Kapitel 20

Ich erschrak beinahe zu Tode, als Jack plötzlich in der Tür stand. Er hatte sich umgezogen. Ein malvenfarbenes Hemd, verkehrt geknöpft, hing über der Hose unter einem verknitterten Leinenjackett.

»Nur eine Rechnung.« Ich stopfte den Umschlag und den Zeitungsausschnitt in meine Jeanstasche. »Ich möchte, dass du jetzt gehst«, sagte ich. »Du kannst ins Dorf laufen und von dort ein Taxi rufen.«

»Du hast den Film verbrannt, nicht wahr?« Er nickte in Richtung Kamin.

»Ja. Jack, hör mir zu. Ich will, dass du gehst.«

»Das hat Val auch getan.«

»Was? Du hast ihn Val gezeigt? Du hast ihn wirklich deiner Frau gezeigt? Wie konntest du nur?«

Er machte den Mund auf, sah mich an, und schloss ihn wieder.

»Wie tief kann man noch sinken, Jack? Willst du mir weismachen, sie hat es genossen? Ich glaube es einfach nicht. Du schämst dich nicht einmal, oder? Du Schwein. Du widerwärtiges, durch und durch verdorbenes Schwein! Du bist egoistisch und gemein und scherst dich einen Dreck um deine Mitmenschen, nicht einmal um deine Frau, solange du nur einen Kick bekommst. Es überrascht mich, dass sie dich nicht umgebracht hat. Ich hätte dich gekillt. Wie konntest du das tun Du bist ... du ... mir fehlen die Worte. Du ekelst mich an. Verschwinde aus meinem Haus und meinem Leben und komm nie wieder. Verstanden?«

»Lenny war auch dabei. Schon vergessen?«

»Versuch nicht, Lenny vorzuschieben, Jack. Er hatte wenigstens so viel Anstand, mir den – den Schund nicht zu zeigen. Er hat sich zumindest so geschämt, dass er ...«

»Das tue ich auch.«

»Eine merkwürdige Art, mir das zu zeigen.«

»Du verstehst immer noch nicht, Alice.«

»Das kannst du laut sagen! Ich verstehe nicht, wie ihr mit dieser Hure einen flotten Dreier haben könnt, das auch noch filmen und mit nach Hause nehmen und ... Was war das, Jack, eine Sondervorstellung für die grüne Witwe? Samstagabend vor dem Heimkino? Hast du ihr auch eine Schachtel Pralinen mitgebracht? Sehr richtig, ich verstehe es nicht. Aber vielleicht bin ich einfach zu dumm, um es zu kapieren, weil es mich richtig umhaut, wie du ...«

Ich hielt inne. Die Worte, die ich hatte sagen wollen, hingen zwischen uns in der Luft.

»Wie ich mit mir leben kann?«, fragte Jack. Er gab mir sein Taschentuch. Ich schnappte es mir und putzte mir die Nase. »Alice, du musst mir glauben. So war es nicht.«

»Ach wirklich? Wie war es dann? Hat man dir eine Pistole an den Kopf gehalten? Himmelherrgott, Jack, du bist jemand anders, ja, das bist du. Als Val gesagt hat ... kein Wunder, dass sie es gar nicht wissen wollte. Ich kann deinen Anblick nicht ertragen.« Ich schüttelte sprachlos den Kopf.

»Was hast du gesagt

»Nichts. Vergiss es. Geh einfach.«

Ich wandte mich zum Gehen, doch Jack packte mich am Arm und riss mich zu sich herum. »Nein, was hast du gerade über Val gesagt? Du hast mit ihr gesprochen, oder?«

»Nimm deine Hände weg.«

»Hast du mit ihr gesprochen?«

»Jack, ich warne dich, lass los.« Ich versuchte, ihn wegzustoßen, aber er packte auch noch meinen anderen Arm und schrie mich an: »Sag schon!«

Ich zuckte unwillkürlich zusammen, wollte ihm aber zeigen, dass ich keine Angst vor ihm hatte, deshalb sagte ich: »Und wenn ich mit ihr geredet habe?«

»Sie weiß nicht, dass ich hier bin.«

»O doch, sie weiß es«, sagte ich triumphierend. »Ich hab's ihr gesagt. Gestern Abend. Im Dorf ist eine Telefonzelle. Und jetzt lass los.« Ich versuchte, ihn abzuschütteln, doch er packte nur fester zu.

»Du dumme, dumme Gans. Wer noch?«

»Niemand.«

»Wer noch

»Nur Jeff. Sonst niemand.«

»Wer? Oh, dein Ex. Hast du die Polizei angerufen?«

»Nein.«

»Lüg mich nicht an, Alice.«

»Ich lüge nicht. Ich habe überlegt, ob ich die Polizei anrufen soll, aber ich hab's nicht getan, okay?«

Er schaute mich eindringlich an, in dem Versuch, herauszufinden, ob ich die Wahrheit sagte.

»Komm schon, Jack. Wenn ich sie angerufen hätte, wäre sie längst hier. Das war gestern Abend.«

Er sagte nichts.

»Oder?«

»Val. Sie wird es ihnen sagen.«

»Nein, wird sie nicht. Ich habe es auch nicht getan, oder?«

»Nein, aber ...« Die Welt und mein Kopf explodierten. E5 klopfte an der Hintertür, Eustace ging los wie ein Maschinengewehr, bellte und donnerte gegen die Paneele, und Jack schlug mir so hart ins Gesicht, dass ich das Gleichgewicht verlor und über den Couchtisch stolperte.

Ich wankte, meine Wange haltend und den Krach kaum hörend, zum nächsten Sessel und setzte mich. Mein Gesicht brannte wie Feuer. Sogar mein Augapfel fühlte sich kochend heiß an, als würde er jeden Augenblick aus seiner Höhle springen. Wie betäubt sank ich vornüber, als Eustace sich für einen Moment beruhigte und ich eine Mädchenstimme hörte: »... nicht da«, und ein Junge antwortete etwas.

Jack legte den Finger auf die Lippen.

»Nicht die Polizei«, flüsterte ich. »Die Boyles.« Er schaute mich verständnislos an. »Trudy. Das Mädchen, das wir gestern getroffen haben. Auf dem Weg.«

»Was will sie?«

»Woher soll ich das wissen?« Wie eine alte Frau hievte ich mich auf die Füße. Mein Gesicht schmerzte, und meine Beine fühlten sich an, als gehörten sie nicht zu mir, als wären die Schenkel weggeschmolzen. Ich wollte zur Tür gehen, dock Jack zog mich zurück. »Sei leise.«

»Warum?« Ich befreite meinen Arm und rief: »Bin gleich da«, so laut ich konnte.

Trudy antwortete: »Kein Problem«, und dann: »Könner wir den Ponys was zu trinken geben? Sie stehen auf dem Weg.«

»Bedient euch. Ich komme sofort.«

»Was hast du vor?«, zischte Jack und hielt mich wieder fest.

»Lass – mich – in – Ruhe!« Ich rammte ihm den Ellbogen in den Magen und stolperte in die Küche. Eustace kam verwirrt zu mir getrottet, weil da draußen Leute waren, die mit ihm spielen wollten, und ich sie nicht hereinließ. »Schon gut, ich komme.« Ich folgte ihm zur Tür und wollte sie gerade öffnen, als ich, sehr ruhig, Jacks Stimme hinter mir hörte.

»Beweg dich nicht.«

Ich ignorierte ihn und schob den Riegel zurück. »Ich meine es ernst, Alice. Mach diese Tür nicht auf.«

»Herrgott noch mal ...« Ich schaute mich um. Er stand an der Tür und hatte irgendwas in der Hand. Ich wandte mich ab, drehte mich aber unwillkürlich noch einmal um.

Er zielte tatsächlich mit einer Waffe auf mich.