Anfang vom Ende
Am Morgen des 23. März durchkämmt eine kleine Patrouille der Armee unter dem Kommando von Major Hernan Plata und seinem Adjutanten, Hauptmann Augusto Silva Bogado, und Oberleutnant Ruben Amezaga die Umgebung des Calamine-Hauses. Hauptmann Silva erzählt später in Camiri einem Journalisten:
»Wir verfolgten einige Guerillas seit mehreren Tagen. Wir nahmen an, dass sie sich in der Ñancahuazú-Schlucht aufhalten würden. Etwa gegen 7.20 Uhr erreichten wir den Fluss gleichen Namens. Wir folgten ihm stromaufwärts. Wir kamen nur schwer voran. Der Untergrund war sandig und schlüpfrig. An einigen Stellen stand uns das Wasser bis an die Hüften.
Ungefähr um 7.30 Uhr stieg der Mann, der vorn ging, aus dem Flussbett. Er hatte die frischen Fußspuren der Guerillas entdeckt. Wir rasteten ein paar Minuten und warteten auf Major Plata, der hinter uns kam. Wir mussten uns formieren. Als das geschehen war, wurde beschlossen, dass Major Plata die erste Schwadron anführen und mit ihr vor gehen solle, die zweite Schwadron würde in einer gewissen Entfernung folgen. Oberleutnant Amezaga übernahm die Führung der restlichen Leute. Ich war mit vorn. Ehe wir zu marschieren begannen, sagte ich meinen Männern, sie sollten nur recht vorsichtig sein und sich ständig nach rechts und links umschauen.
›Weiter oben kann’s unsere Haut kosten‹, sagte unser Scout.
›Keine Angst«, erwiderte ich, ›die anderen unterstützen uns schon, wenn es brenzlig werden sollte.‹
Wir kamen an eine Biegung des Flusses. Wir waren kaum ein paar Schritte gegangen, als wir und die zwei Gruppen, die uns folgten, plötzlich in schweres Feuer gerieten.
Es war Kreuzfeuer. Die Schüsse kamen von rechts und von links. Wir gingen in Deckung, krochen am Boden entlang und schossen zurück.
Ich hörte einen Schrei, sah, dass der Scout Epifanio Vargas getroffen worden war. Auch einen Soldaten hatte es erwischt.
Als das Gefecht begann, befand sich Oberleutnant Amezaga in der Mitte des Flusses, und dort wurde er auch verwundet. Er schoss trotzdem weiter in Richtung der Höhen, von wo aus die Schüsse zu kommen schienen, und ich sah, wie er einen Guerilla traf. Es gelang dem Leutnant das Ufer zu erreichen, aber er konnte sich nicht gegen den Kugelhagel schützen. So starb er.
Ich schoss rechts hinüber. Für Sekunden hob ich den Kopf. Ein Geschoß riss mir die Mütze vom Kopf, ohne mich jedoch zu verletzen.«
Dass die unerfahrene Einheit von Panik ergriffen wird, ist nur zu verständlich. Jene Soldaten, die Widerstand leisten, sehen kein Ziel vor sich. Der Feind verbirgt sich im dichten Wald. Zwischen den einzelnen Feuerstößen hört man immer wieder Rufe wie »Lang lebe Bolivien«, »Lang lebe die Nationale Befreiungsarmee«, »Ergebt Euch, Soldaten, dann werdet ihr nicht getötet!«
Als die Soldaten der Nachhut ihre Kameraden fallen sehen, werfen sie ihre Waffen fort und fliehen.
Vargas, der Scout, ist jener Mann, der den Behörden als erster von der Anwesenheit von Guerillas in diesem Gebiet Meldung gemacht hat.
Am Ende des Gefechts sind Leutnant Amezaga, fünf Soldaten und der Scout gefallen. Major Plata, Hauptmann Silva und 11 Soldaten befinden sich in Gefangenschaft, fünf dieser Männer sind verwundet. Nachdem die Soldaten entwaffnet sind, werden sie unerwartet freundlich behandelt. Die Guerillas geben ihnen zu essen, ein Arzt untersucht die Verwundeten und hilft ihnen. Die Offiziere werden verhört. Die Guerillas erklären ihnen ihre Ziele und fordern sie auf, zu ihnen überzutreten.
»Sie plapperten wie Papageien«, vermerkt Che in seinem Tagebuch, ganz im Gegensatz zu dem Bericht von Hauptmann Silva.
Ehe den Gefangenen gestattet wird, zu ihrer Basis zurückzukehren - bei ihrer beweglichen Kriegsführung können die Guerillas sie unmöglich ständig bei sich behalten - werden ihnen ihre Uniformen abgenommen, und sie erhalten dafür die Zivilkleidung der Rebellen.
Die Guerillas gestatten den Soldaten auch, gegen Mittag des nächsten Tages zurückzukommen, um ihre Toten zu begraben. Sie raten ihnen aber, mit nacktem Oberkörper zu erscheinen, damit man sehe, dass sie unbewaffnet sind. Es vergehen aber 14 Tage, ehe die Toten geborgen werden.
Zu Beginn der Kampfhandlungen befindet sich Che im Hauptlager; schweißtriefend kommt Coco angerannt und berichtet, dass ungefähr vor zwei Stunden in der Nähe des Calamine-Hauses ein Gefecht begonnen hat. Es hat mehrere Tote gegeben und größere Mengen von Waffen und militärischen Ausrüstungsgegenständen sind erbeutet worden. Inti wird mit einigen Männern ausgeschickt, um die Waffen abzuholen und die Gefangenen zu verhören. Guevara schickt auch einen Arzt mit, der die Verwundeten betreuen soll. Das wird die Regel. Sofern dies irgendwie möglich ist, werden Verwundete und Gefangene sorgfältig von den Ärzten unter den Guerilleros versorgt.
Da nun, wenn auch leider vorzeitig, die Guerilla eröffnet ist, wird ein Kommuniqué Nr. 1 der Nationalen Befreiungsarmee verfasst, das Journalisten in Camiri zugestellt werden soll.
Che ist sich darüber klar, dass er nun zu einer beweglichen Kampfführung übergehen muss, und das heißt auch, er muss Ñancahuazú verlassen. Debray und Bustos müssen an einem Ort, von dem sie aus Bolivien ausreisen können, abgesetzt werden. Che zieht dafür Gutiérrez, 37 Meilen südlich von Ñancahuazú, in Betracht.
Am 3. April, gegen 15.30 Uhr, setzen sich drei Hauptgruppen unter seinem Kommando dorthin in Marsch. Nur wenige Männer bleiben zur Bewachung der Lager zurück.
Che und sein Trupp kommen an der Stelle vorbei, an der am 23. März der Hinterhalt gelegt worden ist. Sie sehen die Leichen der Gefallenen, die inzwischen von Raubvögeln übel zugerichtet worden sind.
Als Che am 4. April Gutiérrez erreicht, stellt sich heraus, dass starke Einheiten der Armee in der Stadt anwesend sind. Das erzählen einige Einwohner und Bauern, denen man außerhalb des Ortes begegnet ist. Ein paar Guerilleros sind verkleidet auch in die Stadt selbst vorgedrungen und haben diese Aussagen bestätigt. Also muss die Gruppe unverrichteter Dinge wieder umkehren - zurück nach Ñancahuazú. Unterwegs macht Debray wieder den Vorschlag, unter die Guerilleros aufgenommen zu werden.
Che antwortet wörtlich: »Zehn Intellektuelle in der Stadt sind für die Guerilla mehr wert als ein einziger Bauer aus dieser Gegend.« Eine Bemerkung, die auch wieder beweist, wie wenig seine und Debrays Theorien der Wirklichkeit entsprechen.
Am Mittag des 3. April ist die Kompanie des Major Ruben Sanchez mit 120 Mann in dem Ort Yuti eingetroffen. Am nächsten Morgen gegen fünf Uhr bricht diese Abteilung der Armee, geführt von dem Gefangenen Salustio Choque Choque zum westlichen Eingang der Ñancahuazú-Schlucht auf. Am östlichen Ende der Schlucht, in der Nähe des Calamine-Hauses, postiert sich eine weitere Kompanie unter Hauptmann Alfredo Calvi.
Nachdem Major Sanchez mit seinen Männern etwa drei Meilen vorgerückt ist, tauchen am Himmel Flugzeuge auf, die Bomben abwerfen und die Gruppe mit Bordwaffen beschießen. Die Piloten halten die Soldaten für Guerillas, da sie gehört haben, dass die Guerillas erbeutete Armeeuniformen tragen sollen. Es vergehen etwa zehn Minuten, bis sie ihren Irrtum bemerken.
Gegen Mittag weist Choque Choque auf Schützennester und Stellungen der Guerillas an den Hängen der Schlucht hin. Major Sanchez lässt sie mit allen verfügbaren Waffen unter Beschuss nehmen.
Es scheint, dass sich die Guerillas daraufhin absetzen. Als die Kompanie weiter in die Schlucht eindringt, stößt sie auf das erste Lager der Rebellen mit der Feldküche und den kleinen Unterständen. Bald darauf entdeckende Soldaten ein zweites Lager mit einem Backofen und Laufgräben. Von dort führt ein Pfad zu einer Anlage, die an ein Amphitheater erinnert. Die Soldaten sammeln zurückgelassenes Papier und Fotos ein, darunter auch ein Bild von Guevara.
Sie entdecken eine Dusche, die aus Maultierfell hergestellt wurde, einen primitiven Operationstisch, Stühle, Latrinen und Rezepte für Medikamente, die zwischen dem 8. und 20. November 1966 in La Paz gekauft worden sind.
Am Ostende der Ñancahuazú-Schlucht bietet sich ihnen ein makabres Bild. Hier liegen die Überreste der Toten aus dem Gefecht vom 23. März. Von der Hüfte aufwärts sind die Leichen von den Raubvögeln bis auf die Knochen abgenagt worden. Die unteren Körperpartien haben die festanliegenden Hosen geschützt.
Sanchez folgt dem Flusslauf, um Verbindung mit der Abteilung unter Hauptmann Calvi aufzunehmen. Bei Einbruch der Dunkelheit begegnen sich beide Kommandos am östlichen Eingang der Schlucht. Am Donnerstag, den 6. April, trifft eine Gruppe bolivianischer und ausländischer Journalisten in der Gegend ein. Sie finden im aufgegebenen Basisläger der Guerilleros Teile von Tagebüchern, die Übersetzung einer Rede des nordvietnamesischen Generals Giap und zahlreiche Fotos.
Am Samstag, den 8. April, erhält die Kompanie Sanchez Befehl, die Schlucht des Iripiti-Baches einige Meilen weiter nördlich zu durchforschen. Sie hat keine Feindberührung. Am Montag, den 10. April, marschiert noch einmal eine Abteilung in die Iripiti-Schlucht. Gegen Mittag kommt eine Gruppe aufgeregter Soldaten zu dem Kommandoposten am Calamine-Haus zurückgelaufen. Sie rufen: »Ein Hinterhalt ... der Leutnant liegt verwundet unten am Fluss.«
Che hält sich während dieser Tage im Bärenlager auf. Er erwartet, dass der Feind von Süden her angreifen wird, aber dann melden ihm seine Vorposten, dass die Armee von Osten heranzieht. Um das weitere Vordringen der Soldaten in die Zone zu verhindern, stellt er einen Hinterhalt auf. Sein Befehlsstand liegt nicht weit von der Stelle, an der es zum Kampf kommt. Zu Fuß sind es nur zehn Minuten.
Um 10.30 Uhr sind die ersten Schüsse gefallen. Ein Melder verständigt Guevara und bittet um ärztliche Hilfe für den Guerillero El Rubio, der schwer verletzt worden ist und später stirbt. Che befielt seinen Unterführern, alle Gruppen sofort kampfbereit zu machen und schickt Ärzte nach vorn.
Unterdessen ist Sanchez vom Calamine-Haus mit einer Verstärkung aufgebrochen. Er geht entlang des Flusses in Richtung auf den Ort Iripiti vor, um die andere Abteilung zu unterstützen. Es dauert aber bis zum Nachmittag, ehe er mit seiner Gruppe zur Stelle ist. Unterwegs kreist über den Infanteristen ein Luftaufklärer, aber es folgen keine Kampfflugzeuge, die die Bodentruppen ungeduldig erwarten. Der Kommandant der bolivianischen Luftstreitkräfte ist der Meinung, die Guerillas stellten keine ernst zu nehmende Gefahr dar.
Gegen fünf Uhr entspinnt sich ein zweites heftiges Gefecht. Zwar verfügt die Armee über die stärkere Feuerkraft, aber die Guerilleros schießen genauer und kennen sich auch im Gelände besser aus. Ein Feldwebel, der ein Maschinengewehr trägt, bricht getroffen zusammen. »Soldaten ergebt euch, dann töten wir euch nicht! Soldaten ergebt euch!« rufen die unsichtbaren Guerilleros. Dazwischen hört man die Schreie der Verwundeten.
Leutnant Ayala will einen Minenwerfer abfeuern, als ihn eine Kugel in die Brust trifft und seine Lunge durchlöchert. Major Sanchez schreit Befehle, auf die niemand mehr zu hören scheint.
Wieder wird eine Einheit der Armee vernichtend geschlagen. Major Sanchez und der schwer verwundete Leutnant Ayala geraten in Gefangenschaft. Sieben Soldaten sind tot. Insgesamt haben die Guerillas 18 Gefangene gemacht. Sie werden in eine nahegelegene Schlucht zum Verhör gebracht. Die Ärzte bemühen sich um Leutnant Ayala, aber die Lungenverletzung ist so schwer, dass er nachts gegen halb zwölf Uhr stirbt.
Die geschlagenen Soldaten stehen stöhnend, frierend und erschöpft herum, und Major Sanchez bittet die Rebellen, ein Feuer anzünden lassen zu dürfen, damit seine Männer sich wärmen und die von der Nachtluft feuchten Kleider trocknen können.
Kurz nach Mitternacht erfahren die Gefangenen, dass sie in Kürze freigelassen werden sollen. Major Sanchez besteht darauf, alle Toten und Verwundeten mitzunehmen.
»Wie denken Sie sich denn das?« fragt ihn Coco Peredo, »Sie haben doch dazu gar nicht genügend Leute.«
»Der Feldwebel und alle Männer, die nicht verwundet sind, werden mir helfen«, erwidert Sanchez.
Um 5:30 Uhr am Morgen befielt Coco, die Verwundeten hinunter zum Flussufer zu bringen: Er sagt zu den Soldaten: »Hört her, ihr seid unsere Brüder. Wenn eure Vorgesetzten euch befehlen zu kämpfen oder euch dazu zwingen wollen, dann habt keine Angst und kommt zu uns herüber. Wir tun euch nichts, wenn ihr eure Waffen fortwerft oder nach dem ersten Schuss die Hände in die Luft streckt. Wir lassen euch jetzt eure Uniformen. Es könnte euch sonst zu kalt werden. Wir behalten aber eure Stiefel, weil wir die dringend brauchen. Wir können uns im Augenblick kein Schuhwerk beschaffen. Nur Major Sanchez darf seine Stiefel behalten.«
Die Guerilleros ziehen den Soldaten die Stiefel aus. Dann machen sich die ersten Gefangenen auf den Weg, die Verwundeten folgen langsam. Die Soldaten tragen die Toten und Schwerverwundeten auf dem Rücken. Sanchez schleppt die Leiche von Leutnant Ayala. Ab und zu werden die schweren Lasten ausgewechselt.
Die ersten Vögel beginnen zu rufen, Dunst treibt durch den Wald.
Hinter den Soldaten laufen die Guerillas. Sie rauchen und begleiten ihre Gegner noch etwa drei Kilometer. Dann verabschieden sie sich: »Hier müssen wir umkehren. Viel Glück. Wollen hoffen, dass wir uns mal Wiedersehen. Waffen und Munition können wir immer gebrauchen.« Die 20 Guerillas teilen sich in Gruppen zu vier oder fünf Mann auf. Einige gehen noch ein Stück weiter mit. Sie entdecken einen Soldaten, der sich in einem Busch versteckt hat. Sie rufen ihm zu, er solle sich ergeben und fragen ihn dann, wo er her komme. Der Soldat antwortet, er gehöre zur Kompanie Sanchez und sei eingeschlafen, nachdem er sich am vergangenen Nachmittag hier versteckt habe.
»Los, mach, dass du mit den anderen davonkommst! «
Nach einer halben Meile stoßen die freigelassenen Gefangenen auf eine Abteilung, die sie suchen kommt. Sie wird von einem Fallschirmjäger-Offizier angeführt. Major Sanchez rät ihm, die Guerillas jetzt nicht anzugreifen, sondern mit zum Calamine-Haus zurückzukommen.
Es stellt sich heraus, dass der Suchtrupp in der vergangenen Nacht ganz nahe am Lager der Guerillas vorbeigekommen ist.
»Das einzige, was wir in der dichten Dunkelheit gesehen haben, waren kleine helle Punkte ... wie von Glühwürmern.«
Es muss sich dabei um die kleinen Taschenlampen gehandelt haben, die Ches Männer benutzten.
Nach dem Gefecht von Iripiti versucht Guevara zunächst, Bustos und Debray abzusetzen. Als Ort, der für die Rückkehr der beiden in die zivilisierte Welt in Frage kommt, wird Muyupampa, 63 Meilen südlich von Ñancahuazú, ausgewählt.
Die kleine Stadt liegt zwar innerhalb jenes Gebietes, das inzwischen von der Armee zur Sperrzone erklärt worden ist, aber Che hofft, dass Bustos und Debray die Soldaten werden überzeugen können, dass sie Journalisten sind, so dass man ihnen die Weiterreise gestatten wird.
Die Nachrichten von der Außenwelt sind so spärlich, dass es zu dieser Fehleinschätzung kommt. Bustos und Debray werden der Armee gewissermaßen zu treuen Händen übergeben. Außerdem sollen Tania und Chino evakuiert werden. Tania leidet an wundgelaufenen Füßen und an schweren Depressionen. Bei Chino erweist sich dessen Kurzsichtigkeit als hinderlich, um nun an der Phase des Bewegungskrieges teilzunehmen. Deshalb erhält er, der aus Peru stammt, den Auftrag, in sein Heimatland zurückzukehren und dort mit einer revolutionären Organisation Kontakt aufzunehmen, die im Oktober 1967 ebenfalls eine Guerilla beginnen will.
Ihr Reiseweg soll nach Nordosten über Monteagudo und Padilla nach Sucre führen, eine Route, die Tania vertraut ist. Aber dieser Plan scheitert. Aus verschiedenen Gründen gelingt weder Chino noch Tania der Absprung.
Aufgeteilt in drei Gruppen - Vorhut, Haupttrupp und Nachhut - brechen die 39 Personen der Guerilla gegen zwei Uhr am 12. April zum Marsch auf.
Die Nachhut, bei der sich Tania befindet, steht unter dem Kommando von Antonio. Bald wird die Verbindung zwischen diesem Trupp und Che abreißen.
Am 19. April, als sich Vorhut und Haupttrupp auf der Straße von El Meson her Muyupampa nähern, kommen nahe dem Weiler Yacumbay zwei Eingeborenenkinder die steilen Abhänge des Incahuasi-Gebirges herab. Sie führen den amerikanischen Journalisten George Andrew Roth zu den Guerilleros, der sich auf der Suche nach einem Sensationsbericht von den Armeeposten abgesetzt und auf eigene Faust auf die Suche nach den Rebellen gemacht hat.
Die Guerilleros betrachten ihn zunächst mit Misstrauen. Che hält ihn sogar für einen Agenten des FBI. Trotzdem wird er freundlich behandelt; und Coco Peredo, der gelegentlich als Double für Che auftritt, gibt ihm sogar ein Interview.
Für George Andrew Roth ist das Zusammentreffen mit den Guerillas das vorläufige Ende einer abenteuerlichen journalistischen Erkundungsfahrt. Der Chileno-Amerikaner, der als freier Publizist arbeitet, hat im März 1967 einen Auftrag für die Londoner Zeitung Daily Express zu erledigen gehabt und sich in Santiago, Chile, aufgehalten. Anschließend wollte er ursprünglich über Buenos Aires und Lissabon nach Zürich fliegen. Da erscheinen die ersten Meldungen von einem Guerilla-Foco in Bolivien. In Chile, wie auch in anderen Ländern, sind die Nachrichten widersprüchlich und ungenau. Aber Roth wittert eine gute Geschichte und reist am 30. März nach Buenos Aires, wo er sich mit Kollegen von argentinischen Zeitungen und Freunden, die im amerikanischen Friedenskorps arbeiten, über dieses Thema unterhält. Sein Gespür dafür, dass sich hier ein sensationeller Stoff anbietet, scheint ihn nicht getäuscht zu haben. Was er in Buenos Aires hört, macht ihn noch neugieriger. Er beschließt, nach Bolivien zu fahren. Um die Reise zu finanzieren, verabredet er mit seinem Kollegen Moisés García von Time Life, ihm von dort Material zu schicken. Er selbst bucht einen Linienflug der Lloyd Aereo Boliviano und landet am 5. April in Santa Cruz, wo er sich eine Nacht aufhält. Am nächsten Tag ist er in Camiri, jenem Ort, der der Armee als Ausgangspunkt für ihren Feldzug gegen die Guerillas dient. Er stellt sich bei den Militärbehörden vor. Seine Papiere sind in Ordnung, und nun beginnt ein anstrengender Trip durch das sogenannte Rote Dreieck. Er begleitet die Armeepatrouillen auf ihren Märschen zu den kleinen Dörfern und Weilern, ist den gleichen Strapazen ausgesetzt wie die Soldaten, schlottert in den bitterkalten Nächten, trinkt von dem verschmutzten Wasser, das von Insekten nur so summt, und lebt wie die Rekruten von C-Ration, die die Amerikaner zu Verfügung gestellt haben. Aber sein sehnlichster Wunsch erfüllt sich nicht. Die Guerillas lassen sich nirgends blicken. Nur ab und an hört man Gerüchte, dass sie in einem Ort aufgetaucht sein sollen, um Lebensmittel und Medikamente einzukaufen und den Bauern einen politischen Vortrag zu halten.
Am 10. April begleitet er eine Abteilung, die in die berühmte Schlucht des Ñancahuazú-Baches eindringt, wo er Gelegenheit hat, die gewaltigen, steilen Klippen zu bewundern. Er kommt auch zum Calamine-Haus und in mehrere andere aufgegebene Lagerplätze. Er scharrt in der Asche der Feuerstellen, sieht sich am Rand der Pfade um und findet unter verstreuten Papieren das Tagebuch des Kubaners Braulio und einen Fetzen eines Blattes, auf dem ein Befehl an den Guerillero Rubio notiert ist.
Bei Einbruch der Nacht kehrt er nach Camiri zurück, fährt nach Lagunillas weiter und fliegt von dort nach La Paz. Auch in der Hauptstadt hat er Freunde, die für das Friedenskorps der USA arbeiten. Am 13. April erscheint ein Bericht über seinen Besuch in Ñancahuazú auf der ersten Seite einer bolivianischen Tageszeitung. Doch damit ist Roths Ehrgeiz noch nicht befriedigt. Er will einen authentischen Bericht über die Rebellen verfassen. Deswegen kehrt er am 17. April wieder nach Camiri zurück. Mit anderen ausländischen Journalisten und Fotografen fährt er nach Lagunillas. Dort empfehlen ihm die Einwohner, einen Führer zu mieten, der eben die Armee mit Informationen über die Guerillas versorgt hat.
Roth besorgt sich ein Maultier und will aufbrechen, aber die Behörden untersagen ihm, sich in eine Gegend zu begeben, die nicht von der Armee kontrolliert wird. Trotzdem gelingt es ihm in der Nacht, durch die Postenketten zu schlüpfen und seine private Suchaktion mit dem Führer und einem anderen Mann zu beginnen. Sie irren, offenbar ohne noch genau zu wissen, wo sie sich befinden, durch die Nacht und kommen am folgenden Tag an die Hütte eines Bauern, der ihnen etwas zu essen verkauft. Als Roth am Mittag weiter will, weigert sich der Führer, mit ihm zu gehen, besorgt ihm aber zwei Jungen, die ihn angeblich zu den Guerillas bringen werden.
Jetzt, da Roth sich glücklich schätzt, ein Interview mit Che in der Tasche zu haben - in Wirklichkeit hat er Guevara nicht zu Gesicht bekommen -, ist er durchaus einverstanden, mit den beiden anderen Besuchern wieder in zivilisiertere Gegenden zurückzukehren.
Roth, Bustos und Debray werden an einem Punkt nahe der Straße, etwa drei Meilen vor Muyupampa abgesetzt.
Es ist stockdunkle Nacht.
»Auf Wiedersehen, am besten schlagt ihr den Weg ein, der euch am bequemsten erscheint. Wir müssen fort«, erklären die Guerilleros, die sie begleitet haben.
Es ist bitterkalt. Roth trägt nur leichte Kleidung. Recht und schlecht bringen die drei Männer die fünf Stunden bis zum Tagesanbruch herum, dann folgen sie der Hauptstraße nach Muyupampa.
Um 8.30 Uhr am 20. April erscheinen sie unbewaffnet in den engen Gassen des Ortes, in dem etwa 1.500 Menschen in Adobehütten hausen. Sie werden bald von Soldaten gestellt und festgenommen. In dem kleinen Ort ist ihre Verhaftung die große Neuigkeit!
Man bringt die drei Männer auf das Rathaus und nimmt ihnen ihre Ausweise, ihr Geld und ihre Notizbücher ab. Darauf werden sie einem ersten Verhör unterzogen. Für Roth wird die nun beginnende Gefangenschaft nur zweieinhalb Monate dauern. Bei Bustos und Debray aber endet sie vor den Schranken eines Gerichts, das ihre aktive Teilnahme an der Guerilla, trotz hartnäckigem Leugnen, als erwiesen ansieht und sie wegen Mordes, Brandstiftung und Rebellion zu je 30 Jahren Gefängnis verurteilt.
Am Morgen des 20. April, nachdem Bustos, Debray und Roth in Muyupampa festgenommen worden sind, zeigt sich in der Nähe des Ortes eine Gruppe bewaffneter Männer. Es sind Bürger, die die Angst treibt, die Guerilleros könnten ihre Stadt überfallen, und deshalb ein Komitee gebildet haben, dass mit den Rebellen verhandeln soll.
Um 11 Uhr kommt es, nahe der Ayango-Ranch, zu einer Aussprache, bei der auf Seiten der Bürger der Gemeindepfarrer Leo Schwartz das Wort führt. Er hat die friedliche Absicht der Gruppe durch das Schwenken einer weißen Fahne bekundet.
Die Anführer der Guerilla setzen dem Pfarrer ihre Ziele auseinander. Die Gespräche ziehen sich über drei Stunden hin, während am Himmel Regierungsflugzeuge patrouillieren.
Endlich erklären die Guerillas, es gehe ihnen nur darum, sich mit Proviant und Arzneimitteln zu versorgen. Wenn das Komitee in der Lage sei, die gewünschten Sachen herbeizuschaffen, könnte eine Kampfhandlung vermieden werden. Man wird sich einig. Die Bürger kehren nach Muyupampa zurück, um ihren Auftrag auszuführen. Um 18.30 Uhr wollen sie wieder zurück sein. Sie erzählen den Guerillas auch noch, dass die drei Journalisten verhaftet worden sind, man sie aber gut behandle. Ein Mitglied des Komitees ist Arzt und hatte sich, ehe er mit den anderen Männern aufbrach, der wundgelaufenen Füße von Roth angenommen.
Nach ihrer Rückkehr in den Ort erstatten die Unterhändler aber den Militärbehörden Bericht. Diese verbieten ihnen, sich an die mit den Guerillas getroffene Absprache zu halten. Ab 17 Uhr belegt die bolivianische Luftwaffe das Gebiet um den Treffpunkt mit Bomben.
Che und seine Männer entfernen sich ohne Verluste.
In der Nacht des 20. April erbeutet die Nachhut unter Joaquín auf der Landstraße zwischen Monteagudo und Muyupampa zwei Lastwagen. Die Armee-Einheiten, die die Verfolgung aufnehmen, können die Guerillas nicht stellen.
Am 26. April überfallen die Guerillas, offenbar Männer des Haupttrupps, zwei Wachtposten an der Straße nahe Taperillas. Die beiden Soldaten werden getötet, die Guerillas, unter ihnen wahrscheinlich Vásquez Viaña, entkommen.
Am 27. April wird Jorge Vásquez Viaña, einer der besten Männer unter den bolivianischen Teilnehmern an der Guerilla, verwundet und gefangen genommen. Zwischen Vorhut und Haupttrupp einerseits und Nachhut andererseits ist immer noch keine Verbindung hergestellt.
Am 22. April hat sich die Gruppe Joaquín der Umkreisung durch die Armee entzogen und ist in die gebirgige Wildnis von Ñancahuazú zurückgekehrt. Dort findet sie in Verstecken, die der Armee bei der Durchsuchung entgangen sind, einigen Proviant.
In seiner Analyse des Monats schreibt Che:
»Die negativen Punkte sind: die Unmöglichkeit einer Kontaktaufnahme mit Joaquín und der allmähliche Verlust von Leuten, von denen jeder einzelne eine schwere Niederlage bedeutet, selbst wenn es auch die Armee nicht ahnt.
Wir sind total isoliert, was uns auf die 24 Mann unserer Gruppe beschränkt. Dazu kommt, dass Pombo verwundet und in seiner Beweglichkeit behindert ist. Man fühlt das völlige Fehlen von Neuzugängen aus der Landbevölkerung. Wir befinden uns in einem Teufelskreis: Um diese Neuaufnahmen zu erreichen, müssen wir permanent unsere Aktionen in einem bevölkerten Gebiet durchführen. Aber dazu brauchen wir mehr Leute.«
Noch etwas muss Che tückisch erscheinen: Jetzt, da es, aus einem Anlass, der nicht mit der Guerilla zusammenhängt, in den Bergwerksdistrikten zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Arbeitern und dem Regime Barrientos gekommen ist, besteht dorthin keine Verbindung. (Die Unruhen unter den Bergarbeitern werden in schrecklichen Massakern niedergeworfen.)
Als dringlichste Aufgabe gibt Che an: »... Kontakt mit La Paz herzustellen und unsere Ausrüstung und unseren Vorrat an Medikamenten zu ergänzen. Wir müssen 50 bis 100 Leute aus der Stadt gewinnen, selbst, wenn sich die Zahl der Kämpfer während der Aktion auf 10 bis 25 Mann reduziert.«
Auch hier wieder ein Beweis mehr, dass die Theorien Debrays und Guevaras in der bolivianischen Wirklichkeit nicht aufgehen. Che ist selbstkritisch genug, das einzusehen. Aber seine Gruppe ist nun schon zu schwach, um das Ergebnis der Analyse in die Tat umzusetzen.
Die ersten Vögel beginnen zu rufen