Blau

Obwohl Lola und ich Tag und Nacht ein Fenster in unseren Zimmern offenließen, kam Sophie seit neuestem lieber zu mir. Lola ließ sich nichts anmerken, aber der Gesinnungswandel brach ihr das Herz.

Sophie leistete mir Gesellschaft, während ich zu Hause an meiner Doktorarbeit schrieb und Lola in der Schule war. Wir passten aufeinander auf, hielten einander bei Laune, auf jeden Fall sorgte Sophie dafür, dass ich am Schreibtisch blieb. Innerhalb weniger Monate hatten wir uns in ein altes Ehepaar verwandelt.

Widerwillig fand sich meine Tochter mit der Situation ab. Letztendlich war es Sophies Entscheidung, wo sie sich aufhalten wollte. Aber wenn Lola von der Schule nach Hause kam, ging sie jetzt streng mit der Katze um, nicht aus Bosheit, sondern um ihrem Schützling klarzumachen, dass sie immer noch der Boss war. Manchmal, wenn Lola besonders schroff zu ihrer Katze war, versuchte ich, einzugreifen, aber sie unterbrach mich sofort: »Das geht nur Sophie und mich was an. Schließlich hab ich sie gerettet!«

Sophie war nicht dumm. Sie spielte ihre Rolle perfekt, gab sich züchtig, zeigte sich ehrerbietig. Doch bald wurde mir klar, dass sie nicht nur so tat, sondern wirklich dankbar war und treu zu ihrer Wohltäterin hielt. Unabhängig von ihrer Entscheidung, mit mir zu leben, würde sie immer meiner Tochter gehören.

Eines Abends sprach meine Tochter beim Essen ein sehr schwieriges Thema an. Sophie wurde langsam erwachsen, und bald würde es an der Zeit sein, sie zu sterilisieren. Das war mir auch schon in den Sinn gekommen. Allerdings konnte ich den Gedanken, dass unser Kätzchen unters Messer kam, nicht ertragen. Ich wollte nicht, dass an Sophie auch nur die kleinste Veränderung vorgenommen oder ihr ein Teil ihres wilden Temperaments geraubt wurde. Mittlerweile hatte ich mehr über Methoden zur natürlichen Empfängnisverhütung bei Katzen recherchiert als für meine Dissertation. Jede von ihnen war mit schrecklichen Nebenwirkungen verbunden. An der Sterilisation schien kein Weg vorbeizuführen. Schließlich fiel mir eine letzte Methode ein, die aber alles andere als idiotensicher war: Sophie musste uns versprechen, keinen Sex zu haben und nicht schwanger zu werden. Ich sagte meiner Tochter, es sei ihre Aufgabe, das ihrem Schützling zu vermitteln, schließlich sei Lola die erste große Liebe unseres Kätzchens gewesen.

Einige Tage später war Sophie nicht da, als ich erwachte. Über den Baumwipfeln ging eine dunstige Sonne auf. Im Frühlingsmorgen steckte noch ein Rest winterlicher Kälte, der die Luft prickeln ließ wie Pfefferminz.

Verschlafen schaute ich zum Fenster hinaus in den Garten. Sophie war nirgendwo zu sehen. Sie schlich weder unter dem Loquatbaum noch unter dem Kumquatbaum oder den Zitronenbäumen herum. Sie lag auch nicht beim Kaktus oder unter den Rosmarin- und Lavendelbüschen. Aber nach einer Weile waren der vertraute Klang ihrer Pfoten und das Klackern der Tischbeine auf dem unebenen Terrakottaboden zu hören. Kurz darauf spähte ihr wunderbar runder Kopf in mein Zimmer. Als sie auf mein Bett zustolzierte, schimmerte ihr graues Fell, und ich wusste sofort Bescheid. Sophie hatte ihr Versprechen gebrochen.

Diese Ahnung schien noch halb aus dem morgendlichen Traum zu stammen: Sophie und ich waren außerhalb der hohen Mauer umhergestreunt, die den inneren Garten umschloss. Wir waren über grünes Moos, herabgefallene Äpfel, Kienäpfel und durch leuchtende Farne gestrichen, was ich erst mit ihren Augen, dann mit meinen eigenen gesehen hatte. Schließlich veränderte sich unmerklich die Perspektive, und ich konnte mich und Sophie durch ein drittes Augenpaar sehen, das einem Kater gehörte, der unbeobachtet hereingeschlüpft war. Daraufhin verschmolzen unser aller Augen, die Grenzen lösten sich auf, und wir wurden eins, ich ein Teil der sich paarenden Katzen.

Jetzt war es fast neun Uhr morgens, und ich würde zu spät zum Seminar kommen. Sophie lag träge auf meinem Bett und putzte sich, während ich mich in aller Eile anzog, ihr Futter vorbereitete und meine Bücher und Vorlesungsmitschriften einsteckte. Sie hätte sich nicht weniger für den ganzen Aufruhr um sie herum interessieren können. Als ich das Fenster schloss und sagte: »Du hast Hausarrest, Sophia«, hob sie nicht einmal den Kopf von ihrem Bad.

Auf dem Weg zum Auto bemerkte ich neben der geschlossenen Tür der Gartenmauer einen gleichmütigen alten, untersetzten Kater mit grauen Streifen. Er sah aus, als hätte er auf mich gewartet. Vor einigen Tagen hatte ich ihn unter der Blautanne im äußeren Garten schon einmal gesehen, mir aber nichts dabei gedacht. Jetzt erkannte ich ihn deutlich wieder. Es handelte sich um die dritte Katze aus meinem Traum. Wir schauten uns einen Moment lang an. Er schien mich ebenfalls zu erkennen und warf mir einen Blick zu, als wollte er sagen: »Ich habe meinen Beitrag geleistet, der Rest liegt bei dir.«

Daraufhin drehte sich der Kater um und verschwand aus dem Garten. Ich sah ihn nie wieder.

»Erinnerst du dich an unsere Abmachung mit Sophie?«, fragte ich meine Tochter beiläufig, als sie am Nachmittag aus der Schule kam.

»Welche Abmachung?«

»Sie hat uns versprochen, nicht schwanger zu werden.« Ich sagte bewusst »uns«, in diese Sache wollte ich nicht allein verwickelt sein.

»Katzen geben keine Versprechen, Mom.« Meine Tochter war nicht gerade milde gestimmt. »Das habe ich dir schon hundertmal gesagt. Sophie ist eine wilde Katze. Und das wird sie immer sein, egal, ob du denkst, ihr hättet irgendwas abgemacht.«

Lola konnte auf einschüchternde Weise eine ihrer bemerkenswerten Augenbrauen hochziehen, was in diesem Fall bedeuten sollte, dass sie von vornherein an dieser Abmachung gezweifelt, es aber unkommentiert gelassen hatte. Jetzt schaute sie mich argwöhnisch an.

»Also?«, sagte sie in autoritärem Ton.

»Sophie ist schwanger.«

Meine Tochter warf Sophie einen bösen Blick zu. Ich griff schnell ein: »Ich habe ihren Verehrer am Gartentor gesehen, genau dort, wo du Sophie gefunden hast!« Dieses Detail war von Bedeutung, das schien auch meiner Tochter nicht zu entgehen. Damit war sie ebenfalls Teil der Schöpfungsgeschichte.

»Er sah aus wie Prinz Rainier«, fügte ich hinzu.

Meine Tochter fragte mich nicht, woher ich überhaupt wusste, dass er der Verehrer war, oder wie ich von Sophies Schwangerschaft erfahren hatte.

»Ja«, sagte sie stattdessen, »ich habe ihn auch gesehen! Er stand heute Morgen vor unserer Tür. Ein großer, fetter, alter Kater. Aber süß. Er sieht aus, als würde er Ärmelschoner aus Leder an seiner Jacke tragen und Pfeife rauchen.« Sie klatschte in die Hände und sagte: »Sophie ist wirklich Grace Kelly. Und ich werde Großmama!«

»Und ich Urgroßmutter!«, sagte ich, ohne zu erwähnen, dass ich auch der Vater war, vertretungshalber.