Die Armee marschiert
24. September 1967. Truppenparade in Santa Cruz, Bolivien. Anlass ist der Gedenktag an eine Schlacht im Krieg der Nationalen Befreiung, jenes Krieges, in dem im 19. Jahrhundert mit einer Kette von Aufständen und Revolten das Land seine nationale Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialmacht erkämpfte.
Die Sechserreihen der Abteilungen lösten sich auf. Die Soldaten marschierten nun im Gänsemarsch. Die Vertreter der Behörden und die Generäle, die auf der Festtribüne saßen, applaudierten, als die Truppen an der Fahne vorbeizogen. Die jungen Rekruten warfen den Kopf in den Nacken und drückten die Brust heraus.
Die Zuschauer erhielten einen Eindruck von der Feuerkraft der einzelnen Gruppen. Sie sahen die mattglänzenden FAL- und SIG-Gewehre, die aus Argentinien und aus der Schweiz stammten. Auf der Feldausrüstung wie auf den Tarnanzügen der sogenannten Ranger waren die Etikette der US-Army zu erkennen.
Die Kampfhandlungen zwischen der bolivianischen Armee und der Guerillagruppe unter Führung von Ernesto Guevara dauerten zu diesem Zeitpunkt, Ende September, schon über sechs Monate an.
Im März 1967 hatte die Regierung durch zwei Überläufer, die sich bei der Polizei in Camiri stellten, zum ersten Mal Kenntnis über die Existenz von Guerilleros in den Vorbergen der Zentralkordillere im Department Santa Cruz erhalten. Der Armee war es dann zwar gelungen, die Guerillas aus ihrem Ausbildungs- und Basislager bei Ñancahuazú zu vertreiben, ihre im Kampf gegen Partisanen ungeübten Truppen hatten aber bei diesen Gefechten beträchtliche Verluste hinnehmen müssen.
Im Laufe des Monats April waren über 2.000 Mann gegen die Guerillas aufgeboten worden, ohne dass die Regierung Herr der Lage wurde.
Die Guerillas konnten ausweichen und bei Überfällen auf unzureichend geschützte kleinere Ortschaften mehrmals gewisse Erfolge erzielen.
Die Generäle räumten in Verlautbarungen gegenüber der Presse nun ein, dass sich die Kämpfe doch noch über mehrere Monate hinziehen könnten, nachdem sie zunächst von einem raschen Sieg gesprochen hatten.
Im Juni wurde die Situation für die bolivianische Regierung sogar recht kritisch. Es kam zu Unruhen in den weiter nördlich gelegenen Bergbaugebieten von Catavi und Siglo XX. Nach Zusammenstößen zwischen Arbeitern aus den Zinnminen und Militär brach ein Streik aus. In La Paz und anderen größeren Städten demonstrierten Lehrer und Studenten gegen das Militärregime. Präsident Barrientos verhängte über das ganze Land den Ausnahmezustand.
Ein direkter Zusammenhang zwischen der Guerillabewegung und den Unruhen im Bergbaugebiet bestand allerdings nicht. Auch war keine Verständigung über gemeinsame Aktionen zwischen den Führern der Streikbewegung und den Guerilleros möglich. Aber die Armee musste ihre Elitetruppen aus dem Gebiet der Guerilla abziehen und sie gegen die rebellierenden Arbeiter einsetzen.
Am 30. Juni 1967 brach der Streik zusammen. Ohne ihre Lohnforderung durchsetzen zu können, kehrten die Bergleute von Catavi und Siglo XX an ihre Arbeitsplätze zurück. Etwa um die gleiche Zeit ging bei Ches Guerilla-Gruppe das Tonbandgerät verloren, das für die Dechiffrierung von Botschaften aus Kuba unerlässlich war. Die Verbindung zwischen dem Haupttrupp und der Nachhut riss ab und konnte nicht mehr hergestellt werden.
Die Regierung schickte weitere Eliteeinheiten der Armee zur Verstärkung der die Guerillas verfolgenden Truppen in das entlegene und unübersichtliche Gebiet im Südosten des Landes, wo es nun gelang, die Nachhut Guevaras in eine Falle zu locken und zu vernichten.
Der Haupttrupp aber, bei dem sich Che befand, konnte sich, trotz zunehmender Verluste und wachsender Schwierigkeiten, noch immer einer Einkreisung auf engerem Raum entziehen und vereinzelte Überraschungsangriffe auf kleinere Ortschaften wagen.
Gleich nach Bekanntwerden der ersten Nachrichten über die Guerillas war auf einer Stabsbesprechung hoher Offiziere der bolivianischen Armee in Cochabamba erwogen worden, ob man die USA um die Entsendung von Truppen ersuchen solle.
Oberst Zenteno Anaya, der Leiter der Offiziersschule, hatte sich damals entschieden gegen diesen Plan ausgesprochen und war mit seiner Meinung durchgedrungen. Man fürchtete, eine direkte Intervention der USA werde in der Weltöffentlichkeit zu großes Aufsehen erregen. Die Parallelen zu den Ereignissen in Guatemala, in der Dominikanischen Republik und in Vietnam waren naheliegend.
Statt dessen wurde in Konferenzen mit General Robert Porter, dem Kommandeur des sogenannten US-Southern Command, und anderen Offizieren des amerikanischen Heeres, die in diesen Wochen nach La Paz kamen und auch andere bolivianische Garnisonen inspizierten, vereinbart, dass die USA ihre Lieferungen von modernen Waffen und Kriegsmaterial an Bolivien verstärken und sich durch die Entsendung von Militärberatern und CIA-Agenten insgeheim am Kampf gegen die Guerillas beteiligen würden.
In den folgenden Monaten richteten Major Ralph Shelton, der aus Nashville in Tennessee stammte, und sein Adjutant Hauptmann Leroy Mitchell, der eben aus Vietnam zurückgekehrt war, in der aufgegebenen Zuckermühle bei La Esperanza (die Hoffnung), 45 Meilen nördlich von Santa Cruz, ein Trainingszentrum für Anti-Guerillakämpfer ein. Insgesamt kamen etwa 50 Offiziere und Unteroffiziere aus den USA nach Bolivien. Sie stellten mit einheimischen Rekruten das sogenannte Ranger-Bataillon auf und unterrichteten diese Spezialeinheit in jenen Unterdrückungstaktiken, die die US-Armee zuvor in Vietnam, Laos und in der Dominikanischen Republik erprobt hatte.
Bei der Militärparade am 24. September 1967 sah man die Rangers zum ersten Mal in der Öffentlichkeit.
Am Mittag des 25. September erhielten die Offiziere den Befehl, das Härtetraining abzubrechen. Eine neue Phase begann. Die Soldaten wurden auf schwere Alligatoren-Lastwagen verladen und zum Rio Grande gefahren. El Fuerte, Estanque, Pujro und Abra del Picacho waren die Ortsnamen, die in den Marschbefehlen auftauchten. Es wurde der 4. Oktober, ehe die Kompanie C in der kleinen Ortschaft Higuera eintraf.
Sie befand sich hier im Zentrum jenes Gebiets, in dem sich die Ausweichbewegungen der Guerillas in den letzten Tagen abgespielt hatten.
Schon zuvor waren andere, zahlenmäßig starke Verbände der Armee im weiteren Umkreis zusammengezogen worden. Sie sicherten den Rand des Kessels, in den sich nun die Rangerkompanien wie scharf geschliffene Stacheln hineinbohrten ...