Kapitel 29

Ich hatte nicht gemerkt, dass Jack die Waffe bewegte – nicht gesehen, wie er sie hob – gar nichts –, aber es gab eine Explosion, so laut und durchdringend, dass sie den Raum erfüllte und mich so durchfuhr, dass ich rückwärts stolperte. Jeff schwankte weder noch stolperte er. Er fiel einfach um. Gerade stand er noch an der Tür, und im nächsten Moment lag er flach auf dem Rücken.

Blitzschnell warf ich Jack einen Blick zu. Sein Gesicht war wutverzerrt, ein Fetzen Fleisch, sein Mund arbeitete, aber ich hörte nichts, der Raum um mich herum war von Lärm erfüllt. Dann war ich bei Jeff.

Das Licht auf der Veranda brannte, und ich konnte die Wunde hoch oben in seiner Brust sehen. Sie war nicht groß, doch das Blut, das daraus auf sein helles T-Shirt floss, war so rot, so leuchtend, ich hatte noch nie so etwas Leuchtendes gesehen, und mein einziger Gedanke war, dass ich es stoppen, es irgendwie aufhalten musste, damit es in ihm blieb. Ich zog ein Handtuch von der Stange am Ende der Arbeitsplatte und hielt es über ihn, aber ich wusste nicht, ob ich es drauf drücken oder was ich sonst tun sollte, und es war meine Schuld, allein meine, denn er war meinetwegen gekommen und – Jeff bewegte die Lippen. »Was ist?«

»Hilf ... mir ...«

»Ja ...ja ...« Ich sah mich nach Jack um, doch er war verschwunden.

»Krankenwagen ...«

»Ja ... Krankenwagen .... Hol Hilfe. Krankenhaus.« Ich schaute mich nach dem Telefon um, erinnerte mich daran, dass es kaputt war. Unmöglich, Hilfe zu holen. »Setz dich auf, du musst dich hinsetzen.«

»Nein ... Krankenwagen ...«

»Nicht reden.« Jeff holte Luft, und ich starrte auf die leuchtenden, schaumigen Bläschen, die aus seinem Mund kamen, und dann war ich auf den Beinen und rannte schreiend in den Hof. »Hilfe! Bitte – so helft mir doch! Einen Krankenwagen!« Noch während ich schrie, wusste ich, wie töricht es war, es gibt hier keine Nachbarn, ich konnte nirgends ein Licht sehen, aber ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte, und ich fühlte mich so verantwortlich ...

Ich ging wieder hinein. Es war kein Mut. Ich dachte nicht einmal an Jack, der war sowieso verschwunden. Nur an Jeff. Mir war klar, dass er sterben würde. Nicht weil ich mich in Medizin oder Erster Hilfe auskannte – das tue ich nicht –, aber das Blut und sein Gesicht, der Blick in sein Gesicht ... Ich wusste, er würde nicht mehr lange leben, und selbst wenn es mir gelang, Hilfe zu holen, würde es zu spät sein. Alles, was ich tun konnte, war bei ihm zu bleiben. Ich kniete mich wieder neben ihn. Sein Gesicht war inzwischen grau und die Lippen violett, fast blau. Aus seiner Brust kam ein Geräusch, ein Pfeifen, und er fing an zu husten und zu spucken wie ein Ertrinkender.

Ich wischte das Blut mit Geschirrtüchern ab, aber es kam immer mehr, und es war so rot. Das sieht man in Filmen nie, wie rot es ist. Und ich konnte nichts tun, nur bei ihm sitzen und wieder und wieder sagen: »Es tut mir Leid, es tut mir so Leid.« Ich weiß nicht, ob er mich hörte. Er sprach nicht mehr, aber seine Augen waren noch offen, und ich holte mehr Geschirrtücher und versuchte, sie unter seinen Kopf zu legen. Dann nahm ich seine Hand, streichelte sie, berührte sein Haar. Plötzlich machte er gurgelnde Geräusche und würgte, wie ein Baby es tut, und das Blut hörte nicht auf, aus seinem Mund zu fließen ... und dann ... dann kam noch ein Atemzug, eine Art langes, feuchtes Aaaah, und es verließ ihn – der Atem, das Leben – verließen seinen Körper, und dann war er tot.

Ich ließ seine Hand nicht los. Ich wusste, dass er es nicht mehr spüren konnte, aber ich wollte nicht loslassen. Lange Zeit sah ich in sein Gesicht. Immer noch sickerte ein bisschen Blut aus seinem Mund und lief über das Kinn. Seine Augen waren offen, riesige, schwarze Löcher. Ich beugte mich hinunter und strich ihm mit den Fingerspitzen das Haar aus dem Gesicht.

»Jeff, es tut mir Leid. Du hättest nicht kommen sollen. Ich weiß, ich habe dich angerufen, aber du hättest nicht ... wirklich nicht kommen ... Es tut mir so Leid.«

Nach einer Weile holte ich noch mehr Geschirrtücher, befeuchtete sie unter dem Wasserhahn und versuchte, das Blut von seinem Gesicht und seinem Hals abzuwischen. Irgendwann mittendrin dachte ich an die Polizei: nicht anfassen – Beweise! Aber ich konnte ihn nicht einfach so auf dem schmutzigen Boden liegen lassen, weil ... Na ja, ich war mit ihm verheiratet gewesen, und was auch immer er mir angetan hatte und ich ihn erst gar nicht hätte heiraten sollen, so konnte ich ihn doch jetzt nicht allein lassen, und da war sonst niemand. Das ist der Haken, man weiß nicht, wie es ist, was man tut. Und er war so hübsch, sah so – selbst mit all den schmutzigen Geschirrtüchern um den Kopf, dem Blut und so, sah er immer noch so ... Ich konnte es einfach nicht ertragen, ihn so liegen zu lassen.

Ich wollte ein Gebet sagen und fing an zu sprechen, aber dann fiel mir ein, dass Jeff auch nicht an Gott geglaubt hatte, wie Lenny, und ich dachte, das ist nicht recht, er würde es nicht wollen, ich würde es nur für mich tun, also hörte ich auf. Ich schloss seine Augen, denn sie offen zu lassen erschien mir auch nicht richtig, holte ein Kissen vom Sofa und schob es ihm unter den Kopf, sammelte die Geschirrtücher auf und warf sie ins Spülbecken, damit es ordentlicher aussah, dann kniete ich mich wieder neben ihn, hielt seine Hand und küsste ihn auf die Stirn – eine sinnlose Geste, weil er ja tot war und es nicht spürte, aber irgendwas musste ich tun, und das war alles, was mir einfiel.

Dann hörte ich einen Mordskrach in der Diele, ein Jaulen von Eustace – und die Tür wurde aufgetreten. »Was zum Teufel wollte er hier?«, schrie Jack mich an. Ich drehte mich um und sah ihn an. Er hielt immer noch die Pistole in der Hand und zitterte vor Wut.

»Er ist tot«, sagte ich und wandte mich ab.

»Was?« Ich hörte ein Klappern, ein Stuhl, der umgestoßen wurde, und im nächsten Moment stand Jack drohend über mir und Jeff. Ich spürte seine Wut an meinem Rücken und Kopf vibrieren wie elektrischen Strom: Jack zappelte und fuchtelte herum, als wüsste er nicht, was er mit seinen Gliedmaßen anfangen sollte. Ich blickte auf Jeff hinunter, der so still und bewegungslos vor mir lag. Leben und Tod, dachte ich. Dazwischen ist so wenig. So schrecklich wenig. Eine Bewegung, ein Atemzug. Leben und Tod, und du bist in der Mitte.

Bin ich die Nächste? Werde ich es sein? Jetzt? Ich hatte keine Angst. Das war das Seltsame – ich müsste außer mir vor Angst sein, aber innerlich war ich ganz ruhig. Gelassen.

Jacks Gebrüll schreckte mich auf. »Was hast du gesagt?«

»Er ist tot«, wiederholte ich leise.

»Wer ist er?«

»Jeff.«

»Wer?«

»Mein Mann. Exmann.«

»Verdammter Mist, was wollte er hier?«

Ich antwortete nicht.

Jack trat mit dem Fuß gegen Jeffs Arm. »Kümmere dich drum«, sagte er kalt. Dann wandte er sich ab und ging, Türen schlagend, zurück ins Wohnzimmer.

Die Hintertür stand noch offen. Ich schaute in den Hof, dann hinter mich auf die Tür zur Diele. Kein Laut. Ich wartete ein paar Sekunden mit angehaltenem Atem – Komm nicht wieder, bitte bleib, wo du bist. Immer noch kein Laut aus dem Wohnzimmer. Ich rappelte mich auf, schlüpfte aus meinen Schuhen und rannte.

Jeff hatte die Scheinwerfer angelassen, sie beleuchteten den Hof und den Weg zum Tor, doch dahinter war es stockfinster. Der Kies stach unter meinen Fußsohlen, und ich handelte mir einen Schnitt ein, aber ich konnte an nichts anderes denken, als genügend Vorsprung vor Jack zu gewinnen und es bis zu meinen Nachbarn zu schaffen, die ungefähr eine halbe Meile entfernt am Ende des Weges wohnten. Ich schaffe es, dachte ich, ich muss. Vom Haus kam kein Laut, kein Geschrei. Jack weiß nicht, dass ich weg bin, er denkt, ich sitze immer noch bei Jeff, bitte, lieber Gott, mach, dass er es nicht merkt. Wenn ich nur bis zur Kirche komme, zu den Andersons ins Pfarrhaus, dann kann ich ihnen alles erklären, sie rufen die Polizei, jemand wird kommen, und ich bin in Sicherheit und es ist gut. Alles wird gut, solange ich weiter laufe. Ich muss weiter laufen, egal, wie weh es tut. Ich hörte meine Füße, meinen Atem, mein Herz, meinen ganzen Körper sagen: Lauf lauf lauf ...

Ein Auto. Da war ein Auto. Ich hörte es, dann sah ich die Scheinwerfer durch die Hecke hinter der Kurve aufleuchten. Fred Boyle, es musste Fred Boyle sein. Wegen Lee. Gott sei Dank. Die Hände in der Seite, blieb ich mitten auf der Straße stehen. Mit blendendem Licht kam das Auto um die Kurve. Fernlicht. Ich hob die Hände, um zu winken.

Es fuhr direkt auf mich zu. »Fred!«, schrie ich. Der Wagen wurde nicht langsamer. Er hatte mich nicht gesehen. Aber er musste mich doch gesehen haben! Warum hielt er dann nicht?

Das Auto wurde nicht langsamer, es beschleunigte sogar noch.

Einen Moment lang stand ich wie erstarrt im Scheinwerferlicht. Lauf, befahl mir mein Verstand. Beweg dich! Ich tauchte zur Seite ab und landete auf dem Seitenstreifen, spürte, wie meine Schulter auf dem Boden aufschlug, wie meine Hand und das Handgelenk brannten, als sie über den Schotter rutschten, erhaschte einen Blick auf den Unterboden des Autos über mir und flüchtete mich halb kriechend, halb rollend in den schwarzen Straßengraben, während über mir der Wagen in die Hecke pflügte. Plötzlich hörte ich nur noch den Lärm des Motors, dann ein Krachen, zerspringendes Glas, Bäume, die auseinander gerissen wurden, knirschten und splitterten, dann folgte ein dünner, hoher Schrei, und ich dachte: Sie schreit, die Hecke schreit.

Über meinem Kopf bewegten sich donnernd, sich biegend und brechend dunkle Zweige wie ein Kaleidoskop, dann kam das Auto zum Stehen, und plötzlich war es still, keine Bewegung mehr, außer einem einzelnen Reifen, der sich ungefähr dreißig Zentimeter neben meinem Kopf drehte. Ich hörte ein Ächzen, als der Wagen sich am Abgrund bewegte. Es wird abstürzen, dachte ich, auf mir landen. Ich versuchte, mich umzudrehen und wegzukriechen, doch Brombeersträucher rissen an meinen Beinen und hatten sich in meinen Haaren verfangen, und ich konnte mich nicht befreien. Wieder schlingerte das Auto über mir und begann zu kippen, ich krabbelte in Richtung Böschung, aber ich konnte nichts sehen und ... Nein! Ein stummer Schrei. Nein! Nicht so.