Celeste
Ihre Lider flatterten, langsam kam Celeste wieder zu sich. Ihr ganzer Körper schmerzte und es fühlte sich an, als wäre in ihrem Kopf nichts als Watte. Dennoch erkannte sie genau die Person, die vor ihr aufragte. Kurz glaubte sie, sie würde träumen, fantasieren. Das schwarze Haar wehte sanft im Wind und die blauen Augen blickten auf sie herab.
Doch es war nicht Selena, die vor ihr stand. Es war Ayla. Und ihre Aura war überflutet von Trauer und Schmerz. Sehr deutlich mischte sich der Hass dazu. Hass, der einzig und allein Celeste galt.
Mit den Fingern strich sich die Atheos über das ausdruckslose Gesicht. Sie weinte nicht, doch Celeste sah den tief sitzenden Schmerz trotzdem.
»Für Trauer ist keine Zeit«, sagte Ayla mit leiser Stimme, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. Die Priesterin vermutete jedoch vielmehr, dass sie mit sich selbst sprach. Ihr Blick glitt nun zu Celeste.
»Erst werde ich dich für das, was du getan hast, töten.«
Verständnislos sah Celeste die Atheos an. Was hatte sie getan? Sie war sich keiner Schuld bewusst und ihre Benommenheit half ihr nicht dabei, klar zu denken.
»Wovon redest du?« Ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen, ihr Mund war trocken.
»Die Armee aus Schatten hat sich in Nichts aufgelöst. Das kann nur bedeuten, dass meine Schwester nicht mehr am Leben ist«, fuhr Ayla sie an. Ihre Stimme hallte durch die königlichen Gärten und Celeste zuckte zusammen.
»Ich habe sie nicht getötet. Ich habe versucht, sie zu retten.« Noch immer sah sie Selena vor ihrem inneren Auge. Wie sie sich am Rand der Felsspalte festhielt und um ihr Leben kämpfte. Doch sie hatte Celestes Hilfe abgewiesen und dann war es zu spät gewesen. Die Himmelstochter war nicht verantwortlich für ihr schreckliches Ende.
»Wo ist sie?« Aylas Stimme war jetzt schrill. Sie erinnerte Celeste so sehr an Selena, dass der Priesterin die Tränen in die Augen schossen. Niemals in ihrem Leben würde sie vergessen, wie Selena in die unendliche Dunkelheit gefallen war, die sie verschlungen hatte.
»Die Erde hat sich aufgetan. Selena ist gefallen. Weil sie zu stur war, meine Hand zu nehmen«, flüsterte Celeste mit erstickter Stimme.
»Du hast meine Schwester im Stich gelassen und dafür wirst du bezahlen.« Ayla wollte die Wahrheit gar nicht begreifen. Sie brauchte eine Schuldige. Und die stand vor ihr.
Celeste hörte das Geräusch von Stahl, bevor sie die Messer sah, die Ayla hervorzog. Noch einen Kampf würde sie nicht durchhalten. Noch dazu war Ayla ein ganz anderes Kaliber als ihre Schwester. Gegen die Atheos würde das Gotteskind nicht bestehen können.
»Ich habe sie nicht getötet«, flehte sie nun. »Es war der Wille der Götter. Es waren die Götter.« Celeste hob die Hände, für mehr fehlte ihr die Kraft. »Bitte, Ayla, es ist vorbei. Ihr steht jetzt ohne eure Schattenkrieger da.«
Die königliche Armee war den Atheos zahlenmäßig weit überlegen, das wusste Celeste. Vermutlich waren sie bereits dabei, die Stadt zurückzuerobern. Indem die Götter Selena gerichtet hatten, hatten sie auch die Armee der Schatten vernichtet und damit Sirion vor dem Untergang bewahrt.
In Aylas Augen blitzte Zorn auf.
»Es war dein Tod, den Selena wollte. Auch wenn sie anfangs noch geglaubt hat, dass sie Nates Herz fair zurückgewinnen könne.« Ein bitteres Lachen erklang und die Atheos schüttelte den Kopf. »Doch das Leben ist nicht fair. Ihr Tod ist der Beweis dafür.«
Celeste fehlte die Kraft, um aufzustehen und weiterzukämpfen. Sirion war gerettet und was nun geschah, konnte sie nicht aufhalten. Wenn Ayla sie töten wollte, gab es nichts, was Celeste ihr entgegenzusetzen hatte.
»Du gibst mir die Schuld an ihrem Tod, doch du irrst dich. Sie war geblendet von Hass und Eifersucht, die ihren Untergang besiegelt haben. Beides hast du in ihr genährt«, zischte sie der Atheos entgegen.
Ja, vielleicht waren Selena und sie dazu bestimmt gewesen, Konkurrentinnen um Nathaniels Liebe zu sein. Doch so weit hatte es nicht kommen müssen. Diesen Nährboden hatte Ayla für ihre Schwester geschaffen. Sie allein.
»Halt den Mund!«
Celeste bedachte Ayla mit einem kalten Blick.
»Du hast sie auf diesen Pfad getrieben, Ayla. Selena hat Nate geliebt. Sie hätte niemals etwas getan, was ihn verletzt hätte. Doch du und dein Hass haben die Finsternis in ihr geweckt. Ihr Tod ist nicht meine Schuld, sondern deine!«, schrie sie ihr die letzten Worte entgegen. Und sie meinte jedes Wort bitterernst.
»Sei still, habe ich gesagt!« Ayla holte in blinder Wut mit ihren Messern aus und ließ sie auf Celeste niedersausen. Doch die Priesterin rollte sich zur Seite. Woher sie diese Schnelligkeit nahm, den Mut, weiterzumachen, wusste sie selbst nicht. Ihr Überlebenswille war stärker, als sie angenommen hatte.
Die Atheos schrie auf, in ihrer Aura entdeckte Celeste nichts anderes mehr als blinden Zorn.
»Du wirst qualvoll sterben, Priesterin. Dafür werde ich mit meinen eigenen Händen sorgen. Du hast all meine Pläne zerstört und dafür wirst du büßen.«
»Hast du dieses Land nicht schon genug büßen lassen? Du hast Miro getötet, du hast Yakim und Mara getötet. Und du hast Lilian hinrichten lassen. Wie viele Verbrechen willst du noch begehen?«, fragte Celeste mit von Trauer erfüllter Stimme. Sie hatten schon so viele Menschen verloren. Gab es denn kein Ende?
Langsam schüttelte Ayla den Kopf und hob erneut die Hände. Ihre Messer blitzten im Licht der Sonne auf, die immer noch ihr goldenes Licht auf die Szenerie scheinen ließ. Auf eine bestimmte Art unerbittlich, kam es Celeste in den Sinn.
»So viele, wie nötig sind, um diesem Land endlich die Gleichheit zu bringen.«
Celeste lag vor Ayla auf dem Boden. Noch einmal würde sie nicht ausweichen können.
»Und wann wird es aufhören?«, fragte die Priesterin leise.
»Wenn dein toter Körper zu meinen Füßen liegt.« Ayla holte aus und Celeste schloss die Augen. Das würde ihr Ende sein. Sie würde Nate niemals wiedersehen, schoss es ihr in diesem Moment durch den Kopf.
»Das wird nicht geschehen«, erklang da eine Stimme hinter ihnen.
Celeste riss die Augen auf. In ihrer Rüstung und mit zwei Schwertern in den Händen stand die königliche Leibwächterin vor ihr.
»Nike!«, hauchte Celeste und Tränen des Glücks traten in ihre Augen.
»Sieh an: die Leibwächterin«, stellte Ayla mit trockener Stimme fest und ließ ihre Messer sinken. »Bist du es nicht leid, die Gotteskinder aus jeder brenzligen Situation retten zu müssen?«
Ayla wandte sich ganz zu Nike um, von der die größere Gefahr ausging. Doch Nike schnaubte nur. Ihr hellblondes Haar bildete einen harten Kontrast zu Aylas schwarzem.
»Bist du es nicht endlich leid, dich wie ein Miststück aufzuführen?«, fragte die Soldatin statt einer Antwort.
Celeste starrte die beiden Frauen an, die begonnen hatten, sich wie zwei Raubkatzen zu umkreisen. Doch die Priesterin konnte nur noch einen einzigen Gedanken denken, den sie laut aussprach: »Wo ist Nate?«.
Nike sah sie nicht an, sie behielt weiterhin Ayla im Auge. Aber sie antwortete ihr: »Auf der Suche nach Espen. Wir nahmen an, Ihr wäret in seiner Gewalt.«
»Geht es ihm gut?« Fast traute Celeste sich nicht, diese Frage zu stellen. Er war bereits bei seiner Flucht verletzt worden und sie wagte zu bezweifeln, dass es bei der einen Wunde geblieben war.
Die Leibwächterin lächelte zaghaft, während sie die Schwerter in ihren Händen drehte und Ayla nicht eine Sekunde aus den Augen ließ.
»Der König ist hart im Nehmen, keine Sorge.«
Ein Schnauben erklang und Ayla verdrehte die Augen. »Nate atmet noch? Wie bedauerlich.«
Nike holte in diesem Moment mit ihren Schwertern aus, doch die Atheos parierte den Angriff.
»Du wirst für all deine Taten zur Verantwortung gezogen, Ayla«, zischte die Soldatin durch zusammengebissene Zähne. »Und dafür werde ich hier und jetzt höchstpersönlich sorgen.«
Ayla stieß ein verbittertes Lachen aus, während sie mit ihren Messern auf Nike losging. Die Atheos war zwar schnell, doch Nike gab nicht nach.
»Willst du etwa über mich richten?«
Nike wehrte ein Messer ab und trat Ayla in den Magen, die laut zischte und zurückwich.
»Nein, ich vollstrecke nur das Urteil«, erwiderte die Leibwächterin.
»Und wer wird dieses Urteil sprechen?« Ayla hielt sich den Magen, während Nike sie wütend anfunkelte.
Celeste saß noch immer auf dem Boden wie festgefroren. Sie sah den beiden Frauen nur tatenlos zu.
»Ich vertraue ganz auf das Urteil meiner Königin.« Mit diesen Worten sah Nike abwartend zu Celeste, die sie mit großen Augen ansah. Nike hielt die Schwerter kampfbereit in den Händen, ebenso wie Ayla ihre Messer.
Es lag an der Himmelstochter, eine Entscheidung zu treffen. Dabei war sie gar keine Königin. In diesem Moment fühlte sie sich nicht einmal wie eine Priesterin. Celeste fühlte sich verloren.
Sie schluckte schwer und sah dann Ayla an. Hasserfüllte Augen starrten ihr entgegen.
»Für den Mord an Miro, Yakim, Mara und Lilian klage ich dich des Hochverrates an«, fällte Celeste das Urteil. Ihre Stimme klang nicht besonders fest dabei.
»Soll ich sie töten?«, fragte Nike mit dunkler Stimme.
Doch die Priesterin schüttelte den Kopf. »Es ist schon zu viel Blut vergossen worden. Nimm sie gefangen und bring sie in den Kerker. Sie wird einen fairen Prozess bekommen. Sollte dir das aber nicht gelingen, ohne dich selbst in Gefahr zu bringen, dann hast du meine Erlaubnis, sie zu töten.« Celeste empfand keinerlei Mitleid, während sie so über Aylas Schicksal entschied. Sie wollte wirklich nicht, dass Ayla starb, doch sie würde Nikes Leben nicht aufs Spiel setzen.
Königin, dieses Wort hallte in Celestes Kopf wider, während sie ihre letzte Kraft zusammennahm und aufstand. Ihre Beine zitterten und die Wunden auf ihrem Körper brannten. Sie wandte sich Nike zu.
»Kommst du allein zurecht? Ich muss Nathaniel suchen.«
Denn sie würde nur die Königin dieses Landes sein, wenn der König überlebte.
Ein entschlossenes Glitzern trat in die Augen der Leibwächterin. »Selbstverständlich. Ich habe lange auf diesen Moment gewartet.« Ihre Augen ließen Ayla dabei keine Sekunde los. Die Atheos starrte zornig zurück.
Nike zog noch etwas aus ihrer Rüstung hervor.
»Das hier habt Ihr wohl verloren.« Sie warf Celeste das glitzernde Etwas zu, das die Priesterin gerade so auffing. »Ich wünsche Euch Erfolg bei Eurer Suche.«
Celeste betrachtete die goldene Kette in ihren Händen, an der Nates Ring hing. Sein Versprechen an sie. Selena hatte sie ihr vom Hals gerissen, sie hatte sie in den Tiefen der Erde gewähnt. Scheinbar hatte die Mondtochter die Kette bei ihrem Kampf verloren. Und nun war sie auf wundersame Weise zu Celeste zurückgekehrt.
Die Priesterin wartete keine Erklärung ab, sie nickte Nike zu und lief los. Folgte ihrem Herzen, denn es würde sie zu Nate führen.
***
Nathaniel
Seine Suche nach Celeste hatte ihn in den Innenhof geführt und dort war er ihnen begegnet: Kriegern aus Schatten. Es schien, als würden sie sich auf den Weg zur Stadtmauer begeben. Wahrscheinlich, um sich der königlichen Armee entgegenzustellen. Allein bei dem Gedanken erfasste Nate eine unsagbare Angst. Diese Wesen würden sein Heer, seine Soldaten und Freunde, überrennen. Es waren so viele.
Doch das war es nicht, was ihn am meisten ängstigte.
Nate stellte sich einigen von ihnen entgegen. Und was dann geschah, war unglaublich. Als er zu einem Schlag ausholte und eines der unheilvollen Wesen traf, fuhr die Klinge des Schwerts einfach durch den Schatten hindurch und versank in ihm. Als Nate sein Schwert wieder herauszog, klebte kein Blut daran. Und sein Gegner stand groß und dunkel vor ihm, als wäre nichts gewesen. Der Hieb hatte ihm nicht das Geringste anhaben können. Wie sollte man gegen jemanden, oder besser: etwas, kämpfen, den oder das man gar nicht verletzen, geschweige denn töten konnte?
Noch dazu hatte Nate mit seinem Angriff das Wesen offenbar wütend gemacht. Es schwebte ein paar Schritte vor und öffnete sein schwarzes Maul. Nichts als Schwärze.
Schweiß stand Nate auf der Stirn. Er wich rasch zurück. Es blieb ihm offenbar nichts anderes übrig, als feige auszuweichen.
Die Morgendämmerung tauchte den Innenhof in ein sanftes Licht. Doch wie widersprüchlich war, was in ihm zu sehen war: Der Schrecken der dunklen Soldaten.
Nate zog sich weiter zurück, versuchte in die letzten Schatten der sich zurückziehenden Nacht zu verschwinden. Unversehens drehte er sich um, er wollte nach einem Weg hier heraus suchen, da sah er direkt vor sich einen riesengroßen schwarzen Schattensoldaten stehen. Verzweifelt setzte Nate zu einem Schlag an, wohl wissend, dass auch dieser der Kreatur kein Leid zufügen würde. Und wirklich: Auch durch diesen Schattenkrieger glitt sein Schwert hindurch wie durch Nebel.
Doch da riss mit einem Mal die Kreatur ihren schwarzen Schlund auf. Doch nicht, um Nate zu verschlingen, sondern so, als würde sie versuchen zu schreien. Doch kein Ton kam heraus. Stattdessen – löste sie sich auf. Der Schattenkrieger verschwand einfach und Sekunden später war es, als wäre er nie da gewesen. Ein Blick zu der Armee der dunklen Krieger bewies Nate, dass es ihnen genauso erging. Sie alle lösten sich in Luft auf.
Was passierte hier?
Ein beängstigender Gedanke kam ihm: Selena hatte diese Wesen erschaffen, aus ihrem Blut und dem der anderen Gotteskinder. War ihr etwas zugestoßen? War das Leben dieser Wesen durch das Ritual womöglich an ihr eigenes gebunden?
Das würde unweigerlich bedeuten, dass die Tochter des Mondes tot war. Kälte kroch in Nate empor. Einen solchen Ausgang hatte er sich nicht erhofft. Niemals hätte er Selena den Tod gewünscht. Doch ihm blieb keine Zeit, ihren Tod zu betrauern. Zuerst musste er Celeste finden.
Da bemerkte Nate eine Bewegung aus den Augenwinkeln und verharrte. Der Hof grenzte an die Stallungen, aus denen in diesem Moment Espen trat, der ein Pferd hinausführte. Er wollte fliehen.
Noch immer konnte Nate es nicht glauben, dass Miros Leibwächter nicht auf ihrer Seite stand. Der ehemalige König hatte seinem Leibwächter blind vertraut. Doch Espen hatte ihn hintergangen.
Jetzt fiel es Nate wie Schuppen von den Augen: Er war der schwarze König in Aylas Schachspiel, der ganz in der Nähe der weißen Dame gestanden hatte. Doch es würde nicht die Dame sein, die den feindlichen König niederstrecken würde. Nein, diese Aufgabe würde Nate höchst persönlich übernehmen. Er war der weiße König. Und jetzt war er kein Gefangener mehr, keine Marionette.
Nate hob sein Schwert und trat auf Espen zu, der ihn noch nicht gesehen hatte.
»Mit Euch habe ich nicht gerechnet«, sagte der König mit lauter Stimme. Espen drehte sich langsam zu ihm um, seine Hand schwebte über dem Schwertgriff.
»Ich habe in Lady Marin, in Marco, ja, selbst in meinem Vater einen Feind gesehen, doch Ihr standet nicht auf meiner potenziellen Verräterliste. Für meine wahren Feinde war ich blind.« Es war das Eingeständnis eines großen Fehlers, den Nate sich niemals verzeihen würde.
Espen ließ die Zügel des Pferdes los, das ein leises Schnauben von sich gab. Er trat einige Schritte auf Nate zu, die Waffe hatte er noch nicht gezogen.
»Ich bin nicht Euer Feind, Nathaniel.«
Der vertraute Tonfall, den er anschlug, weckte erst recht den Zorn in Nate.
»Doch das seid Ihr«, knurrte er. Seine Finger schlossen sich fester um den Griff seines Schwertes. »Ihr seid ein Feind der Götter und ein Feind ihres Glaubens und das macht Euch auch automatisch zu meinem Feind.«
Espen wirkte noch immer ruhig. Seine Miene war ausdrucklos, als er den Kopf schüttelte. Das kurze, braune Haar fiel ihm dabei in die Stirn.
»Ich sehe mich nicht wirklich als Atheos«, begann er versöhnend. »Ich glaube an die Götter, ich glaube nur nicht an ihre Regierungsform.«
Sie trennten nur noch wenige Meter und Nate spürte die Anspannung in sich, während Espen den Anschein vermittelte, als würde er einem Kind die Welt erklären.
»Unser Land ist schwach. Im Grunde wird es durch groß gewordene Kinder regiert. Die Götter erwählen einen König, der sich eine Braut unter den Priesterinnen aussuchen soll. Nur diese Heirat bringt dem Land Harmonie und Frieden. Das ist absurd. Was passiert, wenn der König unerwartet stirbt oder gar getötet wird? Das Land stürzte ins Chaos und den Göttern wäre es gleichgültig. Dieses wankelmütige System darf nicht die Grundlage unser aller Leben sein. Ich will die Ordnung in diesem Land bewahren. Das ist alles.«
Ein hartes Lachen verließ Nates Kehle. Es klang wie eine schlechte Ausrede, eine Rechtfertigung für all die Grausamkeiten, die er begangen oder in Auftrag gegeben hatte. Nur gab es dafür keine Entschuldigung.
»Und für diese Ordnung mussten unzählige Menschen sterben?«
Espen neigte den Kopf zur Seite. Beinahe meinte Nate, so etwas wie Bedauern in seinen Augen zu sehen.
»Eine neue Ordnung wird immer auf dem Rücken der Opfer aufgebaut, die auf dem Weg zu ihr ihr Leben lassen mussten. Aber diese Menschen sind für eine bessere Zukunft gestorben.«
»Ihr redet Unsinn!«, zischte Nate. Sein Kiefer war angespannt und er taxierte Espen mit einem zornigen Blick.
Der sah Nate wieder direkt an. »Sirion steht am Abgrund. Die Schattenkrieger mögen mit Selena gestorben sein, doch das ändert nichts daran, dass dieses Land eine Neuerung erfahren muss. Denn es ist von Grund auf schlecht.«
Nate hatte also recht behalten. Selena war tot. Das Mädchen, welches er am längsten gekannt hatte, war nicht mehr hier. Ein Mädchen, dem er vor so vielen Jahren sein Herz geschenkt hatte. Seine Kindheitsfreundin. Nate gab zu, dass ihn diese Erkenntnis zutiefst betrübte und verunsicherte. Doch dazu war jetzt nicht der rechte Zeitpunkt.
Würde Espen heute entkommen, würde er sich neue Anhänger suchen. Anhänger, die seinen irrsinnigen Glauben teilten und die Sirion niemals in Frieden lassen würden.
»Das ist nicht die Schuld der Götter. Jeder Mensch bestimmt sein eigenes Schicksal.«
Die Augen des Atheos wurden bei diesen Worten schmal und er schüttelte den Kopf.
»Das könnt Ihr nicht wirklich glauben. Ihr selbst seid in der Gosse aufgewachsen und hätten die Götter Euch nicht berufen, wärt Ihr auch dort zugrunde gegangen.«
Diese Wahrheit ließ Nate zusammenzucken. Darauf konnte er nichts erwidern. Es stimmte, er konnte nicht mit Gewissheit sagen, was aus ihm geworden wäre, wenn er vor all den Monaten nicht von Ilias berufen worden wäre.
Um Espens Mundwinkel zuckte es. Er wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
»Ich wurde von meinen Eltern weggegeben, als wäre ich ein Niemand. Ein Nichts. Ich wurde weggeworfen wie Dreck. Man hat mich in ein Waisenhaus gesteckt, damit ich nicht auf den Straßen Samaras verhungerte. Adrians Familie mag mich aufgenommen haben, doch das ändert nichts an meiner Herkunft. Ich kann nicht tatenlos dabei zusehen, wie Menschen in diesem Land dasselbe passiert. Wie sie wie Dreck behandelt werden, nur, weil sie nichts an ihrer Herkunft ändern können. Die Menschen verdienen jemanden, der sie versteht. Sie brauchen jemanden, der sie anführt!«
Mit gerunzelter Stirn blickte Nate Espen entgegen. Er mochte sich selbst als Pionier sehen, als Befreier des Volkes, als schützende Hand. Doch das stimmte nicht. Er hatte diesem Land den Krieg gebracht. Dass seine Eltern ihn verlassen hatten, war aus Nates Sicht keine Rechtfertigung dafür.
»Das Volk von Sirion braucht Euch nicht als seinen Anführer«, stieß Nate hervor. Niemand brauchte einen Anführer, der seine Regentschaft auf Leichen aufbaute.
»Weil sie Euch haben?«, lachte Espen jetzt gehässig auf.
»Glaubt Ihr wirklich, dass Ihr sie sicher führen könnt?«
Nate schluckte schwer. Er mochte der König dieses Landes sein, aber er fühlte sich nicht wie ein Herrscher. Er war ein Gotteskind, war dazu berufen worden, dieses Land zu führen. Doch allein würde ihm das nicht gelingen. Also schüttelte er den Kopf.
»Nicht mich allein. Aber mit der Hilfe meiner Freunde schaffe ich es. Wenn all das hier erst mal vorbei ist.« Er wog das Schwert in seiner Hand hin und her. War bereit, den Kampf mit Espen aufzunehmen, zu dem es unweigerlich kommen würde.
Der Ausdruck auf Espens Gesicht änderte sich plötzlich. Er wurde mit einem Mal richtiggehend sanft. Dann sagte er unvermittelt: »Ich verstehe Euch besser, als Ihr denkt, Nathaniel. Besser als sonst jemand auf dieser Welt. Wir sind uns so ähnlich.«
Diese Worte hauten Nate um. Beinahe hätte er laut gelacht, aber dazu war die Situation zu ernst. Und Espen vermittelte nicht den Eindruck, zu scherzen.
Ein Knurren verließ Nates Kehle. »Nein, das sind wir nicht. Uns verbindet rein gar nichts.« Wenn ihn etwas mit diesem Mann verbinden sollte, wären es Eigenschaften, die Nate an sich selbst verabscheuen würde.
»Ihr irrt Euch. Wir beide haben uns aufgrund einer Frau verändert. Ich habe Estelle geliebt, so wie Ihr ihre Tochter liebt. Mich hat diese Liebe auf den dunklen Pfad geführt. Ich wäre Estelle überallhin gefolgt, nur, um sie zu beschützen und ihr nahe zu sein. Sie hat mir die Augen über diese Welt geöffnet.«
Nates Augen wurden schmal. Espen sollte nicht wagen, den Namen »Celeste« in den Mund zu nehmen. Dazu hatte er kein Recht. Seine Liebe zum Rotschopf war nicht vergleichbar mit dem, was zwischen Estelle und Espen geschehen war. Ihre Liebe war offen und frei, wohingegen Espen immer nur feige im Schatten gelauert hatte.
»Celeste ist nicht ihre Mutter«, widersprach er. Ihre Liebe war keine unerwiderte Liebe, sie war wahrhaftig. Sie war echt.
Zu seinem Erstaunen nickte Espen. »Das stimmt. Ihr seid der Priesterin ins Licht gefolgt. Sie hat Euch den Glauben und die Liebe geschenkt. Es ist ihr zu verdanken, dass Ihr einen neuen Weg gefunden habt.« Der ehemalige Leibwächter sprach von Celeste mit einer fast liebevollen Sanftheit, die Nate fuchsteufelswild machte.
Er umschloss den Griff des Schwertes fester und näherte sich Espen noch ein Stück.
»Ihr benutzt die Liebe als Rechtfertigung für Eure Taten, für die Entscheidung für den dunklen Pfad, den ihr eingeschlagen habt in Eurem Leben. Das würde ich niemals tun. Celeste trifft keine Schuld an dem, was ich getan habe oder noch tun werde.«
Celeste besaß die Fähigkeit, ihn zu verändern, sowohl zum Besseren als auch zum Schlechteren. Doch niemals würde Nate es zulassen, dass sie ihn zu etwas machte, was er nicht war. Liebe allein würde nicht reichen, um ihn in die Dunkelheit zu ziehen.
»Wir Menschen sind schwach. Und wir tun alles für die Liebe, Nathaniel. Daran wird sich auch niemals etwas ändern.«
»Doch, das wird es. Es ändert sich hier und heute«, schnaubte Nate. Er wusste mittlerweile genug, um zu begreifen, welche Schrecken die ungezähmte, unerwiderte, rauschhafte und egoistische Liebe imstande war, dem Land Sirion zu bescheren. Morde waren bereits in ihrem Namen begangen worden, Kriege geführt. Wie konnte ein wertvolles und wichtiges und zauberhaftes Gefühl sich so ins Gegenteil verkehren? Es waren Menschen wie Espen, die in der Lage waren, die Liebe als Rechtfertigung für alle nur vorstellbaren Boshaftigkeiten dieser Welt einzusetzen. Weil die Liebe ein so universelles Gefühl war, das jeder kannte, dem keiner sich erwehren konnte und das alle Menschen irgendwie miteinander verband, indem sie sich nichts sehnlicher wünschten, als ehrlich geliebt zu werden.
Er würde niemals zulassen, dass Espen entkam. Dieser Mann hatte die Atheos benutzt, um seine eigenen Ziele voranzubringen. Er war eine Bedrohung für Sirion, die es zu beseitigen galt. Ayla mochte die Atheos befehligt haben, doch Espen zog die Fäden und ließ andere für sich tanzen. Vielleicht sogar Ayla selbst. Nate konnte nicht mit Gewissheit sagen, wer dieser beiden das größere Übel für die Menschen in Sirion darstellte: Ayla, die ihren Rachefeldzug mit toten Gotteskindern pflastern wollte, während sie behauptete, für die Gleichheit im Land zu kämpfen; oder Espen, der blind vor Trauer wegen des Verlusts seiner wahren Liebe war und sich Aylas Hass zunutze gemacht hatte, um zu vollkommender Macht zu gelangen.
Beide zweifelten aus unterschiedlichen Gründen das Regierungssystem des Landes an. Vielleicht verband sie der Hass, der Hass auf die Götter und das Leben, zu dem sie gezwungen worden waren. Denn nicht nur die Liebe konnte Menschen einen, sondern auch der Hass. Der Hass zweier gebrochener Seelen, die Akzeptanz in dem jeweils anderen gefunden hatten. Nate wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen.
»Und wie soll diese Veränderung aussehen?«, fragte Espen mit einem amüsierten Lächeln, das Nate beinahe zur Weißglut trieb. Er sah in ihm offenbar nur einen trotzigen Jungen, der keine ernsthafte Bedrohung für ihn darstellte. Doch er unterschätzte Nate und der würde dafür sorgen, dass er diesen Fehler bereute.
»Ihr habt Euer Land verraten und Euren Glauben. Ich bin hier, um Euch zu töten.« Allein für den Verrat an Miro würde er es tun. Er wollte es. Er wollte töten. So wie damals, als er unter Mic gedient hatte. Miro war in seinen Armen gestorben und das würde er Espen niemals verzeihen. Ayla mochte den Pfeil abgeschossen haben, aber es war Espen gewesen, der den König in diesem Moment als sein Leibwächter verraten hatte.
»Dann haben wir ein Problem, fürchte ich.«
»Und das wäre?«, fragte Nate misstrauisch.
Espen trat an das Pferd heran und zog aus dem Sattel ein weiteres Schwert.
»Ich habe nicht vor, zu sterben.«
Espen hielt nun in jeder Hand ein Schwert, die Waffen blitzten auf und Nate atmete tief durch.
»Ich werde nicht zulassen, dass Ihr noch mehr Unheil über mein Land bringt.« Mit schnellen Schritten war er bei Espen und das Geräusch von Stahl, der auf Stahl traf, erschütterte den Innenhof. Espen parierte jeden von Nates Angriffen mühelos.
»Hasst mich ruhig, Nathaniel. Mich zu hassen, schwächt Euer Herz. Gegen Euch zu kämpfen, macht mich wiederum stärker«, stieß der Leibwächter hervor und drängte Nate zurück.
Der König biss die Zähne zusammen. Er wich Espens Hieb aus und umschloss sein Schwert fester, als er wieder sicher stand.
»Ich hasse Euch nicht, Espen. Ich folge dem Weg der Götter und sie dulden keinen Hass. Die Liebe zu ihnen macht mich stark.«
»Ihr folgt dem Weg der Götter?« Ein kehliges Lachen drang aus Espens Brust. »Seid vorsichtig, wer Ihr vorgebt, zu sein, Nathaniel. Ihr könntet darüber vergessen, wer Ihr wirklich seid.«
Erneut trafen die Schwerter aufeinander und Nate spürte die Wucht des Schlages bis in die Knochen. Er merkte, wie die Wunde auf seiner Brust erneut zu bluten begann. Er spürte die Wärme, die sich ausbreitete, als sich sein Hemd mit Blut vollsog.
Er keuchte erschöpft. Seine Verfassung war keine gute Voraussetzung für diesen Kampf.
»Ich weiß genau, wer ich bin. Ich bin der Sohn der Sonne, der König von Sirion.« Ein Grinsen breitete sich plötzlich auf seinem Gesicht aus. »Und ich war ein Dieb, ein Verbrecher und ein Mörder. Die Götter haben mich berufen und mir eine zweite Chance geschenkt.« Es tat gut, es so offen und frei auszusprechen. Es gab keinen Grund mehr, seine Vergangenheit zu leugnen. Im Gegenteil: Sie hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er heute war. Sie hatte ihn stark gemacht und ehrlich. Er hatte aus ihren Lehren gelernt. Und er wusste, dass die Götter es genauso sahen. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er noch den Göttern die Schuld an seiner Einsamkeit gegeben, an allem, was in seinem Leben falsch gelaufen war. Doch in Wahrheit waren die Götter seine Rettung gewesen. Seine Chance auf Erlösung.
Endlich hatte er Ilias’ Wahl verstanden. Hatte verstanden, warum der Gott ihn damals berufen hatte. Und endlich hieß auch Nate seine Entscheidung willkommen.
Ein Knurren löste sich aus Espens Brust, als er auf Nate zustürmte. Seine Schwerter trafen von beiden Seiten auf Nates Schwert. Der König konnte dem Angriff kaum noch etwas entgegensetzen.
»So ist es: Ihr wurdet berufen, nicht gewählt. Aufgrund welcher Verdienste?« Ein weiterer Schlag folgte, den Nate nur mit Mühe parieren konnte. »Ihr habt Menschen getötet, Ihr gebt es selbst zu. Warum erwählen die Götter so jemanden als König? Genau darum vertraue ich ihnen nicht. Ihre ganze Ordnung ist auf Sand gebaut, auf Willkür.«
Als Espen erneut mit beiden Schwertern ausholte, rollte sich Nate zur Seite. Die raue Oberfläche der Steine kratzte über seine Haut. Schnell kam er wieder auf die Beine.
»Weil es ein Monster braucht, um ein anderes zu töten«, erwiderte Nate knapp und kalt.
Espens Kiefer zuckte. Er selbst mochte sich nicht als Monster sehen, sondern als Held, aber das war ein Trugschluss. Eine Lüge, die er sich selbst erzählte. Bei Nate war es umgekehrt. Er sah sich selbst noch immer als Monster, nicht als Helden. Und vielleicht lag genau darin seine Stärke.
Seine Worte schienen die Wut in Espen verstärkt zu haben, denn er ging nun noch erbarmungsloser auf Nate los. Das Klirren der Schwerter dröhnte in Nates Ohren und seine Hände wurden bei jedem Hieb schwitziger und schwächer. Bald würde er den Halt verlieren.
Als er einem weiteren Schlag ausweichen wollte, war er nicht schnell genug. Eine von Espens Klingen schnitt über seinen Oberarm und Nate entkam ein gellender Schrei. Blut tropfte aus der Wunde hinab auf den hellen Stein des Innenhofes.
Genugtuung flammte in Espens Augen auf. Nate sah es in seinen Augen: Nun wollte er es zu Ende bringen. Der nächste Hieb traf Nate am Oberschenkel und er ging stöhnend in die Knie.
Panisch sah der König zu Espen auf, der triumphierend über ihm aufragte. Ein Lächeln umspielte die Lippen des Verräters. Doch so leicht würde Nate nicht aufgeben. Ilias sollte sich in ihm nicht getäuscht haben. Er holte von unten mit dem Schwert aus und es gelang ihm aufgrund des Überraschungseffekts, eine Waffe aus Espens Hand zu schlagen.
Sein Gegner zischte, doch mit dem nächsten Angriff hatte Nate nicht gerechnet. Espen hatte sein verbliebenes Schwert in den Gürtel gesteckt und zückte stattdessen einen Dolch, dessen Klinge er in Nates rechter Schulter versenkte.
Der schrie laut auf und spürte, wie seine Kraft entwich. Mit zitternden Fingern umschloss Nate den Griff des Dolches, der in seinem Körper steckte. Sein Schwert hatte er fallen gelassen.
Nate blickte zu Espen auf, der nun das Schwert aus seinem Gürtel zog. Die Klinge blitzte auf und Nate spürte den kalten Stahl auf der Haut, als Espen das Schwert an seine Kehle legte.
Triumph blitzte in Espens Augen auf.
»Es ist vorbei, mein König.« Wie zum Hohn verneigte er sich vor Nate. Dann holte er mit der Waffe aus und Nate bereitete sich darauf vor, in der nächsten Sekunde von der Klinge durchbohrt zu werden.
Da drang ein Schrei durch den Innenhof.
»Nein!«, schrie die Stimme, die Nate überall wiedererkennen würde.
»Kätzchen …«, hauchte er im selben Moment, in dem Espen ein erstauntes »Celeste?!« ausstieß. Nate sah auf und erblickte die Priesterin, die mit Panik in den Augen nur wenige Meter von ihnen entfernt stand. Die Hände hatte sie vor den Mund geschlagen und die Augen waren weit aufgerissen.
Langsam kam sie nun auf sie zu.
»Bitte, tut ihm nichts. Ich flehe Euch an.« Ihre Stimme war so leise, dass man sie kaum verstehen konnte. Und die Verzweiflung darin raubten Nate zusätzlich den Atem.
Er blickte zu Espen, der Celeste anstarrte.
»Der letzte durch die Götter berufene König muss sterben und mit ihm das alte Ordnungssystem. Nur so wird etwas Neues entstehen können.« Sein Kiefer war fest aufeinandergepresst. Es missfiel ihm offensichtlich zutiefst, dass die Priesterin miterleben würde, welches Monster er in Wahrheit war.
Celeste schüttelte den Kopf. Auch aus der Entfernung konnte Nate die Tränen sehen, die sich in ihren karamellfarbenen Augen sammelten. »Bitte nicht. Nicht ihn.«
Espens Augen wurden schmal. Kurz blickte er voller Hass in den Augen zu Nate herab.
»Wieso nicht?« Das Schwert in seiner Hand zitterte leicht.
Nate spürte die Anspannung in seinem Körper, das Blut, das aus den Wunden drang, und die Schwärze des Todes, die nach ihm greifen wollte. Doch Celestes nächsten Worte ließen ihn all seinen Schmerz vergessen.
»Weil ich ihn liebe«, hauchte sie. »So wie Ihr meine Mutter geliebt habt. Tut mir nicht dasselbe an, was ihr Tod Euch angetan hat.«
Nates Augen fanden Celestes Blick und er schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln. Er würde nicht zulassen, dass sie seinen Tod mit ansehen musste. Als hätten ihre Worte eine letzte Kraftreserve in ihm erweckt, biss Nate die Zähne zusammen und zog den Dolch aus seiner Schulter.
Espen bemerkte nichts davon. Er schüttelte langsam den Kopf. Bedauern war auf seinem Gesicht zu sehen.
»Es tut mir leid«, sagte er, an Celeste gewandt. Und es klang ehrlich.
Dann geschah alles sehr schnell. Im selben Moment, in dem er seine Aufmerksamkeit wieder Nate zuwandte und mit dem Schwert ausholte, stemmte Nate sich mit letzter Kraft hoch und rammte Espen den Dolch direkt ins Herz. Der sah mit ungläubigem Blick zu Nate hinab. Sein Schwert fiel zu Boden und er sackte auf die Knie.
Espen keuchte, als Nate ihn auffing.
»Ich sagte doch, dass ich gekommen bin, um Euch zu töten«, flüsterte Nate ihm ins Ohr. Nates Atem ging schnell und er spürte jeden Knochen seines eigenen Körpers.
Dann fiel Espens Körper zur Seite. Nate sah auf die Klinge in dessen Brust. Er hatte kein Mitleid mit ihm.
»Vielleicht werden die Götter Euch das, was Ihr getan habt, einst verzeihen. Ich kann es nicht.«
Espens Blick wanderte zu ihm wie in Zeitlupe. Seine Augen waren bereits glasig. Das Leben wich aus ihnen.
»Estelle …«, hauchte er statt einer Erwiderung. Dann schlossen sich seine Augen.
Erleichtert atmete Nate auf. Es war vorbei. Doch nun kam mit voller Wucht der Schmerz zurück. Die Wunde auf seiner Brust und die an seiner Schulter raubten ihm beinahe die Sinne.
»Nate!« Mit ein paar schnellen Schritten war Celeste bei ihm. Er fing sie auf, als sie sich in seine Arme warf. Sein Körper schien vor Schmerz aufzuschreien, doch das war ihm egal. Sie war bei ihm. Er drückte sie noch fester an sich. Vergrub das Gesicht in ihren roten Locken.
Die Sicht verschwamm vor seinen Augen, er konnte nur noch schemenhaft Celestes Gesicht vor sich erkennen. Aber das genügte ihm. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er sah, dass sie seinen goldenen Ring am Finger trug.
»Du bist in Sicherheit«, wisperte er. Dann gaben seine Beine unter ihm nach und er fiel auf die Knie.
Celeste versuchte ihn aufzufangen, doch es gelang ihr nicht. Stattdessen kniete sie sich ebenfalls hin, bettete seinen Kopf in ihrem Schoß und strich ihm das Haar aus dem Gesicht.
»Ich weiß. Mir geht es gut. Du hast ihn besiegt.« In ihrer Stimme schwangen Tränen mit und Nate spürte bereits, wie einige als Tropfen auf sein Gesicht hinabfielen.
Er nickte sacht, zu mehr war er nicht imstande. Langsam griff er nach ihrer Hand, an der der Ring mit dem grünen Stein steckte.
»Schön, dass du ihn trägst«, krächzte er.
»Ich werde ihn immer tragen«, flüsterte Celeste. Sie blickte zu ihm hinab. Die Tränen glitzerten in ihren Augen. Nate wollte nichts weiter, als sie zu berühren. Sie fest in seine Arme zu schließen und nie wieder loszulassen.
Als sie sich zu ihm hinunterbeugte und ihre Lippen auf seine presste, war Nate der glücklichste Mann auf der Welt.
***
Celeste
»Nate?«, fragte sie leise, als sie ihre Lippen von seinen löste. Celeste strich ihm mit den Händen über das Gesicht. Ihre Finger hinterließen blutige Abdrücke auf seiner Haut.
»Nate, wach auf.«
Leicht schüttelte sie seine Schulter, wohl bedacht, die Wunden auf seinem Köper nicht zu berühren. Doch er regte sich nicht. Panik ergriff Besitz von ihr.
»Nate! Mach die Augen auf! Hörst du?«
Erneut stieß sie ihn gegen die Schulter, doch er zeigte keinerlei Regung. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie in einer Blutlache saßen. Das Kopfsteinpflaster hatte sich rot verfärbt. Im Innenhof des Palastes herrschte absolute Stille. Celeste starrte auf das Blut, das sich auf den Steinen ausbreitete. Espens Blut. Nates Blut.
Celestes Hände zitterten so sehr, dass sie nicht in der Lage war, Nates Herzschlag zu spüren. Hatte er überhaupt noch einen? Sein Gesicht war aschfahl und hier war so viel Blut. Ihre Kehle schnürte sich zu, ihr Herz schmerzte. Das durfte nicht passieren!
»Nate!«, schrie sie heiser. »Wach endlich auf!«
Sie berührte ihn an der Wange, der Schulter, der Brust. Doch Nathaniel blieb regungslos auf ihrem Schoß liegen.
»Nein, nein, nein«, flüsterte sie kehlig.
Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Versuchte Nathaniel aufzuwecken. Doch es gelang ihr nicht.
Dann schrie sie. Mit der letzten Kraft, die ihrem müden Körper innewohnte, schrie sie nach Hilfe. Jemand musste kommen und sie aus diesem Albtraum befreien. Sie schrie lange. Doch es schien ihr, als wären sie allein auf der Welt.
Sie beugte sich über Nate. Tränen fielen von ihrem Gesicht auf das seine und rannen seine Wange hinab. Vermischten sich mit dem Blut auf seinem Gesicht.
»Du darfst nicht sterben. Hast du mich gehört? Du darfst mich nicht allein lassen. Bitte.« Das letzte Wort war nur noch ein leises Wispern. Ihr Hals schmerzte vom Schreien, ihr Körper war ausgelaugt. Doch das war nichts zu dem Gefühl der kalten Angst, das durch ihre Adern floss.
»Bitte, mach die Augen auf. Bitte«, flehte sie weiter. Hemmungslos liefen nun die Tränen über ihre Wangen und tiefe Schluchzer verließen ihre Kehle. Sie lehnte den Kopf auf seine Brust. Da hörte sie auf einmal seinen Herzschlag! Aber er war zu langsam. Viel zu langsam.
Als er mit einem Mal ganz verstummte, löste sich ein Schrei aus ihrer Kehle, der erfüllt war von Schmerz, Trauer und Verzweiflung.
***
Nathaniel
Seine Lider flatterten und als er die Augen öffnete, lag er in seinem Bett in den königlichen Gemächern. Er wusste nicht, wie er hierhergekommen war. Er konnte sich nicht mal mehr genau daran erinnern, was vorgefallen war, bevor er offenbar das Bewusstsein verloren hatte. Er erinnerte sich leise an Espen und an Celeste. An viel Blut. An ihre Tränen. Und dann an ihre Lippen, die sich in einem verzweifelten Kuss auf seine gepresst hatten. Doch danach war alles weg.
Sein Körper schmerzte und das Atmen fiel ihm schwer. Verwirrt drehte Nate den Kopf vorsichtig zur Seite – und blickte in vertraute Gesichter. Seine Freunde saßen in seinem Zimmer verteilt und waren in diverse Beschäftigungen vertieft.
Mit einem Krächzen macht er die Anwesenden auf sich aufmerksam. Linnéa kniete vor seinem Bett. Als sie den Kopf hob, sah er die Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern. Doch dabei lag nun ein glückliches Lächeln auf ihren Lippen. Sie stand schnell auf und hielt ihm ein Wasserglas an die Lippen, das Nate gierig leer trank.
Hinter ihr stand Malia. Ihre Augen strahlten. Dabei aber schüttelte sie den Kopf, seufzte tief und rollte mit den Augen, als wolle sie sagen, er solle ihr ja nie wieder einen solchen Schrecken einjagen. Typisch Malia. Nate musste schmunzeln.
Adrian und Simea lächelten Nate an. Der Lord hatte den Arm um die Schulter seiner Frau gelegt und gab ihr nun liebevoll und erleichtert einen Kuss auf den Scheitel.
Und auch Nates Vater und Noah, sein Bruder, waren da. Noah trat ein sein Bett und klopfte ihm auf die Schulter. Nate zuckte zusammen bei dem plötzlichen Schmerz. Karim sah ihn nur verunsichert an. Offenbar wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte. Als Nate ihm lächelnd und dankbar zunickte, trat auch ein Lächeln auf das Gesicht seines Vaters. Zwischen ihnen würde es wohl nie einfach werden, doch die Zeit der Feindseligkeit war vorbei.
Karim neigte den Kopf.
»Es freut mich zu sehen, dass du auf dem Weg der Besserung bist.« Die vertraute Ansprache seines Vaters sorgte dafür, dass sich ein warmes Gefühl in seiner Brust ausbreitete. »Du wirst deine Kräfte noch brauchen, wenn die Prozesse anstehen. Wir haben Ayla und Sadik in die Kerker gesperrt. Ebenso die meisten Atheos. Diejenigen, die fliehen konnten, werden verfolgt. Die Verräter warten auf dein Urteil, mein Sohn.«
Nate sah seinen Vater mit großen Augen an, dann nickte er zögernd. Sie hatten Ayla und Sadik gefangen genommen. Das waren mehr als gute Nachrichten. Doch Nate graute es davor, den beiden den Prozess zu machen. Er fühlte sich in diesem Moment viel zu schwach dafür. Und doch würde er höchstpersönlich dafür sorgen, dass die beiden Atheos das bekamen, was sie verdienten.
Entgegen Aylas Schachpartie, hatte die weiße Seite gesiegt. Der schwarze König und die schwarze Dame waren gefallen. Und auch, wenn das nicht allein sein Verdienst war, war er doch stolz, dass Aylas und Espens Pläne unter seiner Herrschaft vereitelt worden waren. Die weißen Türme mochten nicht mehr an seiner Seite stehen, daran konnte Nate nichts ändern, aber dafür waren alle anderen Spielfiguren in Sicherheit. Die weißen Läufer, Malia und Linnéa, waren nicht mehr von schwarzen Bauern umzingelt und auch eine todesmutige Nike kämpfte nicht mehr aussichtslos gegen dem Feind. Sie alle waren außer Gefahr.
Vor der Tür war ein Poltern zu hören – Marco, Kiah und Elio kamen hereingestürmt. Als Nate überrascht aufsah, lachten sie gelöst auf. Ihnen war offenbar ein großer Stein vom Herzen gefallen. Elio gesellte sich zu Noah, Marco legte seinen Arm um Malia und Kiah setzte sich zu Nate aufs Bett. Im Gegensatz zu Noah war Kiah äußerst vorsichtig, als er den König in seine Arme zog.
»Mach das nie wieder. Noch mal mach ich das nicht mit«, brummte sein Höfling und lachte leise.
Nate wollte gerade etwas erwidern, als er Celeste in der Tür stehen sah. Ihre Arme hatte sie um den Köper geschlungen, als bräuchte sie die Wärme und den Halt, um gerade stehen zu können. Ihr Gesicht war noch blasser als sonst und unter ihren Augen waren dunkle Schatten zu sehen, als hätte sie Nächte lang nicht geschlafen. Zwei Schnittwunden zierten ihre Wange. Der Anblick versetzte Nate einen Stich. Als ihre Augen sich mit Tränen füllten und sie nervös begann, auf ihrer Unterlippe herumzukauen, spannte sich Nates Kiefer an.
»Alle raus«, sagte er leise, aber entschieden. Er betrachtete dabei noch immer den Rotschopf, während die Anwesenden seinem Blick folgten. Celeste stand noch an derselben Stelle und rührte sich nicht.
Adrian, Simea und Karim machten den Anfang und verließen rasch und ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Als Malia zu Celeste sah, wurde ihr Blick weich und sie zog Marco mit sich aus dem Raum, aber nicht, ohne Nate noch ein Lächeln zu schenken. Linnéa strich noch einmal über Nathaniels Hand und stellte das Wasserglas auf einen kleinen Tisch, bevor auch sie gemeinsam mit Noah das Zimmer verließ.
Kiah und Elio lächelten den König für Nates Geschmack ein wenig zu verschmitzt an und strichen Celeste beim Vorbeigehen liebevoll über die tränennassen Wangen, als sie das Zimmer verließen.
Als die Tür endlich hinter ihnen ins Schloss fiel, versuchte Nate sich aufzusetzen und die Schmerzen zu ignorieren. Seine Haut spannte und die Verbände um seine Brust juckten. Er fühlte sich, als hätte ihn eine Horde Bullen überrannt.
Noch immer hatte Celeste sich nicht bewegt. Nate wurde es mulmig zumute. Er streckte seine Hand nach ihr aus. Eine unausgesprochene Einladung.
Aus Celeste Hals rang sich ein Schluchzen, bevor sie auf Nate zurannte und sich in seine Arme warf. Der Schmerz war ihm egal, er schlang seine Arme um ihren zierlichen Körper und presste sie an sich. Seine eine Hand vergrub sich in ihren roten Locken und die andere lag auf ihrem Rücken. Celeste hatte beide Arme um seinen Hals geschlungen und weinte. Er spürte ihre Tränen an seinem Hals und zog sie noch fester an sich. Seine Lippen legten sich auf ihren Scheitel, in der Hoffnung, er könne sie so beruhigen. Er hasste es, sie so zu sehen. Bei jedem ihrer Schluchzer traf ihn ein weiterer Stich ins Herz. Aber ohne ein Wort zu sagen, hielt er sie fest und ließ sie weinen.
Sie hatten es geschafft. Gemeinsam hatten sie Sirion gerettet. Hatten die Atheos besiegt und dem Land den Frieden zurückgebracht. Die einzige Ordnung, die es brauchte. Die Ordnung ihrer Götter. Die die Menschen Sirions liebten und die ihnen zu Hilfe gekommen waren. Es war vorbei.
»Kätzchen«, flüsterte er direkt über ihrem Ohr. »Bitte, hör auf zu weinen.« Er ertrug es nicht länger. Die herzzerreißenden Laute, die aus ihrer Kehle kamen, und die Tränen, die auf sein Hemd tropften.
»Ich kann nicht«, erwiderte sie krächzend. ES klang wie eine Entschuldigung.
Mit der Hand fuhr er ihr beruhigend über den Rücken. Immer und immer wieder. Der vertraute Duft von Zimt drang ihm in die Nase und wirkte wie das ersehnte Heilmittel gegen seine Schmerzen.
»Du musst. Für mich.«
Nur langsam löste die Priesterin sich von ihm. Tränenspuren zeichneten ihre Wangen und vereinzelte Tropfen hingen in ihren dunklen Wimpern. Mit den Händen fuhr sie sich übers Gesicht und versuchte danach, ihre Haare zu bändigen. Vergebens.
Nate lächelte sie an. Seine Finger fanden ihre. Der Karamellton ihrer Augen war dunkler als sonst, während sie ihn betrachtete. Es wirkte so, als würde sie versuchen, sich jedes Merkmal seines Gesichts einzuprägen.
»Ich dachte, du wärst tot, ich dachte …«, sagte sie dann. Ihre Stimme brach mitten im Satz und Nate sah ihr an, dass sie Mühe hatte, nicht wieder zu weinen.
Beruhigend strich er ihr mit dem Finger über den Handrücken. Malte kleine Kreise, während er ihr in die Augen sah.
»Mir geht es gut, versprochen. So leicht bin ich nicht zu töten«, fügte er mit einem Grinsen auf den Lippen hinzu.
Ihre Miene verfinsterte sich.
»Das ist überhaupt nicht lustig.«
Das wusste er. Doch die leise Wut in ihrer Stimme war um Welten besser als die Sorge. War besser als die Angst.
»Machst du dir etwa immer noch Sorgen um mich, Kätzchen?«
Sie boxte ihm gegen die Schulter. Als Nate schmerzerfüllt das Gesicht verzog, schlug Celeste sich die Hand vor den Mund.
»Tut mir leid«, sagte sie sofort. Doch Nate winkte ab. Er hatte diesen Schlag mehr als verdient.
Vorsichtig setzte er sich weiter auf. Seine Bewegungen waren verkrampft und stockend. Es würde eine Zeitlang dauern, bis er wieder vollkommen genesen war.
Als sein Blick wieder auf Celeste fiel, sah er die goldene Kette um ihren Hals. Sie hatte sie ersetzt und er wusste genau, was daran befestigt war. Ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Jetzt fiel es ihm wieder ein: Es war das Letzte, an das er sich erinnern konnte. Ihr Kuss und der Ring, den er währenddessen in den Händen gehalten hatte.
Er streckte die Hand nach ihr aus und zog das Schmuckstück unter ihrem Kleid hervor.
»Du kannst ihn nun offiziell tragen, weißt du?«
Allein der Gedanke, jedem zeigen zu können, dass sie zu ihm gehörte, erfüllte seine Brust mit Stolz. Und unbändigem Glück.
»Aber du hast mich noch nicht offiziell gefragt«, widersprach sie. Und trotz der Tränen in ihren Augen, grinste sie nun. Sein Kätzchen war dabei, wieder die Alte zu werden.
Ein leises Lachen löste sich aus seiner Brust und noch im selben Moment bereute Nate es. Lachen tat weh. Verdammt weh sogar. Nate fasste nach seiner Brust und spürte den dicken Verband, den er unter dem Hemd trug.
Als er sich vorbeugte und den Verschluss der Kette löste, spannte seine verletzte Haut unangenehm. Er befreite den Ring und betrachtete ihn. Der grüne Stein leuchtete im Licht der Sonne. Es war sein Versprechen an sie gewesen. Und zum ersten Mal in seinem Leben war Nate im Begriff, ein Versprechen zu halten.
»Ich glaube, Malia würde mich lynchen, wenn ich jetzt vor dir auf die Knie fiele und damit meine Wunden wieder aufreiße. Daher hoffe ich, dass du nachsichtig mit mir bist und dich auch mit dem hier zufriedengibst.« Er griff nach ihrer Hand und verschränkte seine Finger mit ihren.
»Ich könnte jetzt sagen, dass ich der König dieses Landes bin und du eine sehr gute Partie machen würdest, wenn du mich heiratest.« Celeste lachte bei seinen Worten leise und schüttelte den Kopf. »Aber eigentlich will ich nur sagen, dass ich dich liebe und mir ein Leben ohne dich an meiner Seite nicht vorstellen kann. Willst du meine Frau werden?«
Er hatte geglaubt, dass ihm diese Worte schwerfallen würden, doch das waren sie nicht. Im Gegenteil: Noch nie in seinem Leben war ihm etwas so leichtgefallen. Noch nie war er sich einer Sache so sicher gewesen.
Ein Lächeln breitete sich auf Celestes Gesicht aus und sie nickte langsam. »Ja, das will ich.«
Mit zittrigen Fingern steckte Nate ihr den Ring an. Da er sich nicht weiter strecken konnte, ohne vor Schmerzen aufzustöhnen, zog er Celeste leicht am Haar, bis sie sich erbarmte, sich zu ihm hinunterzulehnen. Ihre Finger umschlossen seinen Nacken, als sie ihre Lippen auf seine presste. Weich und warm lag ihr Mund auf seinem und Nate stöhnte auf. So würde es nun immer sein. Der warme Körper des Rotschopfs eng an seinen gepresst. Er durfte sie küssen, wann immer es ihm gefiel.
Doch da löste sich Celeste von ihm. Viel zu schnell für Nates Geschmack. In ihren Augen glitzerten noch ungeweinte Tränen. Sie hielt sich ausgesprochen tapfer. Noch nie hatte Nate sie so viel weinen sehen.
»Ich will dir noch etwas sagen«, flüsterte sie eindringlich.
Verwirrt hob Nate eine Augenbraue. Auf seiner Stirn bildete sich eine Falte und er sah sie irritiert an.
»Was ist?«
Celeste griff nach seinen Händen und strich liebevoll mit ihrem Daumen über seine Handrücken.
»Du brauchst einen Ort, an dem du du selbst sein kannst. Einen Ort, wo du nicht der König von Sirion und nicht der Sohn der Sonne bist, an dem du niemandem gerecht werden musst und wo kein Druck auf deinen Schultern lastet.« Sie schenkte ihm ein Lächeln und Nate hielt den Atem an. »Lass mich dieser Ort für dich sein, wann immer du ihn brauchst. Ich werde in dir immer nur Nate sehen, den Straßenjungen, der mich bestehlen wollte und der manchmal unausstehlich ist. Ich will dein sicherer Hafen sein. Jetzt und für immer.«
Seine Brust zog sich bei ihren Worten zusammen. Nun war er es, der mit den Tränen kämpfte. Sie hatten so viel zusammen erlebt. Hatten gelacht, geweint, gekämpft und gelitten. Doch am Ende hatten sie gesiegt. Und Nate konnte von sich sagen, dass er mehr als nur den Krieg gewonnen hatte. Er hatte die Liebe der Frau gewonnen, die ihm alles auf der Welt bedeutete.
Er zog sie zu einem weiteren Kuss an sich.
»Mein sicherer Hafen«, flüsterte er an ihren Lippen. »Jetzt und für immer.«