Zwei Tage waren seit diesem schrecklichen Morgen vergangen, den Großmeister van Hoogstraaten am liebsten aus seinem Gedächtnis gelöscht hätte. Doch es ging nicht, er musste ständig daran denken. Sein Eintreffen bei Kardinal Balistreri, die Überraschung in dessen Augen, später dann Misstrauen und schließlich – Angst. Es hatte van Hoogstraaten wehgetan, das sehen zu müssen. Er war nicht gekommen, um Böses zu tun. Er wollte nur das Gute. Und verhindern, dass dieses Gute bereits im Keim erstickt wurde, indem Balistreri alles dem Heiligen Vater oder einem seiner Vertrauten erzählen würde. Konnte der Kardinal das denn nicht verstehen? Van Hoogstraaten hatte mit Engelszungen auf ihn eingeredet, doch je länger er redete, desto mehr hatte sich Balistreri abgekapselt. Schließlich war der Moment gekommen gewesen, an dem van Hoogstraaten gewusst hatte, dass mit Reden nichts mehr zu retten war. Wenn er ehrlich zu sich war, hatte er es von Anfang an gewusst und ein Teil von ihm hatte schon die ganze Zeit überlegt, wie er es tun würde. Dann war alles sehr schnell gegangen. Er hatte das schwere Kruzifix vom Schreibtisch des Kardinals ergriffen und ausgeholt. Der Kardinal hatte sofort verstanden, was nun geschehen würde. In Panik hatte er sich umgedreht und noch einen Versuch unternommen, wegzulaufen, aber da war das massive Metallstück schon auf seinen Schädel niedergegangen. Er war bereits tot gewesen, als er auf den Boden aufschlug. Van Hoogstraaten hatte die Leiche betrachtet und gewartet. Worauf, wusste er selber nicht so recht. Auf eine Strafe von Gott? Natürlich nicht. Auf ein Gefühl von Reue? Schon möglich. Auf ein Gefühl des Entsetzens über seine Tat – die schlimmste Tat, die es überhaupt gab? Wahrscheinlich. Aber es war nichts passiert. Das erschreckte ihn. Sicher, er hatte auch schon als Soldat getötet. Aber das war etwas anderes gewesen. Diese Männer hatte er nicht persönlich gekannt. Und sie hätten im umgekehrten Fall auch ihn getötet, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätten. Doch nichts davon traf auf Kardinal Balistreri zu, der nun tot zu seinen Füßen lag. Van Hoogstraaten hatte noch ein Gebet für den Verstorbenen gesprochen und dann die Wohnung in dem Bewusstsein verlassen, in letzter Sekunde eine Katastrophe von historischem Ausmaß verhindert zu haben.
Er war zurück in die Via dei Condotti gefahren, hatte den Lieferwagen an seinem Platz abgestellt und sich in seine Gemächer begeben. Erleichtert stellte er fest, dass niemand von seiner Abwesenheit Notiz genommen zu haben schien. Es war vorbei. Er war erschöpft zu Bett gegangen und in einen zweistündigen Tiefschlaf gefallen.
Das Gewissen meldete sich mit dem neuen Tag. Eine Weile schaffte er es, den ungebetenen Quälgeist zu verdrängen. Dann ging es nicht mehr. Was hatte er nur getan? Der kalte Schweiß brach ihm am ganzen Körper aus, wenn er daran dachte. Schließlich ertrug er es nicht mehr. Er ließ alle Termine absagen und zog sich in seine Privatkapelle zurück. Es dauerte zwei Tage, bis er das Problem vollständig durchbetet hatte. Es war ein zähes Ringen gewesen, aber schließlich war er mit Gott ins Reine gekommen und er hatte verstanden:
GOTT WILL ES!
Endlich hatte seine gepeinigte Seele Erleichterung empfunden. Nicht mehr nur über die wiederhergestellte Reinheit seines Gewissens oder die Eliminierung eines großen Problems, sondern mehr und mehr darüber, dass er mit dieser Tat nun endgültig den Rubikon überschritten hatte. Die Würfel waren gefallen. Selbst wenn er es gewollt hätte, nun gab es kein Zurück mehr. Auf eine paradoxe Weise sah er sich dazu nun gegenüber Balistreri verpflichtet. Der Tod dieses Kardinals durfte nicht umsonst gewesen sein. Nein, er ließ sich nur rechtfertigen, wenn man ihn gegen das große Ziel aufwog. Dann allerdings – jedoch nur dann – war er ein geradezu geringer Preis dafür.