Die Verabredung

Es war bereits dunkel, als Josh und ich nach dem Kurs auf den Santa Monica Boulevard hinaustraten. Wir gingen zum Auto. Jemand kam uns mit schnellen Schritten hinterher, und eine Frauenstimme rief uns etwas zu. Josh blieb sofort stehen. Er war auf einmal schüchtern. Als die Frau uns erreicht hatte, behandelte er sie voller Ehrfurcht und Bescheidenheit, was mich noch mehr überraschte als die Tatsache, dass die Fremde so plötzlich aus dem Dunkeln auftauchte. Josh so zu sehen war mir fast unheimlich. Mit unterwürfiger Liebenswürdigkeit stellte er uns einander vor und trat dann diskret einen Schritt zurück.

Die Frau wirkte jung trotz ihrer graumelierten kurzen Haare. Ihre Augen blitzten. Mit einem charmanten Lächeln fragte sie mich nach meinem Sternzeichen. In ihrem Tonfall lag kein Funken Ironie. Und sie entsprach auch nicht im Entferntesten dem New-Age-Klischee von L. A. Sie schien aufrichtig interessiert, und als ich sagte: »Ich bin Skorpion«, gab mir ihre zustimmende, unerschrockene Reaktion das Gefühl von Einzigartigkeit, jenseits aller Worte, als wäre ich jemand Besonderes oder zur Abwechslung wenigstens mal nicht das Ungeheuer des Tierkreiszeichens. Dann sagte sie etwas, das mich stark beeindruckte, ich aber kurz darauf schon wieder vergessen hatte.

Ich hätte mich gern länger mit ihr unterhalten. Auf dem Rückweg kam Josh gar nicht darüber hinweg, dass diese Frau wirklich auf uns zugekommen war und mit uns geredet hatte. Offenbar war sie eines der geheimnisvollen und machtvollen »Wesen«, die den Mentor umgaben. Dabei hatte sich die Begegnung wie die natürlichste Sache der Welt angefühlt. Sie hatte auch nicht wie eine Autoritätsperson oder eine von Mysterien umwogte Göttin gewirkt. Eigentlich war sie völlig unscheinbar gewesen, abgesehen von diesem irren Magnetismus, der zu spüren gewesen war, wenn sie einen direkt anschaute.

Am nächsten Tag rief Josh an und ließ mich wissen, dass sie von mir begeistert waren. Wenn ich wieder einen Kurs besuchen wolle, sei ich herzlich willkommen.

Ich wollte, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wer »sie« waren.

Zwei Tage später holte Josh mich ab, und alles verlief wie beim ersten Mal, mit dem Unterschied, dass der Mentor mich, als er auftauchte, sofort zu einem der offenen Fenster auf der anderen Seite des Saals führte. Er sagte, wir müssten unbedingt miteinander reden. Er sagte, er müsse mir helfen. Mehr nicht.

Er brachte mich an meinen Platz zurück, und sofort nahmen Josh und der Agent ihre Positionen in der Reihe hinter mir ein. Der Mentor stellte sich vor den versammelten Kurs. Er wandte den Spiegeln den Rücken zu, und da fiel mir auf, dass er noch kein einziges Mal in die Spiegel hineingeschaut hatte. Ich überprüfte sein Spiegelbild und war erleichtert, als ich es sah, und fand es lächerlich, dass ich daran gezweifelt hatte.

Der Mentor ahmte slapstickhaft den letzten Tänzer nach, der aus dem Raum geschlurft war. Es wurde gelacht. Ich wagte es, mich umzuschauen. Die Frau mit den blitzenden Augen war nirgendwo zu sehen, und mir wurde bewusst, dass ich auf sie gewartet hatte. Etwas in mir wollte sie wiedersehen oder wenigstens wissen, was sie mir hatte sagen wollen.

An diesem Abend kam uns niemand nach.

Als Josh mich zum dritten Mal zum Kurs abholte, sagte er, es sei das letzte Mal. Sofort spürte ich mit ganzer Wucht wieder das dräuende Unheil. Bis zu diesem Moment hatte ich das Gefühl gehabt, etwas Erstaunliches und völlig Neues würde vor sich gehen. Nun hatte ich Angst, es könnte schlagartig vorbei sein.

»Du wirst jetzt allein hinkommen müssen.«

»Wieso?«

»Weil’s so ist. Punkt.«

»Und woher soll ich wissen, wann die Kurse stattfinden?«

»Du wirst es schon herausfinden.«

»Ich werde mich verfahren.«

Er sah mich an, als hätte ich einen Witz gemacht. »Wie zum Teufel kann man sich auf dem Santa Monica Boulevard verfahren? Er führt schnurgerade von Downtown zum Strand.«

»Hat es irgendein Problem gegeben?«

»Du musst es halt einfach allein machen.«

Auf der Fahrt verlor Josh kein Wort. Normalerweise witzelten wir herum, oder er redete über die Freisprechanlage mit diesem oder jenem Produzenten, dieser oder jener Berühmtheit. »Hey, Keanu, Kumpel, was geht?« Es machte Spaß, diesen Gesprächen zuzuhören, es war, als wäre ich in einem Hollywoodfilm über Hollywood gelandet. Jetzt war die Stille zwischen uns fast klaustrophobisch. Hätte Josh nicht immer so cool gewirkt, als würde er alles unter Kontrolle haben, hätte ich geglaubt, er wäre eingeschnappt.

Es war nicht so, dass ich ohne diese Kurse nicht hätte leben können. Ich war vorher auch ganz gut klargekommen, sagte ich mir. Und Josh war immer schon merkwürdig gewesen.

Im Studio ging Josh ans andere Ende des Saals, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen. Ich ging ihm ein kleines Stück hinterher und beobachtete, wie er mit einer entschlossen auftretenden, alterslosen Wilden mit seltsam verschnittenem weißblondem Haar redete. Sie hatte einen deutschen Akzent, mit einem Schuss Spanisch. Neben ihr stand eine große, schlanke Frau mit pulvrig-weißer dünner Haut und blassgrauen Augen. Sie erinnerte mich an die blinde Seherin aus einem Gruselfilm von Nic Roeg mit Julie Christie und Donald Sutherland.

An diesem Abend war eine weitere Frau da, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Genaugenommen hatte ich in den ersten beiden Kursen niemanden wirklich gesehen. Diese Frau wäre mir allerdings aufgefallen. Sie war schmal, wirkte wie ein Junge. Ich sah sie nur von der Seite. Etwas Glühendes und Unerreichbares umgab sie. Ihr Körper war sehnig und kraftvoll und wirkte gleichzeitig zerbrechlich. Sie stand in der ersten Reihe, weit rechts, und redete ausschließlich mit dem Mentor, der sie Claudine nannte und äußerst rücksichtsvoll mit ihr umging. Es schien, als wolle er sie beschützen. Während des Kurses musste ich sie immer wieder anschauen. Ihre Art, sich abzukapseln, weckte meine Neugier. Fast vergaß ich darüber sogar die Frau mit den blitzenden Augen vom ersten Abend und Joshs seltsames Verhalten.

Nach dem Kurs trat eine Stämmige mit dicker Brille und krötenhaftem Äußeren auf mich zu. Sie sprach schnell und in gedämpftem Flüsterton, als wollte sie nicht, dass jemand außer mir sie hörte. Auch sie hatte einen Akzent. Ich verstand sie nur schwer. Es ging darum, mich wegen Mitfahrgelegenheiten zu künftigen Kursen kontaktieren zu können, und ich schrieb ihr meine Telefonnummer auf.

Josh war mit dem Agenten schon zur Tür hinaus. Wenn er mich nach Hause bringen sollte, musste ich mich beeilen.

Vor dem Eingang stieß ich auf den Mentor. Er hatte sich gebückt, um sich den Schuh zuzubinden. Ich wollte nicht stören. Da sah er auf.

»Ich muss mit dir reden«, sagte er und erhob sich. »Wir sollten mal gemeinsam mittagessen gehen. Wo würdest du gern hingehen? Wir treffen uns, wo immer du möchtest.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Bis zu diesem Moment war ich davon ausgegangen, dieser Kurs wäre mein letzter gewesen. Außerdem war mir völlig schleierhaft, wohin man mit jemandem wie ihm mittagessen ging. Schließlich schlug ich das Angeli vor, einen angesagten, etwas teuren Italiener an der Melrose Avenue, in dessen Nähe ich wohnte. Wir verabredeten uns dort für den kommenden Nachmittag.

»Erzähl Eduardo nichts davon«, sagte er, bevor er zu dem wartenden Kleinbus auf der anderen Straßenseite ging. »Er ist ein bisschen empfindlich.«

Der Kleinbus fuhr davon. Ich konnte nicht erkennen, wer am Steuer saß, als er um die Ecke bog und im Verkehr auf dem Santa Monica Boulevard verschwand.

Ich war eher als der Mentor beim Angeli und wartete vor dem Restaurant. Nach einigen Minuten sah ich ihn in der Ferne die Melrose Avenue herunterkommen. Es war merkwürdig, ihm außerhalb des Kurses zu begegnen, im alltäglichen Leben. Im Grunde war es merkwürdig, ihn überhaupt zu sehen. Er wirkte wie jemand, der Übung darin hatte, sich unsichtbar zu machen, und ich fragte mich kurz, ob ich vielleicht die Einzige war, die ihn in diesem Augenblick bemerkte.

Er war elegant, aber unauffällig gekleidet, trug ein gebügeltes hellblaues Hemd ohne Brusttasche, hellbraune Jeans mit Ledergürtel, eine Aktentasche. Ich war froh, dass ich meine Uniform ausgewählt hatte. Alles andere wäre übertrieben gewesen oder hätte einen falschen Eindruck erweckt. Ich trug schwarze Hosen, eine langärmelige, geknöpfte schwarze Bluse, einen schwarzen Cashmereschal und Stiefel. Das mit den Stiefeln hätte ich mir noch einmal überlegen sollen. Mit den fünf Zentimeter hohen Absätzen war ich einen halben Kopf größer als er.

Eine Kellnerin führte uns an einen Tisch. Er setzte sich mit dem Rücken zur Wand, von wo aus er die Tür im Blick behalten konnte. Ich setzte mich ihm gegenüber. Der Stuhl war unbequem und wackelte, und als ich die Beine übereinanderschlug, stieß ich mit den Knien an die Unterseite des Tisches, und Eiswasser schwappte aus dem Glas auf meine Hose. Der Mentor saß vollkommen reglos da, als wäre ein Schalter umgelegt und ein inneres Licht ausgeknipst worden, undurchdringlich wie ein uralter Stein. Seine Ruhe schien einer anderen Welt zu entstammen. Jedenfalls war mir in meinem Leben noch nie jemand begegnet, der nicht auf irgendeine Weise unruhig war.

Die meisten Mittagsgäste waren mit dem Essen fertig und hatten das Lokal verlassen. Nur einige Kellner hatten sich um einen großen Tisch versammelt, aßen Pasta und lachten, wie nur Italiener lachen. Wir konnten offen sprechen, ohne Sorge darum, dass uns jemand zuhörte.

Ich hatte nichts zu sagen.

Selbst wenn ich gewusst hätte, was ich hätte sagen sollen, hätte meine Stimme gezittert. Ich war erleichtert, als die Kellnerin mit den Speisekarten kam. Aber die Bestellung war viel zu schnell erledigt. Ohne in die Karte zu sehen, verlangte der Mentor ein Steak, halb durchgebraten, und eine Flasche Wasser.

Ich bestellte dasselbe wie immer. »Pasta arrabiata mit extra viel Knoblauch und Eistee mit extra Zitrone.«

»So viele Extras«, sagte der Mentor, als die Kellnerin gegangen war. Die dunkelbraune Iris seiner Augen schwebte wie ein Halbmond über dem gelblichen Weiß.

»Alte Angewohnheit«, sagte ich und war im selben Moment sicher, dass es genau die falsche Antwort gewesen war. Es hatte mich immer schon nervös gemacht, jemandem an einem Tisch gegenüberzusitzen, wie groß die Nähe zwischen uns auch sein mochte. Aber diesmal war es anders. Meine Nerven waren zwar wie üblich gespannt, doch tief im Inneren spürte ich eine ungewohnte Leichtigkeit. Er schien nichts von mir zu wollen.

»Du kannst mich alles fragen«, sagte er, nachdem wir uns eine Weile wortlos gegenübergesessen hatten. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ich war davon ausgegangen, dass er mir etwas mitteilen wollte.

»Du hast meinen Weg gekreuzt, und es ist meine Pflicht, jede deiner Fragen zu beantworten.«

Mein Verstand setzte kurz aus. Mir fiel rein gar nichts ein. Ich bedauerte sehr, dass ich mir seit unserer ersten Begegnung nicht einmal flüchtig seine Bücher angeschaut hatte.

»Es ist lange her, dass ich deine Bücher gelesen habe. Ich kann mich nur vage erinnern.«

»Vergiss die Bücher«, sagte er ruhig. »Sie spielen keine Rolle.«

Er sprach die Worte sehr präzise aus, was seinen Akzent noch verstärkte. Er klang nicht wie die Latinos, die ich mein ganzes Leben lang in Los Angeles gehört hatte. Sein Akzent war unbestimmter, eine Mischung verschiedener spanischer Einflüsse.

»Damals war früher, heute ist jetzt«, fügte er hinzu.

»Stimmt«, sagte ich.

»Was möchtest du wissen?«

Die Art, wie er »was« sagte, schüchterte mich ein. Ich würde ihm nichts vormachen können. Seinem Blick entging nichts.

»Ich weiß nicht.«

»Was weißt du nicht?«

»Ich weiß nicht, was ich dich fragen soll.«

»Doch, das weißt du«, sagte er.

Fast hätte ich noch einmal »Ich weiß nicht« gesagt, diesmal nachdrücklicher. Aber als er mir in die Augen schaute, schien etwas in mir plötzlich aufzureißen.

»Wie bist du auf das hängende Augenlid gekommen?«

Er sah mich fragend an.

»Du hast nach dem Kurs zu mir gesagt: ›Wenn das Lid hängt, sieh dich vor!‹«

Er lachte. Dann kam die Kellnerin an den Tisch. Sie erkundigte sich, ob etwas mit dem Essen nicht in Ordnung war, da keiner von uns den Teller auch nur angerührt hatte. Ihre Stimme schreckte mich auf, und ich stieß gegen die Gabel. Sie fiel zu Boden. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass das Essen serviert worden war. Als ich mich bückte, um die Gabel aufzuheben, sah ich, dass der Mentor sehr teure Pariser Schuhe trug, Mephistos, die gut für die Füße sein sollten.

Als ich mich wieder aufrichtete, schnitt er sein Steak an. Ich begann ebenfalls zu essen.

»Es war ein Omen«, sagte er, »dass der Agent und der Regisseur dich mit zum Kurs gebracht haben.«

Ich korrigierte ihn nicht. Ich hielt es für unangemessen, ihm zu sagen, dass es nur Josh gewesen war und ich mit dem Agenten nichts zu tun hatte. Stattdessen erzählte ich ihm von dem blauen Delphin und dem Bettler mit dem hängenden Augenlid, von denen ich nach der Lektüre von E. T.-Einmaleins geträumt hatte.

»Delphin und Bettler sind Traumboten. Hast du sie gebeten, dich mitzunehmen?«

»Nein, ich wollte weg. Der alte Mann hat verlangt, dass ich den Rest meines Lebens mit ihm im Garten meiner Großeltern verbringe.«

»Wenn das wieder passiert, sag laut: ›Nehmt mich mit.‹ Du wirst erstaunt sein.«

»Was meinst du mit ›Traumbote‹?«

»Einen Boten, der zwischen den Welten unterwegs ist. Wenn du ihm sagst: ›Nimm mich mit‹, kann er es dir nicht verweigern. Er ist dazu verpflichtet.«

»Und woher wusstest du von diesem Traum? Von dem hängenden Lid?«, fragte ich noch einmal. Ich wollte wissen, ob es sich hier tatsächlich um ein Zeichen handelte.

»Ich habe ein anderes Zeichen erhalten, preciosa, auch im Traum. Vor langer Zeit.«

Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Während er erzählte, musste ich den Mentor die ganze Zeit anschauen, und dieses eine Mal dachte ich in einem Restaurant nicht ausschließlich ans Essen. Mir kam es sogar so vor, als seien die Stühle und Tische und die lachenden Italiener verschwunden, wie unter der Linse eines Objektivs, die an den Rändern alles löscht, während sie nah heranzoomt.

Ich hörte ihm zu und sah die Wüste vor mir und in der Wüste ein kleines Auto, zwei junge Männer und eine junge Frau.

»Einer der Männer war Agent, der andere Regisseur«, sagte der Mentor. »Sie waren mit einer jungen Frau unterwegs, die eine Aktentasche bei sich hatte. Sie trampten durch die Wüste, wollten an die Grenze. Die Männer sagten, hinter der Grenze hätten sie eine Verabredung, die sie einhalten müssten. Mein Auto war nicht groß genug für alle drei, auf dem Rücksitz lagen lauter Sachen für meinen Wohltäter. Er hatte mir eingeschärft, sie ihm noch am selben Tag zu bringen, am darauffolgenden seien er und seine Kollegen nicht mehr da. Ich hatte also keine Zeit zu verlieren. Der Agent und der Regisseur erzählten, dass sie einen Film zusammen drehen wollten. Die junge Frau äußerte sich nur vage über ihre Pläne, bestand aber ebenfalls darauf, an die Grenze mitgenommen zu werden. Doch wie wir die Dinge im Auto auch packten und umpackten, es passten nur zwei hinein. Trotzdem wollten sie alle zusammen mitgenommen werden, niemand sollte allein in der Wüste zurückbleiben.

Als ich an diesem Abend ins Haus meines Wohltäters kam, wollte er wissen, ob ich unterwegs jemandem begegnet sei. Ich erzählte ihm von den beiden Männern und der Frau in der Wüste und dass ich sie hatte zurücklassen müssen. Ich glaubte, meine Zielstrebigkeit, ihm seine Sachen zu bringen und das auch noch so rechtzeitig, würde ihn freuen. Aber er wurde wütend. Er unterbrach mich und sagte, ich hätte einen schwerwiegenden Fehler begangen. Dann befahl er mir, auf der Stelle, und ohne das Auto auszupacken, zu gehen. Er sagte, die drei in der Wüste hätten zu mir gehört, sie seien Wesen, die in meinem Leben auf irgendeine Weise immer wiederkehren würden. Es sei meine Pflicht gewesen, sie zur Grenze zu bringen. Und dann sagte er: ›Sie hätten dich an unvorstellbare Orte geführt, baboso estúpido, du bist es, der die Verabredung verpasst hat!‹«

Der Mentor sprach perfekt Englisch, aber die Verwendung bestimmter Worte war mir fremd.

»Was meinst du damit?«, fragte ich.

»Du, Eduardo und der Agent, ihr seid die drei Wesen, und es ist meine Pflicht, euch zur Grenze zu bringen. Ob ihr sie überquert, ist eure Sache.«

Er hielt kurz inne und sagte dann: »Juego?«

Ich sah ihn ratlos an, und er sagte: »Wenn sich beim Roulette das Rad dreht, fragt der Croupier ›Juego?‹ Einsatz? Bist du im Spiel? Und du sagst: ›Juego, ich setze.‹ Hexer«, sagte er, »spielen wahrhaftig.«

Der Mentor signalisierte der Kellnerin, die Rechnung zu bringen, und nahm eine Kreditkarte aus dem Portemonnaie. Ich bestaunte den Namen darauf und fragte mich, was die Kellnerin wohl denken würde, wenn sie ihn sah. Ob sie wusste, wer er war. Und ich fragte mich, wie seine Unterschrift aussehen würde.

Bevor sie mit der Quittung zurückkehrte, sagte der Mentor: »Bestenfalls haben wir sieben Jahre, das muss reichen. Du bist schnell, wie Claudine. Bei Josh und dem Agenten bin ich mir nicht so sicher.«

Dann sagte er: »Claudine möchte dich treffen. Sie ist das reizende junge Mädchen, das im Kurs in der ersten Reihe steht. Vielleicht hast du sie schon gesehen.«

»O ja, hab ich. Beim letzten Mal. Sie ist bezaubernd.«

»So jung, nicht wahr, süßes, kleines Mädchen, nicht?«, sagte er.

»Ja, sie sieht zerbrechlich aus.«

»Sie ist ein Ungeheuer! Sie verschlingt dich bei lebendigem Leib. Sie ist mein Schützling, und ich unterstütze sie in allem, was sie tut, aber glaub mir, du willst ihr nicht im Dunkeln begegnen.«

Ich dachte, er meinte das ironisch.

»Jetzt will ich sie erst recht kennenlernen!«

»Nein, preciosa, das geht nicht. Es ist zu früh. Aber Claudines Mutter hast du schon kennengelernt, sie wird dir helfen.«

»Wer?« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die stämmige, krötenhafte Frau, die mich nach meiner Telefonnummer gefragt hatte, ein so ätherisch aussehendes Wesen zur Welt gebracht haben sollte.

»Sie kam nach dem Kurs zu dir. Große chola

»Die, die mich nach meiner Telefonnummer gefragt hat?«

»Nein, Una, die dich am ersten Abend mit Eduardo auf der Straße angesprochen hat.«

Ich sah die Frau mit den blitzenden Augen vor mir, und die Vorstellung, sie endlich wiederzusehen, machte mich glücklich.

»Sie ist so jung. Wie kann das sein?«

»Hexerei«, sagte er.

»Sie war nicht mehr im Kurs.«

»Nein, sie kommt nicht, nur sehr selten. Du wirst mit ihr sprechen, sie wird dir von Claudine erzählen.«

Als wir das Restaurant verließen, schien es, als kämen wir aus einer Nachmittagsvorstellung im Kino wieder ans Licht. Meine Augen mussten sich erst an die Helligkeit gewöhnen. An der Ecke stand ein Auto, das auf den Mentor wartete. Aber es war zu weit weg, als dass ich hätte sehen können, wer darin saß. Es verschwand mit ihm im Verkehr, und ich ging zu Fuß die Melrose Avenue entlang nach Hause. Ich hatte vorgehabt, noch in einem neuen Klamottenladen vorbeizuschauen. Stattdessen lief ich einfach weiter, und ehe ich es bemerkte, war ich eine halbe Meile zu weit gegangen.

Unendlich viele Fragen, die ich dem Mentor stellen wollte, gingen mir durch den Kopf. Jetzt war es zu spät.

Ich war froh, noch eine Weile allein sein zu können, ehe die Comedian nach Hause kam.