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Johann auf Federstein

Verschwitzt und strahlend kam Flora nach Hause. Aufgeregt berichtete sie ihren Eltern von dem tollen Ausritt und wie hübsch Benni ausgesehen hatte.

»Du könntest dich auch ein bisschen hübscher machen«, meinte Frau Faltin und strich Floras verschwitzte Haare aus der Stirn. »Wie wäre es mit einer Dusche? Sonst rümpfen die Eulen auf Federstein noch die Nase.«

Grummelnd begab sich Flora ins Bad. Kein Vogel auf der Burg würde sich an ein bisschen Stallgeruch stören. Aber heute war kein Tag für Diskussionen.

Sie war gerade fertig, als Zoe mit ihrer Mutter vor der Tür stand. Beide strahlten, drückten Flora an sich und gratulierten. Zoe überreichte ihr eine weiße Karte, auf die sie lauter bunte Blümchen gemalt hatte. Ein Jahr lang Post!, stand darauf.

»Von jetzt an bekommst du bis zu deinem nächsten Geburtstag jede Woche eine Postkarte von mir«, erklärte Zoe. »Damit du mich nicht vergisst.«

»Ach Quatsch! Das würde ich nie!«, rief Flora lachend und nahm Zoe in den Arm.

»Na ja, ich will nur sichergehen«, erwiderte Zoe.

»Und falls du mir auch schreiben willst, dann haben wir noch was für dich.«

Damit überreichte Frau Schulte Flora ein Päckchen Postkarten mit schönen Tiermotiven darauf. Das war ja eine tolle Idee! Flora bedankte sich und verschwand gleich mit Zoe in ihrem Zimmer.

Nachdem Frau Schulte ein bisschen mit Floras Mutter geredet und ein Stück Geburtstagskuchen probiert hatte, verabschiedete sie sich. Es war fast 15 Uhr und Flora brannte darauf, endlich nach Federstein zu kommen. Schnell steckte sie noch die neue Kamera in ihre Tasche von Oma Griech. Zoe und sie bei den Eulen – das war doch perfekt für ein Foto!

Wie immer in den Ferien war einiges los auf der Burg. Staunend trat Zoe durch das hohe Eingangstor mit seinen mächtigen Holzflügeln, während Floras Vater die Eintrittskarten kaufte.

Dann gingen sie über den Burghof und an der Gartenwirtschaft vorbei nach hinten zu den Volieren. Hier fanden sie den alten Herrn Luftinger, der gemeinsam mit seinem Sohn für den Greifvogelpark zuständig war. Er war gerade dabei, frischen Sand in einem der Käfige zu verteilen.

»Hallo! Schön, dass ihr wieder einmal da seid«, begrüßte er die Faltins, die er schon von früheren Besuchen kannte.

»Ich habe meine Freundin Zoe aus der Stadt mitgebracht«, erklärte Flora. »Als ich sie vor Kurzem besucht habe, haben wir im Park einen Kauz gerettet, der wohl aus dem Nest gefallen war. Und Zoe hat herausgefunden, wo der nun gelandet ist. Nämlich hier auf Federstein! Stimmt das?«

»Ach, ihr meint sicher Johann, unseren Jüngsten? Kommt, ich zeige ihn euch.« Herr Luftinger führte sie an den Volieren entlang über einen kreisrunden, gepflasterten Platz. Dort übte sein Sohn Max mit einem ihrer Schützlinge das Jagen. Er ließ gerade ein Stück Fleisch an einer Schnur über den Boden hüpfen und schaute in den Himmel, wo ein Falke lautlos seine Kreise zog. Mit einem Mal klappte er die Flügel ein, schoss wie ein Pfeil nach unten und schnappte sich den Leckerbissen.

»Wow!«, rief Zoe. »Der ist ja schnell!«

»Ja, Falken gehören zu den schnellsten Vögeln«, bestätigte Herr Luftinger. »Sie können über 200 Stundenkilometer fliegen. Da halten sie locker auf jeder Autobahn mit.«

Flora schüttelte ungläubig den Kopf. Dass ein Vogel schneller war als ein Auto! Nun hatte der Falke fertig gefressen, flatterte auf die Burgmauer und schaute ins Tal.

»Sieht aus, als ob er gleich davonfliegen würde«, meinte Flora.

»Das kommt schon mal vor«, erwiderte Herr Luftinger. »Aber die Vögel, die es gewöhnt sind, von uns ihr Futter zu bekommen, bleiben meistens nicht lange fort. Das ist eher ein Problem, wenn man Jungvögel auswildert, denn die sollen ja nicht zu früh in die Freiheit, sondern erst, wenn sie es allein schaffen können.«

»Und wie lange wird das bei Johann dauern?«, wollte Flora wissen.

Herr Luftinger zuckte die Schultern. »Das kann man nicht sagen. Er muss auf jeden Fall noch ein bisschen größer und kräftiger werden. Aber momentan frisst er nicht sehr gut. Kommt, gehen wir zu ihm.«

Herr Luftinger führte sie ein paar Meter weiter, bis er vor einer recht kleinen Voliere stehen blieb. Flora dachte zuerst, sie sei leer, aber dann entdeckte sie einen Flügel hinter einem hohen Baumstumpf.

»Johann, Johann«, lockte Herr Luftinger. Der Kauz trat hinter seinem Versteck hervor, kam jedoch nur ein paar Schritte näher. Schnell zog Flora ihre Kamera aus der Tasche. Johann sah so süß aus! Das musste sie unbedingt festhalten. Gemeinsam betrachteten die drei das Bild, das der Apparat mit einem surrenden Geräusch in Floras Hand schob.

»Geht es ihm gut?«, wollte sie von Herrn Luftinger wissen.

Der nickte. »Ja, so weit schon, aber er ist noch ziemlich ängstlich.«.

»Bestimmt vermisst er seine Eltern«, meinte Zoe mitfühlend.

»Ich weiß nicht, ob Eulen wirklich wie Menschen traurig sein können«, erwiderte Herr Luftinger. »Aber Johann hatte auf jeden Fall keinen leichten Start. Normalerweise leben Eulenkinder viel länger bei ihren Eltern. Die zeigen ihnen das Jagen und Fliegen, bis sie sich irgendwann selbst ein Revier suchen. Sich das alles von Menschen beibringen zu lassen, ist schwierig. Ich hoffe, dass uns das bei Johann gelingt. Aber dazu muss er Vertrauen zu uns finden.«

Flora hätte Johann am liebsten sofort geschnappt und ihn zu Goldwing gebracht. Ihr würde Johann vertrauen, und sie hätte ihm bestimmt alles beibringen können, was ein Kauz wissen musste. Ja, bei Goldwing wäre Johann auf jeden Fall glücklicher als hier. Aber das konnte Flora Herrn Luftinger ja nicht sagen.