Kapitel 14

Ich stand auf und putzte mir die Nase. Lenny war in Ivar Park gestorben. Genau wie Kitty. Es war sein Auto in dem See. Gib nicht den Kamelen die Schuld. Jack wusste etwas. Auf jeden Fall mehr, als er zugeben wollte. Und er versteckte sich.

Ich war Lenny davongelaufen. Ich war jung, aber trotzdem hatte ich versagt, oder? Wenn ich bei ihm geblieben wäre ... Jack brauchte meine Hilfe.

Vielleicht hatte er auch einen Zeitungsausschnitt bekommen und deswegen die Handschrift erkannt. Aber wenn er Hilfe von mir wollte, warum fragte er dann nicht? Warum verstellte er sich? Vielleicht konnte er nicht. Er benimmt sich fast, als wäre er zwei verschiedene Personen, dachte ich. Da ist einmal der alte Jack, und andererseits das Getue um Charlies Tante, das Gerede, dass er es nicht konnte, beinahe, als hätte er schon aufgegeben. Rücksichtslos, das war es. Er war am Ende der Straße angekommen, und es war ihm gleichgültig, was passierte. »Ich verstehe es nicht«, sagte ich zu Eustaces Hinterteil, das unter dem Volant herausschaute, »und ich glaube, ich will es auch nicht verstehen.«

Ich war ganz schön verwirrt. Warum hatte Lenny nicht einfach gewartet, dachte ich wütend. Ich weiß, dass es so nicht funktioniert, Menschen begehen Selbstmord, wenn sie so verzweifelt sind, dass Warten keine Option mehr ist, aber ... Eustace schlängelte sich unter dem Bett hervor und setzte sich neben mich. »Du hast Wollmäuse in den Ohren«, sagte ich zu ihm. »So kannst du nicht runtergehen.«

Wenn ich anfing zu weinen, würde ich nicht mehr aufhören können, das wusste ich, also beugte ich mich hinunter und nahm Eustace in den Arm, um die Tränen zu unterdrücken. Er wand sich in meinen Armen, hasste es, so zusammengequetscht zu werden, dann befreite er sich aus meinem Griff, setzte sich mit zusammengekniffenen Augen vor mich und kratzte sich mit dem Hinterlauf am Ohr.

Ich schob die Schachtel weit unter das Bett und ging wieder in die Scheune. Als wir dort ankamen, zitterte ich immer noch ein wenig, war mir aber eigentlich sicher, dass ich nicht wieder weinen würde. Jack hockte neben dem Stall und beobachtete die Meerschweinchen.

»Lenny muss dir doch von dem Film erzählt haben, den wir in den USA gedreht haben.«

»Nein, er hat nie darüber geredet.«

»Also, du weißt doch, dass er Weiße Kaninchen hieß, oder? Ein Gag war, dass die beiden Zauberer zwei Kaninchen in ihrer Wohnung hielten, das stand im Drehbuch, aber diese vermehrten sich ständig, was nicht im Drehbuch stand, und bei jedem Innendreh waren es ein paar mehr. Am Ende waren sie auf dem Teppich und den Möbeln und überall. Das war vielleicht das Lustigste an dem ganzen Film, allerdings wuselten sie überall am Set herum und haben alles voll gekackt. Einmal habe ich mich beinahe auf eins draufgesetzt. Das Ganze war ein Albtraum. Irgendein heller Kopf im Studio hatte die Idee, man könnte den Slapstick wieder beleben. Hat allerdings nie daran gedacht, uns zu fragen, ob wir das können. Ich glaube, sie haben sich das Ganze nie angesehen. Wir wussten von Anfang an, dass es ein Desaster werden würde.« Jack schüttelte den Kopf.

»Wenn du willst, kannst du sie füttern.«

Ich holte den Eimer mit den Karotten. Die Meerschweinchen hörten das Klappern und kamen quiekend an das Drahtgitter gerannt.

»Sie beißen doch nicht, oder?«

»Jack, das sind Meerschweinchen, keine Löwen.«

Vorsichtig steckte er eine Karotte in den Käfig. Sofort herrschte Ruhe.

»All diese Tiere sind doch eigentlich ein Ersatz für Kinder, oder?«

»Sind deine Kinder ein Ersatz für Tiere?«, konterte ich.

Jack sagte nichts darauf. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Er war einen Augenblick lang still, dann stand er auf, ohne mich anzusehen, und machte sich auf den Weg zurück ins Haus. Verärgert rief ich ihm hinterher: »Teil nicht aus, wenn du nicht einstecken kannst!«, doch irgendetwas am Anblick seiner Schultern hielt mich zurück: dasselbe wie gestern Abend, dieses müde, geschlagene Hängenlassen. Es erinnerte mich an Lenny.

Und trotzdem war ich wütend. Dumme Hausfrauenpsychologie. Ein Körnchen Wahrheit steckte allerdings drin: Meine Beziehungen zu Menschen hatten nicht geklappt, also hatte ich mir eine Familie aus Tieren gemacht. Wie meine Mutter.

Es tat weh. Vergiss es, dachte ich. Ich werde ihm nicht nachlaufen. Soll er doch versauern. Also blieb ich einige Stunden draußen. Es gab eine Menge zu tun, doch ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Um halb sieben fütterte ich die Pferde, dann ging ich mit einer Hand voll Lorbeerblätter und Thymianzweigen sowie einer Plastiktüte, die von zusammengeknülltem feuchtem Zeitungspapier, Sägespänen und Meerschweinchenkot überquoll, zurück in die Küche.

Bei den Mülltonnen blieb ich stehen, hob den Deckel der ersten und fing an, nach dem Briefumschlag zu suchen, in dem der erste Zeitungsausschnitt gewesen war. »Was verloren?« Als ich mich umdrehte, lehnte Jack an der Hauswand. Er hatte sich gewaschen und umgezogen und sah richtig zufrieden aus.

»Nein, ich mache nur sauber. Hier ...« Ich reichte ihm die Kräuter, ließ die stinkende Tüte obenauf in die Mülltonne plumpsen, drückte sie ein bisschen nach unten und klappte den Deckel zu. Peng, vorbei die Chance, irgendwas zu finden, dachte ich.

»Ich nehme ein Bad, in Ordnung? Dann fange ich an zu kochen. Ungefähr in einer halben Stunde.«

»Schön.«

Beim Vorbeigehen traf mich ein Hauch von Jacks Atem. Er hatte einen getrunken. Oder zwei.

»Was ist?«, fragte er gereizt, als er meinen Blick auffing. Ich antwortete nicht. »Hab's dir doch gesagt, Alice«, rief er mir nach. »Ich bin nicht wie Lenny.«

O doch, das bist du, dachte ich, als ich in der Badewanne saß.

Anschließend holte ich ein langes Kleid aus dem Schrank auf dem Treppenabsatz, das ich seit Jahren nicht getragen hatte. Vor dem großen Spiegel an der Tür blieb ich stehen. Jack rumorte unten in der Küche, ich hörte ihn reden. Was er sagte, verstand ich zwar nicht, aber ein konstanter Sprechrhythmus drang an mein Ohr, als deklamierte er ein Gedicht. Einem plötzlichen Impuls folgend, zog ich die Schuhe aus, drehte mich um und stieß die Tür zu seinem Zimmer auf.