KAPITEL 10

DIE FÄHIGKEIT ZU LÜGEN

Vignette

Nathaniel

Solaris empfing sie genauso, wie sie es verlassen hatten. So viel war seit ihrem Weggang passiert, doch die Neuigkeiten waren noch nicht bis zur Hauptstadt vorgedrungen. Keiner wusste, was auf Sohalia geschehen war. Niemand hier ahnte, in welcher Gefahr sie sich befanden.

Nate hatte ein Gespräch mit angehört, in dem Sadik Ayla bestätigt hatte, dass die Reiter der königlichen Armee, die die Geschehnisse von der Insel in der Hauptstadt verkünden sollten, von ihnen gefasst und getötet worden waren.

Du weißt, was du zu tun hast. Mach ja keine Fehler, hatte Ayla ihm kurz zuvor ins Ohr geflüstert. Nun geisterten

ihre Worte ihm im Kopf herum, als die Wagen vor dem Palast hielten. Sadik war mit einigen Atheos bereits vor den Toren der Stadt ausgestiegen. Sein Gesicht war zu bekannt, um ihn ungesehen in den Palast zu bringen. Er hatte einige der Ordensanhänger mit sich genommen. Nate ahnte, dass sie es am schlechtesten getroffen haben würden, sollte Aylas Plan nicht aufgehen.

Als Ayla Nate befohlen hatte sich zum Kutscher zu setzen und den Wachen an den Toren sein Gesicht zu zeigen, hatten sie ihn anstandslos passieren lassen. Nate war nervös. Am liebsten würde er laut hinausschreien, dass es sich um einen Hinterhalt handelte. Aber das durfte er nicht.

Am Ende der Treppe sah Nate die Minister stehen, die sich leise unterhielten. Skepsis und Verwirrung standen ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben, so wie auch jedem Wachposten, an dem sie vorbeigekommen waren. Er dürfte gar nicht hier sein. Die Zeit auf Sohalia war noch nicht vorüber. Er müsste in diesem Moment mit den Priesterinnen auf der Insel weilen, bevor er nach Solaris zurückkehrte, um seine Braut zu erwählen.

Nate stieg aus. Ayla und Selena säumten sofort jeweils eine seiner Seiten. Bestimmt sah es von Weitem sehr vertraut aus.

»Mein König«, erklang da die Stimme von Lord Edwin, dem Finanzminister. Er war Miros ältester Freund gewesen. Dem Lord war sein Alter inzwischen anzusehen. Tiefe Falten durchzogen sein Gesicht und das Haar war in den letzten Wochen grau geworden.

»Lord Edwin, schön, Euch wohlauf zu sehen.« Nate schenkte dem Mann ein Lächeln. Der Tod seines Freundes hatte ihn sehr mitgenommen, Edwin hatte tagelang seine Kammer nicht verlassen.

»Majestät, erlaubt die Frage, aber was tut Ihr hier? Wir haben noch nicht mit Eurer Ankunft gerechnet«, unterbrach Lord Venn, Edwins Sohn und der Verteidigungsminister des Landes, die Begrüßung.

Nate holte tief Luft. Sein Blick wanderte kurz zu Ayla, die ihn erwartungsvoll, aber milde lächelnd ansah.

»Es ist etwas vorgefallen. Beruft bitte so schnell wie möglich eine Ratssitzung ein.« Sein Tonfall ließ keine Widerrede zu. Er musste Aylas Anweisungen folgen und wenn sie ihm noch so zuwider waren. Wenn Ayla schon nicht lang fackeln würde, hätte Sadik noch weniger Skrupel. Nate war sicher, dass er der Mörder von Miro war. Niemand anderem traute er eine solch grausame und folgenschwere Tat zu.

Obwohl seine Hände schwitzig waren und sein Herz viel zu schnell in seiner Brust schlug, versuchte Nate ruhig zu bleiben. Er durfte sich nicht verraten. Zu groß war die Angst, dass man den Geiseln wehtat, sie gar tötete.

Venn sah ihn verwirrt an, neigte aber den Kopf.

»Wie Ihr befiehlt, Majestät.«

Nate ging an ihm vorbei, Ayla und Selena folgten ihm.

Konnte Aylas Plan überhaupt funktionieren? Wie sollte er diesen erfahrenen Männern und Frauen bloß nachvollziehbar begreiflich machen, dass ausgerechnet die Priesterinnen sich gegen ihn verschworen hatten? Das war purer Wahnsinn. Und dabei war Nate ein Meister im Lügen. Ilias Gabe an ihn, die Lügen anderer aufzudecken, war Ironie des Schicksals. Doch es würde alles von Nate abverlangen, Aylas erfundene Geschichte glaubhaft zu erzählen.

Bittere Galle stieg in ihm hoch, als er sich dem Sitzungszimmer im Palast näherte, wo die Minister bereits auf ihn warteten. Auch Yakim, Septon von Solaris, war anwesend, der in Nates Abwesenheit die Regierungsgeschäfte führte.

»Majestät, es freut uns, Euch zu sehen. Und doch plagt jeden von uns leise Sorge, warum Ihr hier seid. Noch dazu ohne die Priesterinnen und das restliche Gefolge«, begann Yakim mit seiner Ansprache.

»Was ist auf Sohalia geschehen?«, verlangte dann Lord Pim, der Justizminister, ohne Umschweife zu wissen. Sein massiger Leib strotzte vor Kraft und seine Augen waren schmal. Als ahnte er bereits die Gefahr.

Nate wartete, bis die Minister sich gesetzt hatten.

Nate atmete ein letztes Mal tief durch. Der Drang, einfach die Wahrheit zu sagen, war stark. Aber er würde es nicht tun. Er wollte nicht unnötig Menschenleben in Gefahr bringen. Er würde einen Weg finden, um Sirion vor den Atheos zu beschützen. Nur nicht jetzt.

»Wir sind auf Sohalia in einen Hinterhalt geraten«, hörte Nates wie durch einen Schleier leise seine eigene Stimme, die sich in seinen eigenen Ohren merkwürdig fremd anhörte. Belegt und kratzig.

»Ein Hinterhalt?« Lord Venn wurde hellhörig und Nate sah auch in den Gesichtern der anderen Minister die wachsende Panik.

»Es ist viel geschehen auf Sohalia«, fuhr Nate nickend fort. Sein Blick lag auf der glatt polierten, hölzernen Tischplatte vor sich, er traute sich nicht, einem der Minister in die Augen zu sehen.

»Angefangen damit, dass ich meine Braut erwählt habe.« Sein Herz krampfte sich bei diesen Worten zusammen. Und paradoxerweise hätte er am liebsten gleichzeitig lauthals gelacht.

Hatte Selena ihm nicht noch vor einigen Wochen erzählt, dass sie davon geträumt hatte, Celeste würde ihn verraten? Das hatte sie vielleicht sogar getan, als sie Marco zur Flucht verholfen hatte. Aber das war nur zu seinem Besten gewesen. Er jedoch hinterging den Rotschopf tatsächlich, und zwar in diesem Moment. Und das auf eine Art, bei der Nate die größte Abscheu für sich selbst empfand.

»Aber wo ist Lady Celeste?«, fragte nun Lord Lamont angespannt. Als Wirtschaftsminister war er ein kalter, berechnender Mann und als Vater noch viel schlimmer. Doch selbst er hatte Nates Gefühle durchschaut.

Ein harter Zug legte sich um Nates Mund und er warf dem Lord nur einen kurzen Blick zu. Legte all seinen Hass auf Ayla in seine grünen Augen.

»Ich habe nicht Lady Celeste erwählt. Lady Selena wird meine Braut«, klärte er die Minister auf. Fast wäre er an seinen eigenen Worten erstickt. Es verlangte alles von ihm ab, weiterzusprechen.

»Celeste hat meine Entscheidung nicht gut aufgenommen und ein Komplott gegen mich geschmiedet.« Es stach heftig in seinem Herzen bei diesen Worten. Als wolle es ihn um jeden Preis daran erinnern, für wen es in Wahrheit schlug. Für eine feurige junge Frau, die meilenweit entfernt von ihm war und hoffentlich in Sicherheit. Und die ihm diese Lüge vermutlich niemals verzeihen würde.

Nates Blick lag wieder auf der Tischplatte, doch er hörte das ungläubige Gemurmel und die überraschten Laute der Minister. Keiner von ihnen hatte mit dieser Nachricht gerechnet.

»Celeste hat sich mit den Atheos verschworen. Und ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, aber sie hat auch die anderen Priesterinnen auf ihre Seite gezogen, meine eigenen Höflinge und meine Berater.« Es klang absurd und am liebsten würde Nate sich die Ohren zuhalten, um seinen eigenen Worten nicht zuhören zu müssen.

»Ich verstehe, dass Lady Celeste enttäuscht ist, aber sie ist eine regelkonforme und vor allem stolze Priesterin. Warum sollte sie die Entscheidung des Königs auf diese ungehörige Weise anzweifeln?«, fragte Pim. »Das sieht ihr so gar nicht ähnlich.« Er und Celeste verstanden und kannten sich gut und Nate sah die Verwirrung und Skepsis in den Augen des Justizministers.

»Sie ist fest davon überzeugt, dass Selena mich mit einem Zauber belegt hat. Ich habe sie nicht vom Gegenteil überzeugen können. Und sie hat es geschafft, dass meine Höflinge und sogar die königlichen Berater ihr Glauben schenken.«

Nate musste plötzlich hart schlucken, um sich nicht im Sitzungszimmer zu übergeben. Vor den Augen der Lords, die ihn alle voller Entsetzen ansahen.

»Ihr sagt also, dass Lady Celeste zu den Atheos übergelaufen sei, weil sie Eure Abweisung nicht ertragen habe?«, versuchte Yakim die Geschichte zusammenzufassen.

So schwer es ihm auch fiel, Nate nickte zögernd.

»Verzeiht, Majestät, aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Lady Celeste ist eine Priesterin dieses Landes, sie würde niemals gegen die Krone agieren«, verteidigte Lord Pim den Rotschopf. Und Nate war ihm dankbar dafür. Beinahe hätte er bei Pims Worten gelächelt, doch er riss sich zusammen.

»Vielleicht ist es genau umgekehrt«, begann Yakim und ein Schatten lag auf seinem Gesicht. Seine dunkle Haut wirkte plötzlich fahl.

Nate hob verwirrt eine Augenbraue. »Was meint Ihr?«

»Vielleicht ist es Lady Celeste, die von den Atheos verzaubert wurde. Wir kennen die alten Riten und Mächte der Rebellen nicht. Vielleicht ist es ihnen gelungen, Celeste zu manipulieren.«

Der König starrte den Septon an. Diese Erklärung klang viel einleuchtender als Aylas absurde Geschichte. Warum war sie nicht darauf gekommen?

»Das wäre möglich«, überlegte Venn laut. »Doch wie beweisen wir das?«

»Yakim«, wandte sich Lamont an den Septon. »Könnt Ihr Aufzeichnungen über mögliche Zauber der Atheos in den Archiven der großen Septe finden?«

Nate starrte Lamont an. Niemals hatte er erwartet, dass der Wirtschaftsminister Partei für Celeste ergreifen würde. War er der rothaarigen Priesterin vielleicht doch zugetan? Nate hatte immer geglaubt, dass Lamont niemanden leiden konnte. Nicht mal seine eigenen Kinder.

»Falls die Priesterin wirklich mit einem Zauber belegt wurde, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um es rückgängig zu machen«, erklang nun auch die Stimme von Lord Edwin. Als ältester und vermutlich auch weisester Mann im Raum hatte er sorgfältig zugehört.

»Wir können nicht riskieren, dass die Atheos Celeste weiterhin manipulieren. Vielleicht ist es ihnen sogar bereits gelungen, auch Lady Malia und Lady Linnéa auf ihre Seite zu ziehen.«

»Wir können aber auch nicht riskieren, dass die Priesterinnen versuchen, den König zu ermorden«, warf nun Lady Marin ein. Die Schwester der ehemaligen Königin Nanami warf Nate einen raschen Blick zu. Als wäre sie selbst von ihren Worten überrascht.

»Frauen tun ungewöhnliche Dinge, wenn ihr Herz gebrochen wird. Wir wissen nicht, ob Lady Celeste wirklich verzaubert wurde oder ob die Trauer aus ihr spricht. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Das Risiko ist zu groß.«

Nate biss die Zähne zusammen. Leider musste er zugestehen: Marin hatte recht. Zumindest, wenn man seiner Geschichte glaubte. Er hatte Celeste als rachsüchtige, abgewiesene Frau beschrieben und allein dafür wollte er sich selbst ohrfeigen. Das war mitnichten der Rotschopf, den er so gut kannte und liebte.

»Was ist noch auf Sohalia geschehen?«, fragte Yakim dann.

Nate schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter.

»Nachdem Celeste sich mit den Atheos verbündet hatte, griffen sie uns an. Dank Zahira und den Ordensanhängern der Insel konnten wir fliehen. Mara und Zahira wurden dabei jedoch verletzt«, beendete Nate seine Erzählung. Marin schnaubte. Nates Hände zitterten und er verspürte einen tiefen Hass gegen sich selbst. Alle Minister sahen Celeste nun mit anderen Augen. Manche als armes Opfer der Atheos, andere als verschmähte Verräterin. Beides war ihr gegenüber nicht fair und entsprach nicht den Tatsachen. Nate betete, dass Celeste ihm eines Tages verzeihen würde.

Es folgte eine aufbrausende Diskussion, wie man weiter agieren sollte. Pim und Venn planten, die Armee auszusenden, um nach den Atheos zu suchen. Nate hörte ihnen kaum zu. Er hatte seine Aufgabe erfüllt und spürte, wie seinen Körper die Kraft verließ. Er brauchte dringend Ruhe.

»Majestät?«

Nate hob langsam den Kopf und sah in die braunen Augen von Yakim. Er war als Einziger noch im Raum. Nate hatte nicht bemerkt, dass die übrigen Minister bereits gegangen waren.

»Danke, dass Ihr Euch um alles gekümmert habt, während ich weg war, Yakim«, sagte Nate leise. Er war zu müde für weitere Worte.

»Es ist meine Aufgabe. Und ich mache es gern.« Er legte Nate eine Hand auf die Schulter. »Es muss schwer für Euch gewesen sein, das alles durchzustehen. Doch ich habe Euch eine Möglichkeit gegeben, Lady Celeste nicht als Verräterin brandmarken zu müssen.«

Nate wollte sich gerade erneut bedanken, als ihm die Worte des Septons ganz ins Bewusstsein drangen.

»Was meint Ihr damit?« Die Augen des Königs wurden schmal.

»Ayla hat von Euch verlangt, dass ihr Celeste als Verräterin des Landes hinstellt. Dass man Jagd auf sie macht und verurteilt. Mir war von Anfang an bewusst, dass Euch das zu viel abverlangen würde. Die Geschichte war nicht stimmig, aber Ayla wollte nicht auf mich hören.«

Splitterndes Eis durchdrang Nates Adern. Die Müdigkeit verschwand augenblicklich aus seinem Körper und machte mit Wucht unbändiger Wut Platz. Er starrte den Septon an, der ihn abwartend musterte.

»Ihr seid auf ihrer Seite? Auf der Seite der Atheos?«

Yakim neigte den Kopf. Nicht als Zustimmung, sondern als müsse er über Nates Worte nachdenken.

»Nein, ich bin den Göttern dieses Landes verpflichtet. Ihnen gilt meine Treue und ich würde nichts tun, was nicht in ihrem Namen geschieht.«

Abrupt stand Nate auf, der Stuhl hinter ihm fiel krachend um.

»Ihr habt Euch mit den Atheos verschworen! Wie sonst solltet ihr von Aylas Plänen wissen? Wie geht das mit dem Willen der Götter einher?«, donnerte Nates Stimme durch den Sitzungsraum. Er sollte leiser sprechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ayla Atheos vor der Tür positioniert hatte, war groß. Doch das war Nate in diesem Moment egal.

»Ich habe meine Chance gesehen, mir die Atheos zunutze zu machen. Doch ich bin keiner von ihnen. Ich kämpfe nicht gegen die Götter.« Yakim erhob sich ebenfalls. Seine Arme hielt er hinter dem Rücken verschränkt. Er trat gelassen zum Fenster und blickte hinaus in Richtung Stadt, die hinter den Palastmauern lag.

»Ich verstehe das nicht. Ihr sagt, Eure Treue gilt den Göttern. Wir sind die Gotteskinder. Was ist mit uns?« Nates Kopf kam nicht hinterher. Er hatte in Yakim immer einen der Guten gesehen. Einen Verbündeten, der der Krone und allem, was damit einherging, absolut loyal zur Seite stand. Doch Nate hatte sich getäuscht. Mal wieder. Warum war er für seine wahren Feinde blind?

Yakim sah ihn an. Seine dunklen Augen waren schmal und ein zorniger Ausdruck trat auf sein Gesicht.

»Glaubt Ihr wirklich, die Gotteskinder hätten jemals Gutes getan?«, fragte Yakim geradeheraus und stieß dann ein hartes Lachen aus. »Im Gegenteil. Sie sind der Grund, warum die Götter aus dieser Welt verschwunden sind und warum die Menschen immer mehr ihren Glauben an sie verlieren. Die Gotteskinder haben nicht Harmonie in die Welt gebracht, sondern Chaos.« Der Septon drehte sich zu Nate um und musterte ihn aus kalten Augen. »Und Ihr als Gotteskind wollt die Brücke zwischen Menschen und Göttern sein? Es sollte gar keine Brücke nötig sein.«

Es war das erste Mal, dass Nate der dunkle Glanz in Yakims Augen auffiel. Der Septon baute sich vor ihm auf. Überragte Nate um beinahe einen Kopf. Trotz seiner schlanken Gestalt wirkte er auf einmal bedrohlich. Beinahe fanatisch.

»Wir sollten in Einheit zusammenleben. Nicht die Gotteskinder sollten die Welt beherrschen, sondern die Götter, die sie auch erschaffen haben.«

Nate erwiderte nichts darauf, zu schockiert war er, zu erfahren, dass Yakim nicht auf seiner Seite stand. Dass der Septon von Solaris mit den Atheos agierte. Dass er für die Abschaffung der Gotteskinder war. Wie sollte er Celeste und die anderen warnen, wenn er nicht wusste, wem in diesem gottverdammten Palast er noch trauen konnte?

***

Nate lag einige Stunden später auf seinem Bett in den königlichen Gemächern. Sein Kopf brummte, seine Glieder schmerzten. Doch die Leere, die sich in seinem Herzen breitgemacht hatte, überdeckte alles andere.

Sein Gesicht war in das Kissen gedrückt. Der leichte Duft von Zimt drang ihm in die Nase und trieb ihm beinahe die Tränen in die Augen. Er hatte nichts anderes, was ihn an Celeste erinnerte. Und er wusste nur zu gut, dass ihr Geruch bald verblassen würde. Vielleicht war er es auch längst und sein Unterbewusstsein spielte ihm einen bösen Streich.

Neben dem Bett stand die Truhe, in der sich die Briefe der ehemaligen Könige befanden. Nate hatte Miros Brief gelesen. Wieder und wieder. Dann hatte ihn endgültig die Kraft verlassen, doch an Schlaf war dennoch nicht zu denken gewesen. Das schlechte Gewissen quälte ihn. Er hatte Celeste verraten. Er hatte all seine Freunde verraten. Sein Königreich.

Das leise Räuspern, das von der Tür kam, riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Nate fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

Selena stand mit verschränkten Armen vor der Brust im Türrahmen. Ihr schwarzes Haar fiel ihr offen über den Rücken. Das Blau ihrer Augen glühte. Sie sah wütend aus.

Nate hob überrascht eine Augenbraue.

»Was willst du hier?«

Sie kam einige Schritte auf ihn zu und baute sich vor seinem Bett auf.

»Ich habe von der Ratssitzung gehört. Erklärst du mir mal bitte, warum mich Lady Marin als zukünftige Königin bezeichnet hat?«

Bei diesen Worten hätte Nate beinahe seine eigene Zunge verschluckt. Selena, die zukünftige Königin? Dass er nicht lachte. Seine Augen wurden schmal und er musste den Blick abwenden, um Selena nicht wütend anzufunkeln.

Frag doch deine Schwester, wollte Nate am liebsten antworten, doch er schwieg.

»Was soll diese Lüge, dass du dich für mich entschieden hättest? Wir wissen beide, dass das nicht stimmt.« Die Stimme der Priesterin war gefährlich leise. Die Wut war daraus verschwunden. Das Einzige, was Nate noch heraushörte, war Zerbrechlichkeit.

Er blickte auf. Selena hatte den Blick gesenkt. Ihre Unterlippe war zwischen den Zähnen verschwunden, während sie darauf herumkaute. Ihre Hände spielten mit dem Saum an den Ärmeln ihres langen blauen Kleides.

Sie hatte das nicht verdient. Selena war ebenso ein Opfer in dieser Geschichte wie viele andere. Zumindest war das Nates Empfindung. Seine Kindheitsfreundin, die für immer einen Platz in seinem Herzen haben würde, war naiv und leichtgläubig. Sie wurde von ihrer eigenen Schwester manipuliert und hatte nicht die Kraft, sich daraus zu befreien. Nate wollte ihr nicht wehtun.

Nate senkte den Kopf. Er hatte Ayla sein Wort gegeben, um die Menschen zu beschützen, die die Atheos in ihrer Gewalt hatten. Er hatte ihr sein Wort gegeben, weil sie ihm, verdammt noch mal, keine andere Wahl gelassen hatte. Und Nate musste sein Wort halten. Nicht Ayla gegenüber, sondern den Menschen, die auf seinen Schutz angewiesen waren. Er musste sehen, wohin ihn das führen würde.

»Vielleicht ist es keine Lüge, sondern eine späte Erkenntnis«, sprach er dann leise. Er konnte Selena dabei nicht ansehen. Sie würde die Lüge in seinen Augen erkennen. Und er brachte es nicht über sich, sie so tief zu verletzen. Niemand hatte diesen Schmerz verdient.

»Was soll das heißen?«, kam es zögerlich von der Priesterin.

Ein leises Seufzen entkam Nate. Es war wie damals: Er atmete Luft ein und heraus kamen nichts als Lügen.

»Vielleicht habe ich ja eingesehen, dass du die ganze Zeit über recht hattest. Eine Verbindung zwischen uns wäre das einzig Richtige für dieses Land.«

Kälte breitet sich in seinen Knochen aus und der Duft von Zimt, der zuvor nur leicht in der Luft gelegen hatte, war plötzlich allumfassend. Quälte Nate und erinnerte ihn daran, dass er dabei war, alles zu zerstören, was ihm etwas bedeutete.

Lange Zeit erwiderte Selena nichts. Dann hörte Nate, wie sie unsicher von einem Fuß auf den anderen trat.

»Spiel nicht mit mir, Nate.« Ihre Worte klangen flehend. Als könne auch sie keine weiteren Lügen verkraften. Ebenso wenig wie sein eigenes Herz.

Er musste wiederholt die Galle hinunterschlucken, die seine Kehle emporkroch wie Gift. »Das würde ich nie tun.« Zumindest hatte er es nie gewollt. Doch Ayla zwang ihn dazu.

Als er den Blick hob, sah er die Verletzlichkeit in Selenas gletscherblauen Augen. Würde er auch nur ein falsches Wort sagen, würde er sie in tausend Stücke zerbrechen. Er wusste, dass er diese Macht über sie besaß. Und das war alles andere als das, was Nate wollte. Er schloss die Augen.

»Ich weiß derzeit nicht, was ich fühle, Selena. Gib mir etwas Zeit, in Ordnung?«

Mehr konnte er ihr im Moment nicht versprechen. Doch Zeit allein würde niemals ausreichen, um seine Liebe für Celeste zu schmälern oder Gefühle für Selena zu wecken. Es war eine falsche Hoffnung, die er in der Mondtochter weckte, und Nate fühlte sich schuldig.

»Alle Zeit, die du brauchst«, hauchte sie. Sie kam auf ihn zu und Nate stand auf. Er versuchte ihr nicht zu grollen dafür, dass sie seine Entscheidung natürlich am Ende begrüßte. Selena war sowohl ein Opfer ihrer Gefühle als auch der Durchtriebenheit ihrer eigenen Schwester.

Ohne darüber nachdenken, beugte er sich vor, griff mit der Hand in ihren Nacken und hauchte ihr einen unschuldigen Kuss auf die Stirn. Allein dieser Kuss bereitete ihm körperliche Schmerzen. Seit er Celeste begegnet war, hatte er keine andere Frau mehr geküsst. Dieser Kuss glich in seinem Empfinden dem wohl größten Verrat an Celeste, den Nate sich zuschulden hatte kommen lassen. Doch wenn er nicht alles gab, würde er Selena niemals von seinen falschen Gefühlen überzeugen.

Sie lächelte ihn an. Ein Lächeln, das ihre blauen Augen strahlen ließ und Nate bis ins Mark ging. Doch nicht auf eine gute Weise. Es verstärkte die Schuldgefühle. Sie strich ihm federleicht über die Wange und verließ dann sein Zimmer.

In Nate wuchs das Bedürfnis, auf etwas oder jemanden einzuschlagen. Da ertönte Applaus von der Tür. Er sah auf und blickte in das zufriedene Gesicht von Ayla.

»War das so schwer?«, fragte die Atheos mit einem Grinsen auf den Lippen.

Nate funkelte sie voller Verachtung an.

»Dir ist hoffentlich bewusst, dass ich dir den Hals umdrehen würde, wenn ich könnte?« Er musste sich zusammenreißen, um seine Finger nicht um ihren schmalen Hals zu legen und zuzudrücken. So lange, bis das Leben vollends aus Ayla gewichen wäre.

Die Atheos nickte. »Deine Augen verraten dich, also ja, das ist mir bewusst.« Sie betrat sein Zimmer und sah ihn dabei abwartend an.

»Sie wird dich hassen, wenn sie die Wahrheit erfährt«, presste der König dann hervor. Es machte ihn rasend, dass Ayla keine Schuld zu empfinden schien. Immerhin ging es um ihre Schwester.

Sie zuckte nur mit den Schultern. »Das wird sie nicht. Du wirst sie heiraten. Der Rest ist ihr gleich.«

Heiraten. Das Wort war Nate immer ein Graus gewesen. Es als notwendige Tatsache in seinem Leben zuzulassen, gelang ihm nur, wenn er es zusammen mit einem Namen dachte: »Celeste«.

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie lange ich den Schein aufrechterhalten kann, dass ich Selena liebe.« Denn er tat es nicht. Und würde es auch niemals tun.

»Ich bin fest davon überzeugt, dass du auch mit Selena an deiner Seite gute Chancen haben wirst, ein zufriedenes Leben zu leben. Ihr gebt übrigens ein hübsches Paar ab.«

Bei Aylas Worten wurden Nates Augen schmal und ein Stich traf ihn direkt ins Herz. Er wollte sich eine solche Zukunft nicht einmal vorstellen.

»Und was macht dich da so sicher?«

Sie sah ihn an. Ihr rechter Mundwinkel zuckte. »Dass du bei Selena keine Angst haben musst.«

Verwirrt verschränkte Nate die Arme vor der Brust. »Angst wovor? Ich habe keine Angst vor Celeste.« Wieso sollte er Angst vor dem Rotschopf haben? Das war absurd.

»Du hast schon mal besser gelogen, Nate. Ich spreche nicht davon, dass du Angst vor ihr als Person hast«, erläuterte sie und tigerte dabei geschäftig durch den Raum. Nate beobachtete sie dabei.

»Worauf willst du hinaus?«

Ayla sah ihn nicht an, während sie weitersprach.

»Celeste würde dich nie verletzen. Und genau das ist der Grund, warum sie dir Angst einjagt.«

»Das ist doch lächerlich«, kam es etwas zu zögerlich von Nate, stellte er selbst verärgert fest.

Die eisblauen Augen der Zofe blitzten auf, als sie fortfuhr: »Sie könnte dich wirklich glücklich machen. Aber hast du das Glück erst einmal gefunden, besteht immer die Gefahr, dass es dir wieder genommen wird. Was könnte furchtbarer sein?«

Nate schluckte schwer. Ayla hatte recht. Etwas ähnliches hatte er tatsächlich schon einmal über das Glück gedacht. Ein Glück, welches er glaubte, mit Celeste gefunden zu haben.

Er stieß ein hässliches Schnauben aus. »Das hast du bereits getan. Du hast mir dieses Glück genommen.« Wütend ballte er die Hände zu Fäusten, um sie nicht doch dafür zu benutzen, Ayla den Hals umzudrehen.

Sie bedachte ihn mit einem langen Blick. »Ich habe dir deine Zukunft mit Celeste genommen und dir dafür eine mit Selena geschenkt.«

Nate starrte sie mit offenem Mund an, dann lachte er schallend. Wie großzügig, dachte er nur bitterböse.

»Ich gebe dir dieses Geschenk gern zurück.« Er wollte keine Zukunft mit Selena, sondern eine mit Celeste. Dafür hatte er gekämpft.

Aylas Augen wurden schmal. Sie trat auf ihn zu. Ihm kam es vor, als würde die Temperatur im Raum um einige Grad fallen.

»Denk an unsere Abmachung, Nate. Überzeuge Selena und meinen Gefangenen wird nichts geschehen. Ich halte mich an mein Wort, wenn du dasselbe tust.«

Sie starrten sich eine Zeitlang einfach nur an. Bis Nate den Kopf senkte. Noch nie war es ihm so schwergefallen, ein Versprechen zu halten.

***

Celeste

Langsam ließ sich Celeste auf dem Sofa hinter ihr nieder. Das Blut rauschte in ihrem Kopf und ihr Körper begann zu zittern. Seit zwei Tagen waren sie zurück in Samara. Wie Schatten hatten sie die Straßen des Landes durchquert, verborgen vor den Augen der Atheos. Kein leichtes Unterfangen, wenn man die Anzahl der Menschen betrachtete, die mit ihnen unterwegs gewesen waren. Doch als sie die sicheren Tore des Palastes hinter sich geschlossen hatten, hatte Celeste angenommen, einen kleinen Sieg errungen zu haben. Neben dem Pläneschmieden hatte Celeste ihre Zeit im samarischen Palast noch anders sinnvoll genutzt: Sie hatte trainiert, gemeinsam mit Nike, um ihre Fähigkeiten im Kampf zu verbessern. Und dann mit Malia und Linnéa. Aber dabei war es um ihre Gabe gegangen. Denn Espen hatte recht, sie musste ihre göttliche Gabe trainieren, um sie gezielt einsetzen zu können. Also hatte Celeste geübt, immer und immer wieder. Bis es ihr gelungen war, die Auren der Priesterinnen heraufzubeschwören. Noch schaffte sie es nicht bei jedem Versuch, aber Celeste war stolz auf sich für das, was sie erreicht hatte.

Dieses Gefühl verschwand jedoch, wenn sie sich Marcos Worte in Erinnerung rief.

»Ich weiß nicht, wie ich es euch schonender beibringen kann: Der König hat den Bürgern von Solaris bereits seine Entscheidung für eine Braut mitgeteilt. Er wird Selena heiraten.«

Seit der Soldat sie von der Insel gerettet hatte, hatten sie ihn in den inneren Kreis aufgenommen und auf jegliche Höflichkeiten verzichtet. Marco war nun einer von ihnen. Er gehörte dazu.

»Celeste?«, kam es zögerlich von Linnéa, die neben ihr auf dem Sofa saß. »Geht es dir gut?«

Nicht wirklich. Ihr Körper fühlte sich taub an, ihr Herz schmerzte. Einzig ihr Verstand rief sie zur Ordnung.

Sie atmete tief durch und fuhr sich mit den zitternden Fingern durch die roten Locken.

»Alles in Ordnung.« Doch das entsprach nicht der Wahrheit. Rein gar nichts war in Ordnung.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Elio langsam.

Sie saßen im Ratszimmer des samarischen Palastes: Celeste, Linnéa, Malia, Nates Höflinge sowie Marco, der ihnen gerade Bericht erstattet hatte.

Celeste spürte die besorgten Blicke ihrer Freunde auf sich. Malia war die Erste, die leise fluchte.

»Ich kann nicht fassen, dass er das getan hat!«, schimpfte sie vor sich hin. Die Tochter des Meeres stand am Fenster, sie hatte nicht mehr ruhig sitzen bleiben können, nachdem Marco mit seinem Bericht geendet hatte.

»Du weißt nicht, was vorgefallen ist, was ihn dazu bewogen hat«, hielt Noah dagegen. Er verteidigte seinen Halbbruder, auch wenn Celeste ihm auch seine Zweifel deutlich ansehen konnte.

»Er hat uns alle als Anhänger der Atheos und damit als Verräter gebrandmarkt«, hielt Kiah wütend dagegen. Er fuhr sich durch die hellblonden Haare und wirkte nicht mehr wie der schlagfertige junge Mann, der auf alles eine gerissene Antwort hatte.

Celeste stand auf. Ihre Beine fühlten sich noch weich an, aber sie streckte sie fest durch.

Sie räusperte sich: »Noah hat recht«, sagte sie dann mit gefestigter Stimme. Ihre Finger lagen ruhig vor ihr auf der Tischplatte. Dank Nike hatte sie zu ihrer alten inneren Stärke zurückgefunden und diese würde sie nicht mehr verlieren. Egal, welche Neuigkeiten als Nächstes aus der Hauptstadt zu ihnen drangen.

Das, was sie eben von Marco erfahren hatte, hatte ihr kurzzeitig den Boden unter den Füßen weggezogen, zugegeben. Doch tief in ihrem Herzen wusste sie, dass es sich um eine Lüge handeln musste, auch ihr Verstand wusste es.

Marcos Worte waren klar und präzise gewesen, auch wenn Bedauern in seinen blauen Augen gelegen hatte. Bedauern, das Celeste galt. Und das sie nicht haben wollte. Sie brauchte kein Mitleid. Sondern einen Plan.

»Ayla hat Nate in ihrer Gewalt, ebenso wie einige unserer Gefolgsleute und Ordensschwestern – und Freunde.« Zögernd blickte sie zu Malia, die betreten den Kopf senkte. Mara war in der Gewalt der Atheos und sie wusste, dass sich ihre Freundin große Sorgen um ihre Mentorin machte.

»Wir kennen die Strategie und die Pläne unserer Feinde nicht, doch das ändert nichts daran, dass wir gegen sie vorgehen werden.«

Die Atheos würden diesen Krieg niemals gewinnen. Egal, welche Märchen sie erzählten, die Götter würden nicht zulassen, dass ihr Land im Chaos versank. Celeste würde das nicht zulassen.

Sie schaute jeden einzelnen ihrer Freunde an. Jedem von ihnen vertraute sie blind. Sie waren eine Einheit, ein Zirkel. Und nur gemeinsam würden sie diesen Krieg überstehen können.

»Die Atheos haben uns hart getroffen und ich weiß, dass jeder von euch an Nate zweifelt. Ich kann das nur zu gut verstehen, mir geht es genauso. Doch wir dürfen diese Zweifel nicht zulassen«, verkündete sie mit eindringlicher Stimme. Ihre Hände auf dem Tisch ballten sich zu Fäusten.

»Was Ayla über Nate gesagt hat, stimmt. Er hat schlimme Dinge getan, um zu überleben. Doch er hat auch viel Gutes getan. Das Gute mag das Schlechte nicht aufwiegen, aber wir dürfen nicht vergessen, wer Nate für uns ist.«

Celeste sah zu Kiah und Malia. »Er ist unser bester Freund.«

Ihr Blick wanderte zu Linnéa und Elio. »Unser Verbündeter und Beschützer.«

Zum Schluss folgte Noah. Celeste blickte in Noahs grüne Augen, die denen von Nates so ähnlich waren. »Unser Bruder«, flüsterte sie. »Egal, was passiert ist: Daran wird sich nichts ändern.«

Ob sie ihren eigenen Worten glaubte, wusste sie im Moment selbst nicht. Doch Celeste würde um jeden Preis verhindern, dass Aylas Pläne aufgingen. Und wenn sie sich selbst betrog. Sie würde nicht zulassen, dass seine Freunde sich von Nate zurückzogen. Nicht, bis sie ihm die Chance gegeben hatten, sich zu erklären.

»Es ist wahr: Wir gelten in Sirion nun als Anhänger der Atheos. Doch wir wissen, dass das nicht stimmt.« Sie klang wie eine Optimistin, auch wenn sie das nie gewesen war. Celeste war ein rationaler Mensch. Sie benutzte ihren Verstand als Waffe und das musste sie auch jetzt tun.

»Die Atheos glauben, uns mit diesem Manöver kalt erwischt zu haben. Wir lassen sie in dem Glauben, aber schmieden unseren Gegenschlag.« Celestes Stimme klang dunkel. Wenn sie sich den Feind vorstellte, sah sie kalte, blaue Augen vor sich. Aylas Augen. Selenas Augen.

»Was hast du vor?«, fragte Marco zögernd.

»Ich bin noch nicht sicher«, antwortete die Himmelstochter. Sie dachte laut nach: »Die Atheos kennen unsere Methoden, unsere Strategien. Vermutlich sogar die genaue Anzahl unserer Soldaten und Waffen.« Man konnte regelrecht sehen, wie sie fieberhaft über eine Möglichkeit nachdachte, ihrem Feind diesen Vorteil zu nehmen.

»Vermutlich«, stimmte Kiah ihr missmutig zu. »Ayla besitzt so viel wertvolles Wissen. Nicht nur über die Atheos, sondern auch über unsere Streitkräfte, über Nate und wahrscheinlich jeden von uns. Und wir wissen so gut wie nichts über sie«, brummte er.

Celeste sah Kiah nachdenklich an, dann weiteten sich plötzlich ihre Augen.

»Das stimmt so nicht.« Sie dachte an ihre letzte Unterhaltung mit Ayla zurück. Die dunkelhaarige Zofe hatte von Nates Vergangenheit erzählt, als wäre sie persönlich dabei gewesen. Sie hatte von Mic und seinen Anhängern berichtet. Von den furchtbaren Taten, die Nate in Mics Auftrag begangen hatte. Und mit diesem Wissen hatte sie sich verraten.

»Woran denkst du?« Malia trat neben Celeste und sah sie eindringlich an.

Ein Grinsen umspielte die Lippen der Himmelstochter.

»Daran, dass wir uns neue Verbündete suchen müssen. Verbündete, von denen Ayla und ihre Schergen nichts ahnen.«

Sie blickte in die verwirrten Gesichter ihrer Freunde. Celeste hatte einen Plan. Und dabei traf es sich gut, dass sie von einer Söldnertruppe wusste, die für Geld alles tat. Einer Söldnertruppe, der sie nie wieder hatte begegnen wollen, doch für den Frieden von ganz Sirion würde Celeste selbst dem schlimmsten Dämon gegenübertreten. Und mit ihm einen Handel abschließen.