Ich war gerade dabei, mir die Schilderung meiner Sabotage von Sophies Erziehungsversuchen noch einmal durchzulesen, als ich nebenan eine Tür zuschlagen und dann Lolas Schritte auf der Treppe hörte.
»Ma, mach auf!«
Unsere gewohnte Lesung aus dem Französischen Katzenjournal sollte erst in einer Stunde beginnen.
»Ist offen.«
»Ich hab die Hände voll!«
Als ich mich umdrehte, stand Lola mit Sophie im Arm in der Tür.
»Der kleine Dickwanst hat schon wieder die alten Essensreste der Päpstin geschlemmt«, sagte sie, als sie ihren Schützling auf den Boden setzte. »Du hast jetzt Stubenarrest, du Pupser!«, sagte sie und wackelte mit ihrem Zeigefinger vor Sophies Gesicht herum, als wäre sie die Mutter Oberin eines englischen Kleinstadtkonvents. Ich war froh, dass ihre Jungen nicht da waren. Das wäre bereits das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit gewesen, dass Sophie vor ihren Augen gedemütigt worden wäre, und ich kämpfte immer noch mit meiner Schuld am ersten Mal.
»Mensch, Lola, du griesgrämiger Besen, was ist los mit dir?«
»Ich bin kein griesgrämiger Besen!«, sagte sie, als wäre das die schlimmste Beleidigung, die sie jemals gehört hatte. Ihre deutsche Aussprache war nicht schlecht, abgesehen von dem Hauch Spanisch, der nie zu überhören war.
»Du weißt gar nicht, was das bedeutet.«
»Doch, weiß ich.«
»Und was bedeutet es?«
»Es bedeutet, dass ich die Päpstin voll hasse!«
Lola hatte allen auf dem Grundstück neue, absurde Namen gegeben, die so perfekt passten, dass man sich nur schwer vorstellen konnte, sie hätten jemals andere Namen gehabt. Die Päpstin beispielsweise, die zuvor eine der beiden Schwestern Maria gewesen war, wie der Mentor sie genannt hatte, war von Lola umgetauft worden, weil sie die Angewohnheit hatte, Dinge so absolutistisch zu verkünden, als wären sie in Stein gemeißelt.
»Das ist eine etwas untreue Übersetzung von ›griesgrämig‹«, sagte ich in der Hoffnung, sie von ihrem Missmut abzulenken.
»Sie kommt in die Scheißküche und brüllt mich voll an, als ich Sophie von dem Scheißherd runterholen will, weil die Göre die fettigen Pfannen ausgeschleckt hat. Und dann hat die Scheißpäpstin die Scheißfrechheit, mir zu sagen, dass es unsere Scheißschuld ist, wenn die Kätzchen in ihrem beschissenen Haus ›wildern‹ gehen. Sie hat echt dieses Wort benutzt.«
»Scheiße?«
»Wildern! Wer, bitte, sagt denn so was? Und dann hat sie Sophie ›animalisch‹ genannt. Animalisch? Sophie hat mehr Stil als alle diese Leutchen zusammen.« So bezeichnete Lola die anderen Hausbewohner.
»Ich meine, sie hat nicht den leisesten Schimmer und verlangt von uns, dass wir Sophie in Zukunft von ihrem Haus fernhalten. ›Und wie sollen wir das bitte schön machen‹, habe ich zu ihr gesagt, ›wenn ihr eure Fenster den ganzen Tag offen lasst?‹«
Lola hatte recht. Sophie aus den Wohnungen der anderen fernzuhalten, war ebenso unmöglich, wie sie vom Grundstück des Mannes mit den Socken an den Händen fernzuhalten. Nichts und niemand hätte unsere wilde Katze aufhalten können.
»Und ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil das Scheißwattebällchen zum dreitausendsten Mal, seit wir eingezogen sind, seine Möbel umgeräumt hat. Sie macht es jede Nacht. Wie bekloppt ist das denn?«
Lola wohnte mit dem Wattebällchen und dem Gespenst, wie sie ihre zweite Mitbewohnerin getauft hatte, in den ehemaligen Wohnräumen des Mentors. Wie das Wattebällchen zu seinem Namen gekommen war, hatte ich vergessen, aber beim Gespenst erinnerte ich mich. Das Gespenst hatte eine Vorliebe für traurige Pflanzen. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die ausrangierten und verwaisten Pflanzen der Baumschule des Instituts für Pflanzenkunde an der UCLA zu retten. Oft waren die Pflanzen von den verschiedenen studentischen Experimenten seltsam entstellt, und über Nacht tauchten die unterschiedlichsten, irre aussehenden Kakteengewächse an völlig unangemessenen Standorten auf, häufig neben wasserbedürftigen Bäumen, was einen unnötigen Kampf ums Überleben auslöste. Niemand hatte je gesehen, wie sie diese Pflanzen in die Erde brachte. So war sie das Gespenst geworden.
»Ich hatte echt keine Lust auf die Päpstin und ihren Schwachsinn und hab ihr gesagt, sie soll mal ihre Töpfe und Pfannen und das ganze Zeug abwaschen, dann muss sie sich keine Sorgen machen, dass unser Kätzchen reinkommt und ihre fettigen Reste frisst. Und wir holen uns nicht die Pest.«
»Hört, hört.«
»Und dann hatte sie die Frechheit, mich und Sophie aus ihrer Scheißküche zu werfen. Carajo! Dieser Ort gehört uns nicht, keinem von uns. Und wenn Claudie diese Schweinerei sehen könnte, würde sie den dicken Arsch der Päpstin so schnell hier rauskicken, dass die gar nicht wüsste, wie ihr geschieht, bevor sie in Culver City landet.«
»Die Leutchen«, über die Lola sich beschwerte, hatten mit dem Mentor ebenso viel Zeit verbracht wie wir, aber weder Claudine noch Lola oder ich hatten viel mit ihnen zu tun gehabt. Jetzt lebten wir alle am selben Ort.
»Wieso können wir nicht einfach abhauen? Warum sind wir überhaupt mit denen zusammengezogen?«
Lola drehte sich um und starrte aus dem Fenster. Wir hatten das alles schon durch. Aber wie müde Schauspielerinnen ohne Begabung zur Improvisation sagten wir denselben Text wieder und wieder auf.
»Weil es Versprechen gibt, die wir halten müssen«, sagte ich. »Und weil das hier der beste Ort dafür ist. Und weil du mir den anderen Grund sowieso nicht abnimmst. Also mache ich mir auch nicht die Mühe, ihn zu wiederholen.«
»Mom, niemand ist mehr da. Und ganz egal, wie oft du noch sagst, dass du sie hier spürst, und egal, wie sehr diese Leutchen so tun, als wären sie mit ihnen in Kontakt, das bringt keinen von ihnen zurück. Sie sind weg.«
Auch da hatte sie recht. Und natürlich kannte sie den Unterschied zwischen einer Vorstellung und einer Vortäuschung. Aber sie verkannte die tiefere Wahrheit: Keinem von uns ging es ohne die Menschen, die vorher in diesen Häusern gelebt hatten, besonders gut, und jeder versuchte, damit auf seine Weise klarzukommen.