Seit ich hierher gezogen bin, habe ich versucht, nicht an die Vergangenheit zu denken, aber manchmal holt sie mich einfach ein. Schon bei Kleinigkeiten. Wie gestern, als ich nach einem Paar Socken gesucht habe und die Schublade nicht mehr zuging. Und als ich nach dem Grund suchte, klemmte ganz hinten dieses haarige, graue Ding. Ich dachte, es wäre eine tote Maus, doch als ich es mit Gummihandschuhen herausfischte, war es ein Hasenschwanz. Schmutzig und mit einem dicken, schwarzen Streifen, da wo er festgeklemmt gewesen war. Ich stand da, hielt ihn in der Hand und dachte, es kann nicht wahr sein, dass ich mal einen Job hatte, bei dem ich mir so ein Ding an den Hintern stecken musste.
Wehe, wenn man mit so einem Exemplar zur Bunny-Mutter gekommen wäre. Sie hat uns jedes Mal kontrolliert, ehe wir rausgeschickt wurden, hat geguckt, ob unsere Fingernägel lackiert waren, die Strümpfe keine Laufmaschen hatten oder Klopapier aus den Oberteilen schaute. Man wickelte es um die Hand, stopfte es oben rein, rückte es ein wenig zurecht und bingo: ein wunderbares Dekolleté, und es wirkte ganz echt. Die Kostüme wurden für jede angefertigt, aber es gab nur zwei verschiedene Körbchengrößen, 80D oder 85D, und die meisten von uns füllten sie ohne ein bisschen Unterstützung nicht aus. Wir haben auch alte Strumpfhosen oder überzählige Hasenschwänzchen benutzt. Als ich Lenny das erzählt habe, dachte ich, er stirbt vor Lachen. Richtig wild war er auf meinen Hasenschwanz. Er hat sogar einen in unserem Souvenirladen gekauft. Der klebte auf einer Plakette, und drunter stand: »Erwischt im Bunny Club« oder so was Ähnliches.
Der, den ich gefunden habe, war mein ganz spezieller. Auf der Rückseite stand mein Name. Hab ihn immer mit nach Hause genommen, selber gewaschen und mit einer Hundebürste aufgefrischt, damit er richtig gut aussieht. Kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie lange ich immer gebraucht habe, um mich fertig zu machen. Heute widme ich den Pferden mehr Zeit als mir – ganz selten benutze ich Wimperntusche, geschweige denn falsche Wimpern. Irgendwo sind wahrscheinlich noch ein paar Sets. Wenn ich daran denke, wie schrecklich das heute aussehen würde – wie zwei alte Spinnen, die über die Augenlider krabbeln. Tatsächlich – Generalbeichte – habe ich ein komplettes Kostüm behalten, als ich im Klub aufhörte. Das war ungezogen, weil sie uns nicht gehörten, aber ich wollte ein Andenken haben, und ich hatte über drei Jahre dort gearbeitet, weshalb ich fand, ich hatte es verdient. Weiß der Himmel, wo es jetzt ist, wahrscheinlich auf dem Dachboden, ich habe es seit Jahren nicht gesehen.
Lenny wusste nicht, dass ich ein Bunny war, als wir uns das erste Mal begegneten. Das war auf der Autobahn. Es handelte sich nicht um mein eigenes Auto, ich hatte es gewissermaßen ausgeliehen. Wenn ich geliehen sage, meine ich nicht gestohlen, weil ich es nachher wieder zurückgebracht habe, aber es gehörte diesem Typ namens James Clarke-Dibley, ein Stammgast im Klub. Das war 1967, ich hatte gerade angefangen, dort zu arbeiten. Jedenfalls war er ganz schön scharf auf mich. Hab ihn in einem Fotostudio kennen gelernt. Ich stand Modell für Badeanzüge oder so, und er kam herein und lud mich ein, mit ihm auszugehen. Ich bin einmal mitgegangen, aber dann konnte ich nicht mehr, weil ich abends im Klub arbeitete, und so wurde er dort Stammgast.
Er war steinreich – soviel ich mitbekommen hatte, gehörte seinem Vater praktisch halb Schottland – und sah ziemlich gut aus, aber wie auch immer, gebacken, gebraten oder frittiert, ich mochte ihn nicht besonders. Eine Regel im Klub war, dass man mit Gästen nicht ausgehen durfte, die benutzte ich als Entschuldigung. Doch er hat mir Fahrstunden bezahlt, und als ich den Führerschein hatte, besaß ich natürlich kein Auto, und er ließ mich immer mit seinem fahren, aber nur, wenn er dabei war. Ich sage Ihnen, wenn es mein Auto gewesen wäre, ich hätte mich nicht fahren lassen, niemals, ich bin nämlich gefahren wie eine Verrückte, und er hatte dieses wunderschöne, weiße Mercedes Cabriolet, das ein Vermögen wert gewesen sein musste.
Es war nach einer Party in seinem Haus. Ich war nach meiner Schicht hingegangen – natürlich in einem eigenen Kleid, nicht im Kostüm – und habe dort übernachtet. Nicht in seinem Bett. Das hätte er gerne gehabt, aber er war viel zu betrunken, um irgendwas dafür zu tun, und ich trinke nicht viel, so dass es mir gut ging und ich es mir einfach in einem kleinen Zimmer in einem der oberen Stockwerke gemütlich gemacht habe.
Am nächsten Morgen schliefen alle, die noch da waren, ihren Rausch aus, also bin ich auf Zehenspitzen runtergeschlichen und hab die Autoschlüssel aus seiner Jackentasche genommen. Ich dachte, ich könnte meine Mutter besuchen. Na ja, das war meine Ausrede, in Wirklichkeit wollte ich einfach mal allein mit dem Wagen fahren und sehen, ob ich es konnte.
Es war ein wunderschöner Tag im Juli. Der Himmel war leuchtend blau wie auf einer Postkarte, und ich flog mit offenem Verdeck dahin, meine blonden Haare wehten hinter mir im Fahrtwind, ich fuhr mit bloßen Armen, trug eine Sonnenbrille. Einfach perfekt. Ich kam mir vor wie ein Mädchen in einem Film. In meinem Kopf spielte Musik, ich spürte dieses süße Prickeln im Magen und auf den Schenkeln und fühlte mich so lebendig, so sexy und zu allem fähig.
Es war kaum jemand auf den Straßen unterwegs, und ich habe Vollgas gegeben, hundertfünfzig in der Stunde, es war mir egal, Hauptsache schnell. Ich fuhr in der mittleren Spur, als ich plötzlich diesen Wagen neben mir auftauchen sah, einen metallicblauen Aston Martin Coupé. Merkwürdig, dachte ich, warum überholt der nicht, schaute hinüber und sah diesen umwerfend aussehenden Mann hinter dem Lenkrad sitzen.
Schwarze Haare, gebräunte Haut, Sonnenbrille, der oberste Hemdknopf geöffnet, alles verschwommen, dann nickte er leicht und zog an mir vorbei. Okay, dachte ich, denn ich fasste es als Herausforderung auf, und beschleunigte. Hundertsechzig, hundertsiebzig, dann waren wir gleich auf, und ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Beinahe fuhr ich einem alten Mann in einem Ford hinten drauf. Ich schrie und hielt die Hand vor den Mund, er zischte an mir vorbei, und als er sich umdrehte, um mich anzuschauen, sah ich, dass er lachte. Also scherte ich hinter ihm auf die Überholspur aus, verfolgte ihn und überholte ihn alsbald – wie ungezogen – auf der mittleren Spur. Er spielte dasselbe Spiel, schnitt jemanden, der natürlich ärgerlich hupte, und jetzt lachte ich. Dann schwenkte er vor mich, so dass ich scharf bremsen musste, um ihn nicht zu rammen. Wir spielten dieses Spiel eine Weile, winkten uns zu und lachten uns an, dann grinste er und deutete mit dem Arm auf den Straßenrand. Er schoss an mir vorbei auf die rechte Spur und zeigte an, dass er rausfahren würde, und ich folgte ihm ohne nachzudenken – ich tat es einfach. Er verließ die Autobahn, bog in eine Straße ein – und schon befanden wir uns auf einer dieser kurvigen Landstraßen, die von Bäumen und Hecken gesäumt sind, fuhren siebzig Stundenkilometer, ich direkt hinter ihm, beinahe an seiner Stoßstange klebend, während er alle paar Sekunden einen Blick in den Rückspiegel warf, um sich zu vergewissern, dass ich noch da war. Weiß Gott, was passiert wäre, wenn uns jemand entgegengekommen wäre, denn die Straße bot nur Platz für ein Auto, aber es ging gut.
Gerade als ich daran dachte, vielleicht ein bisschen langsamer zu fahren – es war schließlich James' Auto –, verschwand er um eine Kurve. Ich glaubte, ich hätte ihn verloren, doch dann sah ich das Heck seines Wagens in einen Feldweg einbiegen. Ich riss das Lenkrad so schnell herum, dass ich beinahe im Straßengraben gelandet wäre – vielen Dank, lieber Schutzengel –, und holperte durch schrecklich viele Schlaglöcher bis zu der Stelle, wo er angehalten hatte. Es war kein richtiger Bauernhof, nur eine alte Scheune, mit einer betonierten Stelle davor und Strohstapeln im Innern.
Ich fuhr direkt neben ihn und hielt an. Er stieg nicht aus, beugte sich nur ein wenig vor.
»Hallo.«
Er sah wirklich umwerfend aus. Ein bisschen älter als ich, mit vollen, derart schwarzen Haaren, dass sie beinahe blau wirkten, und einem süßen, großen Mund – breiten Schultern und muskulösen, braun gebrannten Armen – er hatte die Ärmel hochgekrempelt – und großen Händen. Ich musste ihn die ganze Zeit anschauen.
Er nahm die Sonnenbrille ab. Wunderschöne tiefdunkle Augen mit lauter kleinen Lachfältchen. »Sie werden jetzt aber nicht schüchtern, oder?«
»Nein ...«
Es war wie im Film: zwei Sportwagen nebeneinander, glänzende Kühlerhauben in der Sonne, perfekte, leuchtende Farben, sein intensiver Blick. Ich hatte keine Ahnung, wer er war. Er und Jack hatten gerade ihre erste Serie im Fernsehen, aber ich kannte sie nicht, weil ich immer im Klub war, und damals las ich auch nie die Zeitung.
»Sie fahren ganz schön verwegen. Was können Sie noch?«
Ich sagte: »Ich weiß es, und Sie müssen es herausfinden«, rutschte über den Sitz, stieg auf der Beifahrerseite aus und rannte hinüber zur Scheune.
Das große Tor stand offen, und ich blieb gleich dahinter stehen, damit er mich sehen konnte. Ich wartete, bis er ausgestiegen war, dann streifte ich meine Schuhe ab und kletterte die Leiter zum Heuboden hinauf. Er jagte mir nach, doch ich war zu schnell. Haken schlagend und kichernd sprang ich über die Ballen, und die ganze Zeit lief in meinem Kopf dieser Film, er und ich, die Haare fielen mir ins Gesicht, und staubige Sonnenstrahlen fielen durch die Tür. Ich war richtig verliebt in das alles, in die ganze Idee. Dann fing er mich, hielt mich ganz fest, damit ich nicht zappelte, und küsste mich. Es war nicht das erste Mal für mich, aber es war das erste Mal, dass es etwas bedeutete. Nachher war ich so glücklich, dass ich nur da lag und lachte.
Er sagte: »Das hat dir wohl gefallen, wie?«
Ich sagte: »Ja, und dir auch.«
»Ja.« Und er lachte ebenfalls. Er suchte seine Zigaretten, und ich sagte: »Du wirst das ganze Heu in Brand setzen.«
»Es ist Stroh, kein Heu.«
»Das brennt genauso gut, oder?«
»Wer hat dir das Auto gekauft?«
»Niemand.«
»Erbettelt, gestohlen oder geliehen?«
»Geliehen.«
»Meins ist gestohlen.«
»Das glaube ich dir nicht.«
»Ich könnte dir ein Auto kaufen.«
»Auch das glaube ich dir nicht.«
»Du glaubst nicht viel, wie?«
»Ich glaube, dass ich mit dir hier bin.«
»Du bist nicht hier. Ich bin nicht hier. Wir sind nur ein Gedanke in Gottes Phantasie.«
»Dann hat Gott aber eine schmutzige Phantasie, findest du nicht?«
Er lachte, strich mir über die Haare und sagte: »Du solltest so etwas nicht tun.«
»Was?«
»Das, was du gerade getan hast. Ich könnte Gott weiß wer sein. Könnte alles Mögliche angestellt haben. Ich hätte dich umbringen können. Ich könnte dich jetzt umbringen.« Er wickelte meine Haarspitzen wie ein Seil um meinen Hals.
»Aber das tust du nicht, oder?«
Er ließ meine Haare los und küsste mich auf die Stirn. »Nein.«
Ich war so glücklich, dass es mir beinahe überhaupt nichts ausgemacht hätte, wenn ich auf der Stelle gestorben wäre, solange es nicht wehtat. Ich sagte: »Du hast vielleicht Nerven, mir zu sagen, ich sollte das nicht tun. Wessen Idee war es denn?«
»Du warst diejenige, die hier hereingerannt ist. Du hast mich angestiftet.«
»Warum? Hattest du etwas anderes vor?«
»Ich wollte dir die Grundkenntnisse im Heumachen vermitteln.«
»Gerade hast du mir erklärt, es ist Stroh und kein Heu.«
Er lachte wieder und sagte: »Du fürchtest dich vor wenig, oder?«
»Vor was sollte ich mich denn fürchten?«
Er zog die Augenbrauen hoch, dann drehte er sich um und zog sich an. Er kletterte die Leiter hinunter, und ich dachte, er wollte draußen eine Zigarette rauchen, aber nach ein paar Minuten hörte ich seinen Wagen anspringen. Als ich endlich meine Kleider geordnet und meine Schuhe wiedergefunden hatte, waren alle Anzeichen seiner Anwesenheit verschwunden, bis auf Reifenspuren und einen Zettel hinter meinem Scheibenwischer: Ich werde dich finden. xxx.
Wehe, wenn nicht, dachte ich. Denn ich hatte gerade den schönsten Tag meines Lebens gehabt und kannte nicht einmal seinen Namen.