»Du liebst Sophie mehr als mich«, sagte meine Tochter eines Tages nach der Schule.
»Wie kannst du so was Albernes sagen?« Ich war ernsthaft überrascht.
»Du kümmerst dich nur um Sophie.« Lola zog einen Flunsch, was nicht unbedingt dem Verhalten eines vierundachtzigjährigen Chinesen entsprach. »Du verwöhnst sie und behandelst sie wie ein kleines Kind, Mom. Du bist genau wie die alte Dame in diesem Zeichentrickfilm, immer heißt es: Sophie hier, Sophie da! Selbst wenn ich verhungern würde; dich interessiert nur, ob Sophie ihr Bio-Spezialfutter aus rohem Fleisch mag oder nicht und ob ihre Wohnung groß genug ist.«
Damit meinte meine Tochter das labyrinthische Anwesen, das ich für Sophie gebaut hatte. Mir war zu Ohren gekommen, dass streunende Katzen davonliefen und sich versteckten, wenn sie Junge zur Welt brachten, und ich machte mir Sorgen, dass ich sie verlieren könnte oder dass ihre Jungen in Gefahr geraten könnten. Ich hoffte, dieser Lösungsvorschlag würde wirksamer sein als die nutzlose Methode zur Empfängnisverhütung, die ich zuvor ersonnen hatte. Sophies Wohnung bestand aus zehn großen, miteinander verbundenen Pappkartons, die ich in der Garage unter unserem Haus aufgebaut hatte. Das Arrangement ähnelte ein wenig den Bungalow-Komplexen aus den dreißiger Jahren, die es noch vereinzelt in Los Angeles gab. Der umgedrehte Kartonboden diente als Dach, und der Zementboden war mit Handtüchern und Kissen ausgelegt, damit Sophie ungestört und in Sicherheit ihre Jungen zur Welt bringen konnte.
Die Idee war mir gekommen, als ich Sophie auf den ausrangierten Möbelstücken in der Garage hatte sitzen sehen. Wenn es so weit war, hoffte ich, würde sie sich in diese versteckte Zuflucht zurückziehen.
»Du hast uns doch davor gewarnt, dass wir sie verlieren könnten, wenn sie Junge bekommt«, sagte ich.
»Das ist was anderes, Mom. Und es heißt nicht automatisch, dass nichts anderes auf der Welt mehr eine Rolle spielt!«
Es ließ sich nicht leugnen, dass Sophie und ich uns nach unserer Vereinigung mit dem alten Kater noch näher gekommen waren. Aber unsere Beziehung ließ sich überhaupt nicht vergleichen mit der Verbindung, die Sophie zu meiner Tochter hatte.
»Du und Sophie, ihr kennt euch seit Ewigkeiten. Das Schicksal hat euch wieder zusammengeführt«, sagte ich zu Lola.
Meine Tochter sah mich mit stechendem Blick an. Ich versuchte es etwas gemäßigter. »Überleg mal«, sagte ich. »Zwischen dir und Sophie kann es gar keinen Geschwisterneid geben, weil du ihre Mommy bist, nicht wahr? Du bist nicht ihre Schwester. Und ich bin deine Mutter. Also. Und selbst wenn ihr beide, du und Sophie, meine Töchter wärt, wärt ihr mir beide gleich wichtig, obwohl du natürlich die ältere Schwester wärst. Allerdings hättest du dann nicht die absolute Macht über Sophies Leben, so wie jetzt. Verstehst du, was ich meine?«
»Sophies Wohnung ist größer als mein ganzes Zimmer!« Meine Tochter war nicht so leicht zu besänftigen.
»Jetzt übertreib mal nicht, Lola. Außerdem hast du mich in die ganze Sache reingezogen.«
»Sophie ist ein wildes Kätzchen. Sie macht, was sie machen muss. Wenn du sie weiter so verwöhnst, verweichlicht sie und ist leichte Beute. Dann gerät sie wirklich in Schwierigkeiten. Das ist nämlich richtig gefährlich!«
»Ach, mein kleines Gätzchen«, sagte ich zu meiner Tochter. »Sophie kann gut auf sich allein aufpassen, sie ist genauso stark und wild wie immer. Oder, Sophie?«
Sophie saß vollkommen teilnahmslos auf ihrem Platz.
»Sie ist eine Göre! Das ist der Unterschied!« Meine Tochter stürmte aus dem Zimmer.
Ich wünschte, Sophie und ich hätten einander daraufhin bestürzt angesehen, aber sie sprang aus dem Fenster und rannte Lola hinterher.