Kapitel 31

Kitty schaut mich nicht an. Ich kann sie durch die Autoscheibe sehen, aber sie schaut mich nicht an. Sie weiß, dass ich hier bin, aber sie will jemand anderen, deshalb dreht sie den Kopf nicht um. Sie wartet darauf, dass ich weggehe, aber ich kann nicht, da ist etwas, was ich sie fragen muss, es ist wichtig ... Ich kann ihre langen Armknochen auf dem Lenkrad liegen sehen, die skelettierten Finger trommeln, die Hasenohren hüpfen auf dem Kopf auf und ab, als lausche sie da drinnen Musik, aber ich höre nur das Trommeln der Finger, immer lauter ...

Etwas drückte gegen mein Gesicht. Das Auto, die Scheibe ... Nein, kein Glas, weicher. Ich öffnete die Augen. Das Trommeln war immer noch da. Etwas Rotes drückte an mein Gesicht. Das Sofa. Ich lag, in eine Decke gewickelt, auf dem Sofa. Ich war in der Küche. Meiner Küche. Die Vorhänge waren zugezogen, also musste es Nacht sein. Warum war ich nicht im Bett?

Ich sollte irgendwo anders sein ... Bei den Andersons. Warum war ich nicht dort? Ich wandte den Kopf um. Am Tisch saß eine Frau und beobachtete mich. Nicht Mrs. Anderson. Die falschen Füße. Es war die Hexe aus dem Auto. Das Auto hatte mich gejagt und war in die Hecke gekracht. Ich erinnerte mich an das Rad, das sich drehend über dem Abgrund hing, die Motorhaube, die auf mich zeigte ... Irgendetwas engte meine Taille ein, grub sich hinein, und die Decke kratzte auf der Haut. Ich schüttelte sie ab und sah, dass meine Schultern nackt und eines meiner Handgelenke und die Handfläche aufgeschürft waren. Das andere Handgelenk schien unverletzt, doch etwas Graues war darum gewickelt, mit einem Manschettenknopf. Küssen, dachte ich vage. Eure Manschettenknöpfe müssen sich küssen. Die Bunny-Mutter hatte das doch immer überprüft. Aber da war nichts zum Küssen. Der andere Arm war nackt. Ich musste die zweite Manschette finden, ehe ich rausging, sonst würde sie mich nicht ... aber ich war nicht ... konnte nicht ... Ich betrachtete meine geschundene Haut, und plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich auf den Kies gestürzt war, als ich versucht hatte, vor dem Auto davonzulaufen. Nicht der Klub, die Andersons. Aber warum wollte ich zu ihnen? Die Frage war zu schwierig. Ich schob sie beiseite.

Das Geräusch hörte auf, aber mein Kopf schmerzte. Alles tat weh. Ich wollte schlafen. Ich bewegte mich mühsam und fragte mich, warum ich nicht bequemer liegen konnte, warum die Hexe da war, warum Kitty mich nicht anschauen wollte, warum ...

»Wach auf.« Die Hexe beugte sich über mich und rüttelte an meiner Schulter.

»Tust mir weh ... Lass mich in Ruhe.«

»Wach auf!«

»Nein ... geh weg ...«

»Komm schon, setz dich hin.«

Ich drehte den Kopf, um sie anzusehen. »Wie spät ist es?«

»Halb sieben.«

Ich schloss wieder die Augen.

»Wach auf.« Sie würde nicht weggehen.

»Wer bist du?«

»Weißt du das nicht? Du musst noch dümmer sein, als du aussiehst.«

Noch dümmer, als du aussiehst. Das hatte sie schon mal gesagt. Dass ich dumm bin. Als sie mir mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete. Dass ich etwas Dummes getan habe. Angerufen, das war's. Ich hatte sie angerufen.

Val. Es war Val. Natürlich. Und Jack. Er war hier gewesen, und er ... er ... was? Val trat zurück, als ich die Beine vom Sofa schwang und aufzustehen versuchte, mir aber plötzlich schwindlig wurde und ich zurück aufs Sofa sank. Warte, sagte ich mir. Keine Panik. Gleich kannst du aufstehen.

Ich starrte auf zwei Beine, offensichtlich meine, in schwarzen Strümpfen, über die sich spinnwebartig Laufmaschen zogen. Dann betrachtete ich prüfend meine schmutzigen Handrücken. Trauerränder unter den Nägeln.

»Nettes, kleines Spielchen gespielt, wie?« Ich sah hoch. Der Raum und Val wurden wieder scharf. »Oder war es ein Techtelmechtel?«

»Ich hatte Jeans an«, sagte ich verwirrt.

»Jetzt nicht mehr.«

»Nein«, stimmte ich zu. »Jetzt nicht mehr. Wie bin ich hierher gekommen?«

»Jack hat dich getragen.«

»Ich erinnere mich nicht. Wo ist er?«

Val zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«

Ich sah mich in der Küche um. Die leere Kognakflasche stand auf dem Tisch, das Glas, Servietten, Kerzen auf Untertassen ... Vorsichtig fasste ich mir an den Kopf. Hasenohren. Ich zog die Haarnadeln heraus, nahm sie ab und fingerte an dem zerrissenen, schmutzigen, schwarzen Satin herum. Es waren meine. Ich hatte sie behalten, weggeräumt. Die Pistole. Jack hatte eine Pistole gehabt.

Plötzlich war alles wieder da: die Zeitungsausschnitte, der Film, Jack, der drohte, Eustace zu erschießen, mich in den Stall sperrte, und Lee ... und dann ... dann hatte Jack mich gezwungen, dieses Zeug hier anzuziehen, und dann ... dann war Jeff gekommen. Er war hier gewesen. Seine Leiche. Sie lag auf dem Boden neben der Tür. Ich hatte versucht, das Blut abzuwischen, ihn geküsst, ein Kissen unter seinen Kopf gelegt. Ich wandte mich um und sah zum Sofa. Irgendwas hatte sich verändert: Der Überwurf war verschwunden, doch fünf Kissen lagen da. So viele wie immer. Aber wo war er? Ich wusste, dass er tot war. Ich hatte gesehen – gehört, wie er starb. Jack musste ihn weggeschafft haben, doch auf dem Linoleum waren keine Spuren. Ein Leichtes, sie wegzuwischen. Vielleicht hatte Val ihm geholfen.

Ich setzte mich mit dem Kissen auf dem Schoß. Wenn Val weiß, dass Jeff tot ist, dachte ich, muss sie auch wissen, dass Jack eine Waffe hat und gefährlich ist, also ... Aber vielleicht wusste sie nichts von all dem. Vielleicht hatte Jack ihn weggeschafft, ehe sie kam. Ich beobachtete sie, wie sie den Raum durchquerte und Wasser aus dem Hahn in ein Glas laufen ließ. Sie bringt es mir, dachte ich. Wenn ich sie nicht aufrege, kann ich vielleicht mit ihr reden, ihr alles erklären. Sie überreden, zur Polizei zu gehen.

Ein paar Schritte vor mir blieb Val stehen. »Hier«, sagte sie und schüttete mir das Wasser mit einer Drehung im Handgelenk direkt ins Gesicht. Ich war zu überrascht, um mich zu ducken, so dass das Wasser mich unvorbereitet traf und mich nach Luft schnappen ließ.

Ich griff nach dem Deckenzipfel und wischte mir blinzelnd die Augen ab, viel zu verblüfft, um etwas zu sagen. Es würde nicht klappen. Die Frau hatte ihr Auto zu Schrott gefahren, bei dem Versuch, mich zu überfahren. Was auch immer sie im Scheinwerferlicht gesehen hat, dachte ich, es war nicht nur ich, es waren alle Frauen, mit denen Jack je geschlafen hatte, inklusive Kitty. Kein Wunder, dass sie Vollgas gegeben hatte.

Was hatte Jack zu mir gesagt? Val hatte schon immer was gegen dich. Ich gehörte zu dem anderen Teil von Jacks und Lennys Leben. Und sie gehörte nicht dazu, war ausgeschlossen. Worum ging es ihr bei den Zeitungsausschnitten? Wollte sie mich erschrecken oder verletzen? Es mir heimzahlen? Sie wusste es wahrscheinlich selbst nicht. Aber die Sache mit Kitty und Jack, der sich vor ihren Augen auflöste, sie verließ und es ihr überließ, mit Susie und Susies Tod fertig zu werden. Auch ihre Welt war zusammengebrochen.

Und doch hatte sie mich da, wo sie mich haben wollte. In diesem blödsinnigen Kostüm, in dem ich aussah, als hätte eine Katze mich erwischt. Jetzt würde sie mir bestimmt nicht zuhören.

Ich schätzte mit den Augen die Entfernung zur Hintertür ab und überlegte, ob ich an ihr vorbeikommen würde. Sie war kleiner als ich, zierlicher, aber ich fühlte mich so schwach und hatte Schmerzen. Sie sah meinen Blick. »Die ist abgeschlossen«, sagte sie höhnisch. »Und die Haustür auch. Ich weiß nicht, was für ein Spiel du spielst, aber ich habe dir ein paar Dinge zu sagen, und du wirst zuhören, egal ob es dir gefällt oder nicht.«

Okay, dachte ich und zwang mich, nicht panisch zu werden. Ich habe keine Wahl, sagte ich mir. Hör ihr zu, gib dir Mühe, dass du sie auf deine Seite bekommst. Bring sie dazu, dir den Schlüssel zu geben. Ich sah zu ihr auf, wie sie da vor mir stand mit dem leeren Glas in der Hand, und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Sie schien ganz ruhig. Kontrolliert. Ich werde Jeff noch nicht erwähnen, dachte ich. Nur keine Panik. Sag gar nichts. Warte, bis sie anfängt zu reden.

»Dein Hund stinkt.«

»Wo ist er?«, fragte ich.

»Ich habe ihn im Esszimmer eingesperrt.«

»Geht es ihm gut?«

»So weit ich sehen konnte ja.« Sie zuckte mit den Schultern, spielte einen Moment lang mit dem Glas und rollte es zwischen ihren Händen hin und her. »Weißt du, was meine Tochter zu mir gesagt hat? Sie sagte, sie sei so hässlich, dass es egal sei, was für ein Mensch sie ist, denn niemand würde sich je die Mühe machen, es herauszufinden. Das glaubte sie wirklich. Sie sagte: ›Dad weiß nicht, wie du bist. Er kennt uns alle nicht.‹ Und weißt du, woran das lag? Daran, dass er nie zu Hause war. Weil es immer irgendwo so eine ... Schlampe – wie dich – gab, die ihm zur Verfügung stand.«

»Es ...« gehören immer zwei dazu, wollte ich sagen, doch ich hielt mich zurück. »Es war nicht so. Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber ich habe Lenny geliebt.«

»Ich habe Lenny geliebt«, äffte sie mich nach. »Aber natürlich hat diese Kleinigkeit dich nicht davon abgehalten, mit meinem Mann zu schlafen, oder?«

»Ich ... ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer ... es tut mir Leid.«

»Nein, das tut es dir nicht«, sagte sie ruhig. »Es ist dir scheißegal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich irgendetwas berührt, es sei denn, es ist zu deinem Vorteil, aber die Welt ist eine Auster für dich, oder du nimmst dir einfach, was du willst.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht.«

»Aber er ist nicht zu dir gekommen, oder? Er ist nicht gekommen und hat gesagt: ›Ich bin in Schwierigkeiten, hilf mir.‹ Nein, das hat er nicht. Er und Jack sind zu mir gekommen.« Sie tippte sich mit dem Finger auf die Brust. »Zu mir. Sie wussten, wer ihnen helfen würde. Wem sie trauen konnten. Und das warst nicht du, oder?«

»Nein«, sagte ich leise, »das war nicht ich.«

»Deswegen bin ich hier. Um Jack zu helfen. Wie ich ihm immer geholfen habe. Das ist Liebe, du dumme kleine Nutte. Ich wusste gleich, dass du zu nichts nütze sein würdest. Außer zum Vögeln, mehr war es für ihn nicht. Kein bisschen mehr als das. Du und all die anderen.«

»Val, nicht ...«

»Nicht besonders schön, wie? Die Wahrheit.«

Sie bedachte mich mit einem verächtlichen Blick und ging zur Spüle, wo sie mit dem Rücken zu mir stehen blieb und rauchte. Ich hielt mich am Sofa fest und stand auf. »Val?« Sie drehte sich nicht um. Wackelig hangelte ich mich an den Möbeln entlang zu ihr hinüber. Sie blickte unverwandt auf den Vorhang, als könnte sie durch ihn hindurch auf den Hof sehen.

»Ich würde gerne meinen Arm abspülen«, sagte ich. »Er blutet.«

Sie trat beiseite.

Vorsichtig hielt ich meinen Arm unter den Wasserhahn und versuchte, den Dreck auszuspülen. Die Geschirrtücher, die ich für Jeff benutzt und ins Spülbecken geworfen hatte, waren verschwunden. Hatte Jack sie weggeräumt oder Val? Ich hielt den Kopf gesenkt und sah sie durch die Haare von der Seite an.

Val starrte auf die Zigarette in ihrer Hand. »Ich hatte aufgehört. Vor drei Jahren. Nach Susies Tod habe ich wieder angefangen.«

»Ich ...«, sagte ich, »ich kann mir nicht vorstellen ...«

»Versuch es gar nicht erst«, sagte sie. »Ich will dein Mitleid nicht.«

»Kann ich dir etwas anbieten?«, fragte ich. »Eine Tasse Tee?«

Überrascht schaute sie mich an. »Ja. Wenn du willst.«

»Nun, ich könnte jedenfalls eine gebrauchen«, sagte ich, während ich den Kocher füllte. Schweigend warteten wir darauf, dass das Wasser kochte. Ich sah aus dem Fenster. Es schien eine Ewigkeit zu dauern.

»Erst kürzlich habe ich ein Tagebuch von Susie gefunden«, sagte Val plötzlich. »Sie hat es in einer der Kliniken geschrieben, in der sie war. Das gehörte wohl zur Therapie. Hinten klebte ein Foto drin. Von dir und vielen anderen auf einer Treppe. Es war märchenhaft, leuchtende Farben, und alle lächelten. Sie hat wahrscheinlich gedacht, so muss es sein. Ich habe ihr gesagt, dass sie schön ist, aber sie hat mir nicht geglaubt. In dem Tagebuch ging es nur darum, wie hässlich sie sich fand und wie sehr sie sich hasste. Alles, was wir zu ihr gesagt haben, damit sie sich besser fühlt, stand da drin, aber völlig ... verdreht. Abscheulich. Das war das Wort, das sie benutzte. Ich bin abscheulich. Immer wieder. Seitenlang. Es ...« Val zögerte, dann sagte sie: »Es hat mir das Herz gebrochen.« Wir sahen uns an, Tränen in ihren Augen, Tränen in meinen.

Ich hörte, wie die Tür in der Diele aufging, und drehte mich um. Jack stand auf der Schwelle. Ohne Waffe. Sie muss in seiner Tasche sein, dachte ich. »Komm her«, sagte er. Er meinte Val, nicht mich.

»Geh ...«, setzte ich an, doch sie blickte durch mich hindurch und ging zu ihm. Ich schaute weg, als er sie küsste – starrte die Hintertür an. Val hatte gesagt, sie sei abgeschlossen, aber man konnte es nicht erkennen. Und selbst wenn nicht – jetzt waren sie zu zweit. An beiden würde ich nicht vorbeikommen. Ich glaube, ich habe mich noch nie im Leben so allein gefühlt, so hilflos wie damals. Ich sah an meinem lächerlichen, schmutzigen Kostüm herunter und sank auf den Boden, den Rücken gegen die Spüle gestützt.

»Geht es dir gut, Schätzchen?«, fragte Jack seine Frau.

»Wo ist Jeff?«, rief ich. »Was hast du mit ihm gemacht?«

»Wer ist Jeff?«, fragte Val.

»Alles in Ordnung«, sagte Jack leise. »Hör nicht auf sie. »Alles wird gut.«

»Wie kannst du das sagen?«, schrie ich. »Du hast ihn umgebracht.«

»Was redet sie da?«, fragte Val.

»Nichts. Sie spinnt. Ignorier sie einfach.«

»Nein! Du hast ihn erschossen. Und Lee und ...« Ich bekam kein weiteres Wort heraus. »Lass mich gehen«, flüsterte ich. »Lass – mich – einfach gehen.«

Jetzt sah Jack mich zum ersten Mal an. »Nein«, sagte er. Der Deckel des Kessels fing an zu klappern. »Was ist das?«

»Sie wollte Tee kochen«, erklärte Val.

»Möchtest du welchen?«, fragte er.

»Ja«, sagte Val. »Das wäre ... Ich möchte welchen.«

»Du hast es gehört«, sagte Jack zu mir. »Mach einen Tee. Ich bin gleich wieder da.« Er löste sich von Val. »Alles okay, Liebling. Ich bin in einer Minute wieder da.« Er tätschelte ihren Hintern, verschwand in die Diele und zog die Tür hinter sich zu.

Tu, was er sagt, dachte ich. Denk nicht drüber nach, tu es einfach. Du hast keine Wahl. Val kam wieder zu mir herüber, lehnte sich mit verschränkten Armen an die Anrichte und beobachtete, wie ich aufstand und den Stecker des Wasserkochers aus der Wand zog. Heißes Wasser schwappte an den Seiten auf die Arbeitsplatte.

Ich spürte ihren Blick im Rücken, während ich Teekanne und Becher zusammensuchte und Milch aus dem Kühlschrank holte. Ich wollte sie dazu bringen, etwas zu sagen, irgendwas, nur um den Kontakt wieder herzustellen. Es muss von ihr ausgehen, dachte ich. Ich muss ihr die Führung überlassen. Darf sie nicht aufregen, sonst ruft sie Jack.

Ich sah ihre Zigaretten neben der Spüle liegen. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mir eine nehme?«, fragte ich.

Val zuckte wieder die Achseln, kramte in ihrer Rocktasche nach dem Feuerzeug und reichte es mir. »Danke.« Ich gab es ihr zurück, und sie zündete sich ebenfalls eine an.

Sie rauchte schweigend, dann sagte sie: »Susie fand dich schön. Ich weiß es noch, es war vor ein paar Jahren, sie muss achtzehn oder neunzehn gewesen sein. Sie schaute sich Schnappschüsse an, die Jack von dir und Lenny gemacht hatte, und sagte: ›Ich würde alles geben, wenn ich so aussehen würde, aber das werde ich nie.‹ Jetzt siehst du nicht besonders gut aus, nicht wahr?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich wünschte, Susie könnte dich jetzt sehen. Ich wünschte, ich könnte es ihr erzählen.«

Darauf gibt es keine Antwort, dachte ich. Ich gab ihr einen Becher mit Tee. »Nimmst du Zucker?«

»Nein. War Jack das?« Sie zeigte auf mein Gesicht.

»Ja.«

»Er hat mich nie geschlagen«, sagte sie. »Nie. Was ist passiert?«

»Na ja, er dachte halt, ich hätte die Polizei angerufen. Ich habe ihm gesagt, dass ich es nicht getan habe, aber er hat mir nicht geglaubt. Dann kamen zwei Kinder an die Tür, und er dachte, es wäre die Polizei und ist ... er ist einfach ausgerastet.«

»Verstehe. Wer ist Jeff?«

»Jack hat ihn erschossen.«

»Erschossen?« Val schüttelte den Kopf.

»Umgebracht. Er ist gefährlich, Val.«

»Unsinn. Er ist in Ordnung.«

»Er ist nicht ganz bei sich! Hat getrunken – Tabletten genommen. Als Jeff hereinkam ...«

»Du meinst deinen Mann? Den Fotografen?«

»Exmann. Er kam gar nicht bis ins Zimmer. Jack hat einfach ...«

»Warum sollte Jack ihn erschießen? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.«

»Ich habe dir gesagt, er weiß nicht, was er tut. Und er wusste nicht, dass es Jeff ist. Er hatte keine Ahnung, nicht, als er ... Ich habe es ihm erst hinterher gesagt. Ich glaube, Jack ... Es war ein Impuls. Wie ... Als Jeff kam, war das für ihn nur ein weiteres Problem, und er ... tat es einfach.« Es hörte sich alles völlig verkehrt an, und ich merkte, dass sie mir kein Wort glaubte. »Jeff ist gekommen, weil ich ihn angerufen habe. Er war nicht da, aber er hat so eine Maschine, auf der man eine Nachricht hinterlassen kann ... Ich hatte Angst, Val. Jack hat das Telefon zerbrochen – mein Telefon. Deshalb bin ich zur Telefonzelle gelaufen. Von dort habe ich dich angerufen. Aus der Telefonzelle. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Und als ich ihm heute Morgen – gestern – erzählt habe, dass ich dich angerufen habe, ist er durchgedreht. Hat mich bedroht, gesagt, dass er den Hund erschießt, mich in den Stall gesperrt, und als Lee wiederkam ...«

»Wer ist Lee?«

»Ein Junge aus dem Dorf. Zehn Jahre alt. Ich hatte ihn gebeten, Hilfe zu holen, und Jack kam heraus und ... erschoss ihn.«

»Du willst mir erzählen, er hat ein Kind erschossen?« Val schüttelte den Kopf. »Du würdest alles behaupten, nicht wahr? Du bist diejenige, die durchgedreht ist. Ich rufe jetzt Jack.« Sie ging einen Schritt vorwärts, und ich streckte die Hand aus, um sie aufzuhalten. »Fass mich ja nicht an!« Sie schlug meine Hand weg. »Du hast mein Leben zerstört – meine Familie – du hast meinen Mann hierher gelockt und du ... du ...« Sie entzog sich mir und lief zur Dielentür.

»Nein!« Ich erwischte sie am Handgelenk, und sie fuhr herum, schlug um sich, spuckte, zerkratzte mir das Gesicht, während ich sie verzweifelt festhielt, damit sie nicht rausging. »Du kannst da nicht raus. Du weißt ja nicht, wozu er fähig ist. Er wird uns umbringen.«

»Lass mich los, du verrückte Ziege! Niemand hat irgendjemanden umgebracht. Das hast du dir alles ausgedacht. Lass los

»Es ist wahr!« Ich bekam ihren anderen Arm zu fassen, zog sie zu mir und klammerte mich mit aller Kraft fest. »Du musst mir glauben. Zwei – Menschen – sind tot. Lee ist im Stall, und Jeff ... ich weiß es nicht. Er lag genau hier in diesem Raum, als ich weglief. Ich weiß, wie das klingt, aber ich denke mir das nicht aus, es ist die Wahrheit. Jack hat eine Pistole, und du weißt, wozu er in der Lage ist, weil du weißt, dass er Danny Watts umgebracht hat.«

Sie hörte auf, sich zu wehren und funkelte mich an. »Das weißt du«, sagte ich. »Du hast nämlich die Zeitungsausschnitte geschickt.«

»Ja«, sagte sie, »das habe ich. Ich wollte, dass du endlich erfährst, was dein geliebter Lenny so getrieben hat.«

»Na gut«, sagte ich. »Aber Lenny hat Danny Watts nicht umgebracht. Das ist nicht wichtig. Nicht jetzt. Jetzt geht es um Jack. Er ist völlig außer sich, total durcheinander wegen Susie. Er hat gesagt ...«

Val riss den Kopf hoch. »Er hat mit dir über Susie geredet?«

»Ja.« Ich ließ ihre Hände los und trat einen Schritt zurück. »Er hat gesagt ... sagte, es sei seine Schuld, dass sie krank geworden ist, und dass er damit nicht umgehen konnte, mit der Schuld, sie so zu sehen. Und deswegen ist er gegangen, trotz ... Kitty ... und allem, was du für ihn getan hast, er konnte nicht ...«

»Mir hat er das nicht gesagt. Nichts von all dem. Er wollte nicht darüber reden. Sie war unsere Tochter, und sie starb, und der verdammte Kerl wollte nicht mit mir reden!« Sie schrie jetzt. Jack wird sie hören, dachte ich verzweifelt. Er wird hereinkommen, ehe ich Gelegenheit hatte, ihr alles zu erklären. »Ich weiß«, sagte ich besänftigend.

»Woher willst du das wissen? Du bist doch nur ... nur ...«

»Du kannst mich nennen, wie du willst, aber wir müssen die Polizei holen. Wir müssen, Val. Wenn wir schnell sind, können wir ...«

»Aber warum sollte er mit dir reden und nicht mit mir?«

»Manchmal«, sagte ich langsam, »ist es leichter, mit jemandem zu reden, der dir, na ja, der dir nicht so nahe steht. Jemand, der dir egal ist.«

»Jack hat es dir erzählt«, wiederholte sie, als versuchte sie, es zu begreifen. Ihre Augen weiteten sich, und sie schlug die Hand vor den Mund. »Mein Gott. Du hast dich mit ihm getroffen, oder? Erzähl mir nicht, er ist aus heiterem Himmel hierher gekommen, um dich zu besuchen, eine fast vergessene Hu– erzähl mir nicht, er ist nur hergekommen, um mit dir über uns zu reden. Du hast dich die ganze Zeit über mit ihm getroffen, oder?«

»Nein. Er tauchte einfach hier auf. Vor zwei oder drei Tagen. Ich habe ihn seit Lennys Beerdigung nicht gesehen.«

»Aber warum ist er dann zu dir gekommen und nicht nach Hause?«

»Er hatte Angst. Als man Lennys Wagen gefunden hat ...«

»Aber ich wäre nicht zur Polizei gegangen. Das wusste er! Er wusste, dass ich niemals ... das wusste er doch?«

»Ich glaube, er ist einfach in Panik geraten«, sagte ich hilflos. Wie konnte ich etwas erklären, das ich selbst nicht verstand? »Er ist in einem schrecklichen Zustand, und manchmal fliehen Menschen einfach, oder? Sie haben das Gefühl, in der Falle zu sitzen, sie können nicht damit umgehen und ... das ist es, was hier geschieht. Deswegen müssen wir ...«

»Aber warum kommt er zu dir, wenn nicht ...«

»Nein! Ich habe es dir gesagt. Du weißt, dass das nicht stimmt«, sagte ich. »Hör mal. Wie hast du das mit Danny Watts herausgefunden? Jack hat es dir doch nicht erzählt?«

Einen Augenblick lang sah sie mich beinahe abwägend an, dann schüttelte sie den Kopf.

»Und wie ...«

»Ich habe jemanden auf ihn angesetzt. Der Name stand an der Türklingel.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte ich plötzlich verwirrt. »Woher wusstest du, wer er war? Ich meine, dass er etwas mit Kitty zu tun hatte? Wenn Jack dir nicht davon erzählt hat ... Danny Watts hätte irgendwer sein können.«

»Ich habe seinen Namen erkannt. Er hat bei uns zu Hause angerufen. Nachrichten hinterlassen. Dann habe ich in der Zeitung gelesen, dass er umgebracht wurde, dass er Kameramann war und diese schmutzigen Filme gedreht hat. Nachdem das mit Kitty passiert war, habe ich Jack – beide – gefragt, ob noch irgendjemand in die Sache verwickelt ist. Weil ich dachte: Wie konnte sie das alles allein auf die Beine stellen? Aber sie beteuerten immer wieder, dass da niemand war, und ich musste ihnen glauben, Jack glauben, weil ...« Sie sah mich trostlos an. »Weil ich keine Wahl hatte.«

»Hör zu«, sagte ich. »Wenn du jemanden auf Jack angesetzt hast und er mich gesehen hätte, dieser Detektiv oder wer auch immer, hätte er es dir doch gesagt, oder?«

Val sah auf den Boden. Mir schoss durch den Kopf, dass es da etwas gab, was sie mir nicht sagte. Nicht jetzt, dachte ich. Später. »Dann weißt du, dass ich mich nicht mit Jack getroffen habe«, sagte ich. »Du weißt es.«

Val sah auf. »Aber du hast mit ihm geschlafen. Während er hier war.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

Sie traf mich unerwartet, und ich zögerte eine Sekunde – den Bruchteil einer Sekunde – zu lange.

»Gib dir keine Mühe«, sagte sie müde. Der Schmerz in ihrem Gesicht war unerträglich. Es gab nichts, was ich sagen konnte. Ich war verantwortlich, das war die Wahrheit. Ich hätte nein sagen können zu Jack, aber das hatte ich nicht getan. Es war die reine Ironie, dass wir es nicht getan hatten, weil er nicht konnte, aber das konnte ich Val kaum sagen.

»Schön, dass du es lustig findest«, sagte sie.

»Nein, das ist es nicht«, sagte ich entsetzt. »Ich meinte ...«

»Ich bin nicht von gestern, weißt du. Menschen ändern sich nicht. Frauen wie du haben meine Familie zerstört. Meine Tochter ist tot. Also steh nicht da, in diesem ... Fummel ... und erzähl mir, dass es nicht stimmt.«

»Jack hat mich gezwungen, es anzuziehen«, sagte ich.

»Oh, und vergewaltigt hat er dich auch, wie?«

»Nein. Ich war mit ihm im Bett. War nicht meine Idee, aber ... ich hab's getan. Deswegen ist es ebenso meine Schuld wie seine, das weiß ich. Und es tut mir Leid. Und du tust mir Leid. Wegen Susie und ... allem. Wirklich. Aber ich habe Jack nicht gebeten, hierher zu kommen, und ich bin nicht verantwortlich für sein ... sein Benehmen oder für das, was Kitty getan hat oder Danny oder dafür, dass er dich verlassen hat, als Susie krank war. Das alles habe ich nicht getan. Ich bin keine Bedrohung für dich, Val. Aber Jack ist es, und deswegen müssen wir zusehen, dass wir hier rauskommen.«

Sie verschränkte die Arme. »Warum sollte ich dir glauben?«

Nervös schaute ich mich in der Küche um. Beweise, dachte ich. Ich brauche Beweise. »Lass mich dir etwas zeigen«, sagte ich und ging zum Sofa, um das grüne Kissen zu holen. »Schau«, sagte ich und hielt es ihr entgegen. »Blut.«

»Das könnte alles Mögliche sein, Rotwein zum Beispiel. Du hast gesagt, er hat getrunken.«

»Nein. Ich habe es Jeff unter den Kopf gelegt. Als er im Sterben lag.«

Sie ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück. Es war beinahe hell. »Tu es weg.«

Also legte ich das Kissen wieder aufs Sofa. »Hör mal«, sagte ich verzweifelt. »Selbst wenn du mir kein Wort glaubst, weißt du, dass Jack in Schwierigkeiten ist. Du weißt, dass die Polizei mit ihm über das Auto reden will, aber sie wissen nichts von Danny Watts. Ich meine, sie wissen, dass er tot ist, aber es gibt doch keine Verbindung zu Jack, oder? Gut, sie haben bei ein paar Filmen zusammengearbeitet, aber das haben hundert andere auch, und sie waren keine Freunde oder so was. Warum gibst du mir nicht einfach den Schlüssel zur Hintertür, und ich gehe zur Telefonzelle und rufe die Polizei an? Früher oder später werden sie ihn finden, und besser ... jetzt als ... Er braucht Hilfe, Val. Wirklich. Vor allem davonzulaufen nützt niemandem etwas.«

Ich ging zur Hintertür und probierte, ob sie offen war. Abgeschlossen, wie sie gesagt hatte. »Ich kann dir den Schlüssel nicht geben«, sagte Val. »Jack hat ihn.« Ihre Stimme war ausdruckslos. Ich hatte keine Ahnung, was sie dachte.

»Das Fenster«, sagte ich. Es war gerade groß genug für mich, um mich durchzuzwängen. »Kommst du mit?«

Sie schüttelte den Kopf, machte aber keine Anstalten, mich aufzuhalten. Ich zögerte einen Moment, dann lehnte ich mich über den Abtropfkorb, um das Fenster zu öffnen.