Es war die Stille, die Painmaker zurück in die Realität holte. Die Abwesenheit von Stiefeln über Steinboden oder die Rufe von Wachen. Er öffnete die Augen und blinzelte in blauen Himmel. Ein heller, freundlicher Farbton, der ihm völlig fremd war.
»Master Lenville, Sir?«, kam es von links. Cube legte die Hand auf seinen Brustpanzer und versuchte vornübergebeugt, ein Lebenszeichen auszumachen. »Ihr seid bei Bewusstsein, das ist von Vorteil. Geht es Euch gut?«
Die Frage des mechanischen Wesens lenkte seinen Fokus auf die Areale, die nun mit Pochen und Brennen aus dem Sumpf der Betäubung auftauchten. Sämtliche Gliedmaße sowie Rücken und Schultern. Aufgrund der vergangenen Auseinandersetzungen besaß die Rüstung mittlerweile zu viel Spiel, ihre Polsterung war abgenutzt oder gar verschoben. Er würde später eine Runderneuerung beauftragen.
»Sir?«
»Entschuldige. Ja. Ja, es geht mir gut.«
Sein Stöhnen beim Aufrichten blieb dennoch nicht unbemerkt.
»Findest du es nicht auch merkwürdig, dass uns niemand angreift?«, presste er hervor. »Die Wache eben wird doch kaum die einzige gewesen sein, oder?«
»Ja, das kam mir auch bereits in den Sinn. Es wäre gut möglich, dass sie ihre Kräfte bündeln und sich auf die strategisch wichtigen Punkte zurückziehen. Dies würde uns allerdings das weitere Vorankommen erschweren.«
»Wie schaffst du es nur, mich immer wieder zu motivieren?«, entgegnete Painmaker schnippisch.
»Oh, ich hatte nicht beabsichtigt …«
»Das war Sarkasmus. Hilf mir auf.« Er hielt ihm den Arm hin.
Sie gelangten beide in den Stand und sondierten die Umgebung. Die Gasse verband zwei viktorianische Gebäude, die zwar liebevoll gestaltet waren, aber seltsam verlassen wirkten. Genau wie die Umgebung. Einzig das Rauschen der Antriebe von SkyCity waberte über sie hinweg. Painmaker begab sich ans Ende der Gasse, aus der sie gestolpert waren, und spähte vorsichtig um die Ecke in beide Richtungen. Beim Blick nach rechts stockte er.
»Wurde der Ballon nicht zerschossen?«, wandte er sich an Cube.
Der lugte nun ebenfalls hervor. »Ja, Sir. Wie mir scheint, gibt es hierfür automatisierte Reparaturvorrichtungen. Es behagt mir nicht, über wie viele Besonderheiten uns die Pläne keine Auskunft gegeben haben.«
»Für derlei Sorgen ist es nun zu spät.« Painmaker schaute an den Fassaden hinauf, um mögliche Verstecke oder Bewegungen auszumachen. »Wir können uns an der Außenseite nach vorn arbeiten.«
»Über die Dächer lässt sich die Umgebung besser überblicken und eine Flucht wäre in alle Richtungen möglich«, wandte Cube ein.
»Du hast recht, also los.« Painmaker war im Begriff, sein Fluggerät zu starten, als ihm schmerzlich bewusst wurde, dass dieses defekt war. Er schnallte es ab, stellte seine Beweglichkeit wieder her und lockerte die Gelenke. »Dann bist du wohl unser Taxi.«
Cube startete den Rucksack, hielt inne, damit Painmaker sich festklammern konnte, dann stiegen sie beide senkrecht zur Dachkante auf. Ihnen blieb nicht viel Spiel zwischen den Hauswänden, doch Cube machte seine Sache gut. Auf dem breiten Sims gingen sie nieder und sahen sich um.
Der riesige Bau in der Mitte von SkyCity überragte die übrigen Dächer um ein ganzes Stück. Wenn die Mitglieder von Zebulon Parker schlau waren, hatten sie sich dort postiert. Ganz ungefährlich war der Weg über die Dächer daher also nicht. Anders als am Rand des riesigen Schiffes gab es hier allerdings keinerlei Waffen, zumindest keine sichtbaren. Stattdessen wölbten sich unzählige funkelnde Glaskuppeln auf den Gebäuden gen Himmel.
»Sonnenlicht geht vor Verteidigung«, meinte Painmaker lapidar. »Gut für uns.«
Die Größenverhältnisse auf diesem Schiff täuschten einmal mehr. Es waren noch etliche Blocks bis ins Zentrum. Painmaker begann den Aufstieg über das erste Dach. Der Anstieg war moderat, dennoch ging er leicht gebückt. Eine Schutzhaltung, die sich von ganz allein ergab, auch weil ihm die Knochen schmerzten. Cube hingegen folgte ihm aufrecht, sah sich permanent um. Noch beunruhigte ihn die Stille. Jeder Schritt fühlte sich an, als würden sie in eine Falle tappen. Am Ende des ersten Blocks trennte sie eine weitere Gasse zum nächsten Sims. Painmaker nahm Anlauf und schaffte es mangels Kraft gerade so auf die andere Seite. Sein Blick ging zu Cube zurück, der steif und prüfend in die Tiefe blickte.
»Anlauf nehmen und springen. Sollte eine einfache Kalkulation für dich sein.«
»Nun ja, in Anbetracht des Rucksacks, dessen Gewicht mir unbekannt ist …«
»Hör auf nachzudenken und mach einfach!«, herrschte Painmaker ihn an.
Das mechanische Wesen führte seine Berechnung dennoch zu Ende und folgte mit einem überraschend sicheren Satz hinüber.
Painmaker schob sich kopfschüttelnd an einem Giebel vorbei und betrat eine ebene Fläche, die als Basis für eine der riesigen Glaskuppeln diente. Vorsichtig sah er hinein. Das Licht erhellte einen Luftraum, der über drei Ebenen verlief, in denen niemand auszumachen war. Tatsächlich sah es sogar so aus, als wäre hier noch nie ein Mensch hindurchgeschritten. Weder Möbel noch Wanddekoration waren zu sehen. Es war ein leeres Gebäude.
»Was immer die hier treiben, es macht den Anschein, als wäre das alles nur gebaut worden, um sich erhaben zu fühlen. Wie mich das anwidert«, meinte Painmaker und ließ den Blick schweifen.
Das ergab alles keinen Sinn. Besaßen diese Gebäude einen Zweck? Was würde ihn in dem Palast im Zentrum erwarten? Auch nur leere Räume? Oder spielte sich dort das eigentliche Leben ab? Vielleicht befand sich SkyCity auch noch in einem frühen Stadium.
Er musste vorankommen, sein Kopf würde ihn sonst mit unnützem Kram lahmlegen. Hier ging es nicht um das Warum, sondern um das Wo. Nichts anderes zählte. Diese feigen Pisser konnten sich seinetwegen auch in einem Kirchturm verschanzen, es war nur wichtig, sie zu finden, um sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Painmaker drückte das Kreuz durch, erhob sich zu voller Größe und ging festen Schrittes um die Kuppel herum. Niemand würde ihn aufhalten. Sollten sie doch versuchen, ihn erneut mit Scharfschützen auszuschalten. Solange Sauerstoff durch seine Lunge floss, würde er immer und immer wieder aufstehen.
»Habt Ihr etwas entdeckt?«, rief Cube, der nun in flinken Schritten hinterher hechtete.
Painmakers Kopf ruckte nach links. Eine Gestalt in dunkler Kleidung huschte über das Dach auf der anderen Seite der Allee.
»Wir werden uns aufteilen müssen«, sagte er. »Ich möchte, dass du über den Gebäuden kreist und sie so aus den Löchern lockst. Ich werde sie dann aus der Deckung heraus ausschalten. Irgendetwas geht hier vor und ich will derjenige sein, der die Oberhand behält.«
Die Linsen im bronzenen Roboterschädel taxierten ihn.
»Einwände?«, schob er nach.
»Ja, Sir. Es behagt mir nicht, dem übermäßigen Risiko ausgesetzt zu sein, abgeschossen zu werden.«
»Du bist eine Maschine, Herrgott noch mal. Das kann dir herzlich egal sein. Oder glaubst du, es gibt einen Himmel für Altmetall?« Seine Aussage kam ihm derart barsch über die Lippen, dass es ihn selbst überraschte.
Cube sah ihn weiterhin eindringlich an. Die abgehakten Bewegungen seines Kopfes ließen vermuten, dass es ihn gekränkt hatte. Auch wenn das eigentlich nicht möglich war.
»Los, sonst sind wir zum Abend noch nicht drin.«
Zögerlich erhob sich der Roboter, startete den Rucksack und stieg auf. Kaum hob er sich über das Dach, kam die Figur auf der anderen Seite ins Sichtfeld. Painmaker löste den Revolver von der Halterung am Oberschenkel, zielte und drückte ab. Direkt beim ersten Schuss kippte der Unbekannte zur Seite.
»Mal sehen, wie viele von euch Drecksäcken hier noch herumstreunen.«
Vornübergebeugt hastete er an der Kuppel vorbei, dann zwischen weiteren Aufbauten hindurch und sprang mit einem Satz auf das nächste Dach.
X
Cube kämpfte damit, sich den schwer nachvollziehbaren Entscheidungen von Master Lenville unterzuordnen. Mit jeder von ihnen sank die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Umsetzung. Vermutlich war es ein rein menschlicher Aspekt, dass Logik und Verstand unter bestimmten Umständen eben keine Größen waren, mit denen sich kalkulieren ließ. Das rumpelnde und tuckernde Ding auf seinem Rücken trug ebenfalls nicht zu seiner Zufriedenheit bei.
Gleich nach dem Aufstieg erfüllte ihn etwas, das er als Unwohlsein definierte. Master Lenvilles Äußerung wirkte lange in ihm nach. Ihm lag sehr wohl etwas an seiner Existenz, auch wenn sich schwerlich erklären ließ, weshalb. Als exponierter Truthahn über den Dächern von SkyCity zu schweben, war seinem Selbsterhaltungstrieb wenig dienlich. Ihm war selbst unerklärlich, weshalb er direkt das Dach ansteuerte, auf dem Master Lenville die dunkle Gestalt ausgemacht hatte. Nun sah er sie ebenfalls. Sie sackte jedoch in sich zusammen, kaum dass er das Gebäude erreichte.
Diese Ereignisse gefielen ihm ganz und gar nicht.
Er steckte in einer Zwickmühle. Zum einen war es ihm wichtig, den Sohn der Lenvilles am Leben zu wissen. Gleichwohl gebot es sich, dafür keine anderen Leben in Gefahr zu bringen. Bei dem Versuch einer Bewertung dieser Sachlage blockierte etwas in seinem Inneren. Es war ihm unmöglich, hierzu Berechnungen anzustellen.
Auf dem benachbarten Gebäude tat sich ansonsten nichts. Er flog einen Bogen, um die angrenzenden zu überblicken, die in ihrem Rücken lagen. Wenn Master Lenville sich nach vorn konzentrierte, sollte es wenigstens aus der entgegengesetzten Richtung keine bösen Überraschungen geben.
Irgendwo knallte es in schneller Folge.
Er betätigte die Steuerung und wich so unwissentlich einer Schusssalve aus. Doch er konnte niemanden entdecken. Also täuschte er ein Taumeln vor und versuchte, anhand der Bewegungen von Painmaker eine Richtung auszumachen. Der stürmte nach links an die Dachkante. Sein Angreifer lauerte also in einer Gasse zwischen den Gebäuden irgendwo unter ihm.
Cube stieg wieder auf, hielt sich außer Sichtweite der Gasse und stürzte dann senkrecht hinein. Es waren sogar zwei Angreifer, die nun erschrocken den Weg auf die Allee antraten. Kaum verließen sie die Schlucht der Gebäude, brachen beide nacheinander zuckend zusammen. Painmaker hatte sie ins Visier genommen.
In einem Bogen zog Cube das Fluggerät hinauf und wendete, damit er den Blick zum eigentlichen Ziel nicht aus den Augen verlor. Als funkelnder Punkt huschte Mr Lenville derweil in ungeheurer Geschwindigkeit über die nächsten zwei Dächer. Cube folgte dessen Vorwärtsdrang und sah weitere Personen in dunkler Kleidung, die im riesigen Eingang des Palastes verschwanden. Einige feuerten ziellos in ihre Richtung. Da sich der Gegner offenbar zurückzog, beschloss Cube, zurück zu Painmaker zu fliegen. Der lag an der Kante des letzten Gebäudes und spähte in die Umgebung. Kaum dass er zum Landen ansetzte, sprang dieser auf und trat energisch auf ihn zu.
»Diese Feiglinge verschanzen sich! Sie glauben allen Ernstes, dass es hilfreich wäre, in einem Gebäude voller Fenster die Türen zu schließen.«
Cube stellte den Motor ab, um ihn besser verstehen zu können. »Eurer Aussage nach habt Ihr bereits eine Überlegung angestellt, wie wir hineingelangen?«
Er nickte Cube zu und hob den Arm zu einem der Balkone, die wie wulstige Unterlippen an der Fassade hingen. »Dort können wir …«
Schüsse dröhnten. Direkt neben ihnen schlugen Kugeln ein. Keine Scharfschützen und dennoch viel zu akkurat, bedachte man den Wind hier oben.
Painmaker packte Cube, drehte ihn beiseite und betätigte im gleichen Manöver den Startknopf. »Los!«
Der Roboter tat sein Bestes, mit der plötzlichen Lageänderung klarzukommen, und zog am Gashebel. Einmal mehr ächzte der Motor unter der Last. Painmaker fand keinen rechten Halt und sorgte für unfreiwillige Lastwechsel. Die Kugeln pfiffen um sie herum, trafen jedoch andere Ziele. Painmaker hing an der schmalen Metallhüfte, versuchte, mit den breiten Stiefeln auf Cubes Füßen Standfläche zu finden. Immer wieder blickte er über die Schultern, um die Schützen auszumachen. Zurückfeuern war keine Option, die Gefahr, Waffe und Leben zu verlieren, war einfach zu groß.
Dann schepperte es und eine Kugel sirrte davon.
Der Motor des Rucksacks verlor seinen sonoren Klang.
Cube zog das Gefährt noch einmal in die Höhe, um in einem Abwärtsbogen den Balkon zu erreichen. Sein Plan ging auf, doch sie kamen einmal mehr viel zu schnell hinunter. Der Balkon und mit ihm eine gläserne Tür ins Innere des Gebäudes raste auf sie zu.
»Vorsicht!«
Er stoppte den Motor, die Rotoren huschten zurück in die Behausung. So würden sie nicht in die Quere kommen. Der Aufprall kam plötzlich und mit ungeheurer Wucht.
X
In der eintretenden Stille säuselte lediglich Painmakers Atemmaschine. Er riss die Augen auf und sog tief die Luft ein. Sein Anzug fühlte sich nun an wie ein Gefängnis, obwohl er ihn vor Knochenbrüchen bewahrt hatte. Stöhnend richtete er sich auf. Cube lag reglos auf der Seite, den Rücken samt Rucksack ihm zugewandt. Erst nach zwei Anläufen fand Painmaker auf die Knie. Sein Panzer knirschte auf den Glasscherben. Ein widerliches Geräusch, als mahlte das Schicksal mit den Zähnen.
»Cube?«, sprach er den Roboter an.
»Ja, Sir?«, kam es knapp und beinahe zu heiter.
»Ist … alles in Ordnung mit dir?«
»Ich vermag mich nicht zu bewegen, Mr Lenville. Etwas vom Rotorrucksack hat sich in meiner Mechanik verhakt.«
Er atmete erleichtert aus. Dem merkwürdigen Gefühl eines weiteren Verlustes, das kurzzeitig aufkam, gab er keinen großen Raum. Mit wenigen Handgriffen löste er die Verstrebung und nahm seinem Gefährten den Ballast ab. Cube erhob sich ungelenk.
»Wie ich sehe, seid Ihr rein äußerlich ebenfalls wohlauf.«
Statt darauf einzugehen, sah Painmaker sich um. Sie standen in einer Art Lounge. Ein riesiger Raum mit einem Dutzend Sesseln und Sofas, einem protzigen Kamin, einer Bar und reichlich Holzvertäfelung. Die Decke begann erst weit über ihnen, sodass ein unverhältnismäßig großer Kronleuchter darunter Platz fand. In Metalhain hatte er noch nie einen solchen Raum zu Gesicht bekommen.
»Lass uns diese Bastarde finden«, knurrte er.
Painmaker wankte auf eine Doppeltür zu. Noch immer ging er nicht gänzlich aufrecht, sein Körper war eine einzige Wunde. Er lauschte, bevor er die Tür aufzog und auf den Gang sah.
»Da hinten ist eine Treppe«, wandte er sich an Cube und verzog das Gesicht, als dieser sich den Rucksack wieder umschnallte. »Was willst du mit dem Ding? Sie zu Hackfleisch verarbeiten?«
»Wie gedachtet Ihr denn, wieder von diesem Schiff hinunterzugelangen?«
Eine Frage, die sich als äußerst sinnvoll herausstellte. Vor allem in Anbetracht seines defekten Fluggerätes.
»Es wird sich sicherlich etwas anderes finden lassen«, meinte er lapidar und trat hinaus.
Der Flur war opulenter als manch ein Museum. Der Teppich, die Tapeten, die Gemälde, Möbel und Dekorationen, das hier konnte ein Präsidentenpalast sein. Der Prunk spottete jedweder Vernunft und schürte seinen Unmut auf Zebulon Parker nur noch weiter. Painmaker versuchte, all das auszublenden und sich auf das Vorankommen zu konzentrieren. Im Gebäude war es ungewöhnlich ruhig. Die Treppe schien der einzig sinnvolle Weg zu sein, führten die sich offenbarenden Wege nur tiefer in ein vertäfeltes Labyrinth. Er öffnete die Verkleidung an seinem linken Bein und brachte ein unscheinbares Gerät zum Vorschein. Kleiner als der Revolver war es diesem in der Grundform doch sehr ähnlich.
»Was ist das, Sir?«
Den Blick weiter hinab gerichtet, antwortete Painmaker: »Eine Option, weniger Schaden anzurichten. Das hängt allerdings von meinem Gegenüber ab.«
Seine Worte sollten die Dinge bewusst im Trüben halten.
Von unten waren aufgeregte Stimmen zu vernehmen.
Painmaker beschleunigte seinen Gang. Auf den darauffolgenden Ebenen sah er zur Absicherung flink in die Flure und folgte zielstrebig der Geräuschkulisse. Mehrere Personen diskutierten aufgebracht. Dann sah er sie. Gewölbte Kleider, Männer in Anzügen. Wie es den Anschein machte, jedoch keine Wachen. Würde es so einfach werden? Unaufhörlich hastete er die Stufen hinunter, bis er Personen zwischen den Pfosten des Geländers betrachten konnte.
Drei Herren und vier Damen hielten sich an einem Absatz auf.
»Wir wären so weit«, meinte jemand, der sich ein wenig abseits der Gruppe befand. Vermutlich doch eine Wache. Sicher war sie nicht die einzige.
»Ich kann mich nur wiederholen. Wie, in Herrgottsnamen, ist es überhaupt möglich, dass wir hier in unserem Safespace angegriffen werden?«, kam es barsch von einem der Herren. Er musste um die 60 sein, trug einen dichten, grauen Kotelettenbart und wirkte steif wie ein Eisblock.
»Mr Logmorton, es steht mir nicht zu, dies zu beurteilen. Ich bin einzig für Eure Sicherheit verantwortlich.«
Er erhielt verächtliches Stöhnen als Rückmeldung.
»Ich bringe Euch nun zu den Rettungskapseln«, schob die Wache nach.
Eine Frauenstimme erklang. »Wenn es die gleichen Barbaren sind, die unser Heim angegriffen haben, wo sollen wir dann hin?«
Das war eindeutig die richtige Frage, fand Painmaker. Nirgends wollte er am liebsten schreien und ihnen endlich gegenübertreten.
Stiefelgetrappel näherte sich, vermutlich drei Mann.
Painmaker wollte unmittelbar angreifen, doch vielleicht war es keine schlechte Idee, sie noch ein wenig zu beobachten und ihnen zu folgen. Hier auf den Gängen war der Platz begrenzt, ihm fehlte Spielraum, um seine Gegner auszuschalten. Zudem sollten die Mitglieder von Zebulon Parker nicht durch Querschläger Schaden finden. Dafür wollte er sich Zeit nehmen. Wenn er die Skizzen dieses Ungetüms richtig im Kopf hatte, lagen die Schächte der Kapseln an der Unterseite. Ganz sicher würden sie alle über eine größere Halle erreichbar sein.
Die Gruppe setzte sich in Bewegung.
Painmaker beugte sich weiter hinunter, um die Wachen in Augenschein zu nehmen. Sie umringten die Gruppe, demnach würden nur zwei die Nachhut bilden. In den Händen trugen sie einfache Pistolen, keine Gewehre. Damit käme er klar, wenngleich sie damit agiler waren.
Er wartete, bis der Trupp aus dem Sichtfeld verschwand, und trat vor, als der Absatz verwaist war. Der teure Teppich war schlichten Dielen gewichen, das Geländer bestand aus weiß lackiertem Stahl. Hier begann also der Bereich, den die feine Herrschaft für gewöhnlich nicht betrat. In der Tat wurde die Treppe schmaler und führte in einen langen, schmucklosen Gang. An dessen Ende wandte sich die Wache ein letztes Mal um.
Painmaker zog den Kopf zurück. Er wartete weitere zehn Sekunden und trat dann in den Durchgang. Cube folgte still und leise.
Er musste das Tempo reduzieren. Die schweren Stiefel hallten zu laut auf dem Holz nach. Das Überraschungsmoment durfte er nicht verspielen. So zogen sich die 20 Meter in die Länge. An der Abbiegung lauschte er und vernahm die leisen Schritte der Gruppe in einiger Entfernung. Ein kurzer Blick und es ging weiter. Selbst wenn er sie verlor, wiesen unzählige Schilder immer tiefer in den Bauch des Schiffes, zählten sogar die verbleibenden Meter bis zu den Rettungskapseln herunter. Je näher er kam, desto heftiger pochte sein Herz in der Brust. Er wollte keinen Fehler machen, sich diesen Moment nicht ruinieren.
Am Durchgang hielt er inne und wagte einen Blick hinein.
Was er erblickte, war keine Halle, sondern ein riesiger Hangar, in dem die Köpfe der Kapseln wie übergroße Ostereier aus dem Boden ragten. Ein absurder Anblick. Davor verlor sich die Gruppe als kleine Punkte.
»Wir werden so leise wie möglich aufschließen. Hoffen wir, dass die Wachen sich nach vorn konzentrieren. Dann schalte ich sie aus.«
Cube bekam keine Chance, seine Gedanken dazu zu äußern. Painmaker löste sich vom Ausgang und hastete los. Augenblicklich folgte ein Kugelhagel von beiden Seiten. Er wendete auf dem Absatz und schob Cube wieder in den Durchgang. Nun näherten sich auch aus den Tiefen des Schiffes Schritte. Sie waren in eine Falle getappt!
»Diese Bastarde! Das meinte er mit ›Wir sind so weit‹. Wir machen es wie folgt«, sagte Painmaker und griff ans linke Bein. »Du wirst sie hinter uns aufhalten, ich kümmere mich um die in der Halle.«
Er drückte Cube den Revolver an die Metallbrust. Der Roboter brauchte nicht einmal Mimik oder Gestik, um sein Unbehagen über diesen Schritt auszudrücken. Kurzerhand tauschte Painmaker die Waffe mit der kleineren aus.
»Setz sie außer Gefecht, los!«
Dann ließ er ihn zurück und die ersten Schüsse fielen.
X
Am liebsten hätte Cube dieses Ding fallen gelassen. Was dachte sich Master Lenville dabei? Bei der aufkeimenden Kriegskulisse in seinem Rücken krallte er sich jedoch automatisch fester daran. Er wollte nicht … kaputtgehen.
Die Schritte hatten fast den Abzweig erreicht.
Ohne jedwede Kalkulation sprang Cube um die Ecke, die Waffe nach vorn gerichtet. Die heranrennenden Wachen waren für den Augenblick von seiner Erscheinung irritiert. Dieser reichte aus, um zu beurteilen, dass kein Freund unter ihnen war und jeder einzelne eine Pistole in der Hand hielt. Cube betätigte den Abzug. Die Kraft des stummen blauen Flimmerns schlug ihm beinahe die Waffe an den Schädel. Noch im Laufen sanken die ersten drei Gestalten stumm zu Boden und blieben bewusstlos liegen. Vier weitere kamen nun zum Vorschein, pressten sich gegen die Wand. Dann eröffneten sie das Feuer.
Sirren, Scheppern, Sirren.
Panisch drückte Cube den Abzug ein zweites Mal. Eines der Projektile machte kehrt und traf als heller Funken eine der Wachen. Nummer vier und fünf gingen zu Boden. Noch ein Schuss und die letzten beiden gesellten sich zu den anderen.
Sein Blick hing an den daliegenden Körpern. Das hatte er getan. Etwas, das eindeutig gegen seine kalkulierten Möglichkeiten sprach.
Ein Schuss echote in die Weite. Danach kehrte plötzlich Stille ein.
»Master Lenville!«
In flinken Schritten hastete Cube zum Durchgang. In einiger Entfernung sah er ihn auf die Gruppe zustürmen. Beim Tritt in die Halle verharrte er. Zu beiden Seiten lagen leblose Körper. Im Unterschied zu seinen Opfern ergossen sich rote Pfützen unter ihnen. Das hier würde ganz sicher nicht gut enden.
X
Seine Konzentration galt den beiden Wachen bei den Rettungskapseln. Es mochten vielleicht noch 50 Meter zu ihnen sein.
Ein hoher Schrei kam aus der Gruppe.
Die beiden Wachmänner wandten sich abrupt um. Painmaker hob die Waffe und feuerte. Den linken riss es unmittelbar von den Beinen, der rechte erwiderte den Angriff, doch die Kugeln der Pistole sirrten nach kurzem Scheppern auf der Rüstung einfach davon.
Zweiter Schuss, zweiter Treffer.
Aus der Deckung hasteten nun die anderen beiden Wachen und begannen umgehend zu schießen. Sie standen zu dicht bei der Gruppe, als dass er seine Waffe nutzen konnte. Er drehte das Handgelenk und sprang in die Höhe. Aus dem neuen Blickwinkel isolierten sich die Schützen für einen Angriff. Die erste Wache ging zu Boden, für die zweite reichte die Zeit in der Luft nicht. Die stürmte nun jedoch auf ihn zu, kaum dass er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Einem Schuss wich sie durch eine Seitwärtsrolle aus. Selbst zwei weitere Salven trafen nicht.
Painmaker brüllte, als sie voller Wucht aufeinandertrafen. Es musste der Kerl sein, der den Trupp leitete. In schneller Folge prasselten Fausthiebe auf ihn ein, die außer Lärm auf der Panzerung nichts auszurichten vermochten. Mit der großen Metallhand packte er den Angreifer am Kragen und riss ihn einfach fort. Der rollte über den Boden, fing sich ab und sah dann zu ihm hinüber. Painmaker zögerte nicht, hob die Waffe und …
Blaues Flimmern riss die Wache zur Seite und lähmte sie.
Cube traf neben ihm ein, den Arm mit der Waffe noch ausgestreckt.
Painmakers Gliedmaße zitterten, seine Brust bebte und das Herz pochte unglaublich laut in seiner Brust. Langsam wandte er sich der Gruppe zu. Die Damen suchten Schutz hinter den anmutigen Erscheinungen der Herren, denen die Angst in den blassen Gesichtern hing.
Welch Augenweide.
Jeden einzelnen der zehn Schritte auf die Gruppe zu genoss Painmaker. Dabei manifestierte sich ein einziger Gedanke: Das war also Zebulon Parker.