaten sich ergeben konnten, aber Akatsu konnte den Ort nicht finden.
»Gefreiter Akatsu«, will Onoda wissen, »können Sie uns sagen, wo Norden ist?«
Akatsu blickt sich verwirrt um. Nein, beim besten Willen, er kann es nicht.
»Soldat Kozuka, wo ist Norden?«, wendet sich Onoda an diesen. Kozuka macht nur eine beiläufige Bewegung mit seinem Kopf in eine Richtung. Shimada nickt bestätigend. Onoda holt seine Pistole aus dem Rucksack und händigt sie Akatsu aus. »Wissen Sie, wie man mit einer Pistole umgeht?«
Akatsu ist verlegen. »Ja. Eigentlich nein. So ungefähr.«
»Ich werde Sie unterrichten müssen«, sagt Onoda, und damit ist Akatsu vorläufig in den Trupp aufgenommen.
Nach einer beengten Nacht in dem Zelt, das für vier Mann zu klein ist, entscheidet Onoda, es aufzugeben; zu viel Gepäck, auch ist es vom Feind leicht auszumachen. Von jetzt an darf nie wieder eine Rast von mehreren Tagen eingelegt werden, von jetzt an ist Onoda immer in Bewegung, manchmal auch nachts. Akatsu hat rasch Probleme, mitzuhalten, häufig verliert er den Anschluss an die Vorausgehenden. Er entschuldigt sich bei Onoda. »Leutnant, ich gebe mein Bestes, aber ich war noch nie in einem Dschungel.«
»Niemand von uns war je in einem Dschungel«, bescheidet ihn Onoda knapp, aber er hat Mitgefühl mit Akatsu, dessen Füße blutig sind, weil seine Stiefel nicht richtig passen.
»Das hier ist eine grüne Hölle«, bemerkt Akatsu resigniert.
»Nein«, sagt Onoda, »dies hier ist auch nur ein Wald.«