Ich hörte, wie er die Tore verriegelte und das Vorhängeschloss sicherte, dann Schritte, die sich über den Hof entfernten ... wohin? Zum Haus, er musste ins Haus gehen. Ja. Die Hintertür quietschte, dann fiel sie zu. Ich stand in der Dunkelheit, wartete darauf, dass meine Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnten, und lauschte angestrengt. Bestimmt würde Jack jetzt gehen. Bestimmt würde er mein Auto nehmen und wegfahren. Der Schlüssel war leicht zu finden. Er musste nur in meiner Tasche nachschauen, und die stand gut sichtbar auf der Anrichte.
Es sei denn ... Was hatte er über Lenny gesagt, darüber, dass ich nicht für ihn da war ... Es sei denn, er hatte die verrückte Idee, mich dafür bestrafen zu wollen. Und wo warst du, Jack?, dachte ich wütend. Wo warst du, als Lenny dich brauchte? Du warst sein bester Freund. Genau dasselbe hatte Jack bei Susie getan, oder? Hatte Val die Schuld gegeben, jedem, nur nicht sich selbst, und jetzt ... Er hatte gesagt, er fühlt sich schuldig und wertlos – versucht er, dasselbe mit mir zu machen, will mir die Schuld für Lenny aufladen, wo ich weiß Gott schon genug damit kämpfe.
Es muss einen Weg hier raus geben, dachte ich und zermarterte mir das Hirn. Die Tür zu der anderen Box hatte ich nicht wieder verschlossen. Hatte Jack es getan? Denk nach. Ich hatte gehört, wie drei Riegel zugeschoben wurden, und an jeder Box gab es drei, einen an der oberen Hälfte der Tür und zwei an der unteren. Das hieß, sie war offen. Also war das der Weg nach draußen, aber ....
Ich sah mich um. Die Trennwand zwischen den beiden Boxen ging fast bis unter die Decke, und der Spalt dazwischen war durch vier Holzpfeiler längs unterteilt. Im Augenblick war da allerdings kein Spalt, sondern eine feste Wand aus Heuballen. Dichter als Stroh, schwerer und viel schwieriger zu bewegen. Noch dazu solide gestapelt. Und leider quer, so dass ich sie nicht im Ganzen auf meine Seite ziehen konnte. Aber wenn ich sie in einzelne Teile zerlegte? Das würde ich nie schaffen, sie waren viel zu fest mit Schnur umwickelt – zu dicht gestapelt, auch hatte ich nichts, um sie durchzuschneiden. Obwohl – wenn ich meine Hand durchstecken konnte und die Schnur zu fassen bekam, konnte ich sie vielleicht zerreißen. Wenigstens eine. Dann wäre es leicht. Ich brauchte allerdings etwas, worauf ich stehen konnte. Der Wassereimer in der Ecke. Ausleeren und umdrehen. Ich schätzte die Höhe. Es könnte gerade reichen. Wenn ich den Ballen gleich neben der Tür nahm, könnte die Lücke groß genug werden, um hindurchzukriechen, und dann konnte ich den nächsten Ballen in die Box stoßen und hinterherspringen. Ja. Guter Plan.
Aber – ich brauchte beide Arme, um richtig anpacken zu können. Konzentriere dich. Ich ballte die Finger meiner rechten Hand zur Faust und öffnete sie wieder, versuchte das Prickeln der tausend Nadelstiche zu ignorieren, dann schwang ich den Arm vor und zurück. Denk nicht daran, was geschieht, wenn du nicht rauskommst, denk nicht an Jack, denk an gar nichts. Nur das hier ist jetzt wichtig. Nichts anderes auf der ganzen Welt als das hier.
Vom Hof kam kein Laut. Jack musste aber immer noch im Haus sein. Warum geht er nicht?, fragte ich mich. Packen, genau, er packt, das muss ich glauben. Alles andere ist zu ... Nein. Denk nicht daran. Konzentrier dich. Wie lange bin ich schon hier drin? Fünf Minuten. Länger kann es nicht sein. Hätte ich doch meine Uhr um. Heute Morgen, als ich die Tiere versorgt habe, musste ich sie noch gehabt haben. Dann fiel mir wieder ein, dass ich sie abgelegt hatte, als ich Eustaces Napf für sein Frühstück auswusch. Es kam mir vor, als wäre das Wochen her.
Die Abendfütterung. Angenommen, ich kam nicht raus – die Tiere ... Ich stellte mir vor, wie sie warteten, während die Dämmerung in Dunkelheit überging, hungrig und verwirrt: Die Pferde mit gesenkten Köpfen geduldig auf der Weide, die Meerschweinchen auf den Hinterbeinen am Maschendraht, die Hühner unruhig im Garten, nicht im Hühnerstall. Füchse. Eustace. Wenn Jack ging, ohne das Tor zuzumachen, wenn Eustace weglief ... Ich sah seinen Körper im Straßengraben vor mir, leblos, mit gebrochenen Knochen, sein glänzendes braunweißes Fell blutüberströmt ...
Hör auf, befahl ich mir. Hör einfach auf. Das wird nicht geschehen. Alles wird gut. Daran musst du glauben. Konzentrier dich. Schwing deinen Arm. Vor und zurück. So ist es gut. Wird immer besser. Doch was ist, wenn Jack nicht geht? Wenn er beschließt, hierher zurückzukommen und ... Nein, dachte ich. Er wird sich beruhigen. Das wird er nicht tun. Aber er hatte nichts davon gesagt, dass er gehen wollte. Das war reine Spekulation. Wenn er dachte, Val würde der Polizei sagen, wo er ist ... Ich hatte ihm gesagt, sie würde es nicht tun, weil ich es nicht getan habe, was eigentlich völliger Unsinn war. Wenn sie wusste, was auf der Party geschehen war, und in Kittys Wohnung gegangen war, hieß das nicht, dass sie sich auch mit strafbar gemacht hatte? Einbruch oder Beihilfe? Langsam. Denk nach.
Warum sollte Jack mich erschießen? Was konnte ich der Polizei sagen? Als Erstes, dass Kitty Jack und Lenny mit dem Film erpresst hatte, den ich sowieso verbrannt hatte ... Ich konnte ihnen sagen, dass die Leiche in dem See Kitty ist, aber das hatten sie inzwischen bestimmt selbst herausgefunden. Doch wenn das Auto und sie sieben Jahre lang unter Wasser gewesen waren, welchen Beweis konnte es dann noch geben? Gut, sie waren auf Lenny gekommen – sein Wagen –, aber wie sollten sie beweisen, dass es kein Unfall war? Dasselbe galt für die Zeitungen. Und selbst wenn ich ihnen irgendwas zu sagen hätte, ich würde es nicht tun. Sie hatten so viel Mist geschrieben, nachdem Lenny tot war. Ich würde diese Journalisten nicht mal mit der Feuerzange anfassen. Wie auch immer, Jack und Lenny waren zu der Zeit nicht mehr unbedingt der Renner und erst recht keine Schlagzeile wert. Plötzlich fiel mir der Zeitungsausschnitt wieder ein, der am Morgen in der Post gewesen war. Jack war hereingekommen, ehe ich ihn lesen konnte. Wo hatte ich ... Natürlich. Ich hatte ihn in die Tasche gesteckt. Wo er immer noch sein musste! Ich holte tief Luft und suchte mit der rechten Hand danach. Es tat weh, aber zum Glück ging es, und es gelang mir, ihn aus der Jeanstasche zu ziehen.
Es war ziemlich dunkel im Stall, doch unter der Tür drang ein bisschen Licht herein. Ich nahm den Ausschnitt mit hinüber, ließ mich vorsichtig auf alle viere nieder und glättete ihn auf dem Betonboden. Wenn ich ihn ganz dicht an den Streifen staubigen Tageslichts hielt, konnte ich die Worte gerade entziffern.
LEICHE IN PORNOWOHNUNG GEFUNDEN
Der Mann, der gestern in einem Apartment in Notting Hill Gate erschossen aufgefunden wurde, hieß Daniel Francis Watts. Watts, 57, war bekannt für seine Verbindungen zu Pornografiekreisen und Prostitution und arbeitete als Kameramann bei Filmen wie: »Wie geht es deinem Vater« und »Im Boudoir der Gräfin«, mit Candy Knight, Englands selbst ernannter Pornoqueen, als Hauptdarstellerin. Die Polizei hat die Untersuchung in dem Mordfall aufgenommen und das Sittendezernat eingeschaltet, da am Tatort Hardcore-Material sichergestellt wurde.
Danny Watts. Der in Lennys Adressbuch stand. Und auf der Liste der Menschen, die es verdienten, erschossen zu werden. Und der erschossen wurde. Letzte Woche.
Ruhig bleiben, sagte ich mir. Sei vernünftig. Denk nach. Ich las den Artikel ein zweites Mal, dann erlöste ich meine Knie und setzte mich mit dem Rücken zur Tür. Diese Filme, in denen Jack mitgespielt hatte, Lehrerschätzchen und dieser andere, waren auch mit Candy Knight gewesen. Wenn Danny Watts nicht nur bei den beiden, die in der Zeitung standen, sondern auch bei ihren anderen Filmen Kameramann gewesen war, kannte Jack ihn. Er hatte mich gefragt, ob ich mich an ihn erinnerte, also musste er ihn kennen. Oder von ihm gehört haben. Und natürlich, natürlich ...
Kittys Komplize. Ich lehnte den Kopf gegen die Holzplanken und starrte auf die Dachsparren. Alles passte zusammen. Ich hatte nicht richtig nachgedacht, war zu müde, zu aufgeregt gewesen, aber sie konnte den Film unmöglich allein gedreht haben. Man muss mit einer Filmkamera umgehen können, und sie war nicht gerade die Hellste. Nicht, dass ich besonders schlau bin, aber selbst wenn sie solche Filme schon mal gemacht hatte, musste sie nicht unbedingt etwas von der technischen Seite verstehen, wohingegen Danny Watts ... es war sein Job.
Und wie hätte sie die Kamera bedienen sollen? Wenn sie hinter dem Spiegel positioniert war, hätte sie doch immer nach nebenan hüpfen müssen, oder? Es sei denn, es gab eine Art Fernbedienung, und das schien mir eher unwahrscheinlich. Jack hatte gesagt, sie hat das Ganze organisiert. Mit Danny Watts' Hilfe. Ich hatte rein zufällig Lenny gegenüber eine Bemerkung über einen flotten Dreier gemacht, Lenny hatte Jack davon erzählt, und Jack hatte nicht lockergelassen, bis Lenny einverstanden war, und dann waren sie direkt in die Falle gelaufen. So viel zum Lamm und der Schlachtbank.
Und mir hatten sie die Schuld daran gegeben. Was ist das mit den Männern? Ich meine, wenn Jack, wenn beide einfach mal eine Sekunde mit dem Verstand und nicht mit dem Schwanz gedacht hätten ... ich schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnten zwei intelligente Menschen so dumm sein? Die Erpressung hatte mit Kittys Tod nicht aufgehört. Natürlich nicht. Nachdem sie verschwunden war, gab es noch einen Grund mehr ... Selbst wenn Danny Watts nicht auf der Party gewesen wäre, hätte es nicht lange gedauert, bis er herausgefunden hätte, dass sie dort war und dass Lenny und Jack dort waren und dass es das letzte Mal gewesen war, dass irgendjemand sie gesehen hatte. Man musste kein Genie sein, um zu kapieren, was geschehen war. Ich stöhnte. Deswegen hatte Danny Watts – angenommen, er war es – Lenny zwei Tage vor seinem Tod in Wiltshire besucht. Nicht um ihm Pillen zu bringen, sondern um mehr Geld von ihm zu fordern.
Lenny hatte mir gegenüber nie etwas von Geldproblemen erwähnt. Er hatte nie mit mir über Geld geredet, Punkt. Ich verdiente nicht schlecht im Klub, aber er verdiente natürlich weit mehr als ich. Und als wir zusammenlebten, gab er mir oft Geld. Ich habe ihn nie darum gebeten, er gab es mir einfach. Hände voller Scheine, nie hat er sie gezählt, nie hat er mir gesagt, wofür ich sie ausgeben soll. Nicht, dass er irgendeine Vorstellung von Haushalt hatte, er machte den Kühlschrank auf und sagte immer: »Was soll das ganze Zeug da drin?« Völlig verwirrt, als erwartete er ... ich weiß nicht, einen Hut oder so was zu finden. Gelegentlich fing er Streit mit mir an, weil er fand, dass ich zu viel ausgab, aber dann ging er los und kaufte eine Kiste Château d'Yquem oder ein teures Geschenk für irgendjemanden, ohne mit der Wimper zu zucken. Wir haben nie über Geld geredet. Wenn ich es recht bedenke, haben wir eigentlich über vieles nicht geredet. Und jetzt ist es zu spät dafür.
Ich zwang mich, an meinen Besuch im Cottage in Ivar zu denken, als ich ihn gefunden habe. Die Reise, das Taxi, die Suche nach ihm in den Pubs, oben im Haupthaus. »Nicht noch jemand.« Das hatte der junge Mann an der Tür gesagt. Wen hatte er gemeint? Nicht Danny Watts. Der Taxifahrer hatte nichts davon gesagt, dass er ihn zum Haupthaus gefahren hatte, nur, dass er ihn am Cottage abgesetzt und später zum Bahnhof gebracht hatte. Und wenn Danny Lenny erpresste, würde er wohl kaum seinen Besuch ankündigen, oder? Aber wenn Jack ebenfalls zu Lenny gefahren war ...
Er hatte gesagt, dass er aus einer Zeitung von Lennys Tod erfahren habe, als er im Urlaub war, aber der Besucher musste mindestens drei Tage vorher dort gewesen sein ... Doch Jack war sauer auf Lenny, weil er ihm nichts von der Verlobung erzählt hatte, und Lenny hätte doch bestimmt etwas gesagt, wenn ... Es ergab keinen Sinn. Sie sprachen nicht einmal miteinander, weswegen sollte Jack dann den weiten Weg dorthin machen? Um zu versuchen, die Geschichte in Ordnung zu bringen? Vielleicht hatten sie gestritten, und Jack hatte ...
Nein. Unmöglich. Lenny hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen.
Es passte einfach nicht zusammen. Und warum war Lenny mit Kitty zu dieser Party gegangen?
Ihr Tod mag ein Unfall gewesen sein, aber der Tod von Danny Watts war keiner. Und Lenny konnte nichts damit zu tun haben, so sehr er es vielleicht gewollt hätte, denn er war bereits tot.
Jack hat Danny Watts umgebracht.
Jack hat eine Pistole.
Jack ist immer noch hier.