Hai-Horror

Axels Herz begann wie wild zu schlagen.

„Nein … nein … nein!“, stammelte er und torkelte nach hinten.

War das ein Albtraum? Oder Wirklichkeit? Wie kam ein Hai in den Hühnerstall?

Plötzlich wurde der Junge von hinten gerammt. Etwas prallte gegen seinen Rücken und drängte ihn mit voller Wucht auf den Hai im Schuppen zu. Axel war viel zu verdutzt und überrascht, um sich zu wehren.

Zwei kräftige Hände packten die Schultern des Jungen und stießen ihn vorwärts. Axel landete auf dem erdigen Boden des Holzhauses. Hinter ihm schlug die Tür zu und ein Schloss klickte.

Eingeschlossen! Er war eingeschlossen!

Axel geriet in Panik. Der Hai! Was war mit dem Hai? Der Knickerbocker sprang auf die Beine und streckte die Arme aus. Wie ein Blinder tappte er voran und versuchte, jedes Hindernis rechtzeitig zu ertasten.

„Autsch! Meine Finger, verdammter Mist!“, fluchte er, als er gegen die Schuppenwand stieß. Mittlerweile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und er konnte einige Umrisse und Schatten erkennen.

Über ihm – da gab es keinen Zweifel – schwebte ein Hai. Er war ungefähr einen Meter fünfzig lang und zeigte drohend seine Zähne. Daneben entdeckte der Junge einen riesigen Haikiefer, allerdings ohne dazugehörigen Hai. Mit zitternden Fingern zog Axel sein Smartphone aus der Tasche und schaltete die Lampen-App ein. Nur mit Mühe gelang es ihm, den Lichtstrahl so ruhig zu halten, dass er nicht wie ein Irrlicht hin- und herzappelte. Denn wo auch immer er hinleuchtete, bekam Axel einen neuen Schock. Ein Seeteufel grinste ihn angriffslustig an. Ein Kugelfisch schaukelte über seinem Kopf. Harpunen waren direkt auf ihn gerichtet.

Axel drehte sich auf den Rücken und robbte in Richtung Tür. Er musste hier raus. So schnell wie möglich. Doch der Hai schien ihn zu verfolgen und sich in seine Richtung zu bewegen. Die Monsterkiefer klappten auf und zu. Der Seeteufel fuhr die spitzen Stacheln aus. Axel rang nach Luft. Seine Brust war wie eingeschnürt. Seine Arme und Beine klebten auf der Erde fest. Er war den angreifenden Fischen hilflos ausgeliefert.

„Nein! Nein! Nein!“, wollte Axel schreien, doch aus seinem Mund kam nur ein tonloses Flüstern. Er brachte keinen Laut heraus. Es war unmöglich.

Der Hai und die anderen Angreifer wuchsen zu unglaublichen Monstern heran und füllten beinahe den ganzen Raum. Zentimeter um Zentimeter kroch Axel rückwärts. Doch plötzlich ging es nicht mehr weiter. Die Bretterwand versperrte ihm den Weg. Er saß in der Falle.

„Geht weg! Weg! Weg!“, krächzte der Knickerbocker und schlug mit den Armen um sich.

Plötzlich verschwand die Wand hinter ihm. Axel prallte mit dem Kopf hart auf den Boden und verlor für ein paar Sekunden die Besinnung. Als er wieder zu sich kam, fächelte ihm jemand Luft zu. Über sich erkannte Axel Matzes wettergegerbtes Gesicht.

„Jungchen, was machst du für Sachen?“, fragte ihn der Seebär besorgt. „Wieso bist du um diese Zeit noch draußen? Du solltest längst schlafen.“

„Haie“, stieß Axel hervor und hob den Arm, um in Richtung Schuppen zu deuten.

„Keine Bange, von denen tut dir keiner was“, beruhigte ihn Matze.

Mehr bekam Axel nicht mit. Der Schreck des Nachmittages, die Zeit in der kalten Nordsee, die stickige, heiße Luft im Schuppen und seine völlige Übermüdung hatten ihm diesen Albtraum mit offenen Augen verschafft. Nun übermannte ihn der Schlaf.

Kurzerhand hob Matze ihn auf und trug ihn zu seinem Bett.

„Vor diesen getrockneten Fischchen bist du so erschrocken?“ Lilo bog sich vor Lachen. Es war fast Mittag, als sie mit Axel und Matze den Schuppen betrat, in dem er in der Nacht die schrecklichsten Minuten seines Lebens verbracht hatte.

Jetzt, im Tageslicht, kam dem Jungen die Angelegenheit auch lächerlich vor.

„Alle Fische sind ausgestopft. Die gehörten dem Professor“, erklärte Matze. „Hab das Zeug nach seinem Verschwinden bekommen. Auch den Haikäfig. Ich lager die Sachen in diesem Schuppen. Als Erinnerung an die Zeit.“

Lilo schritt unter dem präparierten Hai und dem Seeteufel durch, die von der Decke hingen, und steuerte einen mannshohen, verbeulten Gitterkäfig an.

„Ist er das, der Haikäfig?“, erkundigte sie sich.

Matze nickte.

„Die verbogenen Stangen … die stammen wahrscheinlich von einem Hai-Angriff“, vermutete Axel.

„Richtig, Jungchen. Aber trotzdem ist der Käfig noch voll intakt. Möchtet ihr ihn vielleicht ausprobieren?“, fragte der Seemann augenzwinkernd. Mit Axels Antwort hatte er allerdings nicht gerechnet.

„Ja!“, rief der Knickerbocker. „Ja, das wollen wir. Solang wir drinnen sind, kann uns doch nichts geschehen, oder?“

„Nee! Ihr dürft nur nicht raus. Diesen Fehler macht ihr nur einmal. Aber jetzt rede ich schon, als gäbe es diesen grünen Hai wirklich. Quatsch mit Kressesoße, den Biestern ist das Wasser viel zu kalt.“

„Trotzdem würde ich gerne in dem Käfig abtauchen“, bekräftigte Axel seinen Entschluss. „Lilo und ich können mit Pressluftflaschen umgehen. Wir müssten uns nur irgendwo eine Taucherausrüstung ausborgen.“

„Das lässt sich schon machen. Ich habe heute Nachmittag ohnehin nichts vor. Ihr könnt auf Haijagd gehen!“ Der Fischer kicherte vergnügt und gab den Knickerbocker-Freunden zu verstehen, dass er sie ganz und gar nicht ernst nahm. Er sollte seine Meinung allerdings bald ändern …