Zuhause

Der Mentor und Claudine halfen mir beim Auszug aus dem Haus in Hancock Park. Es musste schnell gehen. Alles von Bedeutung musste schnell gehen. Dazu gehörte auch die Fähigkeit, die eigene Vergangenheit in zehn Minuten zusammenfassen und das gesamte Leben in einer Stunde einpacken zu können. Andernfalls würde man eine Verabredung verpassen. Mir war nicht klar, dass ich eine Verabredung hatte, aber etwas sagte mir, dass ich sie nicht verpassen wollte.

Ich sollte nur die wichtigsten Dinge mitnehmen und alles andere zurücklassen. Erst vor kurzem hatte ich ein Bett für das Gästezimmer gekauft, das ich provisorisch zu meinem Schlafzimmer umfunktioniert hatte, und sah keinen Grund, es zurückzulassen.

»Lass es hier. Wir kaufen später alles, was du brauchst«, sagte Claudine.

»Die Matratze ist aus hundert Prozent Baumwolle, es wäre Verschwendung, sie nicht mitzunehmen.«

Claudines Gesicht verschloss sich, aber der Mentor sagte: »Ja, ja, natürlich, du hast recht, wir müssen sie mitnehmen, coji, coji!«

Der Kompromiss beruhte auf Berechnung. Das Bett aufzuladen, nahm weniger Zeit in Anspruch, als mir zu erklären, warum ich es im Haus der Comedian lassen sollte.

Zu dritt wuchteten wir das schwere Gestell auf den alten weißen Pick-up des Mentors, der genauso aussah wie die Pick-ups, mit denen die mexikanischen Gärtner durch die Stadt fuhren. Er bat Claudine, ein paar Seile vom Rücksitz zu holen. Sie waren ganz bei der Sache, und während der gesamten Aktion wurde wenig gesprochen, bis der Mentor Claudine eine Reihe schneller Befehle erteilte. Sie sprachen leise, meistens auf Spanisch, so dass ich nicht verstehen konnte, was sie sagten. Aber ich bemerkte seine Ungeduld. Claudine arbeitete zügig, trotzdem nahm er ihr das Seil aus der Hand und zurrte es in einem Seemannsknoten fest. Er bedeutete ihr, das Gleiche auf der anderen Seite des Pick-ups zu tun. Sobald sie fertig waren, forderte er uns auf, einzusteigen. Wir verließen die Einfahrt. Wir sprachen kein Wort.

Einige Querstraßen weiter verlangsamte er das Tempo und sagte: »Wir sind ihn losgeworden.«

»Wen?«, fragte ich.

»Den alten Mann. Er war voller Zorn«, sagte der Mentor. »Er verachtet dich.«

»Wir waren gerade noch rechtzeitig«, sagte Claudine. »Er hat dich angebrüllt, als du deine Sachen gepackt hast, in der Einfahrt ist er hinter uns hergerannt und hat versucht, uns zu folgen. Er hätte dich getötet.«

Ich drehte mich um und schaute durch das Rückfenster. Niemand war zu sehen.

Von nun an wohnte ich Claudine direkt gegenüber, auf der anderen Seite des grasbewachsenen Gartens. Unsere Bungalows glichen sich beinahe aufs Haar: ein mittelgroßes Zimmer mit Dielenboden, nur dass meines einen Kamin besaß, den ich aber, wie man mir geraten hatte, nicht benutzte. Mein altes Bett stand gegenüber vom Kamin, links davon ein Holzschreibtisch. Dahinter befand sich eine Nische mit einer Flügeltür, die für ein verstecktes Bücherregal verwendet werden konnte. Rechts vom Bett zeigten zwei große Fenster auf den Hauptgarten und Claudines Bungalow hinaus. Wie zwillingshafte Posten wachten wir über den Eingang des Wohnkomplexes, der sich durch die umliegenden neuen großen Gebäude den Blicken von außen entzog. Jeder unserer Bungalows hatte eine separate Küche mit weiß verputzten Wänden. Von der Küche führte eine Tür über ein paar Stufen auf einen winzigen Hof, der von einem hohen weißen Zaun umgeben war und Platz für einen kleinen Holztisch und einen Stuhl bot. Ich saß meistens auf den Stufen.

Direkt hinter dem Kamin befand sich eine Ankleidekammer mit eingebauten Schubladen, einem kleinen Fenster und einem begehbaren Kleiderschrank. Die Apartments waren nach funktionalen Gesichtspunkten entworfen worden, mit dem Ziel, aus dem wenigen Platz so viel wie möglich herauszuholen. Die spanischen Kacheln im Bad ähnelten denen im Haus meiner Großeltern.

Sobald ich in meinem neuen Zuhause mit Claudine allein war, gab sie mir einen Briefumschlag. Im Umschlag steckten zwei Postkarten. Auf jede war kunstvoll ein Buchstabe gezeichnet, der dem Alphabet eines mittelalterlichen Manuskripts nachempfunden war: L und A.

»Wow«, sagte ich. »Das ist wunderschön.«

»Dreh sie um«, sagte Claudine, »da steht eine Nachricht.«

Ich drehte die erste Postkarte um und las:

»L steht für Lupus, Lux, Luxus, Luna, Luce, luzide. L ist für Lou.«

Claudine lachte, offenbar machte ich einen verwirrten Eindruck.

»Lou bist du«, sagte sie.

Sie nahm die zweite Postkarte und drehte sie um.

»A steht für Arasz, Lou gehört zur Linie der Arasz«, las ich.

»Du bist Lou Arasz«, sagte Claudine. »Gefällt es dir?«

Bevor Claudine in ihren Bungalow hinüberging, hängte sie Stoffbahnen aus goldgelber Baumwolle, die sie für mich genäht hatte, an die Fenster, und als ich am nächsten Morgen als Lou Arasz erwachte, war mein Zimmer in goldenes Licht getaucht. Überall lagen Geschenke, Papier, Bänder. Ich hatte die Geschenke zum Einzug erhalten und sie nach dem Auspacken auf den Kaminsims gestellt. Das exklusive Einwickelpapier und die leuchtenden Satinbänder lagen daneben. Wie glitzerndes Seidenkonfetti hingen die Bänder vom Sims.

Die elegante kleine Tischuhr aus königsblauem Baccarat-Kristall leuchtete vom Schreibtisch herüber. Der Lichteinfall ließ die Art-Nouveau-Verzierung auf der Rückseite untergründig im Kristall aufscheinen. Die Uhr war ein Geschenk von Josh. Daneben lag eine Karte. Sie zeigte einen taff aussehenden Typen in einem zerknitterten Trenchcoat. Darunter stand in Druckschrift: Ich kapier’s nicht, Sister …

Das ging mir genauso.

Innerhalb weniger Tage nach dem Auszug aus dem Haus der Comedian war von meiner Vergangenheit nichts mehr übrig.

Mir wurde gesagt, dass ich niemandem die neue Adresse im Rochester-Komplex mitteilen sollte. Auch den Namen des Mentors sollte ich niemandem gegenüber erwähnen. Meine Aufgabe bestand darin, einfach am helllichten Tage vor aller Augen zu verschwinden, so, wie es auch der Mentor vor Jahrzehnten auf dem Gipfel seines Ruhms getan hatte.

Ironischerweise befand sich meine Zuflucht in Westwood Village und somit weniger als eine Meile von dem Ort entfernt, an dem ich aufgewachsen war, in fußläufiger Entfernung zur alten Umgebung, den alten Wunden.

Die Ozeane und Kontinente, die ich im Laufe meines Lebens überquert hatte, hatten mich nicht so perfekt verborgen wie dieses in nächster Nähe gelegene Versteck. Meine Mutter mochte mich auf die wirkliche Welt schlecht vorbereitet haben; für diese Welt, die sich mir mit meinem Umzug in die Rochester Bungalows eröffnete, hätte ich nicht besser vorbereitet sein können.